Magdeburg und der Mord an Frank Böttcher
Die Meldungen über alltägliche rassistische und neofaschistische Übergriffe in Sachsen-Anhalts Landeshauptstadt rückten im Februar von der Lokalnotiz zur Schlagzeile überregionaler Medien auf. Grund: Der Mord an einem 17 jährigen Punk; verübt von Jugendlichen aus der neofaschistischen Szene.
Die CDU-Politikerin Angela Merkel besucht 1993 jugendliche Neonazis im Jugendclub Brunnen.
In der Nacht zum 9. Februar 1997 wurde Frank Böttcher im Neubaugebiet Magdeburg Neu-Olvenstedt durch sieben Messerstiche getötet. In die Notaufnahme des dortigen Krankenhaus war er gefahren, um sich eine Handverletzung behandeln zu lassen. Bereits auf der ca. 20minütigen Straßenbahnfahrt vom Olvenstedter Platz zur Endhaltestelle Walter-Friedrich-Krankenhaus wurde er von stadtbekannten rechten Skinheads angepöbelt.
Vom Krankenhaus kommend wurde Böttcher angegriffen und schwer verletzt. Gegen 4 Uhr morgens fand ihn dort ein jugendlicher Passant in einer Blutlache auf dem Bürgersteig liegend und schwerst verletzt: mit sieben Stichwunden und Schädel-Basisbruch. Er starb wenig später durch den hohen Blutverlust.
Nach dem Mord ermittelte die Polizei zunächst in drei Richtungen. Polizeisprecher wollten einen Raubüberfall oder gewalttätige Auseinandersetzungen in der Szene nicht ausschließen, obwohl Böttcher weder Geld noch Wertsachen bei sich hatte und es keine gewaltsamen Auseinandersetzungen in der Punk-Szene gab. FreundInnen von Frank Böttcher und die »Magdeburger Antifaschistische Initiative« bezeichneten die Aussagen der Polizei als »völlig abwegig und absurd«.1
Zwölf Tage später teilte die Sonderkommision der Polizei die Verhaftung eines Verdächtigen mit. Der 17jährige Marcus J. gehört zur rechten Szene und hatte in seinem Umkreis mit dem Überfall geprahlt. Inzwischen hat er ein Geständnis abgelegt. Der Täter ist unter anderem wegen Körperverletzungsdelikten der Polizei bekannt.
Eine Woche nach dem Mord, für Sonntag, den 16. Februar 1997, hatte die "Anti-Antifa" und die Gruppe "Freiheitlicher Volksblock" (FVB), eine Nachfolgeorganisation der HVD um Andreas Rossiar, zu einem Aufmarsch unter dem Motto »Gegen den roten Terror« nach Magdeburg mobilisiert. Ein FVB Stützpunkt in Mageburg ist nicht bekannt, doch soll Falko P. im benachbarten Halle erste FVB-Strukturen etablieren. Diese Demonstration wurde vom Ordnungsamt verboten. AntifaschistInnen beobachteten jedoch mehrere Schleusungspunkte der Neonazis. »Anti-Antifa«-Aktivisten hielten sich das ganze Wochenende in Magdeburg auf, um nach dem geplatzten Aufmarsch einen sich eventuell bietenden anderen Aktionsrahmen zu nutzen. Abgesehen von einem Treffen in einer Gaststätte, unterband die Polizei jedoch Sammlungsversuche der Neonazis.
In den folgenden beiden Wochen zeigte die Magdeburger Neonaziszene, verstärkt durch Kameraden aus Niedersachsen, in der Innenstadt Präsenz. In den Neubaugebieten wurden Fahrwachen organisiert und Linke bedroht.
Der Mord an Frank Böttcher ist der bislang letzte Höhepunkt in einer zu keiner Zeit abgerissenen Kette von rechtsradikalen Übergriffen in Magdeburg. Diese Kontinuität besteht bereits seit mehreren Jahren. Im Jahr 1992 überfielen rund 60 gut ausgerüstete und koordinierte Neonazi-Skins aus Magdeburg und Wolfsburg eine Geburtstagsfeier von Punks in der Gaststätte »Elbterassen«. Der Punk Torsten Lamprecht wurde bei diesem Überfall erschlagen. Die Polizei, mit zwei Streifenwagen vor Ort, greift nicht ein.
Am Himmelfahrtstag 1994 jagen rechte Hooligans und Neonazi-Skinheads, die sich zuvor in der Innenstadt gesammelt hatten, stundenlang Ausländerinnen und Linke. Der damalige Polizeipräsident spielt die Ereignisse am Tag darauf vor der Presse als Vatertagsjoke herunter und schreibt sie »Sonne und Alkohol« zu.
Immer wieder werden in Magdeburg AusländerInnen, Linke und Obdachlose überfallen oder aus der Straßenbahn geworfen. Diese Übergriffe kommen aus der breiten rechten Jugendsubkultur Magdeburgs. Verankert ist diese vor allem in den Neubaugebieten »Olvenstedt« und »Nord«. Seit Ende der 80er Jahre begannen die rechten Hooligans und Skinheads, hier ihre Hegemonie zu schaffen. Schon zu DDR Zeiten gab es in Magdeburg eine über informelle Strukturen zusammengehaltene rechte Szene. Mit der Wende 1989 brach die ohnehin dünne soziokulturelle Infrastruktur der Neubaugebiete zusammen. Kulturhäuser, Jugendclubs und Freizeiteinrichtungen schlossen. Es entstand ein kulturelles und politisches Vakuum, das Neonazis durch Straßenterror für sich besetzten. Jetzt kamen die durch die Repression von Volkspolizei und MfS unter der Decke gehaltenen rechten Tendenzen zum Tragen.
Das auch in Magdeburg angewandte Konzept der »akzeptierenden Jugendarbeit« mit rechten Jugendlichen trug dazu bei, dass sich rechte Strukturen fest etablieren konnten. Bereits am 22. Februar 1992 spielte die RechtsRock-Band "Kettenhund" ihr Debüt-Konzert in Magdeburg. Beweis für deren fortdauernde Existenz ist u.a. ein von Magdeburger Neonazi-Skins und dem Ex-FAP-Aktivisten Thorsten Heise organisiertes Neonazikonzert mit ca. 1.000 Besucherinnen in Barleben bei Magdeburg im vergangenen Jahr. In Magdeburg gibt es einige VertreterInnen des "Blood & Honour"-Netzwerkes wie Sascha B., Holger M. ("Motte") und Peggy R.
Nicht selten lag der Ausgangspunkt für Überfälle in Magdeburg in den von rechten Skinheads und Hooligans frequentierten Jugendclubs »Brunnenhof« und »Rampe«. Im "Brunnen" proben offiziell RechtsRock-Bands wie "Elbsturm" und "Deutsche Patrioten". Dort gab es auch Rekrutierungsversuche durch Personen aus dem FAP-Umfeld. Kaum verwunderlich, der Gitarrist der Band “Elbsturm” selbst soll hier einer der "Sozialarbeiter" sein. Die beiden Bands treten bundesweit auf Neonazi-Konzerten auf. Magdeburger Neonazi-Skins nahmen auch an Wehrsportübungen und Feierlichkeiten der Neonaziszene aus Niedersachsen teil.
In Olvenstedt werden die Neonazis inzwischen von BürgerInnen zum Teil als Ordnungsfaktor gegen Kriminalität angesehen. Das korrespondiert mit dem »JN« Konzept der »Befreiten Zonen«2, in dessen Rahmen Neonazis versuchen, institutionalisierte und subkulturelle Schlüsselpositionen zu besetzen und damit faktisch die Macht ausüben. In Magdeburg läßt sich ein Teil des Konzeptes auch ohne geschulte Neonazi-Kader umsetzen.
Seit Mitte der 90er Jahre ist eine neue rechte Skinhead Generation herangewachsen, die ihre Vorgänger an Brutalität und Rücksichtslosigkeit bei weitem übertrifft. Der rechte Straßenterror ist in Magdeburg, wie in weiten teilen Ostdeutschlands zum Selbstläufer geworden, der für diesen Zweck keine feste Organisation oder Struktur braucht. Betroffen von diese Terror sind alle, die sich nicht dem hohen Anpassungsdruck der rechten Hegemonie beugen. Das sind in den Neubaugebieten neben den wenigen AntifaschistInnen und AusländerInnen auch Rapper/HipHopper und andere Jugendsubkulturen. Dieses Klima einer in sich geschlossenen rechten Hegemonie bietet organisierten Neonazis ideale Ausgangsbedingungen für die Umsetzung ihrer politischen Strategie.
Erstaunlich ist auch die geringe Resonanz, die der Mord an Frank Böttcher bei den EinwohnerInnen von Olvenstedt hervorrief. Die PDS hat bei den letzten Bundestagswahlen in dem Ende der 80er Jahre fertiggestellten Neubauviertel mit ca. 30.000 EinwohnerInnen fast 40 Prozent der Stimmen gewonnen. Wie so oft muss mensch sich hier fragen, warum die Leute eigentlich PDS wählen: Protest gegen etablierte Regierungsparteien? Festhalten an der Ost-Identität? Fühlen sie sich von "national-revolutionären" Parolen, insbesondere bei wirtschaftspolitischen Konzepten, der PDS angesprochen? Und umgekehrt - wie sieht das Verhältnis der PDS-FunktionärInnen und auch der Ortsverbände zu ihrer Basis aus? Welche Art von politischem Verständnis wird vermittelt? Welche Inhalte werden abseits von Parteitagen und Zeitungsinterviews unter die WählerInnen getragen? Fragen, die nicht nur in Olvenstedt auftauchen und auch innerhalb der PDS viel zu selten diskutiert werden.
Der Handlungsspielraum für die AntifaschistInnen ist schließlich sehr eng. Im Vordergrund steht momentan der Selbstschutz. Rechten Jugendlichen und Neonazis das Terrain auf allen Ebenen ernsthaft streitig zu machen, so wie nach dem Lamprecht-Mord erfolgreich praktiziert, braucht unendlich viel Ausdauer und Unterstützung.