Kaffeefahrt gegen Rechts
Der Artikel wurde uns vom »AK Gegen das Vergessen« aus Kassel zur Verfügung gestellt.Bustour durch Nordhessen und Thüringen an die Haustür von Nazis und Kriegsverbrechern
Ausgangspunkt der Idee einer »Kaffeefahrt gegen Rechts« im Oktober 2002 waren Berichte in der Kasseler Lokalpresse über einen Kriegsverbrecher, der seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs unbehelligt im Kasseler Umland lebt.
Inspiriert von Antifa-Aktionen in Wuppertal, Dortmund und Mittenwald organisierten wir eine Bustour übers Land in Dörfer, in denen mehr oder weniger prominente Vertreter der rechten Szene oder eben auch ehemalige NS-Kriegsverbrecher leben. Neben der Aufklärung der ReiseteilnehmerInnen ging es bei diesem Sonntagsausflug darum, einmal direkt vor den Haustüren der Rechten zu protestieren. Wir wollen diesen Leuten zeigen, dass wir wissen, wo sie wohnen und was sie machen – und was wir davon halten. Wir wollen wegkommen vom Reagieren auf Nazis, hin zu selbstbestimmten, ungewöhnlichen und überraschenden Aktionsformen. Auch zu Hause sollen sich die Alt- und Neonazis nicht länger ungestört fühlen können, und die Menschen vor Ort sollen Mut schöpfen, gegen ihre unerfreulichen Nachbarn aktiv zu werden.
Die Premierenfahrt am 6. Oktober 2002 führte unter anderem nach Neuenbrunslar (Schwalm-Eder-Kreis), wo Oliver Podjaski, der Sänger und Gitarrist der Neonazi-Skinhead-Band Hauptkampflinie (HKL) lebt – mit Liedern wie «Kanaken raus» eine der bekanntesten rechtsextremen Musikgruppen in Europa. Weitere Stationen waren das thüringische Fretterode (Kreis Eichsfeld/Thüringen), wo der Nenazi-Kader Thorsten Heise ein von seiner Frau erworbenes Anwesen mitten im Dorf zu einem Schulungszentrum umbauen will, und das nahe bei Kassel gelegene Nieste. Hier besuchten wir den bekannten Neonazi 1 und Betreiber mehrerer rechter Bekleidungsgeschäfte, Werner Kahl.
Gegen NS-Kriegsverbrecher
Außerdem ging die Tour nach Ringgau-Datterode (Werra-Meißner- Kreis). In dem 1.100-Einwohner-Örtchen tauchte nach dem Krieg der niederländische SS-Offizier Dirk Hoogendam unter und lebt dort seitdem unbehelligt unter dem Namen Dieter Hohendamm. Weil er versteckte Juden gejagt und ans Messer geliefert hat, war der unter dem Spitznamen «Der Boxer» gefürchtete Mann in den Niederlanden zum Tode verurteilt worden. Das später in lebenslange Haft umgewandelte Urteil konnte jedoch nie vollstreckt werden, weil sich Hoogendam bereits 1946 nach Nordhessen abgesetzt hatte. Erst vor anderthalb Jahren spürten ihn Journalisten auf, und das Urteil wurde ihm nach mehr als 50 Jahren zugestellt. Mit lauter Musik, Transparenten (»Wehret den Zuständen! Keine Ruhe für Nazis!«) und Redebeiträgen machten wir in den Dörfern auf uns aufmerksam. Flugblätter wurden verteilt und im Wohnort Hoogendams eine Gedenktafel aufgestellt.
Die Reaktionen hätten unterschiedlicher nicht sein können: Während der Protest gegen das drohende rechte Schulungszentrum in Fretterode auf offenkundige Sympathie traf, sahen wir uns in Datterode unverhohlener Feindseligkeit gegenüber. «Pfui!», schimpfte eine ältere Frau, die das Treiben am Wohnzimmerfenster verfolgte und: »Geht doch nach Afghanistan!«. Ein jüngerer Dorfbewohner nannte Hoogendam einen »Super Mann«, ein anderer griff gar TeilnehmerInnen unserer Aktion mit den Fäusten an, um gegen diese Störung der sonntäglichen Ruhe und des Friedens in seinem »schönen Dorf« einzuschreiten. Wir hatten offensichtlich das richtige Ziel gewählt und werden wohl nicht zum letzten Mal in Datterode gewesen sein.
Die gesamte Tour war ein großer Erfolg, waren die Nazis doch alle zu Hause und über unser Kommen sehr überrascht, wie auch die Polizei, die uns an diesem Tag nicht sonderlich behinderte. Kaffee und Kuchen mit genug Zeit zum Reden gab es unterwegs auch. Und so soll die nächste antifaschistische Kaffeefahrt Anfang 2003 starten, da es in der Region ja genügend Rechte gibt, die es zu besuchen lohnt.
- 1Werner Kahl stand schon Anfang der 80er Jahre wegen Beteiligung an Bombenanschlägen auf Autos türkischer Bürger vor Gericht.