Der Film „Antifa - Schulter an Schulter, wo der Staat versagte"
Im Interview stellt Marco von leftvision ihr neues Filmprojekt "ANTIFA - Schulter an Schulter, wo der Staat versagte" vor.
AIB: Vor einigen Wochen feierte „Antifa. Schulter an Schulter, wo der Staat versagte“, euer Dokumentarfilm über die Geschichte der Antifa-Bewegung nach 1989, Premiere. Der Film kommt genau zum richtigen Zeitpunkt. Warum habt ihr euch für dieses Thema entschieden?
Marco: Im Winter 2023/24, als die AfD- Umfragewerte immer weiter stiegen und die Mas-senproteste noch nicht in Sicht waren, dachten wir, es braucht einen Film für die Zeit nach den Landtagswahlen, der nicht etwa Lösungen für den Kampf gegen die AfD vorschlägt, sondern der geeignet ist einen Anlass zu bieten, um sich zu treffen, zu diskutieren, Gechichten auszutauschen und evtl. auf neue Ideen zu kommen. So gesehen eine Art Lagerfeuer, was uns durch den dunklen Monat September begleitet, in dem ja gleich drei ostdeutsche
Landtagswahlen anstehen.
Zum Anderen haben wir gemerkt, dass es einfach an der Zeit ist, diese Geschichte zu erzählen; jüngere Generationen zeigten großes Interesse daran zu erfahren, wie es damals war und Menschen, die selbst dabei waren, können jetzt offener darüber reden, weil es bereits History ist.
AIB: Welche Erzählstränge verfolgt ihr in eurem Film?
Marco: Der Film versucht, einen Streifzug durch die Praxisfelder der Antifa-Bewegung zu unternehmen, wobei die erlebten Höhepunkte und Tiefpunkte einen roten Faden bilden, ein wenig vergleichbar mit einer Biografie. Das bedeutet aber auch, dass der Film nicht wirklich chronologisch vorgeht und schon gar nicht versucht, „vollständig“ abzubilden. Vielmehr werden die großen Ebenen: Pogrome, Selbstorganisation, Selbstverteidigung, Gegenangriff,
Recherche, Repression, Selbstkritik und Gegenwartsbezüge besprochen.
AIB: Wie ist der Film handwerklich angelegt, habt ihr euch mit Aktivist_innen von damals getroffen oder euch auch durch die Archive gewühlt?
Marco: Beides haben wir getan. Wir konnten unglaublich viele gute Hintergrundgespräche mit einem guten Dutzend Personen führen, bevor wir nach Interviewpartner:innen gesucht haben. Wir haben die vorhandene Literatur ausgewertet und sind natürlich Kooperationen mit so vielen Archiven wir möglich eingegangen. Ziel war es schon, bei dem immensen Mangel an Bildern aus der Zeit, gerade was Situationen jenseits des Demo-Geschehens angeht, das wenige, was es gibt, zu finden und zu verwenden.
Natürlich mussten dann auch irgendwann schwierige dramaturgische Entscheidungen getroffen werden, welche Geschichten bzw. Phänomene im Film vorkommen können. Für uns ist es immer ein Drahtseilakt zwischen dem gut informierten Teil des Publikums, Menschen die vielleicht sogar dabei waren, und dem sehr interessierten aber eher unwissenden Teilen des potenziellen Publikums, man will keine der beiden Seiten zu stark vernachlässigen, was immer ein extrem schwieriger Prozess ist.
AIB: Erzählt der Film die Geschichte des Kampfes gegen Neonazis aus ost- und aus westdeutscher Perspektive?
Marco: Ja, es gibt genau zwei Ost- und zwei West-Geschichten, wir haben uns da extrem beschränkt, auch um lieber einige wenige Geschichten / Biografien richtig zu erzählen als viele Geschichten nur kurz zu steifen. Das fünfte Interview ist dann ein Spezialfall und hat die Recherche und Archivarbeit zum Schwerpunkt. Auch im Team sind wir glücklicherweise mit 50/50 eine gute Ost-West-Mischung, so dass zumindest keine Seite hinten runterfällt.
Wir haben die Hoffnung, dass der Film das auch bereits atmosphärisch besser hinbekommt, als einige andere Veröffentlichungen zu dem Thema, wobei es ja bisher überhaupt nur einige TV-Reportagen gab, die dann vor allem irgendeinen Aspekt versucht haben aufzubereiten, der zu dem Zeitpunkt dann gerade für Aufsehen sorgte.
AIB: In unserer letzten Ausgabe zum Schwerpunkt Antifa haben wir feststellen müssen, dass sich die antifaschistische Bewegung in Zeiten von massiver Repression und rechten Wahlerfolgen gerade an einem schwachen Punkt befindet. Setzt ihr euch neben der Geschichte der Bewegung auch mit deren Gegenwart auseinander?
Marco: Nein. Wir veröffentlichen als Kollektiv zwar regelmäßig Berichte über Aktivitäten der
Gegenwart, aber der Film hat einen festen historischen Rahmen von 1988/89 bis 2009/10. Natürlich sprechen unsere fünf Aktivist:innen auch über die Gegenwart, aber man kann nicht so weit gehen zu sagen, der Film würde sich mit der „Gegenwart der Bewegung“ auseinandersetzen. Dafür hätten wir dann eher eine Serie machen müssen.
AIB: Denkt ihr, dass man aus der Aufarbeitung vergangener Kämpfe der antifaschistischen Bewegung etwas für die Herausforderungen und Kämpfe in der Zukunft ableiten könnte?
Marco: Aus Geschichte lässt sich meistens recht viel ableiten. Auch wenn sich die Kämpfe, die Gegner, der Austragungsort und auch die Methoden stark unterscheiden, so lassen sich für den inneren Zusammenhalt, das Mindset bzw. die Ansprüche, die man an sich und andere stellt, eine ganze Menge ableiten. Stärken, von denen man sich ermutigen lassen kann, aber auch Fehleinschätzungen, aus denen man lernen kann.
Das Wichtigste für so einen Film, der ja kein Bücherregal ist, also eher nicht fürs Selbststudium taugt, ist, dass ein Funke überspringt, der die Neugier weckt und auch die Lust einfach anzufangen oder für die, die schon aktiv sind, weiter durchzuziehen.
AIB: Warum habt ihr euch für diesen Filmtitel entschieden? Ist für euch das Ziel der antifaschistischen Bewegung, für den Staat und seine Demokratie einzuspringen?
Marco: Nein, obwohl es ja zeitweise den Anschein hat, dass hier die letzten Verteidiger:innen der Demokratie zusammenkommen. Wir wollten mit „Schulter an Schulter, wo der Staat versagte“ ein Stück weit einfach den Film zusammenfassen auf eine Art und Weise, die einen aufhorchen lässt, die neugierig macht, die das liberale Bürgertum etwas triggert - ein Titel, der deutlich macht, dass es um die Vergangenheit geht ohne Jahreszahlen zu nennen.
Auch wenn uns die Suche nach dem richtigen Titel, der viele verschiedene Funktionen erfüllen soll, großes Kopfzerbrechen bereitet hat, so sollte sich aber niemand sonst darüber groß den Kopf zerbrechen. Es ist keine politische These und wir wissen um die Fallstricke je nachdem, wie wer zum Staat steht. Von unserer Seite aus ist dieser Untertitel eher als Feststellung gemeint, mit dem verschiedene Zielgruppen außerhalb der Szene neugierig auf den Film werden sollen.
AIB: Welche Bedeutung hat das Konzept des „Revolutionären Antifaschismus“ eurer Ansicht nach?
Marco: Wir können dazu recht wenig sagen. Sicherlich werden diejenigen Antifaschist:innen, die zugleich auch Antikapitalist:innen sind und in Gegnerschaft zum bürgerlichen Staat stehen, immer auch versuchen, Antifaschismus als Hebel zu nutzen, um perspektivisch die Gesellschaft ganz grundlegend zu verbessern, aber wir können wirklich keine Aussage dazu treffen, wie groß die Bedeutung gerade der „revolutionären“ Anliegen in der gegenwärtigen
Bewegung ist.
AIB: Möchtet ihr sonst noch etwas hinzufügen?
Marco: Natürlich sind Kinos sehr vorsichtig, wenn es um Dokus geht und extravorsichtig, wenn es um politische Dokus geht. Sie nehmen sie dann ins Programm, wenn sie von Leuten angeschrieben oder angerufen werden, die nach dem Film fragen. Es ist also unbedingt erforderlich, seinem örtlichen Programmkino einen Hinweis zu geben, wenn man möchte, dass der Film da auch läuft. Darüber würden wir uns sehr freuen.
AIB: Vielen Dank für das Gepräch!