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Antirassistisches Grenzcamp in Sachsen

"Camp-Vorbereitungsgruppe" Grenzcamp 1999
Einleitung

Vom 6. bis 15. August 1999 fand im Dreiländereck an der polnisch-tschechisch-deutschen Grenze zum zweiten Mal das antirassistische Grenzcamp der Kampagne »Kein Mensch ist illegal« statt. Ursprünglich war dafür ein Stück Land südwestlich von Zittau an der tschechischen Grenze gepachtet. Doch die dortige Bevölkerung wollte das Camp in ihrer Idylle partout nicht haben und so paßte es ihnen gut, daß das Grundstück im Landschaftsschutzgebiet lag und Zelten dort verboten ist. Die Querelen um den Platz erwiesen sich für die Verantwortlichen im Nachhinein jedoch als Eigentor: So viele für sie unkalkulierbare Menschen ließen sich nicht einfach abweisen. Unterstützend griff die örtliche PDS ein und ein öffentlicher Druck von außen zeigte Wirkung. Die Campinitiative bekam in letzter Minute vom zähneknirschenden Oberbürgermeister Zittaus einen besseren Platz - fünf Minuten zu Fuß von der Grenze entfernt, an einer stark befahrenen Bundesstraße, für die Öffentlichkeit gut sichtbar.

Foto: Umbruch Bildarchiv

Ziel des Camps war, den besonders offenkundigen staatlichen Rassismus in der Grenzregion zum Thema zu machen. Ebenso sollte versucht werden, durch Irritationen, Provokationen, aber auch durch Vermittlungsversuche den breiten rassistischen Konsens der Bevölkerung anzuknacksen. Dabei sollte denen der Rücken gestärkt werden, die diesen Konsens nicht mittragen. Last but not least wurde versucht, die örtlichen Neonazistrukturen - soweit wie möglich - zu bekämpfen. Auch in Zittau gibt es eine fest etablierte Neonaziszene. Inzwischen nennt selbst der sächsische Verfassungsschutz Ostsachsen und insbesondere Zittau einen Brennpunkt rechtsextremer Tendenzen.

Der normale Alltag: Rechte Gewalt

Insbesondere seit Anfang des Jahres 1999 sind in Zittau Übergriffe gegen Andersdenkende und MigrantInnen an der Tagesordnung. Höhepunkt war das Stadtfestwochenende Mitte Juli 1999, als ca. 40 Neonazis eine Party von Schwulen und Lesben überfielen. Am nächsten Tag folgte ein gut organisierter Überfall von ca. 80 Neonazis aus ganz Sachsen auf ein linkes Kulturzentrum, das "Cafe Emil", und am letzten Tag des Stadtfestes versuchten nochmals 30 Neonazis das "Cafe Emil" zu überfallen, was aber durch die Polizei verhindert wurde. Insgesamt gab es an diesem Wochenende mehrere Schwerverletzte und viele traumatisierte Leute. Diese Überfälle sind nach Ansicht von sächsischen AntifaschistInnen beispielhaft für Zittau. Sie sprechen für eine hohe Aktionsfähigkeit ostsächsischer Neonazis, und finden in einem Klima statt, indem sich die Argumente der Neonazis mitunter eher wenig von den Aussagen der Zittauer Stadtverwaltung unterscheiden. Auch an den folgenden Wochenenden gab es mindestens zwanzig Übergriffe. Dabei wurden zwei Menschen lebensgefährlich verletzt.

Ostsachsens rechter Konsens

Rechte Übergriffe und Aktivitäten werden von den Behörden fast grundsätzlich verschwiegen oder heruntergespielt. Das Problem wird selbst dann noch geleugnet, verharmlost oder ins Gegenteil verdreht, wenn die Fakten eigentlich klar sind. Bestes Beispiel dafür ist der Oberbürgermeister von Zittau Jürgen Kloß. Dieser soll laut Berichten aus Görlitzer in der Nähe gewesen sein, als Neonazis eine schwul-lesbische Party überfielen. Augenzeugen wollen von ihm dazu Äußerungen vernommen haben, die nicht gerade den Eindruck erweckten, das er den Überfall verurteile und sich mit den Betroffenen solidarisch erkläre. Später wußte er davon nichts mehr. Das brauchte er auch nicht, da sprangen ihm seine Kollegen bei, so wie Bürgermeister Löffler, der in der Sächsischen Zeitung meinte, es wäre ja alles aufgebauscht worden und es sei doch so ein schönes Stadtfest gewesen, oder der Polizeisprecher, der erklärte, es hätte ja zu Auseinandersetzungen kommen müssen, wenn die öffentlichen Toiletten von Stadtfestbesuchern und Homosexuellen genützt würden. Und wieder Oberbürgermeister Kloß, dieses Mal gegenüber der Sächsischen Zeitung: »Es gibt immer einen, der provoziert und einen der sich provozieren lässt«.

Die Aussagen des Oberbürgermeisters in einem derartigen Zusammenhang sind nicht mehr nur als "unsensibel" zu bewerten, sondern sie verdeutlichen eine gewisse inhaltliche Distanzlosigkeit zu rechten Schlägern. Unter einigen BewohnerInnen der Stadt heißt es dazu hinter vorgehaltener Hand, Kloß hätte eine Art guten Draht zum NJB. Manche Jugendliche aus Görlitz behaupten gar, sein Sohn verkehre seit 1997 in NJB-Kreisen. Was Kloß selbstverständlich verneint. Im Stadtgespräche machen auch Gerüchte die Runde, das 1997 und 1999 Oberbürgermeister Kloß persönlich bei oder in der Nähe der Neonaziaufmärschen gesehen worden sei. Auf jeden Fall hatte der NJB nie größere Schwierigkeiten von Kloß zu erwarten. Sonst würde er sich kaum in Flugblättern bei der Stadtverwaltung für die Unterstützung bedanken und sonst hätte es keine Veranstaltungen mit dem NJB im Rathaus gegeben wie 1992.

Bemerkenswert für Zittau ist noch eine andere Veranstaltungsreihe: der Jugendpolitische Stammtisch. Mit dem Ziel alle, insbesondere die rechten in Zittau existierenden Parteien an einen Tisch zu bringen, um über Jugendfragen zu diskutieren, wurde er von Steffen Golembiewsky, Funktionsträger im Jugendring des Landkreises, initiiert. Dort redeten dann Vertreter aller Parteien außer der PDS gemeinsam über das Thema »Arbeit zuerst für Deutsche«. Hier wird den Neonazis die Möglichkeit gegeben, sich bürgernah, realpolitisch und als »nette Jungs« zu präsentieren. Momentan ist der Stammtisch auf Eis gelegt, da Golembiewsky angeblich Morddrohungen von rechter Seite erhalten hat.

Zug um Zug gegen Abschiebungen

Angesichts derartiger Rahmenbedingungen war es für die rund 1.500 CampteilnehmerInnen sicherlich nicht einfach, den selbstgesteckten Zielen gerecht zu werden. Doch es gab viele einfallsreiche und gelungene Aktionen. Der staatliche Abschiebe-Rassismus in Form des Bundesgrenzschutzes (BGS) wurde zum Beispiel in einer fast dreistündigen Blockade der regionalen BGS-Leitstelle thematisiert. Für die Bevölkerung war das Camp fast täglich auf Zittaus Marktplatz präsent - sei es mit einem Live-Konzert oder mit vielen Kundgebungen. Selbst eine vom Oberverwaltungsgericht verbotene Kundgebung vor dem Landratsamt zur unmenschlichen Situation im Flüchtlingsheim von Zittau konnte spontan durchgesetzt werden. Eine Blockade vor der Polizeihauptwache, in der sich vier festgenommene AntifaschistInnen befanden, sorgte für Unmut, aber auch für Irritationen bei vielen Zittauerinnen - für das Camp eine selbstverständliche Reaktion auf die oft willkürlichen Polizeimaßnahmen, für sie ein befremdliches Verhalten. Mit witzigen Aktionen eroberte das Camp immer wieder die Schlagzeilen in der Lokalpresse: Durch die Kaperung der touristischen Schmalspureisenbahn durch den Räuberhauptmann Karasek und seine Bande - eine örtliche Robin-Hood-Variante aus dem letzten Jahrhundert, bei der unter anderem ein ungehinderter Flüchtlingstransport gefordert wurde, oder durch Nachtspaziergänge an der Grenze, einen Antifa-Autokonvoi, bei dem das Hotel »Neiße-Blick« in Ostritz, in dem die "Mitteldeutschen Tage" von der neonazistischen "Artgemeinschaft" stattfanden, mit Farbeiern verziert wurde und eine Demonstration in Görlitz entlang bekannter Neonaziadressen. NPD-Kader erhielten Hometrainer, neue Schlösser oder auch kübelweise Kot.

Was bleibt?!

Die Campvorbereitungsgruppe schreibt dazu:

»Ein derartiges Camp ist ein wichtiges Experimentierfeld. Nach innen gibt es viel zu lernen: Wie organisieren wir mit hunderten von Menschen Entscheidungs- und Plenumsstrukturen, die allen Bedürfnissen und Erfordernissen gerecht werden? Wie verlaufen emanzipatorische Prozesse angesichts vermeintlicher Bedrohungen von Außen? Wie offen können wir dennoch sein, ohne gleich anders Aussehende wahlweise als Nazis oder Polizeispitzel zu »enttarnen« und gegen sie vorzugehen - das nur als ein Beispiel der Gratwanderung, die leider auf dem Camp ab und zu ungut überschritten wurde. (...) Nach Außen hin hat das Camp zumindest einen Teilerfolg erzielt: Es ist bis zum heutigen Tag immer noch Gesprächsthema in Zittau. Einige Linke fühlen sich dadurch ermutigt, andere Menschen hoffentlich immer noch irritiert. So zum Beispiel die örtlichen Nazistrukturen, die während der Zeit die Füße still hielten und sich auf jammernde Internet- und Pressemitteilungen beschränkten. Medial blieb das Ereignis sehr lokal begrenzt. Es fehlten wohl die schlagzeilenträchtigen, konfrontativen Aktionen. Erfolge wie die geplante Schließung des Flüchtlingsheims und die Umverteilung der Flüchtlinge in eine bessere Unterkunft aufgrund des Camps und der daraus entstandenen Initiative vor Ort, sind eben medial nicht spektakulär genug - für uns allerdings schon. Viele CamperInnen haben aus dem Camp Kraft getankt, die sich hoffentlich auch auf den Alltag der Einzelnen auswirkt. Sollte es ein nächstes Camp geben, sollte die Gunst der Stunde genutzt werden, um mehr politische Debatten zu führen. Denn wo sonst gibt es schon die Möglichkeit, durch konkrete Praxis vor Ort ein unmittelbares Feedback durch die Bevölkerung, die staatlichen Behörden und die Nazis zu erlangen? Also ein nicht abgehobenes, erlebbares Theorie-Praxisverhältnis: Das Camp 2000

(Das AIB dankt dem "antifaschistischen rechercheteam ostsachsen" (artos) und der "Camp-Vorbereitungsgruppe" für diesen Artikel.)