Die "Arbeitsgemeinschaft Nord-Ostpreußen" (AGNO)
Kurz nachdem bekannt wurde, daß der Neonazi-Terrorist Manfred Roeder über die Perspektiven der Ansiedlung von »Rußlanddeutschen« im Kaliningradskaja Oblast (ehem. Nord-Ostpreußen) bei der »Führungsakademie der Bundeswehr« referiert hatte, polterte Bundesverteidigungsminister Volker Rühe: Bereits das Thema des Vertrages sei »ein Unding« gewesen; es stünde im »diametralen Widerspruch« zur Politik der Bundesregierung. In späteren Statements verzichtete Rühe dann auf diese Aussage. Damit hatte er nur die halbe Wahrheit getroffen, denn die Außenpolitik der Bundesregierung zerfällt in einen offiziellen und einen inoffiziellen Teil. Eine "Regermanisierung" des Oblast weist die Bundesregierung offiziell wegen möglicher außenpolitischer Verwicklungen weit von sich, verfolgt sie aber mit von ihr abhängigen und indirekt finanzierten Vorfeldorganisationen, die den inoffiziellen Part der deutschen Außenpolitik besorgen. Eine dieser Vorfeldorganisationen wird im folgenden beschrieben.
Anstelle des Neofaschisten Manfred Roeder hätten die Offiziere der Hamburger Führungsakademie zum Thema »Ansiedlung von 'Rußlanddeutschen' im Kaliningradskaja Oblast (ehem. nördl. Ostpreußen)« 1995 auch die Ende letzten Jahres verstorbene Deutschtumsaktivistin Ilse Timm als Expertin einladen können. Timm hätte als Vertraute von Neofaschisten und Vertriebenenverbänden kompetent zum Fortgang der "Regermanisierung" des ehemaligen Nord-Ostpreußens referieren und Empfehlungen dafür geben können, wie man diese Bestrebungen möglichst gut verschleiern kann.
Ein expandierendes Organisationsgeflecht
Unter der Führung der 1997 verstorbenen Witkonin (Witikobund e.V.) Ilse Timm wurde mit der "Arbeitsgemeinschaft Nord-Ostpreußen" (AGNO) ein bis heute kräftig expandierendes Organisationsgeflecht aus der Taufe gehoben und im Oblast an die Deutschtumsfront gerührt. Nachfolger von Timm wurde der ehemalige zweite Vorsitzende des völkisch-nationalen "Bund Heimattreuer Jugend" (BHJ), Dr. Karsten Niefind.
Die AGNO bestand zunächst aus sechs Vereinen und ist nach neueren Meldungen auf insgesamt 19 Vereine angewachsen. Timms »Verein zur Förderung der Rußlanddeutschen in Trakehnen« war von Beginn an ein Motor dieser Entwicklung gewesen«. Dieser Verein soll von Timm, Hans-Joachim von Leesen und Gerhard Laus in Schleswig Holstein gegründet worden sein. Mittlerweile sitzt wohl auch hier Niefind mit im Vorstand.1
Ilse Timm konnte auf alte Freunde zurückgreifen: So wurde sie mit dem "Artamanen"-Freundeskreis von Anhängern jenes Personenkreises zum Vortrag gebeten, bei dem sich einst Heinrich Himmler die ersten Sporen für seinen Ostlandritt verdiente.
Auch aus jüngeren Kreisen der (extremen) Rechten erhielt Timm Unterstützung. Ende 1995 rief die "rechte Zeitung Junge Freiheit" (JF) dazu auf, anstelle von notorischen Aufschneidern wie Dietmar Munier oder Manfred Roeder, die durch ihr provozierendes Auftreten nur die Behörden des Oblasts gegen die deutschen "Regermanisierungs"-Bestrebungen aufbringen würden, die AGNO zu unterstützen.
Daß die AGNO die Unterstützung der JF erhielt, dürfte u.a. auf den Umstand zurückzuführen sein, daß der jetzige Vorsitzende Dr. Karsten Niefind ein ehemaliger JF-Mitarbeiter ist. Niefind scheint im Gegensatz zu seinen ehemaligen Mitstreitern im BHJ Henning Pless (1991 erster Vorsitzender des BHJ) und Michael Will (1983 BHJ Führer), die sich beide für Dietmar Muniers Firmengeflecht engagieren, auf die AGNO-Karte zu setzen.
Damit steht Niefind aber keineswegs in weniger Zusammenhang mit ultra-rechten Kreisen. Er arbeitet eng mit dem ehemaligen NPD-Anhänger Hans-Dietrich Otto zusammen, der zentralen Figur der AGNO im Oblast. Otto lebt seit fünf Jahren im Oblast und betreibt dort die Firma "Basis Hoch-Tiefbau". Zunächst hatte er sich in Muniers Projekten engagiert, seine Baufirma kooperierte wohl auch mit Manfred Roeders Netzwerk um das "Deutsch-Russisches-Gemeinschaftswerk". Jetzt arbeitet sie für Niefinds Verein.1
Die Projekte der AGNO im Oblast
Auf den ersten Blick präsentiert die AGNO ihre Aktivitäten in Hochglanzbroschüren vollständig unter dem Deckmantel der »humanitären Hilfe« und dem erklärten Ziel, »das Vertrauen zwischen beiden Staaten und Völkern zu stärken«. Doch bei genauerem Hinsehen entpuppen sich die meisten AGNO-Projekte als geschickt getarnte Einfallstore für eine neuerliche deutsche Dominanz im Osten. Dazu gehören zum einen »humanitäre Hilfssendungen« in Form von gespendeten Lebensmitteln, Werkzeug, Maschinen und Fahrzeugen. Zum anderen bauen AGNO-nahe Vereine »deutsche Museen«, Unterbringungsmöglichkeiten und Gästehäuser für heimwehkranke Ostpreußen auf. Sie betreiben die Pflege deutscher »Ehrenmäler« in verschiedenen Städten des Oblast, organisieren SchülerInnen- und LehrerInnen-Austauschprogramme - u.a. hospitieren russische Deutschlehrer auf Vermittlung der AGNO an Schleswig-Holsteinischen Schulen u.v.m.
Niefinds »Verein zur Förderung der Rußlanddeutschen« beispielsweise stellt nach eigenen Angaben »Rußlanddeutsche, die sich weder einschüchtern noch vereinnahmen lassen, ins Zentrum unserer Hilfsmaßnahmen: Sie wollen wir fördern, weil sie zu Trägern eines neuen Heimatbewußtseins für die rußlanddeutsche Minderheit in Nord-Ostpreußen werden können.«
Konkret betreibt die vom Verein geförderte Firma "Basis Hoch- und Tiefbau" in Iljuschinow (Mühlenberg) eine eigene Kfz-Werkstatt, eine Tischlerei, das "Cafe Elch", das als Anlaufpunkt für RevanchistInnen dient, und den Bau von Wohnhäusern. Der Verein unterstützt außerdem zwei private Kindergärten und das Projekt »erweitertes Deutschangebot in Schulen« in Kaliningrad.
Unter den einfachen Mitgliedern der in der AGNO organisierten Freundeskreise und Vereine befindet sich eine große Anzahl von Aus- und ÜbersiedlerInnen. Sie werden mitunter schon in den Übersiedlerheimen für die Vereine geworben. Insbesondere der "Bund der Vertriebenen" (BdV) spielt dabei eine gewisse Rolle. BdV-Mitglieder haben in vielen Übersiedlerheimen die Betreuung übernommen. Viele Aus- und ÜbersiedlerInnen sind dadurch in die "Landsmannschaft der Deutschen aus Russland e.V." eingetreten. Einige berichteten auf Nachfrage über mehr oder weniger (subtilen) Druck oder mangelnde Alternativen.
Von AntifaschistInnen wird allzuoft übersehen, daß revanchistische Verbände AussiedlerInnen quasi pauschal vereinnahmen, während von linker Seite fast keine Auseinandersetzung mit ihnen stattfindet.
Deutschtumskämpfer mit Protektion - Seilschaften zu den Fleischtöpfen des Bundesinnenministeriums
Die AGNO wird von einflußreichen Stellen protegiert. Bei der Gründung war eine offizielle Gliederung der "Landsmannschaft Ostpreußen e. V." (LO) Mitglied der AGNO, inzwischen sind zehn Kreis- bzw. Stadtgemeinschaften (KG bzw. SG) der LO in der AGNO Mitglied. Diese Kreis- oder Stadtgemeinschaften sind Basisgruppen der LO, in denen die Mitglieder der LO entsprechend ihrem alten Wohnort in Ostpreußen organisiert sind.
Zu den Basisgruppen der LO, die in der AGNO Mitglied wurden, gehört z.B. die umtriebige "Kreisgemeinschaft Ebenrode (Stallupönen) in der Landsmannschaft Ostpreussen e.V.". Vorsitzender und Sprecher ist hier der BGS-Beamte Paul Heinacher, der im Vorstand von Hildegard Linge unterstützt wurde. Auch die "Kreisgemeinschaft Goldap Ostpreußen e.V." um Stephan Grigat, Waltraud Schmidt, Dietmar Kutz und Danilo Gubsch ist in diesem Milieu sehr aktiv. Der Rechtsanwalt Stephan Grigat von der CDU Detmold soll laut Medienberichten schon zuvor mit Hans-Dietrich Otto kooperierte haben.
Da sowohl Grigat als auch Heinacher in den Netzwerken der "Landsmannschaft Ostpreußen e.V." tätig sind, sind die Wege zwischen AGNO und LO kurz.
Eine zweite Seilschaft der AGNO-Akteure zu den einflußreichen Revanchistenverbänden existiert über den Verein "Allgemeiner Deutscher Kulturverband" (ADKV). AGNO und der ADKV betreiben gemeinsame Projekte im Oblast. Vorsitzender der deutschen Sektion des ADKV, die gerade den großangelegten Bau von Wohnhäusern in Iljuschinow (Mühlenberg) in Angriff nimmt, ist CDU-MdB Prof. Dr. Egon Jüttner (CDU-Mannheim). Im Gesamtvorstand des ADKV sitzen einflußreiche rechte Netzwerker wie Horst Löffler vom ultra-rechten "Witikobund". Auch der "BGS-Pfarrer" Rolf Sauerzapf, Funktionär des "Verein für das Deutschtum im Ausland" und des neonazistischen "Hilfskomitee Südliches Afrika" sitzt im ADKV-Vorstand. Er ist sich nicht zu schade, z.B. für die neofaschistischen "Staatsbriefe" zu schreiben.
Ein schwarz-braunes Milieu mit Geld
Ein weiterer Beleg für die Anbindung des AGNO-Geflechts an neofaschistische Organisationen und an die einflußreichen Verbände des deutschen Revanchismus liefert der folgende Blick in die Niederungen des Netzwerks der Deutschtumskämpfer.
Im Falle einer Auflösung des Timm-Niefind-Vereins, der sich als »Motor« der AGNO begreift, fällt dessen Vermögen an die "Stille Hilfe Südtirol e.V.". Die Mittel der "Stillen Hilfe Südtirol" wiederum fallen bei ihrer Autlösung dem BHJ zu.
Die "Stille Hilfe Südtirol" gehört zu den alten Vorfeldorganisationen der inoffiziellen deutschen Außenpolitik. Letztmalig in die Schlagzeilen geriet die "Stille Hilfe Südtirol" 1995, als der ehemalige Münchener CSU-Stadtrat und Gauweiler-Vertraute Gerhard Bletschacher als ihr Vorsitzender 4,8 Millionen DM von der Vereinskasse in seine marode Käseschachtelfirma umleitete. Bletschacher sagte später aus, er habe Anweisungen vom "Altmeister" der subversiven deutschen Volksgruppenpolitik, Rudolf Aschenauer, erhalten. Unter anderem sollte er Paletten von rechter bis neofaschistischen Büchern nach Südtirol schaffen. 1951 war Aschenauer Mitglied des Gründungsvorstandes des Vereins "Stille Hilfe", von 1973 bis 1977 war er Vorsitzender des VDA. Im Jahr seines Ausscheidens aus dem Vorstand wurde er vom VDA zum Ehrenvorsitzenden ernannt - und steht mit diesem Posten übrigens in einer Reihe mit den VDA-Ehrenvorsitzenden Hindenburg und Hitler.
Übereinstimmung von Roeder mit Deutschtumsaktivisten der AGNO
Sowohl über den VDA als auch die LO steht die AGNO in Verbindung zu den Organisationen des staatlich geförderten Revanchismus der BRD. Dem VDA wurden über 100 Millionen DM, der L0 (offiziell) 1996 410.000 DM aus Bundesmitteln gezahlt.
Die AGNO verfolgt die gleiche Strategie wie der Neofaschist Roeder und der ultra-rechte Geschäftsmann Munier: Die Ansiedlung von sog. »Rußlanddeutschen« im Kaliningradskaja Oblast.
Man teilt ein gemeinsames Ziel: Einfluß auf die Politik im Oblast mittels einer starken »deutschen« Bevölkerungsgruppe zu gewinnen. Und die Perspektive? Stephan Grigat formulierte sie so: »Ein neues Preußen wird entstehen, der Eckpfeiler Europas (...) Aus dieser Perspektive ist ein erneut unabhängiges Ostpreußen denkbar, erscheint sogar als eine ganz natürliche Gestaltungsmöglichkeit.« Roeder formulierte da kürzer: »Für einen Freistaat Preußen!«