Skip to main content

Inseln im blauen Meer – Die AfD als kommender Machtfaktor

Einleitung

Nach dem Wahlmarathon des Jahres 2024 in den ostdeutschen Bundesländern Thüringen, Sachsen und Brandenburg ist die AfD dort ein Machtfaktor, weitgehend (noch) ohne formal an der Macht beteiligt zu sein.

Anti-AfD

Wie der Zufall es will: An jenem Novembertag 2024, an dem in Grimma drei Personen, die Mitglieder der AfD waren unter dem Verdacht der Mitgliedschaft in der Terrorgruppe „Sächsische Separatisten“ festgenommen wurden, traf sich Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) mit dem sächsischen AfD-Vorsitzenden Jörg Urban zu einem vertraulichen Gespräch. Gewiss, zwischen beiden Ereignissen gibt es keinen inhaltlichen Zusamenhang. Und doch spiegelt sich in der Gleichzeitigkeit dessen, dass ein Ministerpräsident den Chef einer ultra-rechten Partei trifft, in deren Mitgliedschaft es Terrorverdächtige gibt, dass die AfD in Ostdeutschland ein politischer Faktor ist, an dem niemand mehr glaubt vorbeizukommen.

Man stelle sich vor, Mandatare einer anderen Partei würden unter Terrorverdacht festgenommen. Wochenlang würden sich diverse Terrorexperten und rechte Polizeigewerkschafter in den Medien die Klinke in die Hand geben. Aber die Normalisierung der extremen Rechten in Gestalt der AfD blendet solche Grenzgänge in die organisierte Gewalt erfolgreich aus.

Neue rechte Sichtbarkeit oder der rechte Block der Gesellschaft

Diese Normalisierung der extremen Rechten erreicht nun formal die Institutionen. Es waren in den letzten Jahren neben Wahlerfolgen vor allem hegemoniale Landgewinne im vorpolitischen Raum ostdeutscher Regionen, die die AfD und ihr Umfeld verzeichnen konnte. Hier zahlt sich die regionale Dauerpräsenz rechter Protestformate in ostdeutschen Klein- und Mittelstädten aus, die einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf das Meinungsklima einer Stadt nehmen.

Nach den Kommunalwahlen im Sommer 2024 besetzt die AfD kommunale Spitzenämter zwar nur im Ausnahmefall (Vgl. AIB Nr. 144), doch die guten Kommunalwahlergebnisse befördern ihre Mandatare in kommunale Beiräte und Aufsichtsgremien, verschaffen ihnen Posten als Ausschussvorsitzende und fachpolitische Sprecher. Dort können sie durch ihr thematisches Agenda Setting und strategische Bündnisse mit konservativen Akteur*innen von CDU und Freien Wählern für linke und emanzipatorische Projekte schweren Schaden anrichten. Das Mittel der Wahl hierfür ist nicht zwingend sofort die Kürzung der Förderung. Auch engmaschige Kontrollen eines Gesundheitsamts und Auflagen des Ordnungsamts können Projekten, die der AfD ein Dorn im Auge sind, das Leben schwer machen, schlicht ihre Handlungsfreiheit bis hin zur Schließung einschränken. Auf diese Weise entfaltet ein rechter gesellschaftlicher Block, der bereits seit langem existiert, seine institutionelle Wirksamkeit. 

Diese ist keineswegs auf rechte Herzensanliegen wie Asylpolitik und die Stigmatisierung linker Jugendarbeit begrenzt. Über kommunale Aufsichtsgremien lässt etwa die Ausrichtung des Spielplans des lokalen Stadttheaters durchaus unter Beschuss nehmen. Die AfD strebt danach, ihre parlamentarische Repräsentanz mit rechten Kulturkämpfen mit dem Ziel zu verbinden, die Resonanz für ihre politischen Inhalte in und außerhalb der Institutionen zu erweitern.

Doch es geht um mehr als nur die Aufwertung der AfD in staatlichen Institutionen. Die kommunalen Gremien sind der Lernort des Kompetenzerwerbs und der Netzwerkarbeit für die AfD-Mandatare, mit dessen Mehrwert die Partei sich weiter politisch professionalisieren wird. Kurz gesagt: In den Kommunalvertretungen wird die kommende Generation von AfD-Politiker*innen geschult, die in den nächsten Legislaturperioden in die Landesparlamente einziehen sollen.

Brandmauer in Flammen

Angesichts rechter und konservativer Mehrheiten in ostdeutschen Kommunalvertretungen gilt es, die Realitäten in Kreistagen und Stadtverordnetenversammlungen zur Kenntnis zu nehmen. Die Brandmauer gegenüber der AfD wird dauerhaft nicht halten, selbst wo es sie gibt oder gab. Die Mandatare von AfD, CDU und Freien Wählern stehen einander gerade auf der kommunalen Ebene nahe, da sie sozialräumlich aus denselben kleinbürgerlichen Milieus stammen, die sich in den vergangenen Jahren politisch radikalisierten. Ein gemeinsames Abstimmungsverhalten entspringt vor Ort mehr als „nur“ einer politischen Übereinstimmung. Man steht sich auch habituell und lebensweltlich nahe, verkehrt in denselben Kreisen. 

In der Auseinandersetzung mit dem kommunalen Agieren der Parteien des rechten gesellschaftlichen Blocks stehen linke und linksliberale Parteien in ihrer Minderheitsposition vor einem Dilemma. Natürlich ist es ein Gebot der moralischen Selbstachtung, Anträgen der AfD nicht zuzustimmen. Eine Zustimmung etwa zu vermeintlich unpolitischen Anträgen, wie einer Baumpflanzaktion oder einem Zebrastreifen vor einer Kita, stärkt die Normalisierung der AfD zweifelsohne. Eine Ablehnung ihrer Anträge offenbart zugleich ein Problem politischer Kommunikation. Denn die AfD wird in diesem Fall nicht zögern, mit dem Finger auf jene zu zeigen, die einen neuen Zebrastreifen vor der Kita verhindert hätten. Dabei ist die AfD durch ihre Dominanz in den sozialen Medien strategisch kommunikativ im Vorteil. Diesen Mechanismus auszuhebeln, dass wie auch immer das Abstimmungsverhalten der Gegner der AfD ausfällt, diese davon in der politischen Kommunikation profitieren will, lässt sich nur durch eine eigene offensive politische Kommunikation lösen. 

Dies bedeutet, die Kommunalpolitik zu re-politisieren, und scheinbar unpolitische Fragen kommunalpolitischer Entscheidungen in jenen größeren politischen Kontext zu stellen, dessen Relevanz gern ausgeblendet wird: die mangelnde finanzielle Ausstattung der Kommunen, ihre zunehmend kleiner werdenden Gestaltungsmöglichkeiten vor Ort, und der damit verbundene Verlust realer politischer Selbstwirksamkeit der Bürger*innen.

Der Machtzuwachs der AfD in den Regionen bemisst sich nicht nur an ihrer Präsenz in den diversen Kommunalvertretungen. Das Selbstbewusstsein der Partei und ihrer Anhängerschaft wächst dort, wo die AfD außerparlamentarisch mit einer extrem rechten Akteursgruppe (Stichwort Montagsdemonstration) auf der Straße kooperiert, sozialräumlich durch schiere Präsenz meinungsbildend wirkt, und wahrnehmbarer Widerspruch fehlt oder marginalisiert ist.

Und jetzt?

Für ihre Strategie der Diskreditierung linker und emanzipatorischer Sichtbarkeit vor Ort profitiert die AfD auch von der Fragmentierung ihrer Gegner. Das linke Jugendzentrum erreicht eine andere Zielgruppe als die örtliche Initiative von Kino-Enthusiasten oder die Galerie für Ausstellungen regionaler Künstler. Die Genannten werden zwar unter Umständen zum Ziel politischer Angriffe der AfD; was jedoch nicht unbedingt zur Folge hat, dass sie sich darin als verbunden ansehen oder untereinander Solidarität üben. Wollen sich aber künftig diverse Interessengruppen abseits rechter Normalisierung Gehör verschaffen, werden sie aufeinander Bezug nehmen müssen, sich solidarisieren und zugleich lernen, mit kulturellen Unterschieden und inhaltlichen Differenzen produktiv so umzugehen, dass die Versuche der extremen Rechten, sie gegeneinander in Stellung zu bringen, ins Leere laufen.

Zu einer wirkungsvollen Waffe der Konservativen und der extremen Rechten hat sich der Vorwurf des "Linksextremismus" entwickelt. Dafür reichen zwei Antifa Aufkleber im Barraum eines Jugendzentrums, die von einem AfD-Stadtrat fotografiert, zur linksextremen Bedrohungslage hochgejazzt werden. Der konservative Diskurs über "Linksextremismus" ist der Türöffner für extrem rechte Denunziationen aller Art. 

Ähnliches ist für konservative Debatten über die gesellschaftliche Sichtbarkeit sexueller Vielfalt zu verzeichnen. Die seit mehr als einem Jahrzehnt betriebene rechte Propaganda gegen den „Genderwahn“ trägt vor Ort ihre vergifteten Früchte in Form von neonazistischen Mobilisierungen gegen regionale CSD-Veranstaltungen. 

Wer dem nicht ohnmächtig ausgeliefert sein will, braucht Fürsprecher und Verbündete. Die in den Kommunalvertretungen verbliebenen nicht-rechten Mandatare können den ihnen verbliebenen Spielraum nutzen, Initiativen und Projekte zu verteidigen, die gegen rechte Hegemonie arbeiten und denen Raum bieten, die sich in die Unsichtbarkeit gedrängt sehen. 

Nach den Wahlerfolgen der AfD ist die Debatte um die Aufgabe ganzer „blauer“ Regionen zurück. Nachvollziehbare, individuelle Gründe, eine Region zu verlassen, gibt es immer. Aber eine Region aufgrund ihrer rechten Dominanzkultur, die sich in Wahlergebnissen für die AfD spiegelt, als verloren zu bezeichnen, bedeutet der rechten Raumnahme ungewollt das Wort zu geben und jene allein zu lassen, die bleiben und dagegenhalten. Initiativen wie „Poylux“, die unbürokratisch vor Ort kleine Initiativen unterstützen, spiegeln das Umdenken in der Linken im Hinblick auf die zunehmende institutionelle Verstetigung der AfD in den Institutionen. Es braucht sie, die Inseln im blauen Meer.