Die „Rheinlandbande“ - Neonazi-Nachwuchs im Rhein-Sieg-Kreis
MIA HILL (ANTIFASCHISTISCHE RECHERCHE OBERBERG, AROB)Die „Rheinlandbande“ hat sich innerhalb kurzer Zeit von einem losen Zusammenhang posender Kleinstadtjugendlicher mit Hang zum Neonazitum zur organisierten Kleinstgruppe der „Jungen Nationalisten“ (JN) entwickelt. Möglich war dies nicht zuletzt durch die enge Verbindung mit dem „Freundeskreis Westerwald“ um die Neonazi-Akteurin Melanie Dittmer. Beide Gruppen treten häufig gemeinsam bei Wanderungen, Aktionen und Schulungen auf.

Melanie Dittmer und Paul Fuchs posieren gemeinsam auf social media vor einem Weihnachtsbaum.
Im Jahr 2024 hat es die „Rheinlandbande“ in überregionale Zeitungen geschafft: Anlässlich geleakter Chats der „Jungen Nationalisten“ wurde vom "DER SPIEGEL" (Nr. 23/2024) eine Diskussion mit einem Chatteilnehmer namens „fuchs“, seines Zeichens Aktivist der „Rheinlandbande“, beschrieben. Die Gruppe habe im Wald eine Regenbogenfahne verbrannt und möchte nun Fotos der Aktion auf ihren Social-Media-Accounts veröffentlichen. Im Chat rät man „fuchs“ jedoch davon ab, denn die Aktion sei strafbar. Bei dem Teilnehmer des bundesweiten Chataustauschs soll es sich um Paul Fuchs, einem der mutmaßlichen Betreiber der Social-Media-Accounts und Chats der „Rheinlandbande“, handeln. Zuvor wurde über die „Rheinlandbande“ in der Wochenzeitung „Jungle World“ berichtet. Thema des Artikels: „Active Clubs“ als „neuer“ Versuch der szeneübergreifenden Vernetzung innerhalb der extremen Rechten. Exemplarisch zitiert die Zeitung die Selbstbeschreibung der „Rheinlandbande“. Getreu deren Motto „Wandern statt Disco“ folgt die Aufzählung ihrer Aktivitäten: „Wir gehen sehr oft wandern, entfliehen gemeinsam der Clownswelt, besuchen politische Seminare, treiben gemeinsam Sport oder gehen zelten.“
Die selbstverharmlosende Beschreibung soll der eher freizeitorientierten Anwerbung von bisher politisch wenig aktiven Jugendlichen dienen. Auch der „Freundeskreis Westerwald“ zählt sich zu den „Active Clubs“.
Radikalisierung einer Kleinstadtcombo
Noch einige Monate zuvor trat die „Rheinlandbande“ als loser Zusammenhang junger Männer auf, die gemeinsam abhingen, Männerfreundschaften pflegten und gelegentlich mit martialischem Auftreten und Nazi-Content posierten. Kerngebiet der Aktivitäten war die Gegend um Hennef, Siegburg und Sankt Augustin. Seitdem sich die seit Jahrzehnten in der Neonazi-Szene aktive Melanie Dittmer der „Rheinlandbande“ stärker annahm, änderte sich der Auftritt der Gruppe zusehends. Es gab gemeinsame Wanderungen und Aktionen mit Bannerdrops und Pyrotechnik. Ende August 2024 folgte ein zusammen mit der JN veranstaltetes dreitägiges Zeltlager mit Schulungen, paramilitärischem Exerzieren und völkischen Balladen von dem Neonazi-Liedermacher Axel Schlimper. Am Tag der Anreise konnten vier Anhänger der sächsischen JN-Gruppe „Elblandrevolte“ beobachtet werden, die am Hennefer Bahnhof von zwei Autos abgeholt wurden. Eines der Autos gehörte Melanie Dittmer.
Dittmer sorgte offenbar auch dafür, dass die naiv-sorglosen Auftritte in den Social-Media-Accounts der „Rheinlandbande“ verschwanden und sich die Gruppe zunehmend klandestin organisierte. Regelmäßig wurden von beiden Gruppen die selben Posts zu den gemeinsamen Aktivitäten veröffentlicht.
Wandern, Kampfsport und Schulungen
Ganz im aktuell vorherrschenden Stil der Neonazi-Szene organisiert die „Rheinlandbande“ Wanderungen und (Kampf-)Sporttreffen. Die Wanderungen gemeinsam mit dem „Freundeskreis Westerwald“ finden eher in einem familiären Rahmen statt, die der deutlich jüngeren „Rheinlandbande“ sind dagegen leistungsorientiert und nahezu ausschließlich männlich besetzt. Meist sind Ruinen im Siebengebirge das Ziel.
Nur 14 Tage nach dem bereits erwähnten Zeltlager folgte ein Bundeslager und Vernetzungstreffen der „Jungen Nationalisten“ im Rheinland. Schwülstig und traditionell antimodern und stadtfeindlich heißt es im zugehörigen Telegram-Kanal: „Gemeinschaft und der Ruf der inneren Stimme lassen sich am besten in der Natur erleben. Abseits der städtischen Betonwüsten, ablenkenden Konsums und der Oberflächlichkeit des Internets kommt der Geist zur Ruhe.“ Den „Jungs von der Rheinlandbande“ wird für die „gemeinsame Organisation“ gedankt.
Motor und Hauptorganisator der „Rheinlandbande“ ist der bereits genannte Paul Fuchs, der — mit seinen (damals) 19 Jahren immer noch ein Teenie — schon jetzt eine ebenso stramme wie erklärungsbedürftige Neonazikarriere hinlegen konnte.
Sozialisation eines Neonazis
Paul Fuchs stammt aus einem kleinen Vorort von Neunkirchen-Seelscheid im nordrhein-westfälischen Rhein-Sieg-Kreis. Er arbeitet in einer fußläufig entfernten Energietechnikfirma in einer der angrenzenden Gemeinden. Das Unternehmen schickt den jungen Neonazi gerne öffentlichkeitswirksam zu Berufsmessen in Schulen. Die Eltern dürften um die politische Orientierung ihres Sohnes wissen. Vater Fuchs lässt sich bei Familienausflügen im T-Shirt der bei Rechten beliebten Marke „Thor Steinar“ ablichten, und er stört sich offensichtlich auch nicht daran, dass sein Sohn auf ebensolchen Fotos ein Neonazi-Szene-Shirt mit „Ansgar Aryan“-Aufdruck trägt. Ungeklärt ist, ob der Vater womöglich identisch mit einem namensgleichen Aktivisten der seit 1995 verbotenen „Freiheitlich Deutschen Arbeiterpartei“ (FAP) sein könnte. Kaum vorstellbar, dass der Familie die Teilnahme ihres Sohnes an den letztjährigen Sonnwendfeiern der JN auf dem „Heimathof“ im niedersächsischen Eschede verborgen geblieben ist. Als treuer Followerin seiner Social-Media-Accounts dürfte auch Mutter Fuchs die Radikalisierung ihres Sohnes nicht verborgen geblieben sein. Ein Foto des Juniors in einer der Hitlerjugend nachempfundenen Uniform scheint für sie in Ordnung zu sein. Auch ließen sich Vater und Sohn gemeinsam mit der medienbekannten Melanie Dittmer und deren Freundin 2023 im trauten elterlichen Heim vorm Weihnachtsbaum ablichten.
Nicht zuletzt führt Dittmer Paul Fuchs in die bundesweit vernetzte Neonazi-Szene ein, postet Fotos vom gemeinsamen Besuchen von Schulungen im extrem rechten Veranstaltungszentrum "Gedächtnisstätte" in Guthmannshausen oder vom Schnitzelessen und Lagerfeuer bei dem Neonazi-Kader Tommy Frenck in Thüringen.
How it goes…
Auf der 2024 fotografisch dokumentierten JN-Sonnwendfeier hält Fuchs es zusammen mit zwei weiteren Aktivisten der „Rheinlandbande“ — im Gegensatz zu anderen Teilnehmer*innen — nicht für nötig, sich zu vermummen: Die oben genannten bundesweiten Presseveröffentlichungen scheinen sie bisher kaum beeindruckt zu haben. Stattdessen setzt sich die Radikalisierung der „Rheinlandbande“ ungebrochen fort. Sie sind in eine Lücke in der Region gestoßen, die früher von neonazistischen Kameradschaftsstrukturen wie dem „Sturm 08/12“ um Ralph Tegethoff oder auch dem „Aktionsbüro Mittelrhein“ ausgefüllt wurde. Dabei orientieren sie sich am bundesweiten Trend, dass sich vielerorts regionale Strukturen der JN gegründet haben, die sich mit aktivistischen und martialischen Namensgebungen auf den ersten Blick von einem biederen Erscheinungsbild einer Parteijugend abgrenzen und unter dem Kampagnennamen „Inferno Deutschland“ auftreten.
Bisher sind Fuchs und seine Kameraden noch nicht offen mit Gewalttätigkeiten aufgefallen. Die zunehmend enge Einbindung in bundesweite (militante) Neonazi-Strukturen lässt allerdings befürchten, dass sich das in Zukunft ändern könnte.
(Weitere Infos: https://aroberberg.wordpress.com)