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DNA-Analysen: Kriminalisten im Erfassungsrausch

RA Oliver Tolmein (Gastbeitrag)
Einleitung

Als Ende der siebziger Jahre die Wellen der Empörung über die Methoden der Rasterfahndung kurzzeitig über dem BKA zusammenschlugen wurde heimlich, still und leise Abschied von dieser Ermittlungsmethode genommen: Daß zehntausende von Stromrechnungen, Zahlungsbelegen, Grenzübertritten und sonstigen äußerlichen Merkmalen zusammengetragen und in den Polizeicomputern gegeneinander abgeglichen wurden, schien selbst der Deutscher-Herbst-trainierten Öffentlichkeit übertrieben und nicht hinzunehmen. Das Aus für die Fahndungsmethode, das insbesondere den langjährigen BKA-Präsidenten Horst Herold erbitterte, blieb ohne Folgen: Heute ist das aufwendige, in die Rechte von Unbeteiligten eingreifende Verfahren in der Strafprozeßordnung erlaubt. Und längst interessieren nicht mehr nur vergleichsweise langweilige Überweisungsbelege.

Symbolbild von flickr.com; igemhq; CC BY 2.0

Alle Gene sind verdächtig

Im ausgehenden 20. Jahrhundert darf es, zumal in Deutschland, gern ein bißchen mehr sein: Blut und Boden - hier, nicht mehr auf geduldigem Papier, finden sich neuerdings nämlich die Spuren, mit denen die Kriminalisten ihre Programme und Computer füttern, um Tatverdächtigen auf die Spur zu kommen. Vor allem die Ausdehnung der Möglichkeiten mithilfe der Spuren von Körperflüssigkeiten Personen einer Tat zuordnen zu können, hat die Kriminalisten und Kriminalpolitiker in einen Erfassungsrausch versetzt:

Im niedersächsischen Vechelde ließ das LKA alle 1300 männlichen Bewohner eines Dorfes zum Gen-Test antreten. Die DNA der Speichelproben sollten mit der DNA des Haares eines Unbekannten verglichen werden, das die Polizei bei der Ermordeten gefunden hatte. Daß der Mörder ein Einwohner des Dorfes Vechelde sein sollte, schlossen die Ermittler der Mordkommission aus Peine aus dem Fundort der Leiche: »An diese Stelle, wo die Reste von Yasmin Stieler vergraben wurden, kommt kein Fremder.« In München wurden zur Aufklärung eines Mordfalles Gen-Analysen bei Dutzenden von Porschefahrern durchgeführt, weil ein Zeuge sich erinnerte, in der Tatnacht einen Porsche in der Nähe des Opfers gesehen zu haben. Ein Porschebesitzer, der die Untersuchung verweigerte, wurde vom Landgericht zur Teilnahme am Gen-Test gezwungen, seine Verfassungsbeschwerde blieb ohne Erfolg. In Helmstedt mußten sich im Herbst 1996 mehrere tausend Halter von Kombifahrzeugen überprüfen lassen. In Wunstorf forderte die Polizei 1500 junge Männer zum Gentest auf. Und wieder ging es um die Fahndung nach einem Sexualverbrecher. Das Massenscreening findet nach anfänglichem Zögern immer häufiger statt, es werden zunehmend größere und mittlerweile auch andere Gruppen einbezogen: z.B. wurden Gen-Analysen bei sechs Linken vorgenommen, die in der Nähe eines Kaiser-Supermarktes festgenommen worden waren, gegen den sich am 3. Oktober 1997 ein Angriff mit einem Brandsatz richtete, weil sich der Kaiser-Konzern an rassistischer Flüchtlingsversorgung beteiligt.

Mittlerweile ist mit dem § 81e eine Vorschrift in die Strafprozeßordnung eingeführt worden, die diesen Eingriff ausdrücklich erlaubt. Nun soll das Fahndungsinstrument zum Überwachungsinstrument perfektioniert werden. Die Bundesregierung läßt beim Bundeskriminalamt eine Datenbank einrichten, in der die Daten von DNA-Mustern von Tatortspuren und von Straftätern gespeichert werden - und zwar keineswegs nur, wie anfänglich debattiert, von Sexualstraftätern, sondern von einem erheblich größeren Personenkreis. Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) möchte alle potentiellen Wiederholungstäter speichern können, wenn ihre Straftaten von »erheblicher Bedeutung« sind. Ein interpretationsfähiger Begriff, der die gefährliche Körperverletzung ebenso umfaßt wie Vergewaltigung, Freiheitsberaubung oder Raub. Bundesjustizminister Edzard Schmidt-Jortzig (FDP) will den Kreis der Erfassten dagegen auf Beschuldigte konzentrieren, die wegen schwerer Verbrechen, das sind Straftaten, die nach dem Strafgesetzbuch mit einer Mindeststrafe von einem Jahr belegt sind, verurteilt wurden: Gefährliche Körperverletzung oder Freiheitsberaubung würden dann nicht darunter fallen, wohl aber Brandstiftung oder Körperverletzung mit Todesfolge. Auch das ist aber nur eine wenig effiziente Beschränkung. So oder so ist der Kreis rein pragmatisch eingegrenzt und bei Bedarf problemlos ausbaubar.

Die logische Konsequenz der derzeitigen Maßnahmen wäre der Aufbau einer umfassenden Datenbank, in der (so wie in Fingerabdruckdateien) kurze Gensequenzen der gesamten Bevölkerung oder doch wenigstens ihrer »kriminalitätsbelasteten« Teile gespeichert werden, um dann bei Bedarf durchgerastert zu werden. Für die gesamte deutsche Wohnbevölkerung ist so ein Verfahren wohl nicht durchsetzbar - das Beispiel der Fingerabdruckdatei Ans für Asylsuchende dokumentiert aber, daß bei ohnehin diskriminierten Bevölkerungsgruppen auch ein solches Erfassungsinstrument leicht eingesetzt werden kann. Eventuelle Einzelerfolge würden dann im übrigen sogleich weitere Repressionsschritte gegen die einmal ins Visier genommenen Gruppen nach sich ziehen.

Sowohl das Bundesjustizministerium als auch das Bundesinnenministerium wollen für die DNA-Datenbank nur die sogenannten nicht-kodierenden Abschnitte der DNA auswerten lassen: Genetische Besonderheiten und Persönlichkeitsprofile werden damit nicht erfasst, Äußerlichkeiten und Informationen über genetisch mitbedingte Krankheiten dagegen gegebenenfalls schon. Angesichts der Dynamik, mit der Anwendungsbereich und "Eingriffsintensität im Bereich der DNA-Analyse ausgeweitet werden, und mit Blick auf das fieberhafte Tempo, mit dem Kriminalbiologen an der Zuordnung angeblich biologisch determinierten »kriminellen Verhaltens« zu auffälligen Gen-Sequenzen arbeiten, ist die Eingrenzung der Untersuchungen auf den nicht-kodierenden Teil der DNA nur vorläufig. Schon heute wird in der polizeirechtlichen Literatur durchweg bedauernd über diese »zur Zeit« noch bestehende Grenze geschrieben, die ihren Grund weniger in rechtsstaatlichen Bedenken, als im technischen Unvermögen hat.

Auch ohne die Möglichkeit, Persönlichkeitsprofile zu erstellen, erweist sich die auf DNA-Analysen gestützte Gen-Datenbank als äußerst bedenkliches Fahndungsinstrument: Wie schon die Rasterfahndungen nach Porsche- oder Kombifahrern oder allen männlichen Bewohnern einer Ortschaft deutlich machen, wird durch die Möglichkeit zur massenhaften Anwendung einer Personenidentifizierung der Kreis derer, die in ein Ermittlungsverfahren einbezogen werden immer mehr erweitert. Zunehmend werden Freiheitsrechte von Personen, gegen die an sich keinerlei individuell begründeter Tatverdacht besteht, eingeschränkt: Damit einher geht ein Denken, das auf der Beweislastumkehr basiert. Der Porschefahrer, der zum Gentest gezwungen wird, muß seine Unschuld beweisen, nicht mehr die Polizei seine Schuld. Das wiegt umso schwerer, als das DNA-Fingerprinting ein in hohem Maße suggestives Indiz ist: Dabei sagt die Identität von Blut-, Sperma- oder Haar-DNA von Beschuldigtem und Tatortspuren bestenfalls etwas darüber aus, daß Opfer und Beschuldigter in irgendeiner Art und Weise Kontakt miteinander hatten - und sei es, daß beide am Tag der Tat zufällig die Mäntel in der Kneipe nebeneinander gehängt haben und ein Haar vom einen auf den anderen gefallen ist.

Durch die Möglichkeit, die so gewonnenen Daten gegebenenfalls auch zu speichern, wird die Eingriffsintensität deutlich erhöht. Mit der Möglichkeit, die Gen-Daten von Beschuldigten, die noch nicht einmal rechtskräftig verurteilt sein müssen, bei »Rückfallgefahr« dauerhaft zu erfassen, wird die Unschuldsvermutung, die bis zur rechtskräftigen Verurteilung besteht, demontiert.

Vor allem ist die Einrichtung der Gen-Datenbank aber Ausdruck einer Umorientierung von Straf- und Strafprozeßrecht, die nicht nur durch das An-den-Rand-Drängen von Grundrechten Verdächtiger und ihrer Kontaktpersonen ausgezeichnet ist, sondern durch eine Rückwendung zum Gefährlichkeitsstrafrecht, das zuletzt im national-sozialistischen Deutschland die Justizpraxis geprägt hat: Statt eine Tat zu ahnden, werden Maßnahmen gegen den Täter ergriffen, bei denen nicht seine Schuld, sondern seine (vermeintliche) Gefährlichkeit in den Mittelpunkt rückt.

Passend dazu sind auch im Zuge der Verschärfungen des Sexualstrafrechts, aber längst nicht darauf beschränkt, Instrumente wie die Sicherungsverwahrung (die ermöglicht, »gefährliche« Menschen über die Haftzeit, zu der sie verurteilt sind, hinaus gefangen zu halten) ausgebaut und die Möglichkeiten zur vorzeitigen Entlassung auf Bewährung erschwert worden.

Der starke Staat und die totale Institution Gefängnis profitieren dabei vor allem von der allgemeinen Stimmung gegen Sexualverbrechen: Die verstärkte Konzentration des öffentlichen Interesses führt aber nicht etwa zu der dringend erforderlichen Verbesserung der Position der Opfer von Vergewaltigungen und Kindesmißbrauch in den Prozessen. Die Rechte der Geschädigten und der Nebenklage interessieren in der aufgeheizten Stimmung nicht, im Mittelpunkt steht die Verstärkung repressiver Mittel, die dem Gefährlichkeits-orientierten Polizeirecht Terraingewinne gegenüber dem (zumindest in der Theorie) auf Schuldausgleich setzenden Strafrecht bescheren. Die öffentliche Empörung vor allem über Kindesmißbrauch, das ungezügelte Ressentiment, das sich gegen »Kinderschänder« Bahn bricht trägt so zur allgemeinen Abschaffung von Verfahrensgarantien und Zurückdrängung eines auf Integration zielenden Strafvollzugs bei, führt das Strafrecht auch ideologisch in gefährliche Nähe eines Zweckstrafrechts, dem jedes Ergebnis recht ist, wenn es nur das »Volksempfinden« stützt.

(Oliver Tolmein ist freier Journalist. Zum Thema ist sein Buch »Rechts durch Mitte - Reportagen und Gespräche über die Ordnung der Verhältnisse« im Konkret Literatur Verlag erschienen.)