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Interview mit Antifas aus Mecklenburg-Vorpommern

Einleitung

Ein Interview mit AntifaschistInnen aus verschiedenen Städten im westlichen Mecklenburg-Vorpommern: Tina und Keule aus Rostock, Jens aus Wismar, Tim aus Schwerin, Trecker aus Parchim und Atze aus Ludwigslust.

Mecklenburg Vorpommern
(Bild: flickr.com; abbilder; CC BY 2.0 Deed)

(Symbolbild)

AIB: Wie seid Ihr dazu gekommen, Euch antifaschistisch zu organisieren?

Tim: Organisiert antifaschistische Arbeit zu machen, ist eigentlich aus der direkten Konfrontation mit den Neonazis entstanden. Wir haben in das Feindbild der Nazis gepaßt. Das hängt vor allem mit Äußerlichkeiten zusammen. Das hatte auch nicht viel mit organisiertem Neofaschismus zu tun, sondern das sind mehr prollige Straßenschläger gewesen.

Atze: Nach der Wende hat bei uns in Ludwigslust alles einen starken Drang nach rechts bekommen. Dabei hat man dann entweder mitgemacht oder man hat sich völlig zurückgezogen. Irgendwann habe ich mich mit Leuten zusammengetan, denen es genauso ging. Wir haben uns gesagt, wenn wir uns verteidigen wollen, dann müssen wir das organisiert machen. Daraus ist über die Jahre hinweg was gewachsen; erst nur in der Stadt und allmählich mit anderen Leuten aus Mecklenburg.

AIB: Wieso seid Ihr dann auf den politischen "linken Film" gekommen und habt nicht was anderes gemacht, was nicht so vordergründig politisch ist?

Atze: Am Anfang waren wir im Prinzip gar nicht politisch, da hat sich unsere Arbeit nur auf den Selbstschutz gegen die Faschisten beschränkt. Dann lernte man auf Demos und durch Zeitungen ganz andere Thematiken kennen, kaufte sich Bücher, las andere Zeitungen und erweiterte so seinen Horizont. Irgendwann fragte man sich, wie man selbst zu solchen Sachen steht.

AIB: Was habt Ihr gemacht, als Ihr angefangen habt, über den Selbstschutz hinauszugehen?

Tim: Bei uns in Schwerin fing das mit einer Hausbesetzung 1991 an. Das war eigentlich der erste Versuch, selbstbestimmte Freiräume zu schaffen und geriet ziemlich schnell unter Beschuß der Neonazis. Die haben sich Unterstützung aus dem Westen geholt, gerade aus Hamburg und Berlin. Dementsprechend kamen dann auch viele aus Lübeck und Hamburg, um uns zu helfen.

Atze: Bei uns war es auch so, daß wir uns erst mehr oder weniger legal einen Raum beschafft haben. Dort haben wir dann unsere erste Antifa-Gruppe gegründet und es wurde möglich, mehr als nur Selbstschutz zu organisieren. Trotzdem waren wir fast jedes Wochenende damit beschäftigt, diesen Raum und das Gelände gegen die Faschos zu verteidigen. Letztendlich haben die starken Faschoangriffe auch dazu geführt, daß wir aus diesem Raum wieder rausgeschmissen wurden.

AIB: Ist denn daraus auch etwas Langerfristiges entstanden?

Atze: Auf jeden Fall. Als das angefangen hat, waren wir rund 15 Leute. Während wir diesen Raum hatten, waren wir dann ein fester Personenkreis von 30 Leuten und teilweise bis zu 70 und nachdem das wieder in die Brüche ging, hat sich unser Kreis wieder reduziert. Die ganzen jüngeren Leute sind wieder in andere Gruppen abgewandert, wie z.B. Hip-Hopper und machen jetzt politisch fast gar nichts mehr.

Keule: Ich glaube, in Rostock war das ein bißchen anders, weil es da bald nach der Wende große linke Clubs und schon seit 1989 ein besetztes Haus mit Infoladen gab. Streß mit Nazis haben wir zu dieser Zeit eigentlich noch nicht gehabt. Das hat sich dann 1992 mit Lichtenhagen schlagartig geändert. Das Klima in der Stadt war aggressiv, Schlägereien alltäglich. Leider haben sich viele in dieser Situation nur darauf beschränkt, alles, was rechts aussah, zu verprügeln. Immerhin ist dadurch erst mal Sicherheit für uns geschaffen worden. Ein paar Jahre später fand ein Generationswechsel sowohl bei den Nazis als auch bei uns statt. Viele von den Faschos sind in das Dealer-Milieu abgestiegen und dann kamen Techno und Ecstasy dazu. Wir sind damals auch weniger geworden und es kamen verstärkt Drogen ins Spiel. Gerade geht es mit dem zweiten bedrohlichen Boom bei den Faschos los. Die verbliebenen Nazis organisieren sich viel mehr und versuchen, unerkannt zu bleiben. Ihr Schwerpunkt liegt in der Schaffung von einer nach außen halboffenen Kulturszene, im Ausbau einer weitreichenden Vernetzung und der Organisierung von Schulungen und paramilitärischen Übungen.

AIB: Hat sich denn eigentlich über die ganze Zeit so etwas wie eine alternative oder sogar explizit antifaschistische Szene entwickelt?

Tim: Ja schon, aber das ist regionsmäßig sehr unterschiedlich. Während es in Rostock eine - kulturell gesehen - vielseitige Szene gibt, ist das in anderen Städten eher nicht so. Die wenigen bestehenden kulturellen Freiräume werden in der Regel von Punks vereinnahmt. Hier gibt es nur Einzelne, die sich politisch engagieren wollen.

Jens: Bei uns in Wismar ist das Problem, daß uns die Räume zum Treffen fehlen. Deshalb ist z.B. auch unklar, wie sich das mit den jüngeren Leuten entwickeln wird.

Tim: Vor sieben Jahren sind viele, die sich zu DDR-Zeiten noch als Punks bezeichnet haben, ins rechte Lager gewandert. Danach war die Szene ziemlich hart abgesteckt: Es gab die Rechten und die Linken. 1994/95 nahm bei den Straßenschlägern und Neonazis die Zahl derer zu, die in andere Szenen abwanderten. Sie landeten u.a. bei den Punks und haben sich entpolitisiert.

AIB: Was gibt es denn überhaupt an antifaschistischen Strukturen in Mecklenburg?

Atze: In Westmecklenburg gibt es das "A-Info". Das ist eine Zeitung, die wir als Westmecklenburger Antifa-Gruppe machen und die als Diskussionsforum, Anlaufpunkt für Außenstehende und der Öffentlichkeitsarbeit dienen soll, und die wir auch überregional vertreiben. Außerdem wollen wir darüber überregionale Kontakte knüpfen, die anfangs kaum bestanden haben.

Tim: Es ist ziemlich schwierig, wenn man sich als organisierter Antifa bezeichnet, irgendwelche Räumlichkeiten zu kriegen, egal von welchen Parteien oder Gruppierungen. Selbst PDS und Grüne distanzieren sich, wenn man als autonomer Antifa organisiert ist. Noch dazu gibt es sehr wenig alternative Kneipen und Veranstaltungsräume, durch die man sich auch finanziell ein Standbein schaffen könnte, um aktiver zu werden.

AIB: Und wenn die Zentren und Treffpunkte als Anziehungspunkte verschwinden, dann fällt das auch alles sehr schnell wieder auseinander?

Jens: Deshalb ist es ja auch so schwierig, an neue Leute ranzukommen, weil die ja nirgendwo hinkommen können, um mal zu gucken, was du so machst.

Keule: In Rostock ist die ganze Entwicklung auch stark abhängig von Klubs. Wir haben ja schon seit ein paar Jahren das JAZ1
, das eine wichtige Rolle spielt.

Tina: In Rostock war die linke Szene in meinen Augen immer ziemlich groß, es gab viele Leute, die einen politischen Anspruch hatten. Aber die meisten wußten überhaupt nicht, wann und wie und wo sie den nach außen tragen können, weil der Informationsfluß unter den Leuten total lahm war, es keinen konkreten Treffpunkt gab, und nichts organisiert war.

Tim: Das ist eigentlich der Grund für den desolaten Zustand der Szene. Die Leute, die Interesse haben, was zu machen, wandern irgendwann aus Frustration in andere Städte ab, wo sie bessere Möglichkeiten haben, politisch zu arbeiten.

AIB: Was macht Ihr selber noch an Antifa-Arbeit neben der Zeitung?

Atze: Wir beteiligen uns an Kampagnen und Demonstrationen, mobilisieren dazu, organisieren Busse usw. Außerdem lag ein Schwerpunkt bei uns in der letzten Zeit auf Recherche, weil wir uns in den vergangenen Jahren mit denen beschäftigt haben, die auf der Straße rumprügeln, und nicht mit den Hintermännern. Hin und wieder machen wir dann auch Sachen zu aktuellen Anlässen. Immer wieder muß man dann auch Jugendklubs und -projekte verteidigen, die akut von Überfällen durch FaschistInnen bedroht sind.

AIB: Kommt Ihr denn dabei auch mal in die Offensive oder ist das immer mehr nur ein Abwehrkampf?

Atze: Seitdem wir uns vor einem knappen Jahr in der Region fester organisiert und vernetzt haben, gab es durchaus auch schon mal Situationen, in denen wir ganz klar in die Offensive gegangen sind, was vorher nie so war.

AIB: Wie sieht es denn aus mit den Neonazi-Strukturen bei Euch?

Tim: Ein Schwerpunkt bei uns in Westmecklenburg ist, daß zunehmend organisierte Neonazis aus dem Raum Hamburg, Schleswig-Holstein und Brandenburg die Region nutzen, um Aufmärsche durchzuführen, Materialien zu verteilen und Leute zu rekrutieren. So gab es z.B. im vergangenen Jahr ein "Wehrsportlager" bei Parchim und eine Woche nach dem offiziellen Datum einen Heß-Gedenkmarsch in Ludwigslust. Wir versuchen rauszufinden, wer die Leute sind und wollen sie öffentlich machen, um sie politisch angreifbar zu machen. Sie sollen wissen, daß sie sich hier nicht ruhig einnisten können. Die Boneheadszene wird stark beliefert durch das Berliner "Blood & Honour"-Netzwerk, das Neonazi-T-Shirts und Aufnäher unter die Leute bringt, und unterstützt durch die Kreise der Schleswig-Holsteiner "Hammerskins". Deren Vertreter Kai Stüwe2
haben wir beispielsweise in Parchim mehrmals als "Ordner" bei Demonstrationen erkannt. Daneben gibt es vor allem die Strukturen der NPD und JN, die gerade in letzter Zeit verstärkt aktiv sind.

Atze: Unklar ist, was mit den vielen Neonazi-Kadern passiert ist, die Anfang der neunziger Jahre bekannt geworden sind. Die meisten haben sich entweder zurückgezogen aus ihrem politischen Tun, oder es ist nicht mehr nachvollziehbar, ob die noch was machen. Die Entwicklung hin zu neonazistischen "Kameradschaften" gibt es bei uns auch. Wir haben inzwischen schon einige davon, z.B. in Neustrelitz, Malchow und Neubuckow. Außerdem gibt es natürlich immer wieder Konzerte mit Faschobands und auch mindestens drei Fascho-Fanzines kommen aus Mecklenburg.

AIB: Wie sieht es mit den "Schlägernazis" und Boneheads auf der Straße aus?

Trecker: Mit denen muß man sich tagtäglich auseinandersetzen. Sie selbst bezeichnen sich als rechts, Nazis, Faschistinnen, was auch immer. Da entwickelt sich gerade eine neue Generation raus. Wenn man sich die Schulen anschaut, da ist die Hälfte der ab 14-jährigen so drauf und trägt eine Bomberjacke. Da zieht der eine den anderen mit, und der Rest will keinen Ärger haben.

Keule: In Rostock ist das nicht ganz so hart, zumindest in der Innenstadt. Da gibt es nur ganz wenige Klubs, die von Nazis dominiert werden. Da sind zwar immer Leute, die komisch aussehen und bei denen man ein komisches Gefühl hat, aber die haben teilweise auch selber keinen Bock auf Nazis.

Atze: In der Großstadt ist das eben noch mal anders. Aber in der Kleinstadt, wo es nur einen Jugendklub und vielleicht eine Großraumdisko in der Nähe gibt, da hast du keine Wahl. Entweder gehst du dahin, wo die sind, oder du bleibst zu Hause.

Keule: Im Sommer gibt es auch eine Art "Fascho-Tourismus" Richtung Ostsee. Da haben sich schon Freundeskreise gebildet, die einmal im Sommer zum Saufen und Prügeln hochkommen.

AIB: Sind in diesem Zusammenhang auch die alljährlichen Zeltplatzüberfälle von Neonazis zu sehen?

Tim: Ja, wobei aber eine Reihe von Überfällen von naheliegenden Fascho-Treffpunkten ausging. Die Polizei kann Zeltplätze mittlerweile ganz gut kontrollieren. Wenn doch mal was passiert, versuchen sie, zu deckeln. Während überregionale Medien einzelne Vorfälle aufgreifen, fallen viele andere Sachen, wie z.B. Neonazi "Wehrsportlager" unter den Tisch. Im Sommer ist es noch krasser, als es in den Medien dargestellt wird. Wir laden alle ein, doch mal zur Ostsee zu kommen. Da gibt es schöne Strände...

AIB: Danke für das Gespräch.

  • 1JAZ = Jugendalternativzentrum
  • 2Kai Stüwe ist Musiker der RechtsRock-Band "Freikorps".