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Österreich: „Notwehrgemeinschaft der Sicherheitsbeamten“

Aus "Antifaschistische Nachrichtendienst Österreich" (gekürzt redigiert)
Einleitung

Seit Mai 1993 kursiert auf Wiener Wachstuben und selbst in internen Dienststellen ein Flugblatt »An die lieben Kollegen« einer „Notwehrgemeinschaft der Sicherheitsbeamten“, bewußt abkürzt als NS.

Symbolbild von flickr.com; _dChris; CC BY-NC 2.0

"Notwehrgemeinschaft"

Das Flugblatt beginnt mit den Arbeitsbelastungen, der schlechten Bezahlung und den fehlenden Möglichkeiten, die Kriminalität effektiv zu bekämpfen. Nach dieser Einleitung versichern die AutorInnen, nach den »Ursachen geforscht« und »Spurensicherung« (man ist ja unter Kollegen) betrieben zu haben. Zielgruppe ihrer Angriffe sind acht Personen, die von der Regierung bei der Novelle des NS-Verbotsgesetzes als BeraterInnen fungierten, darunter auch Simon Wiesenthal. Die übliche neofaschistische Verschwörungsideologie, alle stecken unter einer Decke: die Regierung, die organisierte Kriminalität, und versammelt in jedem einzelnen der acht Haßobjekte die Dreieinigkeit von Jude/Kommunist/Freimaurer.

Nach dieser erfolgreichen »Spurensicherung« ist ein neofaschistisches Jammerlied über die Verfolgung von »sogenannten 'Rechtsextremisten'« durch staatliche Stellen dran. Man könne hinter Gittern verschwinden, bloß wegen der Forderung nach Beweisen für die »Existenz angeblicher »Gaskammern« im Dritten Reich«. Das »bloße Bekenntnis des Nationalsozialismus« bringe den Neonazi-Kader Gottfried Heinrich Küssel (offenbar auch nur so ein »sogenannter Rechtsextremist«) bereits 1 1/2 Jahre in Untersuchungs-Haft, ganz zu schweigen von der »menschenrechtswidrigen Behandlung« des Günther Reinthaler (schon wieder ein »sogenannter« der »Gaubeauftragte« für Salzburg und Niederösterreich).

Die AutorInnen dieses Flugblattes sind sich gewiß, daß »diese »Rechtsextremisten« immerhin für Recht und Ordnung, für den Schutz der inländischen Bevölkerung und überhaupt für eine Stärkung der Exekutive eintreten«. Am Schluß läßt die »Berufsehre« und die »Überzeugung als Vertreter von Recht und Ordnung« gebieten, sich »in den Dienst unseres Volkes zu stellen«. Dies geschieht dadurch, daß sie nicht mehr für die Sicherheit der »Umvolkungspolitiker« einstehen. Die haben »durch ihr verbrecherisches Handeln jede Schutzwürdigkeit ihrer Person verwirkt«. Sie betonen im Schlußsatz, daß dies auch bestimmte Richter und Staatsanwälte einschließe.

Ein erstes Flugblatt der „Notgemeinschaft“ gab es bereits im Februar 1993 zur linken Anti-Opernball-Demonstration. Damals riefen die sie zum „Krankmachen“ auf. Tenor: Die Bonzen sollen sich selber schützen, der Polizeipräsident sei ein »Knecht der Mächtigen«, der nicht energisch gegen Linke vorgehe.

Die AutorInnen des Flugblatts verraten Insiderwissen. Dennoch müssen sie nicht Polizisten sein, im Gegensatz zu den Verteilern, da nur diese Zugang zu bestimmten Dienststellen haben. Es gibt Anhaltspunkte, um den AutorInnenkreis einzugrenzen. Die im zweiten Flugblatt attackierten acht BeraterInnen werden mit den selben Verleumdungen und in der selben Reihenfolge von Gerd Honsik in einer Neonazi-Schmähschrift (Titel: »Wiedergutmachungsbetrüger Szymon Wizenthal Schelm und Scheusal«) aufgeführt1 . Das Flugblatt kursierte bereits im Mai 1993, sein Buch wurde deutlich später (im Juli) noch in der Druckerei beschlagnahmt.

WEGA. AUF und AAA

Mit der »Notwehrgemeinschaft« ist aber noch nicht der einzige braune Fleck im Polizeiapparat ausgemacht. Es gibt eine Einheit, die sich nach Einschätzung von ExpertInnen inzwischen zu einer Art rechten Hochburg gemausert hat: die „Wiener Einsatzgruppe Alarmabteilung“ („Wega“), 450 Mann stark. Dort hat die extrem rechte FPÖ mit ihrer AUF ("Aktionsgemeinschaft Unabhängiger und Freiheitlicher") die Personalratswahlen gewonnen. Bei den Polizei-Personalvertretungswahlen erreicht die AUF regelmäßig gute Ergebnisse ausgerechnet auch in den Reihen der WEGA2

Noch weiter Vorwürfe stehen gegen österreichische Polizeibeamte im Raum: In Diensträumen soll die Begrüßung »Heil Hitler« gefallen sein, es sei es zu „Wehrsportübungen“ gekommen3 3. Die »Alarmisten« vermummen sich bei Demonstrations-Einsätzen schon mal martialisch mit privat besorgten Motorradmasken, bei einer Kundgebung am 9. November 1993 bekamen eingekesselte DemonstrantInnen zu hören: »Ihr Juden gehört alle vergast!« Äußerlich sind Alarmpolizisten bei solchen Anlässen leicht mit der (rechten) Skinheadszene zu verwechseln. Innerhalb der Alarmabteilung betätigt sich eine „Aktionsgemeinschaft Alarmabteilung“, die sich mit »AAA« abkürzt, eine bekannte Abkürzung der argentinischen Todesschwadrone, die tausende Menschen auf dem Gewissen hat.4

Ein altes Problem

Diese Wiener Polizei-Strukturen sorgte am Jahresende für Aufsehen. Bei einer Weihnachtsfeier, 200 Personen waren anwesend, wurden offenbar Nazi-Lieder gesungen und Personal belästigt. So verwundert es nicht, daß Neonazis in der „Volkstreuen außerparlamentarische Opposition“ (VAPO) sich rühmen, nach linken Demonstrationen Namen, Telefonnummern und Adressen von Festgenommenen sowie Daten von AnmelderInnen und RednerInnen zu bekommen.

Eine im Januar gestartete polizeiinterne Untersuchung richtet sich mal wieder vor allem gegen die undichten Stellen im Apparat. Nebenbei kam heraus, daß sich letzten Sommer ein Polizeibeamter zur rechten paramilitärischen kroatischen „Hrvatske obrambene snage“ (HOS), abgesetzt habe – zudem mit einem teurem Nachtsichtgerät aus der Alarmabteilung.

Doch die Geschädigten werden wohl keinen Alarm machen, das Gerät sei an der vorgeschriebenen Ausschreibung vorbei angeschafft worden. Das Auftreten rechter Polizeibeamter polarisiert allerdings auch im Inneren des Apparates. Nicht alle PolizistInnen sehen ein, das Vorgehen zu unterstützen. Bei einer Neonazi-Feier im Dezember 1993 gab es neben die Neonazis schützenden und AntifaschistInnen verprügelnden PolizistInnen auch einige Beamte, die den Befehl umzusetzen verweigerten. Auch gab es immer wieder polizeiliche Anzeigen gegen Küssel und Co., die jedoch auf dem Dienstweg "verlegt" wurden.

  • 1Als Buch von Gerd Honsik „Schelm und Scheusal. Meineid, Macht und Mord auf Wizenthals Wegen“ im spanischen Verlag "Bright Rainbow“ Ltd. des Neonazifunktionärs Pedro Varela Geiss zu finden.
  • 2Als eine Art  „Brückenkopf“ zwischen FPÖ und Polizei gilt der Beamte der Sicherheitswache Michael Kreißl. Er war wesentlich am Aufstieg der AUF ("Aktionsgemeinschaft Unabhängiger und Freiheitlicher") beteiligt. Im Jahr 1991, Kreißl war im Nebenjob Bezirksrat, gelang der AUF der Wahlsieg. Als Sicherheitswachebeamter hatte sich Kreißl für eine Zulage von 5.000 Schilling für jeden Beamten stark gemacht. 33,5 Prozent der Wiener Sicherheitswache votierten für die AUF. Die rechten Personalvertreter waren stärkste Fraktion. In drei Wiener Dienststellen - Alarmabteilung, Funkstelle und Schulabteilung - kamen sie auf mehr als 50 Prozent der Stimmen. 1994 übernahm er den Vorsitz in der AUF. Der Wiener FPÖ-Politiker Wolfgang Irschik war ebenfalls  WEGA-Polizist und ein Anhänger der AUF. Er tritt als Leibwächter des FPÖ-Vorsitzenden Jörg Haider auf.
  • 3Der Journalist Hans Rauscher schreibt unter der Überschrift "Die Enkelgeneration der alten Kämpfer wird aktiv" in einem Kommentar im "Kurier" vom 24. Dezember 1993, daß es zum Teil an "Altlasten" liege, daß die Polizei die rechtsextreme Szene in Österreich nicht im Griff habe: "Die historische Schwachstelle liegt im Bereich der alten Wiener Stapo, deren ehemaliger Chef Hofrat Gustav Hochenbichler aus seiner rechten Gesinnung intern nie ein Hehl machte. Er wurde dann, österreichische Lösung, zum Chef der Fremdenpolizei ernannt." Im Magazin "NEWS" Nr. 51, 1994 gibt der Leiter des Staatssicherheitsdienstes Dr. Kessler an, daß er wisse, daß Daten vom Staatssicherheitsdienst an Neonazi-Organisationen weitergegeben würden und es innerhalb des Staatssicherheitsdienstes eine undichte Stelle gäbe.
  • 4Alianza Anticomunista Argentina (span., abgekürzt AAA oder Triple A, deutsch etwa Antikommunistische Vereinigung Argentiniens)