Die Herausbildung der „Neuen Rechten“
Schon in den 1970er Jahren hat sich in der BRD innerhalb der rechten Szene eine Strömung formiert, die sich selbst als die „Neue Rechte“ bezeichnet. Sie gibt sich intellektuell, versucht ihre Thesen wissenschaftlich zu untermauern und grenzt sich vom Nationalsozialismus ab. Am Anfang ihrer Entwicklung stand die Erkenntnis, das neonazistischen Gruppierungen ein beträchtliches Theoriedefizit haben und das ohne eine schlüssige, »überzeugende« und eingängige Argumentation keine Bewegung längerfristige Erfolge haben kann.
So bildet bis heute die intellektuelle Arbeit einen wichtigen Schwerpunkt der "Neuen Rechten". Waren es zu Beginn nur kleine Zirkel, sogenannte »Denkgemeinschaften« und einige Theorie-Zeitungen, ist diese Strömung inzwischen bestimmend innerhalb des »rechten Lagers« geworden: Mit einem breitgefächerten Netz von Zeitungen, Zeitschriften, Stiftungen, die Seminare und Kongresse organisieren, bis hin zur Bildung von Parteien.
Zur sogenannten »Alten Rechten« kann inzwischen fast nur noch Gerhard Freys DVU, die FAP und Michael Kühnens „Bewegung“ gerechnet werden, wenn auch einschränkend hinzugefügt werden muss, das sich auch diese gelegentlich aus dem Repertoire der „Neuen Rechten“ bedienen. Die verbliebenen extrem rechten Organisationen sind auf die neurechte Ideologie eingeschwenkt oder haben zumindest wesentliche Teile übernommen, die „Die Republikaner“ (REP) mit eingeschlossen. Was die politischen Parteien angeht, so sind neben regionalistischen Organisationen - wie z.B. dem „Sachsenbund“, dem „Bund Frankenland“ oder der „Bayernpartei“ - und ökologischen Organisationen - wie beispielsweise die Abspaltung der „Ökologisch-Demokratische Partei“ (ÖDP) die „Unabhängigen Ökologen Deutschlands“ (ÜÖD) – auch die extrem rechten Parteistrukturen wie die „Deutsche Liga für Volk und Heimat“ (DLVH), die "Jungen Nationaldemokraten" (JN) und die "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) und die "Nationalistische Front" (NF) ideologisch bei einer „neuen“ Rechten angekommen.
Diese „Neue Rechte“ entwickelte sich aus drei Strömungen: 1. Aus alten Nazis, die nach 1945 begannen, Fehler des Nationalsozialismus aufzuarbeiten, 2. Aus Konservativen, die sich nach und nach der Ideologie einer "Neuen Rechten" annäherten, 3. Aus Nationalrevolutionären, die sich Ende der 1960er Jahre / Anfang der 1970er Jahre vor allem von der NPD abgespalten haben.
Altnazis in der „Neuen Rechten“
Zu den alten Nazis, die schon früher die „neurechten“ Großeuropa-Konzeption, im Unterschied zum Hitlerismus, präsentierten, gehörten in erster Linie Otto Strasser und Arthur Ehrhardt. Otto Strasser gehörte zum Strasser-Flügel der NSDAP und versuchte nach 1945 wieder neonazistisch aktiv zu werden. Er tat dies zunächst aus seinem kanadischen Exil heraus, da er bis 1955 Einreiseverbot in die BRD hatte.
Arthur Ehrhardt war SS-Sturmbann-Führer („Spezialist für Partisanenbekämpfung“) und gründete 1951 die Zeitschrift "Nation Europa". Diese brachte 1970 eine Sondernummer in Form der Broschüre „Werwolf – Winke für Jagdeinheiten“ heraus. Diese Broschüre war mit einer Einleitung von Ehrhardt selbst versehen, der bereits 1935 ein thematisch ähnliches Werk mit dem Titel „Der Kleinkrieg. Geschichtliche Erfahrungen und künftige Möglichkeiten“ herausbrachte. Der Abdruck in „Nation Europa“ wurde als ein Faksimile aus unbekannter Quelle dargestellt, um nicht zu direkt mit der Anleitung zu terroristischen Akten in Verbindung gebracht zu werden.
Im Mai 1951 lud Per Engdahl von der „Neuschwedischen Bewegung“ in Malmö zu einem „Europäischen National Kongreß“, europäische Alt- und Neonazis gründeten eine "Europäische Soziale Bewegung" (ESB). Die 1951 gegründete Zeitschrift „Nation Europa“ wurde aus dem Kreis der ESB finanziell unterstützt. Die sogenannte »Malmö-Internationale« forderte »ein unabhängiges Großeuropa« und einen »dritten Weg jenseits von Kapitalismus und Kommunismus«. Diese politische Linie wird bis heute hauptsächlich von alten Mitgliedern der Waffen-SS fortgeführt, deren Kontakte bewirkten die heutige internationale Vernetzungen neonazistischer Organisationen.
So schrieb der Franzose Pierre de Pringet, ebenfalls ehemaliger Waffen-SSler, in seinem 1981 erschienen Buch „Die Kollaboration“: »Der Tag ist nicht mehr fern, an dem man den aussichtslosen Kampf französischer SS-Soldaten an der Reichskanzlei zu Berlin im Herzen Europas nicht mehr als die letzte Episode der gescheiterten Kollaboration, sondern als die erste der europäischen Zusammenarbeit von morgen betrachten wird.« Das Buch wurde vom „Grabert-Verlag“ verlegt. Der Chef dieses Verlages, Wigbert Grabert, ist ein Mitbegründer des Kasseler „Thule-Seminar“ („Arbeitskreis für die Erforschung der europäischen Kultur e. V.“) – ein Knotenpunkt der "Neuen Rechten" in der BRD und ein Ableger der französischen „Nouvelle Droite““ (Neue Rechte“) und dessen Zentrum GRECE („Groupement de recherche et d'études pour la civilisation européenne“).
Auch der Vordenker der Nationalrevolutionären Henning Eichberg nimmt die »europäische SS« und die »europäisch-antibolschewistischen Verbände der Spätzeit« von seiner Kritik am »III. Reich« aus.
Konservative und „Neue Rechte“
Zu den Konservativen, die sich zu einem Teil der „Neuen Rechten“ entwickelten, zählen u.a. Gerd-Klaus Kaltenbrunner und Armin Mohler. Gerd-Klaus Kaltenbrunner (Jahrgang 1939) lebt in der Nähe von Freiburg und ist seit Anfang der 1970er Jahre Herausgeber der Taschenbuch-Reihe »Herderbücherei INITIATIVE« des Verlag Herder. Bislang sind in dieser Reihe über 70 Bände erschienen, in denen auch neurechtes Gedankengut verbreitet wird. Autoren sind unter anderen Julien Freund (Mitarbeiter der „Revue Nouvelle école“ der GRECE und der Zeitschrift „Elemente“ des „Thule-Seminar“) oder Wolfgang Strauß (wichtiger Theoretiker der „Neuen Rechten“, gilt als »Osteuropaexperte«, Redakteur von „Nation Europa“ und „Europa Vorn“).
Kaltenbrunner, der auch Autor der NPD-nahen Zeitung „Mut“ von NPD-Bundestagskandidat (1972) Bernhard Christian Wintzek ist, wird vom französischen GRECE bescheinigt, ein wichtiger Kopf der „Neuen Rechten“ zu sein.
Auch Armin Mohler stammt aus ehem. SS-Kreisen. Im Februar 1942 desertierte der junge Schweizer und ging illegal über die deutsche Grenze, um sich der deutschen Waffen-SS anzuschließen. Später war er Privatsekretär bei Ernst Jünger, Journalist bei der „Welt“, der erste Träger der »Konrad Adenauer Preises« und bis 1970 Berater von Franz Josef Strauß (CSU). Mohler ist seit Anfang der 1970er Jahre „Neurechter“ und sozusagen die »graue Eminenz« dieser Strömung. Er publizierte in der von seinem politischen Weggefährten Caspar von Schrenck-Notzing 1970 gegründeten Zeitschrift „Criticon“, die bis heute ein wesentliches Diskussionsforum zwischen Konservativen und „Neuer Rechter“ ist. Mohler ist ein wichtiger spiritus rector für die GRECE in Deutschland bzw. dessen deutschen Ableger dem „Thule-Seminar“.
Von 1964 bis 1985 war er zudem Geschäftsführer der „Carl Friedrich von Siemens Stiftung“. Mohler nutzte die Stiftung auch für politische Veranstaltungen. Er entwickelte diese Institution, in dessen Stiftungsrat und -vorstand die Managerriege des Siemenskonzerns sitzt, teilweise zu einer Art Denkfabrik der „Neuen Rechten“. Einige der Siemens-Funktionäre fanden daran scheinbar Gefallen, denn zu Mohlers Nachfolger in der Geschäftsführung beriefen sie Heinrich Meier, der ebenfalls zum Spektrum der „Neuen Rechten“ gezählt werden kann.
Meier war von 1968 bis 1972 Herausgeber und Schriftleiter der extrem rechten Schülerzeitung „Im Brennpunkt“ und Anfang der 1970er Jahre Mitglied im Exekutivrat der nationrevolutionären „Solidaristischen Offensive“ (SOL), gemeinsam mit dem späteren Gründungsmitglied der „Nationalistische Front“ (NF), Bernhard Pauli.
Nationalrevolutionäre und „Neue Rechte“
Die Nationalrevolutionären spalteten sich Ende der 1960er Jahre von der NPD ab, als diese nach einer Reihe von Wahlerfolgen und Einzügen in verschiedene Landesparlamente 1969 bei den Bundestagswahlen an der 5% Hürde scheiterte. Ihnen wurde deutlich, daß die Strategie der „Alten Rechten“ - Rechtfertigung des deutschen Nationalsozialismus, bei gleichzeitiger Orientierung auf parlamentarischen Erfolg, der auch »demokratisches Wohlverhalten« beinhaltete - keine Aussicht auf Erfolg hatte. In Abgrenzung dazu und mit der Überzeugung, das es notwendig sei, die NS-Ideologie zu modernisieren, entstanden die Gruppen, die wir hier als Nationalrevolutionäre bezeichnen.
Diese schlossen sich 1972 in der „Aktion Neue Rechte“ (ANR) zusammen. Die ANR spaltete sich 1974, ein Teil schloß sich dem von Gerhard Frey initiierten „Freiheitlichen Rat“ an. Der andere Teil gründete im selben Jahr die „Nationalrevolutionäre Aufbauorganisation“ (NRAO). Die NRAO zerfiel in der Folge im wesentlichen in zwei Flügel:
Die »Solidaristen«, etwa die „Solidaristische Volksbewegung“ (SVB), die sich auf Otto Strasser bezogen. Einer ihrer Hauptvertreter war Lothar Penz, der heute im „Bund Deutscher Solidaristen“ (BDS) in Hamburg und in der ebenfalls in Hamburg angesiedelten „Deutsch-Europäische Studiengesellschaft“ (DESG) aktiv ist. Die »Solidaristen« konzentrierten sich auf die entstehende Öko-Bewegung, waren zum Teil Mitglieder bei „Die Grünen“, später bei der ÖDP.
Der zweite Flügel nannte sich die »Sozialisten«. Sie bezogen sich auf Nationalrevolutionär Ernst Niekisch. Sie hießen etwa „Sache des Volkes / Nationalrevolutionäre Aufbauorganisation“ (SdV/NRAO) und konzentrierten sich darauf, die Neue Linke, insbesondere die ML-Gruppen, nationalistisch zu unterwandern. Bei manchen Organisationen, wie z.B. der KPD, nicht ohne Erfolg, es kam zu diversen Annäherungen. Ein Exponent dieses Flügels war Henning Eichberg, er initiierte später die Zeitung „wir selbst“, für die er noch immer schreibt. Er lebt heute als Dozent in Kopenhagen und ist ein theoretischer Kopf der „Neuen Rechten“.
Spaltungen im Rahmen
Wenn es auch so scheint, das diese Gruppierungen sich am laufenden Meter spalteten, wäre es ein Fehler, dies als Schwäche zu betrachten. Der neurechte Günter Bartsch (heute in der anthroposophischen „Ökosophischen Weltbewegung“ aktiv), hat das mal so formuliert: »Die neue Rechte muß durch eine ähnliche Aufgliederung gehen, wie die neue Linke. Sie könnte sich organisatorisch differenzieren, ohne den gemeinsamen Rahmen zu sprengen.« Genau das ist passiert. Die hier skizzierten Strömungen haben einen gemeinsamen Rahmen, vor allem in ihrer Ideologie.
Man darf sich die Neue Rechte nicht als eine Organisation, sondern eben eher als Strömung vorstellen, wenn es auch diverse organisatorische Querverbindungen gibt.