Meldungen aus dem Sommer 1993
Kurze Meldungen aus dem Bereich NS-Szene und Braunzone.
Reichskriegsflagge in Rostock
Auf einem Rostocker Volksfest mit Großseglern im Sommer 1993 hisste die "Marineschule Mürwik" (MSM), die einzigste Offizierschule der Deutschen Bundeswehr Marine, die Reichskriegsflagge, deren öffentliches Zeigen heute in mehreren Bundesländern untersagt ist. Empörte ZuschauerInnen rissen die ultra-rechts-nationalitische Fahne jedoch wieder ab und warfen sie ins Wasser. Danach verzichtete der Kommandant auf das erneute Anbringen der Fahne, die heute vor allem als Fahne von Neonazis fungiert.
Jedoch geschah dies nicht aus Einsicht, sondern der Truppenführer wollte seine Soldaten keiner möglichen Gegenaktion aussetzen. Der Sprecher des Bundesverteidigungsministeriums Ulrich Twrsnick verteidigte gegenüber der Gewerkschaftszeitung »Metall« die Aktion. In Rostock habe die Bundesmarine den Teil einer »deutschen Tradition« gezeigt. Die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommerns - unter Führung von Ministerpräsident Berndt Seite (CDU) - ist eine der wenigen Landesregierungen, die bis heute das öffentliche Zeigen der Reichskriegsflagge nicht unterbinden wollen.
Terrorplanung in der NF ?
Im März diesen Jahres durchsuchte die Polizei u.a. in Braunschweig 63 Wohnungen von 53 Personen aus der rechten Szene. Grund: »Verdacht der Bildung einer terroristischen Vereinigung«. Gefunden wurden u.a. mehrere Trommelrevolver, Gewehre, 200 Schuß Munition, Chemikalien vermeldet die „Innere Sicherheit : Informationen des Bundesministeriums des Innern“ aus Bonn. Wenn nun vermutet wird, die vorgefundenen Sachen würden eventuell in dem einen oder anderen Fall eine Untersuchungshaft nach sich ziehen, weit gefehlt - es waren wohl wieder „verwirrte Einzeltäter“.
Die Razzia richtete sich gegen Anhänger der „Nationalistischen Front“ (NF) in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt. Die Generalstaatsanwaltschaft Celle ermittelt gegen vier Personen im Alter zwischen 30 und 38 Jahren. Im VS-Bericht 1993 aus Niedersachsen war später zu lesen: "Bereits am 2. Juli 1992 hatte die Polizei in Braunschweig bei Wohnungsdurchsuchungen Beweismaterial sichergestellt, das den Verdacht der Bildung einer terroristischen Vereinigung begründete, unter anderem waren damals umfangreiche Munitionsbestände, Material, das zur Herstellung von Sprengsätzen geeignet ist und eine Liste mit Zielpersonen für mögliche Anschläge (einschließlich einzelner Ausspähungsergebnisse sowie umfangreiches Adressenmaterial) beschlagnahmt worden, die zahlreiche Anschriften von Justiz- und Polizeiangehörigen sowie politischen Gegnern enthielt und in der Presse als „Todesliste” bezeichnet wurde. Die staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen waren bei Erstellung dieses Berichtes noch nicht abgeschlossen."
Treff von (Ex-)REPs in Berlin
Vom 8. bis 10. November 1993 ist in Berlin ein Treffen der „Technische Fraktion der Europäischen Rechten“ (GTDE) des Europaparlamentes geplant. Der Gruppe um Jean-Marie Le Pen (Front National) gehören auch mehrere Deutsche an, die v.a. über (frühere) Mandate der „Die Republikaner“ (REPs) dort hinein gekommen sind. Zu ihnen zählte auch der REP-Gründer Franz Schönhuber, der bis Mitte Dezember 1990 stellvertretender GTDE-Vorsitzender war. Er ist seit dem 11. Dezember 1990 fraktionslos. Klaus-Peter Köhler, stellvertretender Schatzmeister, ist seit dem 18. Februar 1991 parteilos. Hans-Günter Schodruch ist seit dem 11. Dezember 1990 stellvertretender GTDE-Vorsitzender und auch seit dem 18. Februar 1991 parteilos. Johanna-Christina Grund ist ebenfalls seit dem 18. Februar 1991 parteilos und ab 14. Mai 1991 fraktionslos. Emil Schlee ist ab dem 24. April 1991 fraktionslos. Harald Neubauer ist seit dem 18. Februar 1991 bei der extrem rechten DLVH tätig und seit dem 13. Mai 1991 Mitglied des Vorstands.
Gegen dieses ultra-rechte Treffen ist von verschiedenen Seiten Protest angekündigt worden. U.a. hat die Gewerkschaft NGG mit Boykott und Streik gedroht. Sie empfiehlt in einem Rundschreiben, alle eingehenden Anmeldungen für Hotels in diesem Zeitraum besonders zu überprüfen und die Zimmervergabe zu verweigern. Sollten sich die Hotelleitungen nicht daran halten, drohen sie mit Streik. Das gleiche gilt für die Gaststätten.
"Tag der Heimat" in Berlin
Am 5. September treffen sich Vertriebene - wie alljährlich - in der Berliner „Sömmering-Halle“, um den „Tag der Heimat“ zu begehen. Anwesend ist jeweils das gesamte Spektrum der Revanchisten von CDU, über die NPD bis zur FAP - so auch dieses Jahr. Während der Rede von Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) hielten die ca. 100 anwesenden offen auftretenden Neonazis und REP-AnhängerInnen Transparente hoch, da ihnen die Landnahme durch die BRD-Regierung wohl noch zu langsam geht. Im Umkreis der Veranstaltung wurden vereinzelt AntifaschistInnen angegriffen. Auch der Berliner REP-Funktionär Olaf Hempelmann war auf Fotos des Tumultes in der "Sömmering Halle" zu erkennen. Ob er hier als Ordner oder als Störer unterwegs war ist bis her nicht geklärt.
Besorgter Staatsschutz in Berlin
Daß der Berliner Neonazi Arnulf Priem auf ehem. Schlachtfeldern des II. Weltkrieges im Berliner Umland rumbuddelt, ist an dieser Stelle ja schon mehrfach veröffentlicht worden - auch, daß er wegen „Leichenschändung“ von anderen Neonazis kritisiert wurde. Seine Gruppe "Wotans Volk" unternimmt seit Jahren Exkursionen in das Berliner Umland, um wehrsportähnliche Übungen abzuhalten und die früheren Schlachtfelder des Zweiten Weltkrieges nach Waffen und Militaria abzusuchen. Kaum überraschend, daß er sich dafür anscheinend auch bewaffnet. Er ist angeblich sogar Inhaber eines Waffenscheins und Besitzer eines Magnum-Revolvers. Dies soll zumindestens die Antwort auf die Warnung und Frage des polizeilichen Staatsschutzes gewesen sein, wie er gedächte, sich »vor einem linken Mordkommando zu schützen«.
Der Berliner Staatsschutz ist in diese Richtung offenbar schwer beschäftigt. Unmittelbar nach der Veröffentlichung einiger KfZ-Kennzeichen von Burschenschaftlern in der Berliner Wochenzeitschrift „Interim“ begannen sie die betroffenen „Burschen“ anzurufen und ihnen nahezulegen, sich bei der KfZ-Meldestelle eine neue Autonummer zu besorgen. Die überraschten Angestellten der Berliner Meldestelle sollten bei Nachfragen, ob der Richtigkeit der Änderung doch bitte direkt beim Staatsschutz anrufen.
Es drängt sich die Frage auf, ob der Staatsschutz mit der gleichen Fürsorge auch AntifaschistInnen informiert, die z.B. in den neonazistischen "HNG-Nachrichten" oder einigen anderen Neonazipostillen benannt werden.
Berliner Neonazis in Haft
Am 18. September 1993 veranstaltete die neonazistische „Wiking Jugend“ (WJ) im Berliner Bezirk Spandau, auf dem Fußballplatz im Specktefeld, ein Fußball-Turnier. Sascha Stein, seines Zeichens aktuell Untersuchungs-Häftling in der JVA Berlin-Moabit und seit 1991 Berliner Chef (sog. »Gauführer«) für den »Gau Berlin/Preußen« der "Wiking Jugend", hatte sich bei der Direktive, sich und seine Kameraden für den »Kampf auf der Straße mit Linken und Ausländern« zu versorgen, offenbar ungeschickt angestellt. Bei einer Hausdurchsuchung am 13. Februar 1993 waren bei ihm u.a. Gewehre, Pistolen, über 500 Schuß Munition sowie zahlreiche NS-Aufkleber gefunden worden. Unter der Überschrift „Verhaftung wegen Aufrüstung“ ist in den neonazistischen Nachrichten der HNG" (4/1993) von Christian Scholz (Verantwortlich für die Herstellung) passender Weise - unter den schlecht geschwärzten Artikel von dem Berliner Neonazi M.(arcus) Bischoff - auch noch ein Bild aus dem 2. Weltkrieg mit einem MG-Schützen gesetzt worden.
Auch der Berliner Neonazi Steffen Haase muß nun doch bis zum 11. Januar 1995 im Knast in Berlin-Tegel seine Haft weiter absitzen. Der Grund seines momentanen Haft ist Körperverletzung: Urteil 3,5 Jahre. Eine Bewährung wurde ihm nach einer Zellenrazzia widerrufen. Er hatte anscheinend zuviel Neonazi-Propaganda in seiner Zelle, zusätzlich hat er deshalb auch noch Verfahren nach den Paragraphen 86, 86a und 131 zu laufen.
Neonazi Organisierung in Aachen und Jülich
In der Region Aachen folgt seit etwa 2 1/2 Jahren ein Anschlag auf Flüchtlinge oder AusländerInnen dem nächsten. Soweit bekannt wurde, hatten fast alle ermittelten Täter Kontakt zur NPD-Jugend „Junge Nationaldemokraten“ (JN) oder waren deren Mitglieder. Vor 1990 hatte NPD und JN nur wenig Bedeutung im Raum Aachen und Jülich. Als sich Ende 1990 die bis dahin dominante neonazistische FAP in Aachen auflöste, traten ihre Mitglieder der NPD bzw. den JN bei. Erst seit Ende 1992 tritt die NPD offen in Erscheinung, da »der Kreisverband quasi konspirativ aufgebaut wurde« so ein Antifa-Flugblatt aus Jülich.
Es kam zu einigen kleineren Aktivitäten, die teilweise mit der „Wiking Jugend“ (WJ) zusammen durchgeführt wurden. Das ist kein Wunder, weil der ehemalige WJ-Bundesführer Wolfgang Nahrath ganz in der Nähe in Stolberg-Büsbach wohnt. Wolfgang Nahrath ist aktuell auch zum Beisitzer im NPD-Bundesvorstand gewählt worden. Die Sippschaft der Nahraths haben sich bis her den Bundesvorsitz der WJ in den zurückliegenden Jahren quasi vererbt. Von Raoul Nahrath (1952-1965) zu Wolfgang Nahrath (1965-1991) zu aktuell Wolfram Nahrath. Für den WJ-"Gau" Rhein-Westfalen ist jedoch Matthias Ries aus Münster verantwortlich.
Am Samstag dem 17. Juli 1993 versammelten sich 80 Neonazis aus dem ganzen Bundesgebiet und Österreich in einer Grillhütte in Güsten, einem Dorf bei Jülich. Grund für die »Festlichkeiten« war die Gründung eines »Stützpunktes« (O-Ton, Fax der JN). Die JN plant zusammen mit der NPD an den nächsten Kommunalwahlen teilzunehmen.
AntifaschistInnen aus Jülich haben verschiedene Neonazis als Verantwortliche der Neuentwicklung genannt: Den JN-Landesvorsitzenden für NRW Michael Prümmer aus Stolberg-Schevenhütte. Er verschickte die Presseerklärungen und fungierte als Anmelder für eine Sonnenwendfeier mit 40 Teilnehmern in der Nordeifel am 19. Juni 1993. Sascha Wagner, aus Herzogenrath Merkstein, ist der JN-Führer von Aachen und hatte bereits Anfang April den Grillplatz in Güsten angemietet. Als dritter im Bunde wird Igor R. als »der unumstrittene Jülicher Neonazi-Führer« genannt (Informationen der „Antifa-Jülich“). Am 20. August 1993 wollten die Rheinländer „Jungen Nationaldemokraten“ eine Veranstaltung „Balladen für Deutschland“ in Jülich abhalten. Hierzu mobilisierten sie über das »Nationale Infotelefon« (NIT). Es sollte die Neonaziband »Noie Werte« auftreten. Organisatoren waren auch hier Igor R. vom JN-Stützpunkt Jülich und Bernd B. von der dortigen NPD. Der Vermieter sagte jedoch ab. Bei KfZ Kontrollen wurden bei anreisenden Neonazis zahlreiche Waffen gefunden.