Neonazi-Zuzüge von West nach Ost
"Sachsen-Anhalt Rechtsaussen"Aus Westdeutschland zugezogene Neonazis versuchen, die ostdeutsche Neonazi-Szene zu vernetzen und zu mobilisieren. Auch neue Akteure, vor allem in Form der im Laufe des Jahres 2024 zahlreich entstandenen Jugendgruppen, sollen an die Neonazi-Strukturen gebunden werden.

15. Februar 2025, Dresden: Neonazis haben sich wie jedes Jahr versammelt, um in geschichtsrevisionistischer Manier der Bombardierung im Jahr 1945 zu gedenken. Aus Sachsen-Anhalt sind mehr Rechte angereist als in den Jahren zuvor. Angeführt wird ihr Block mit einem Transparent von „Aktivisten aus dem Harz“, begleitet von dem 2023 von Dortmund nach Halberstadt umgesiedelten Neonazi-Kader Alexander Deptolla. Knapp zwei Monate zuvor, 21. Dezember 2024, Magdeburg: Keine 24 Stunden nach der verheerenden Amokfahrt über den städtischen Weihnachtsmarkt sind etwa 2000 Neonazis zusammengekommen, um ihre rassistische Deutung der Ereignisse in die Stadt zu tragen. Die Organisatoren der Demonstration waren ebenfalls dem Personenkreis um Alexander Deptolla zuzuordnen.
Neue Zuzüge und alte Bekannte
Die Initalzündung für die aktuelle Umzugswelle westdeutscher Neonazis nach Ostdeutschland gab im Jahr 2020 die „Initiative Zusammenrücken in Mitteldeutschland“, die das Ziel verfolgte, Umzugswilligen Wohnorte, Jobs und politische Kontakte im Osten zu vermitteln. Einer der ersten Umsiedler war dabei der Dortmunder „Die Rechte“-Kader Michael Brück, den es ins sächsische Chemnitz zog. Im Interview mit den Machern von „Zusammenrücken“ erklärte Brück damals, Westdeutschland sei „im Endeffekt verloren“, dort sei mit legalen Mitteln im Sinne der Neonazis nichts mehr zu erreichen. Im Osten sei das anders. Mehrere Person aus seinem Dortmunder Umfeld würden deshalb seine Schritte beobachten, um es ihm dann ggf. gleichzutun.
Im Jahr 2023 zog dann Alexander Deptolla aus Dortmund in den Harz. Der vor allem als Organisator des Neonazi-Kampfsport-Events „Kampf der Nibelungen“ (KdN) bekanntgewordene Neonazi war schon zuvor gut in die regionale Neonazi-Szene vernetzt. Letztlich war es vermutlich auch die Beziehung zu Manuela G. aus Wernigerode, zuvor aktiv bei der inzwischen aufgelösten Neonazi-Gruppe „Harzrevolte“, die Deptolla in den Harz führte. Seit Sommer 2023 ist auch Deptollas Firma „Tremonia Druck“, über die u.a. das Merchandise für den KdN hergestellt wird, in der Region angesiedelt. Genutzt wird dafür eine Halle der ehemaligen HMW Möbelwerke in Halberstadt.
Einen Anstoß für die Zuzugswelle in den Nordharz könnten die Neonazis Martin Schüttpelz und Lisa V. gegeben haben. Kurz nachdem diese Ende 2020 aus Niedersachsen auf einen Hof in Aderstedt (Gemeinde Huy) gezogen waren, zeigte sich im Jahr 2021 erstmals öffentlich die Gruppe „Harzrevolte“ unter Führung von Schüttpelz und Marcel Kretschmer. Neben Schüttpelz („Merlin“) zog es aus diesem Umfeld auch Kevin S. („Kasi“) samt Familie in die Gemeinde und zur „Harzrevolte“.
Ungefähr zeitgleich mit Entstehung von „Harzrevolte“ waren es die bekannten Neonazis-Akteure Markus Walter aus Kerpen und Matthias Deyda aus Dortmund, die sich in Halberstadt mit einer Filiale der „Clever MPU“ niederließen. Die Firma bietet, seit 2023 unter dem Namen „Nitro MPU UG“ im alleinigen Besitz von Walter, Dienstleistungen zur Vorbereitung von Autofahrer:innen auf medizinisch-psychologische Untersuchungen (MPU) an. Der Hauptsitz ist offiziell in Leverkusen, Geschäftsführer weiterhin Detlef Heinz Modler, von dem Deyda und Walter die Firma ursprünglich auch erworben hatten. In einem Post aus dem Jahr 2023 wurde Martin Schüttpelz von Walter als Mitarbeiter bezeichnet. Zusätzlich erwarben Walter und Deyda in Halberstadt gemeinsam eine Immobilie, wo -laut Berichten aus der Region- möglicherweise zeitweise auch aus einer Wohnung heraus Prostitution betrieben worden sein soll. In sozialen Medien suchte Walter nach Kameraden“, welche in dem Haus im Gegenzug für mietfreies Wohnen und „politischen Anschluss“ beim Renovieren helfen würden.
Guten Kontakt pflegt Markus Walter auch zu dem mittlerweile in Odessa lebenden Neonazi Philipp Hasselbach, der mit seinem Vater unter dem Namen „STEX“ ein Speditionsunternehmen mit Filialen in Deutschland, der Ukraine und Georgien betreibt. Nachdem Walter die ausländischen Niederlassungen besucht hatte, tauchte die ukrainische STEX-Mitarbeiterin Anastasia Kaufmann (damals noch Anastasia Bulakh) 2024 plötzlich als Werbegesicht im Büro von „Nitro MPU“ in Halberstadt auf.
Mehrfach organisierte STEX auch Spendenaktionen, mit denen Ausrüstung und Drohnen für die ukrainischen Streitkräfte beschafft werden. Wiederholt traf sich Walter in Halberstadt auch mit dem Neonazi Philipp Neumann, der sich etwas entfernt vom Harz im Landkreis Stendal niedergelassen hat. Nachdem bei dem RechtsRock-Musiker im September 2023 eine Hausdurchsuchung anlässlich des bundesweiten Verbots der „Hammerskin Nation“ stattgefunden hatte, zog dieser Anfang 2024 von Bad Neuenahr-Ahrweiler (Rheinland-Pfalz) nach Sachsen-Anhalt. Inspiration für die Wahl seines neuen Wohnorts dürfte für den Frontmann von FLAK, der als „Liedermacher“ auch unter dem Namen „Phil von Flak“ durch die Republik reist, wohl die räumliche Nähe zu seinem Schlagzeuger Tim Schmädicke (Börde) gewesen sein.
Dem Ruf nach Halberstadt ebenfalls gefolgt sind die Neonazis Ingo Aßmann und Thorben Vetter, beide zuvor in Dortmund aktiv. Der gelernte Metzger Aßmann hatte dort bereits 2014 für „Die Rechte“ als Stadtrat kandidiert. Thorben Vetter war in Dortmund zuletzt im Ortsvorstand von „Die Rechte“ und der Gruppe „Frontline Skinheads“ aktiv gewesen.
Auch ein weiterer Player aus der Region, der sich in den Jahren zuvor weitgehend in die rechte Subkultur zurückgezogen hatte, tauchte jetzt wieder auf: Oliver Malina. Bundesweite Bekanntheit hatte dieser als Teil des Neonazi-Musiknetzwerks „Honour & Pride“ mit der Organisation von RechtsRock-Konzerten in seinem Heimatort Nienhagen erlangt. Das letzte Konzert in der Alten Hopfendarre 2014 zog über 1000 Neonazis aus ganz Europa an. Spätestens ab 2022 zeigte sich Malina dann wieder öffentlich mit Kleidung der überregionalen Kameradschaft „Division 45“, welche sich aber schließlich im September 2023 wieder auflöste – aus Angst vor einem Verbot. Ungefähr seit dieser Zeit ist Malina mit seiner Band „Rammjäger“ auch wieder musikalisch aktiv und zeigt sich öffentlich bei verschiedenen Aktionen an der Seite von Alexander Deptolla.
Lokale und übergeordnete Strategien
Im Interview mit der „Initiative Zusammenrücken“ erklärte Michael Brück 2020 auch, dass mit den Umzügen der Kader nach Ostdeutschland auch ein Strategiewechsel einhergehen müsse: Statt sich wie in Dortmund-Dorstfeld auf einzelne Kieze zu konzentrieren und möglichst radikal von der breiten Bevölkerung abzugrenzen, sei diese im Osten noch wesentlich empfänglicher für rechtes Gedankengut – ein zu radikales Auftreten daher eher kontraproduktiv.
Eine regionale (Telegram )-Organisierung unter dem Label „Harz verteidigen“ geht in diese Richtung. Unter der Führung Deptollas besuchten Neonazis die „Montagsdemonstrationen“ in Halberstadt und zeigten sich dabei auffallend freundschaftlich mit deren OrganisatorInnen um Marcel Böhmer und Mario Kirste.
Verhältnis zur AfD
Die Übergänge zwischen neonazistischer Szene und Strukturen der AfD sind im Harz längst fließend. 2024 tauchten auf kommunalen Wahllisten der AfD diverse Aktive von „Harzrevolte“ und andere Harzer Neonazis auf. Als im Oktober 2024 während einer „Montagsdemonstration“ in Halberstadt das Auto eines Teilnehmers aus der Gefolgschaft Deptollas abbrannte, beklagte anschließend AfD-Landeschef Martin Reichardt den „Brandanschlag“ auf ein AfD-Mitglied. Eben jenes Mitglied sollte am 21. Dezember 2024 dann beim Aufmarsch in Magdeburg gemeinsam mit JN-Aktivisten das Fronttransparent halten.
Regionale Vernetzung
Auffallend bemüht ist Alexander Deptolla, die regionale Szene zu vernetzen und zu
mobilisieren. Als er im Frühjahr 2024 zunächst Schwierigkeiten hatte, lokale Neonazis zu den Halberstädter „Montagsdemonstrationen“ zu mobilisieren, half etwa eine kampfsportaffine Gruppe aus dem Jerichower Land. Der Personenkreis aus der Region Burg war es dann im Juni 2024 auch, der den KdN-Verkaufsstand beim Kampfsportevent „Day Of Glory IV“ in Combres-sous-les-Côtes (Frankreich) betreuen durfte. Deptolla selbst war mit einem Ausreiseverbot belegt worden und konnte somit nicht anreisen. Schon im Mai hatten Neonazis aus der Region zusammen mit Deptolla am „Europakongress“ der „Jungen Nationalisten“ in Eschede teilgenommen, wo eine Reihe von Sparringskämpfen durchgeführt wurde.
Der 2024 gegründete örtliche Ableger der „Jungen Nationalisten“, der „Elbjugend Magdeburg“, zählt ebenfalls zu Deptollas Netzwerk. Mit seiner Unterstützung gelang es den „Elbjugend“-Anführern Robert P. und Anthony Sch. ein gutes Dutzend Jugendliche zu gewinnen. Zwar schaffen es Deptolla und die regionale JN, die neu entstandenen losen Neonazi-Chat-Jugendgruppen zu spezifischen Anlässen hinter ihrem Banner zu versammeln, die traditionellen gemeinschaftsbildenden Szeneaktivitäten scheinen für diese aber generell weniger Attraktivität zu besitzen.
Inwiefern es gelingen wird, diese neuen Akteure abseits von weitgehend inhaltsleeren Demonstrationen im Stil der CSD-Gegenproteste an die etablierte Neonazi-Szene zu binden, bleibt abzuwarten.