Hetze und Klassenkampf von Oben
CDU/CSU und Arbeitgeber eröffnen die Hatz auf »Sozialschmarotzer« - Alt- und Neonazis mischen mit.
Der CDU Politiker Klaus Landowsky bei seiner Rede über Müll, Ratten und Gesindel in Berlin.
Monate rasanter Entwicklung liegen hinter uns. Der deutsche Aktienindex DAX vermeldete Woche für Woche neue Höchststände, die großen Konzerne meldeten Umsatzsteigerungen ab 10 Prozent aufwärts, Profit wird soviel wie lange nicht mehr gemacht. Nur haben heute weniger Menschen einen Anteil daran. Folge ist die höchste Arbeitslosenzahl Nachkriegsdeutschlands mit offiziell 4,7 Millionen Menschen. Der gesellschaftliche Reichtum wird von Unten nach Oben gescheffelt.
Propagandistisch begleitet wird dieser Klassenkampf von Oben mit Forderungen nach Maßnahmen »zur Sicherung des Industriestandortes Deutschland«, von dem Gespenst der »Globalisierung«, des allmächtigen Weltmarktes, dem man sich anpassen müsse, von Forderungen, den Gürtel enger zu schnallen, um nicht »über unsere Verhältnisse« zu leben, von der
Hatz auf »Sozialschmarotzer«, von der Beschwörung einer »Rentnerschwemme« und ähnlich Widerwärtigem. Gezielt wird Existenzangst und ein Klima der Entsolidarisierung unter den kleinen Leuten verbreitet.
Die Bundesrepublik tritt in eine neue Phase. Das Modell des »Sozialstaates«, eine der wesentlichen Grundlagen der Bonner Republik, wird nach und nach aufgekündigt. Die Botschaft lautet »alle gegen alle, friß oder stirb«, leb' wie ein Wolf unter Wölfen. Konzepte und Lösungsmodelle der politischen Klasse des Landes sind nicht in Sicht, vielmehr betonen alle Parteien, man könne sowieso nichts anderes machen, als sich dem Weltmarktgeschehen anzupassen.
Protest und Widerstand gegen diese Politik ist überfällig. Aktionen der Bauarbeiter und Bergleute gegen die Profiteure dieser Umverteilungspolitik sind mehr als gerechtfertigt, sie setzen die soziale Frage auf die Tagesordnung. Es gärt im Land und die Unzufriedenheit wächst, nur in welche Richtung wird dieser Unmut gehen? Gelingt es wieder eine Minderheit als Sündenböcke zu präsentieren, Verständnis für rassistische Gewalt zu zeigen, die Jagd freizugeben und so einen Blitzableiter zu schaffen?
Daran wird gearbeitet. Besonders von Seiten der CDU/CSU, aus deren Reihen seit Anfang diesen Jahres verstärkt wieder der Anteil der AusländerInnen mit der hohen Arbeitslosigkeit verknüpft wird. Die Herrschaften wissen genau, was sie machen; sie kennen den Mechanismus zwischen Biedermann und Brandstifter, sie haben ihn in den Nachwende-Pogromjahren 1991-1993 erprobt.
Einer, der dieses Geschäft aus dem »FF« kennt, ist der Berliner CDU-Chef und Parteistratege Klaus Landowsky ("Alter Herr" der "Sängerschaft Borussia Berlin"). Um seine Vorstellung von einem sauberen Berlin zu demonstrieren, sprach er vor dem Berliner Abgeordnetenhaus vom »Abschaum«, der von China über Rußland, Rumänien usw. hierher gekommen sei, davon, dass Flüchtlinge aus Bosnien zu viel kosten, und schlußfolgerte: »Wo Müll ist, sind Ratten, wo Verwahrlosung herrscht, ist Gesindel.« Landowsky ist einer, der mit System hetzt, der weiß, wie es um die explosive Mischung in der Stadt bestellt ist, in der jeder fünfte arbeitlos ist.
Während Landowsky propagiert, läßt ein ehemaliger Bundeswehrgeneral, erklärtermaßen angereist, um dem Berliner Provinzlertum den Garaus zu machen, dezent und ganz weltmännisch die preußische Pickelhaube blitzen. Innensenator Jörg Schönbohm verfolgt das Ziel einer repressiven, sauberen Stadt und er ist rücksichtslos genug, dies mit allen erdenklichen Mitteln durchzusetzen. Ein von ihm genehmigter, aber von Antifaschistinnen verhinderter Neonazi-Aufmarsch der NPD-Jugend in Berlin-Hellersdorf war ihm willkommener Anlaß, die Jagd auf eines seiner größten Ärgernisse auf dem Weg zur »sauberen Stadt« zu verschärfen. Er erklärte kurzerhand die PDS verantwortlich für die Prügel, die einige angereiste Kundgebungsteilnehmer der Neonazis bezogen haben. Ein Berliner Neonazi ließ den Aufforderungen Taten folgen. Er schoss auf einen PDS-Buchhändler und erschoss eine Woche später einen Polizisten.
Ein Szenario gleicher Strickart fand in der bayerischen Landeshauptstadt München statt, hinlänglich ungeschminkt und so plump, dass sich auch für die gut meinenden Staatsbürgerinnen einiges über die korrupte Haltung der politischen Abwickler des Sozialstaates erkennen lässt. Erst eröffneten die weiß-blau-karierten Christen an diesem Neujahr die neue Runde des »Haltet-den-Dieb-Geschrei«, nach hinlänglich bekanntem Muster. Zwei Monate später unterstrichen Peter Gauweiler und Co., daß sie sich nicht nur in diesem Themenbereich zur extremen Rechten zählen. Mit beispielloser Hetze eröffneten sie die Kampagne gegen die Ausstellung über die Verbrechen der deutschen Wehrmacht, in der zusammenwuchs, was wohl auch zusammengehört: ewiggestrige Vaterlandshuldiger, Kriegsverbrecher, Burschenschafter, Konservative und Neonazis. Gauweiler tritt in die Fußstapfen des CSU-Übervaters Franz Josef Strauß, der seinerzeit feststellte, daß man »bei der Auswahl seiner Hilfstruppen nicht zimperlich sein«, dürfe und damit ebenfalls die extreme Rechte meinte.
So war der Boden bereitet, um den größten Neonazi-Aufmarsch nach 1970 durch die Stadt ziehen zu lassen. 5.000 Mitglieder und Unterstützerinnen von NPD und ihrer Jugendorgansation JN sowie AnhängerInnen von verbotenen und von staatlicher Seite tot gesagten Neonazigruppen boten Gauweiler an, mitzumarschieren.
Die Situation ist deutlich brisanter als in den Jahren 1991/1992. Besonders bei den Demonstrationen der Bauarbeiter in Berlin war der rassistische Einfluss nicht zu übersehen. Steinwürfe auf ausländische Arbeiter spiegeln die rassistische Stimmung unter deutschen Bauarbeitern wieder, die rassistische Gewalt begleitet die sozialen Auseinandersetzungen als Drohung.
Meinungsumfragen, die 1994 feststellten, dass 23 Prozent der Ostdeutschen und 17 Prozent der Westdeutschen der Meinung waren, dass Ausländer schuld an der Massenarbeitslosigkeit seien, stellten 1996 eine deutliche Steigerung fest: Jetzt teilten bereits 37 Prozent der Ostdeutschen und 35 Prozent der Westdeutschen diese Meinung.
Zur gleichen Zeit strebt die rassistische Gewalt auf den Straßen neuen Höhepunkten entgegen. Es sind größtenteils Jugendliche aus dem Einflussfeld der von Gauweiler gerufenen Hilfstruppen, die mit gesteigerter Brutalität ImmigrantInnen, ausländische Bauarbeiter, Behinderte, Punks und Linke attackieren, sie jagen und umbringen. Wie schon in der Kampagne gegen das Asylrecht explodiert die Saat des Hasses zuerst in Ostdeutschland. Dass es sich größtenteils um mehr oder weniger unorganisierte Überfälle handelt, macht die Angelegenheit nicht besser.
Entstanden ist ein soziales und kulturelles Umfeld, in dem Neofaschismus gedeiht, wo viele die Meinungen teilen und nur wenige sich trauen, dagegen aufzutreten. Gerade deshalb sind die antifaschistischen Demonstrationen von München, Berlin, Aschaffenburg, Magdeburg und Eningen so wichtig. Sie zeigen den Mutlosen und Unschlüssigen, dass es auch andere Menschen gibt, die sich die zunehmende Verrohung nicht gefallen lassen wollen. Diese Menschen zu sammeln ist ein wichtiger Bestandteil antifaschistischer Arbeit.
Die Augen für die soziale Frage zu öffnen und Stellung zu beziehen, ist eine Notwendigkeit angesichts eines rasanten Klassenkampfes von Oben.