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Frankreich: Repression nach Aktion gegen Nazi-Feier

Michel R. Lang (Radio Juive)
Einleitung

Heute, knapp ein halbes Jahrhundert nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges, hat sich die politische Lage radikal verändert. Vielerorts werden die ehemaligen Nazis unbehelligt gelassen oder gar protegiert. In den baltischen Ländern und in den meisten Ländern des ehemaligen Ostblocks bekommen viele SS-Veteranen solide Renten aus der BRD. Sogar in Frankreich, das enorm unter der nazistischen Okkupation zu leiden hatte, dürfen frühere Nazi-Anhänger immer mehr schalten und walten, wie es ihnen beliebt. Und dies seit den 1950er Jahren. Die folgende Begebenheit soll diese Situation veranschaulichen. Sie hätte sich auch in Kopenhagen oder in Brüssel zutragen können.

Der französische Nazi Marc Augier veröffentlichte als Saint-Loup (Nazi)Literatur.

Am 20. April 1991 (»Führergeburtstag«) veranstaltete die "Vereinigung der Freunde von Saint-Loup" in den Räumen der städtischen Bergbaubehörden in Paris ein Kolloquium zu Ehren des Schriftstellers Marc Augier alias "Saint-Loup" (dt.: Heiliger Wolf), der am 16. Dezember 1990 friedlich verstorben war.

Der Nazi-Publizist Saint-Loup

Der ehemalige Sozialist und Pazifist Saint-Loup/Marc Augier gründete nach einem politischen Sinneswandel 1940 die "Jeunes pour l’Europe nouvelle" und trat 1941 in die "Légion des volontaires français contre le bolchévisme", dem späteren französischen Ableger der Waffen-SS, ein. Er wurde Kriegsberichterstatter der pronazistischen Zeitung "La Gerbe" ("Die Garbe") und übernahm nach einer Frontverletzung die Kriegskorrespondenz des Blattes "Combattant européen", Sprachrohr der europäischen Nazis in SS-Uniform. 1944 wurde er zum Redakteur von "Devenir" ("Werden"), dem Blatt der französischen SS-Division "SS Charlemagne" (Karl der Große), ernannt. Kurz nach der Befreiung Frankreichs im Jahr 1944 wurde Marc Augier in Abwesenheit von einem Militärgericht wegen Kollaboration mit den Nazis zum Tode verurteilt. Er entkam jedoch nach Rio de Janeiro, wo er bei Benediktinermönchen Unterschlupf fand. 1950 kehrte er nach Europa zurück und nutzte 1951 eine Amnestie aus, um sich den französischen Behörden zu stellen, weil in der Dritten Republik noch viele Nazi-Seilschaften am Werk waren, die »bedrängten Kameraden« Hilfe leisteten. Danach schrieb Saint-Loup alias Marc Augier etwa 20 Bücher, die fast alle von dem »heroischen Kampf«, der Nazis handelten und in denen er die SS als »leuchtendes Beispiel« für die europäische Jugend ausmalte.

Aktive Anhänger der »Vereinigung der Freunde von Saint-Loup« sind z.T. bekannte rechtsextreme Aktivisten, wie z.B. Pierre Vial (Stadtrat von Villeeurbanne und Mitglied des "Front National"), Léon Gaultier (alter Kämpfer der Waffen-SS und befreundet mit dem FN-Führers Jean-Marie Le Pen) und Henri Fenet (ehemaliger Kämpfer der französischen SS).

Widerstand gegen SS-Freunde

Aber dieses Mal konnten sie den "Führergeburtstag" nicht in Ruhe feiern. Vor der Tür des Tagungsortes versammelten sich etwa 30 junge Juden (Mitglieder von "Les fils de la memoire d'Israel"), fotografierten die Besucher der Veranstaltung und verlangten lautstark  das Verbot solcher Versammlungen. Als nichts geschah und die Behörden nicht intervenierten, ging alles sehr schnell: Etwa zehn junge Demonstranten stürmten die Räumlichkeiten und verprügelten ein Dutzend der anwesenden (Neo)Nazis. Die mittlerweile angerückte Staatsmacht entdeckte elf Verletzte. Darunter den früheren "SS Waffen-Hauptsturmführer" Henri Fenet (Träger des "Eisernen Kreuzes") und zwei Aktivisten der neonazistischen Szene Frankreichs: Eric C. und Roland P.

Verhaftung jüdischer Antifas

Etwas später verhaftete die Französische Kripo zwei Mitglieder der jüdischen Selbstverteidigungsgruppe. Alain L. und David H., beide Studenten, sind gegenüber den Ermittlern geständig zu der Aktion. Am 10. Febuar 1998, sieben Jahre nach der Antifa-Aktion, werden David H. und Alain L. jeweils zu 36 Monaten Gefängnis verurteilt, davon sechs Monate ohne Bewährung. Hinzu kommt eine Geldstrafe von 2,6 Mio. Francs, ungefähr 850.000 DM.

Diese unverhältnismäßig hohen Strafen spiegeln die politische Situation im sozialdemokratischen Frankreich von Lionel Jospin wieder. Le Pen und sein "Front National" haben bereits viele Strukturen des Landes unterwandert  und bis in die höchsten Polizei- und Justizkreise Anhänger und Verbündete gefunden. Hinzu kommt, daß der Antisemitismus in Frankreich schon immer fest etabliert war, und rechte wie linke Populisten sich dieser barbarischen Ideologie manchmal gern bedienen, um bei der Bevölkerung Anerkennung zu erlangen. Der jüdische Publizist Jean Amery schrieb einmal: "Unversöhnlichkeit mit den Mördern, die vielleicht noch unter uns sind, und den anderen, die nur noch als scheußliche Erinnerungsbilder gespenstisch vor uns stehen, ist das höchste moralische Gebot, die einzig zulässige geschichtliche Meisterung dessen, was der Wider-Mensch veranstaltete." Dem gibt es nichts hinzuzufügen. Außer, daß die jüdische Organisation »Les fils de la memoire d' Israel« Spenden sammelt, um den Inhaftierten zu helfen und Öffentlichkeit zu schaffen.

(Dieser Beitrag wurde dem AIB von Michel R. Lang, Berliner Korrespondent von "Radio Juive - Jüdischer Rundfunk in Frankreich", zur Verfügung gestellt und vom AIB z.T. aktualisiert und überarbeitet.)