Kameradschaft im Geiste: Walter Lübckes Mörder bei Höcke in Thüringen
Rechercheportal Jena-SHK (Gastbeitrag)Der hessische Neonazi Stephan Ernst pilgerte seit 2016 Björn Höcke hinterher, bewaffnete sich und begann Schießtrainings. Nach mindestens drei Besuchen von Höcke-Auftritten in Eisenach und Erfurt war nach Ernsts Angaben für den Entschluss zum Mord an Walter Lübcke der Neonazi-Großaufmarsch am 1. September 2018 in Chemnitz ausschlaggebend. Angeführt wurde dieser als „Trauermarsch“ getarnte, demonstrative Schulterschluss von AfD, PEGIDA und militanten Neonazis von Höcke. Angesichts weitreichender Zusammenarbeit mit Höckes AfD auf Kreis- und Landesebene muss erneut an die blutigen Konsequenzen dieses rechten Aufschwungs erinnert werden: Björn Höcke und die AfD sind eine Art parlamentarischer Arm des rechten Terrors.

Stephan Ernst (1.v.r.) beim Neonaziaufmarsch in Dresden am 14. Februar 2009.
1. Mai 2017 Erfurt
Der Nordthüringer AfD-Bundestagskandidat Jürgen Pohl gründete zum Wahlkampf 2017 eine neue blaue Scheingewerkschaft namens „ALARM – Alternativer Arbeitnehmerverband Mitteldeutschland“. ALARM wurde nie eine Gewerkschaft, sondern mit „Sozial ohne rot zu werden“ nur eine vorübergehende PR-Aktion für soziale Medien und eine Handvoll Kundgebungen. Das Ziel war schlicht, unter neuen Vorzeichen Rassismus zu verbreiten und gegen die AfD-kritischen DGB-Gewerkschaften zu hetzen.
Das sprach zum 1. Mai in Erfurt das übliche Klientel rechter Wutbürger*innen an. Im Aufmarsch lief außerdem die Thüringer Landesgruppe der „Identitären Bewegung“ (IB Thüringen) mit. Unmittelbar neben dieser Gruppe fanden sich weitere Fans von Höckes faschistischer Ideologie am Startpunkt ein, die extra aus dem Kasseler Umland angereist waren: Markus Hartmann und Stephan Ernst, letzterer zusammen mit seinem jugendlichen Sohn. Hartmann und Ernst waren zu jenem Zeitpunkt bereits mit Schießtrainings und dem Bemühen um eine legale Bewaffnung beschäftigt.
Höcke enttäuschte die militanten Neonazis an diesem Tag nicht. Zur Eröffnung seiner Rede durften sie sich persönlich angesprochen fühlen: „Ich weiß, dass heute Patrioten aus Hessen, aus Nordrhein-Westfalen da sind.“ In seiner weiteren Rede zeichnete Höcke ein antisemitisch konnotiertes Feindbild einer Weltverschwörung, die sich die Vernichtung Deutschlands zum Ziel gesetzt habe. An jenem 1. Mai stand Stephan Ernst noch zufällig neben den Thüringer Aktivisten der "Identitären", die genau wie er zu großen Teilen aus der klassischen Neonaziszene kamen.
Ein halbes Jahr später, am 12. Dezember, spendete Stephan Ernst der „Identitären Bewegung“ 100 Euro. Am 29. März 2018 spendete er dieselbe Summe erneut.
28. Januar 2018 Erfurt
Für den 28. Januar 2018 mobilisierte die AfD zur Kundgebung auf den Erfurter Domplatz. Das Motto: „Gegen massenhaften Clan-Nachzug, für ein sicheres und soziales Deutschland! Unseren Sozialstaat verteidigen!“ Hauptredner Björn Höcke ging es in seiner Rede wie immer kaum um Soziales, als viel mehr um zugespitzte rassistische Hetze und Weltuntergangsmythen. Schon lange vor der erfolgreichen Setzung des Begriffs „Remigration“ versprach Höcke in Erfurt die Deportation von einer Million Menschen. Diese Menschen erklärte er in völkischer Tonlage zu einer existentiellen Bedrohung für das „deutsche Volk“ und markierte mit dem Verweis auf den Begriff „Dschihad“ Muslim*innen als Feinde.
Auf dem Platz stand auch an diesem Tag wieder das passende Publikum: Thüringer "Identitäre" hielten ein Banner von „Ein Prozent“ und ein weiteres für den „Erhalt der Heimat“. Es waren bundesweit in NPD- und "Reichsbürger"-Netzwerken aktive Shoa-Leugner aus Saalfeld, Ronneburg oder Braunsbedra angereist. Aus Eisenach waren Leon Ringl und Kevin N. vor Ort, die ein Jahr später die Neonazi-Schlägergruppe „Knockout 51“ gründeten. Und mittendrin standen auch dieses Mal Stephan Ernst und Markus Hartmann.
1. Mai 2018 Eisenach
Als Höcke am 1. Mai nach Eisenach kam, war seine große Blamage vor dem dortigen Opel-Werk erst eine Woche her. Am 25. April war Höckes Auftritt als blau-brauner Trittbrettfahrer bei den protestierenden Opel-Beschäftigten in ikonischen Bildern gemündet, in denen er von IG-Metaller*innen davongejagt wird. Die AfD-Kundgebung am 1. Mai sprach vorgeblich erneut Opel-Arbeiter*innen an. Von denen stand jedoch keine*r auf der Bühne. Den einzigen Arbeiter auf der Bühne, Horst Schmitt, musste die AfD aus einer ihrer Tarn-Betriebsratslisten vom Opelwerk in Rüsselsheim herbeischaffen. Entsprechend bediente Höcke in seiner Rede primär die üblichen Feindbilder der FaschistInnen, anstatt sich mit den Interessen von Arbeiter*innen zu beschäftigen: „Altgewerkschaften“, „Altparteien“ und „Ausländische Kinder“. Von Höckes vollmundiger Ankündigung „Wir werden das Thema soziale Gerechtigkeit als AfD in Thüringen zur Chefsache erklären“ war schon sehr bald nichts mehr zu hören. Entgegen ihrer eigenen Klasseninteressen als Arbeiter beklatschten die Neonazis Stephan Ernst und Markus Hartmann am 1. Mai 2018 in Eisenach erneut Björn Höcke.
1. September 2018 Chemnitz
Nach der für einen Chemnitzer mit deutschem Pass tödlich verlaufenen Auseinandersetzung am Rande des Chemnitzer Stadtfests Ende August 2018 mobilisierte die Chemnitzer Neonazi-Hooligan-Szene am Folgetag zu einer Demonstration durch die Stadt. Diese wurde durch Hetzjagden auf rassifizierte Menschen und Sprechchöre wie „Wir sind die Fans – Adolf Hitler Hooligans“ geprägt. Zum 1. September 2024 riefen weite Teile der AfD gemeinsam mit PEGIDA und der ultra-rechten Chemnitzer Wahlliste „Pro Chemnitz“ zu einem vorgeblichen „Trauermarsch“ auf. Zu diesem erschienen tausende Rechte, darunter Hunderte militante Neonazis, die sich auf Angriffe auf Polizei und Gegendemonstrierende vorbereitet hatten. Der Demonstrationszug wurde von Björn Höcke und weiteren AfD-FunktionärInnen angeführt.
Auch der völkische Schnellrodaer Netzwerker Götz Kubitschek lief mit seiner Familie in Chemnitz mit. In der Menge befand sich auch eine Abordnung der AfD aus Kassel und Umland, mit der Stephan Ernst und Markus Hartmann angereist waren. Nach Auflösung der rechten Versammlung machten Neonazis an verschiedenen Orten Jagd auf Gegendemonstrierende und rassifizierte Menschen, wobei es zu schweren Verletzungen kam. In den Folgetagen wurden Imbisse von Menschen mit Einwanderungsgeschichte demoliert und ein jüdisches Restaurant angegriffen, wobei auch der Betreiber selber mit Steinen beworfen wurde. Es gründete sich außerdem die Terrorgruppe „Revolution Chemnitz“, die innerhalb weniger Wochen vom Straßenkrawall zum Plan bewaffneter Anschläge voranschritt.
Björn Höcke dankte am Folgetag der brutalen Hetzjagden auf Facebook explizit „allen Landsleuten“, die sich beteiligt hatten. In bestem Wissen um die Tatsache, dass in Chemnitz zu diesem Zeitpunkt seit Tagen eine rassistische „Selbstjustiz“ vollzogen wurde, bekräftigte Höcke die militante Neonaziszene. Eine Woche nach dem Aufmarsch in Chemnitz schrieb Stephan Ernst in einem Youtube-Kommentar: „Entweder diese Regierung dankt in kürze ab oder es wird Tote geben…“ (Fehler im Original). Im späteren Prozess sagte Ernst mehrfach aus, dass er den Entschluss zum Mord an Walter Lübcke nach Chemnitz getroffen habe.
Schnittpunkt Dresden 2010: Ernst, Höcke, Kubitschek
Bereits im Februar 2010 trafen die Kreise von Stephan Ernst, Björn Höcke und Götz Kubitschek zusammen, sie beteiligten sich alle am geschichtsrevisionistischen Neonaziaufmarsch in Dresden. Sie alle vereinte damals wie heute Teile eines Geschichts- und Weltbildes, demzufolge das nationalsozialistische Deutsche Reich ein Opfer alliierter Weltmächte war. Als eine Gegenstrategie gegen die vermeintlich bis heute andauernde "Besatzung" und "Fremdbestimmung" wird auch eine Einheit rechter Parteien mit militanten Straßenbewegungen propagiert.
Stephan Ernst, der schon früh für rassistische Mordanschläge im Gefängnis saß, fühlte sich ab 2015 zu Recht von Höckes Reden angesprochen. Kubitschek propagierte derweil Teile dieser Strategie im „Flügel“ der AfD und vernetzte diesen mit außerparlamentarischen (neo)faschistischen Bewegungen. Ernst überwies 2016 bis 2017 mehrfach Geld an Kubitscheks „Antaios-Verlag“.1
So steht der 1. September 2018 in Chemnitz, an dem neben Ernst und Höcke auch Götz Kubitschek teilnahm, als symbolhafte Momentaufnahme acht Jahre nach dem gemeinsamen Neonaziaufmarsch in Dresden; eine Momentaufnahme in der fortschreitenden Entwicklung, die rechte Netzwerke, die AfD und rechter Terror seitdem vor allem in Ostdeutschland genommen haben. Stephan Ernst übernahm mit seinem Mord an Walter Lübcke, der von der einer breiten Rechten zum Feind erklärt worden war, seinen Part im auch von Höcke und Kubitschek propagierten Kampf gegen den Untergang Deutschlands.
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"Verlag Antaios - Inhaber Götz Kubitschek e.K" (HRA 4730)