Berlin: »Junge Freiheit« belästigt Studierende
Ein »neurechtes« Blatt wird an Berliner Universitäten verteilt, es kommt zu einem Tränengas-Angriff und einem Raub durch VerteilerInnen.
Zu Beginn des Wintersemesters 1993/1994 behelligte das »neurechte« Blatt »Junge Freiheit« (JF) die Studierenden Berlins. Vom 19. bis zum 21. Oktober wird es an den drei großen Universitäten der Stadt ausgelegt - zunächst an der Technischen Universität, dann an der Humboldt-Universität. Am 21. Oktober nehmen sich die VerteilerInnen - zwei Männer und eine Frau - die Freie Universität (FU) vor. Ein Antifaschist, der hiergegen protestiert, wird mit Tränengas attackiert und seiner Jacke beraubt, welche die drei unerkannt flüchtenden VerteilerInnen mit sich nehmen.
Der AStA der FU reagierte prompt, machte den Vorfall durch ein Flugblatt öffentlich und erstattete Anzeige gegen „Unbekannt“. Es gibt innerhalb der Studierendenschaft ernstzunehmende Hinweis darauf, wer für die Organisation der JF-Werbeaktion mitverantwortlich sein könnte bzw. die Beteiligten vermutlich kennen dürfte.
Ein rechter Aktivist am OSI
Helge Drescher, Außendienstmitarbeiter und Autor in der "Jungen Freiheit" (JF) soll sich demnach 100 JF-Exemplare zusenden lassen haben. Helge Drescher ist Diplomant am Fachbereich Politische Wissenschaften der FU - Otto-Suhr-Institut (OSI).
Die Zeitungen FAZ und Welt haben das OSI schon zuvor als "Kaderschmiede" der "radikalen Linken" bezeichnet. Gegen diese Zustände wolle Helge Drescher vorgehen. In einem Gespräch mit der instituts-internen »Osi-Zeitung« (OZ) im November erklärt er seine unipolitschen Absichten. Mit einer Gruppe "konservativer Studenten" wolle er eine Wendung am OSI einleiten. Geschlossen wollen man in Seminare gehen, um dem linken OSl-Mainstream entgegenzutreten und »freiere« Diskussionen zu ermöglichen. Vermutlich soll das einschüchternd wirken.
Dreschers Engagement richte sich auch gegen am OSI in langwierigen Kämpfen durchgesetzte Freiräume - er wolle »das Rausschmeißen von Männern aus Frauenseminaren«, für ihn »umgekehrter Sexismus«, beenden.
Die Gruppe um Drescher hat während der Streikbemühungen im Sommersemester gegen den Hochschulstrukturplan erste Aktivitäten entfaltet. Die hiermit verbundene Aushebelung demokratischer Rechte an den Unis, die Eingriffe in die Uni-Autonomie und die Einsparungen, unter denen emanzipatorische Ansätze leiden, dürfte der Kreis um Drescher begrüßen. Im Uni-Streik zeigte sich, wie rechte Akteure zum Hilfsinstrument reaktionärer Politik werden können.
Studierende berichteten hierzu: Auf ein Flugblatt folgte ein geschlossenes Auftreten von circa sechs "Yuppie-Studis" auf einer Streik-VV. Die vorgetragene Forderung, »demokratisch« über den Streik abzustimmen, endete mit einer Blamage für die Rechten. Drescher erklärt, im OSI Diskussionen »ohne Maulkorb« führen zu wollen. Dies entpuppt sich als Propaganda: Die OZ zitiert einen Artikel Dreschers in der Junge-Union-Zeitung »Trend«, in welchem er vor gerade zwei Jahren wünschte, dem »Gesocks«, den »widerlichen« streikenden studentischen »Kreaturen« einen - so wörtlich - Maulkorb verpassen zu können (vgl. taz vom 8.7.1991).
von rechts nach rechtsaußen ?
Neben seinen Aktivitäten an der Uni ist Drescher Ansprechpartner für einen "Berliner Junge Freiheit - Leserkreis" (siehe Antifaschistisches Infoblatt Nr.24). Er soll behauptet haben, dieser umfasse 100 Personen. Für den Berliner "JF-Leserkreis" wolle er als Referenten Roland Hahn gewinnen, einen „ultrarechter“ Mitarbeiter im Kollegium des OSI. Nach dessen Auftritt vor dem extrem rechten Berliner »Hoffmann-von-Fallersleben Bildungswerk« (HvFB) ist der wissenschaftliche Assistent ins Kreuzfeuer der Kritik geraten. Die studentischen TutorInnen am OSI verfassten einen Brief an Hahn. Die ProfessorInnen und DozentInnen haben sich noch nicht geäußert, auch die Studierenden schweigen.
Im Oktober berichtet Helge Drescher in der JF übrigens von seiner Teilnahme an der »Ijzerbedevaart« ins belgische Diksmuide. Am größten europäischen Treffen von Rechten und (Neo)Faschisten nehmen jedes Jahr auch deutsche Neonazis teil.
Auch seine Schwester, Gerhild Drescher, ist in der rechts-völkischen Berliner Szene bereits bekannt, sie soll als "Standortführerin" von »Die Heimattreue Jugend« (DHJ) in Berlin aufgetreten sein.
Nachtrag
Der Verfassungsschutzbericht 1994 Berlin berichtet in seiner Chronologie: 11. Mai - Teilnahme von Anhängern der „Wiking-Jugend e. V." und der „Berliner Kulturgemeinschaft Preußen e.V." an einem „Gesangs-Spätschoppen" des „Kameradenkreises Nationale Linke" (NL). Zu dieser Veranstaltung in einer Gaststätte in Berlin-Friedenau hatten ferner das „Hoffmann-von-Fallersleben-Bildungswerk e.V." und ein „Junge-Freiheit-Leserkreis" eingeladen. Unter den etwa 50 Anwesenden befanden sich auch einige Neonazis.