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Göttinger AntifaschistInnen vor Gericht

Mackenrode Soligruppe (Gastbeitrag)
Einleitung

Am 15. April 1998 kommt es vor dem Landgericht Göttingen zu einem Prozeß gegen fünf AntifaschistInnen. Ihnen wird vorgeworfen, am 26. Oktober 1991 - vor mehr als sechs Jahren - in Mackenrode an Auseinandersetzungen mit Neonazis aus dem Umfeld des damaligen FAP-Funktionärs Karl Polacek beteiligt gewesen zu sein.

Michael Homeister

Michael Homeister (mittig) sorgte mit seinen Aussagen für ein Gerichtsverfahren gegen AntifaschistInnen in Göttingen.

An diesem Tag trafen sich, wie so oft, ca. 30 Neonazis aus Göttingen und anderen Städten bei dem niedersächsischen FAP-Landesvorsitzenden Karl Polacek in Mackenrode. AntifaschistInnen demonstrierten daraufhin vor dem Versamlungsort. Die ca. 50 DemonstrantInnen wurden von den aus dem Haus stürmenden Neonazis sofort angegriffen, so daß es zu einer ca. 20 minütigen Auseinandersetzung kam, in deren Verlauf vier Neonazis schwerer und einige leicht verletzt wurden.

Nach der Aktion stellte die Polizei, die in der weiteren Umgebung Mackenrodes Straßensperren errichtet hatte, willkürlich die Personalien von 15 Menschen fest.

Göttingen ist schon seit längerem Schauplatz unterschiedlichster Aktivitäten aus dem rechten Spektrum. Obwohl erfolgreiche Antifa-Arbeit es den Neonazis in Göttingen schon immer vergleichsweise schwer gemacht hatte, erforderten das immer massivere Auftreten und der zunehmende tägliche Terror der Neonazis in dieser Zeit, eine neue Qualität der Organisierung der Antifa-Selbsthilfe.

Doch wo immer sich in der BRD konsequenter Antifa-Widerstand, der auch militante Aktionen beinhaltet, regt, setzt massive staatliche Verfolgung und Kriminalisierung ein - ganz im Gegenteil zum staatlichen Umgang mit neofaschistischer Gewalt, wie sie sich beispielsweise 1991 in Hoyerswerda zeigte.

In Göttingen war es unter anderem durch militante Antifa-Aktionen gelungen, das offene Auftreten von Neonazis weitgehend einzudämmen und auch ihre Schlupfwinkel unsicher zu machen. Angesichts zahlreicher Antifa-Aktionen gegen Polacek und seine Netzwerke wußte sich das Niedersächsische Innenministerium nicht anders zu helfen, als ihn im Frühjahr 1992 nach Österreich auszuweisen.

Für die Staatsschützerinnen war das Maß durch die antifaschistischen Aktionen von Bursfelde am 25.10.1995 (hier wurde eine Arbeitstagung des neonazistischen "Studentenbund Schlesien" zum Thema »Beobachtung und Bekämpfung autonomer Antifas« behindert) und Mackenrode am Tag danach, voll. Diese Ereignisse wurden zum Anlaß genommen, die gesamte Göttinger Antifa-Szene auszuleuchten und zu kriminalisieren. Das wurde möglich, als sich das LKA einschaltete und nach §129a (Bildung bzw. Unterstützung einer kriminellen/terroristischen Vereinigung) ermittelte. Sie warfen den 15 in den Straßensperren kontrollierten Menschen 52 (!) Anschläge der zurückliegenden zehn Jahre vor. Das BekennerInnenschreiben zu Bursfelde und Mackenrode nahmen sie zum Anlaß, gegen die "Autonome Antifa (M)" und die "Antifa Jugendfront" zu ermitteln. Die "Antifa (M)" wurde zur terroristischen Vereinigung erklärt.

Um an Namen zu kommen, legte der Staatsschutz mehreren bekannten Göttinger Neonazis »Lichtbildmappen« vor und forderte sie auf, die ihnen bekannten Antifas zu identifizieren und nach ihrer vermeintlichen Funktion einzustufen. Desweiteren rollte eine in dieser Dimension in Göttingen bisher unbekannte Überwachungsmaschinerie an: Es kam zu Post- und Telefonüberwachungen, Einsatz von Video und Richtmikrofonen, Überwachung von MitbewohnerInnen, NachbarInnen, FreundInnen und Bekannten von aktiven Antifas. Selbst Grünen-Abgeordnete und GewerkschaftlerInnen waren betroffen - insgesamt wurden über 100.000 Telefonate abgehört.

Auf diese Weise bastelte sich die Staatsanwaltschaft aus einem schier unüberschaubaren Angebot von Verdächtigen die Anklagen gegen die im "Antifa (M)"-Prozeß Angeklagten sowie gegen die fünf im nun anstehenden Prozeß Beschuldigten zusammmen.

Ein weiteres Ergebnis dieser Kriminalisierungswut war das §129a-Verfahren gegen die BetreiberInnen des Buchladens Rote Straße. Ihnen wurde der Vertrieb angeblich verfassungsfeindlicher Schriften vorgeworfen.

Den fünf Angeklagten des jetzigen Verfahrens - vier Männer und eine Frau - werden Landfriedensbruch, schwere Körperverletzung sowie in jeweils einem Fall versuchte Brandstiftung bzw. versuchter Totschlag vorgeworfen. Die Anklage stützt sich ausschließlich auf die Aussagen von drei Neonazis. Sie »identifizierten« aus den ihnen vom LKA vorgelegten »Lichtbildmappen« zunächst elf Leute, die sie - so den Vernehmungsprotokollen zu entnehmen - trotz Vermummung am 26.10.1991 erkannt haben wollen. Die StaatsschützerInnen interessierten sich auch für alle anderen Informationen über Personen und Strukturen der Antifa-Szene, die die Neonazis zu haben glaubten. Die eindeutigen Lügen der Neonazis bei diversen Vernehmungen legen den Schluß nahe, daß die BeamtInnen des LKA erheblich geholfen haben, ihre Aussagen so zu präzisieren, daß sich letztlich die fünf nunmehr Angeklagten als Hauptverdächtige des Mackenrode-Verfahrens herauskristallisierten. Diese Vermutung liegt umso näher, als einem großen Teil der Angeklagten nach dem selben Strickmuster (Vorlage von Fotos mit der Frage: »...war's nicht der/die hier?«) schon seit Jahren wiederholt und willkürlich militante Antifa-Aktionen unterstellt worden waren. Bezeichnend, daß all diese Verfahren zu Freisprüchen führten bzw. eingestellt werden mußten!

Die Liste der Belastungszeugen mutet wie ein »Who is Who« niedersächsischer Neonazis an:

- Thorsten Heise: ehemals Landesvorsitzender der FAP, versuchte mit seinem Wagen einen Flüchtling zu überfahren und wurde wegen diverser anderer Körperverletzungen verurteilt.

- Michael Homeister ("Homes"): Damals aktives FAP-Mitglied, Kroatien-Söldner, Waffenschmuggler; saß zuletzt in der JVA Wolfenbüttel wegen diverser schwerer Gewalttaten.

- Stefan Koller: Ehemaliger Leiter des "Referats Propaganda" der FAP, mehrfach verurteilt, wurde verdächtigt in Richtung von Polizeibeamte geschossen zu haben..

- Stefan Bliesmer damals Schatzmeister der FAP-Niedersachsen, Anhänger der "Wiking Jugend", des "Der Stahlhelm" und der "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige".

- Glenn Goertz, ehemaliger FAP-Bundesgeschäftsführer.

Mit Sven G. steht ein weiterer Neonazi auf der Zeugenliste. Weiteres Beweis- oder Belastungsmaterial existiert nicht!

Dennoch:Trotz der ganzen Abstrusität des Verfahrens ist eine Verurteilung nicht ausgeschlossen, da dieser Prozeß die letzte Möglichkeit des LKA ist, den immensen Verfolgungsaufwand gegenüber der Öffentlichkeit zu rechtfertigen. Zudem kann nicht die Rede davon sein, daß die Kriminalisierungswut seit 1991 nachgelassen hätte, wie zahlreiche Prozesse gegen Antifas in Göttingen und der ganzen BRD in den letzten Jahren belegen. Ebensowenig ist der gesamtgesellschaftliche Rechtsruck zum Stillstand gekommen. Vieles, was vor Jahren nur rechte Parteien forderten, ist heute Konsens der bürgerlichen Parteien. Das Asylrecht ist faktisch abgeschafft, Morde von Faschistinnen sind kaum noch eine Schlagzeile wert. Reaktionäres und nationalistisches Gedankengut ist hoffähig geworden, »Schwächere« und Minderheiten werden zu »Wohlstandsmüll« erklärt, »Law and Order« wird parteiübergreifend propagiert.

Trotz alledem: Die "Mackenrode Soligruppe" will den Prozeß nutzen, um auf all das aufmerksam zu machen. Wir wollen die Geschichte des antifaschistischen Widerstandes in und um Göttingen weiterschreiben und den Menschen Mut machen, ihren Teil dazu beizutragen.