Die Wehrmacht: Feindbilder, Vernichtungskrieg, Legenden.
Wolfram WetteAnders als der Titel des Buches suggeriert, setzt es nicht erst mit der Wehrmachtsgeschichte nach 1935 ein, sondern beleuchtet ausführlich die Verwurzelung antidemokratischer und antisemitischer Traditionslinien aus der Reichswehr der Weimarer Republik und des Kaiserreiches.Anders als der Titel des Buches suggeriert, setzt es nicht erst mit der Wehrmachtsgeschichte nach 1935 ein, sondern beleuchtet ausführlich die Verwurzelung antidemokratischer und antisemitischer Traditionslinien aus der Reichswehr der Weimarer Republik und des Kaiserreiches. Doch so sehr Wette die führende Rolle der Freikorps im Kappputsch und im rechtsextremen antirepublikanischen Milieu betont, so blendet er das Interaktionsverhältnis zwischen diesen und dem sozialdemokratischen Reichsminister Noske bei der Ermor-dung Luxemburgs/Liebknechts und die generelle Rechtslastigkeit der Weimarer Institutionen in den 20er Jahren aus. Dagegen arbeitet er das antisemitische Milieu, aus dem die Mörder von Rathenau und Erzberger kommen, deutlich heraus.
Zuvor geht der Autor der Ideologiegeschichte des keineswegs nur nazistischen Kampfbegriffs »jüdischer Bolschewismus« nach. Er unterscheidet vier Russlandbilder, die im gesellschaftlichen Diskurs des Wilhelminismus und der Weimarer Zeit wirkungsmächtig waren. Zwei, nämlich das nationalistisch-imperialistische und das antibolschewistisch-antisemitische Bild Russlands konstituieren schliesslich, so Wette, die Vernichtungsideologie des rassistischen Weltanschauungskrieges. Mitte der 30er Jahre setzte über sogenannte »staatspolitische Schulungen« eine systematische, antisemitische Indoktrination der Truppe ein. Anders auch als von konservativen Streitern gegen die Wehrmachtsausstellung behauptet, gab es eine weitgehende ideologische Übereinstimmung zwischen Wehrmacht und SS in der Feindbildkonstruktion. Diese führte Wehrmacht und SS in eine enge, auch durch Eigeninitiative von unten mitbestimmte Kooperation bei der Ermordung der jüdischen Bevölkerung in der besetzten Staaten.
Wette erläutert dies exemplarisch an den Beispielen des Massakers von Babij Jar, der von der Wehmacht initiierten Ermordung der serbischen Juden und den ersten Tagen der deutschen Besetzung der litauischen Stadt Kaunas. Deutlich wird zudem, dass die systematischen Erschießungen trotz der Geheimhaltungsbemühungen der SS/SD–Kommandos innerhalb der Wehrmacht und auch darüber hinaus bekannt waren. Der Autor stellt klar, das es sich bei den eingesetzten Terrormitteln in der Sowjetunion mitnichten um die Dynamik einer sich radikalisierenden Kriegsführung aufgrund der Taktik des Gegners handelte. Vielmehr lagen die verbrecherischen Befehle weit vor dem Angriffsdatum in den Schubfächern der Wehrmachtsführung. Die Analyse der Motivation zu verbrecherischen Kriegshandlungen vertieft Wette noch einmal mit exemplarischen Portraits hoher Wehrmachtsgeneräle.
Im Blick auf den einfachen Soldaten betont er im Anschluss an die Forschungen von Browning u.a., dass es im Falle von verbrecherischen Befehlen durchaus Handlungsspielräume bei deren Ausführung gegeben hat, diese jedoch nur von einer Minderheit situativ, zivilcouragiert genutzt wurden. Im letzten Teil des Bandes zeichnet Wette noch einmal die Herausbildung der Legende von »der sauberen Wehrmacht« nach. Als Marksteine nennt er treffend den Aufbau der Bundeswehr aus dem Personalbestand der Wehrmacht, das bis heute politisch ambivalente Traditionsverständnis der Bundeswehr, die Rolle der Erinnerungsverbände und das Entlastungs- und Verdrängungsbedürfnis der Tätergeneration. Insbesondere durch letzteren Aspekt sei die erste Wehrmachtsausstellung, obwohl ihre Fakten in der Fachwelt bekannt waren, zum gesellschaftlichen Tabubruch geworden.
Wette hat ein Buch geschrieben, das den Wissensstand und den Diskurs über die Wehrmacht und ihre Verbrechen gut lesbar, erfrischend kurz zusammenfasst. Deutlich wird jedoch auch, worum es Wette inhaltlich geht: um eine bürgerlich-demokratische Fundierung militärischer Traditionen und Praxen in Deutschland, nicht um ihre generelle Beseitigung.
Wette, Wolfram:
Die Wehrmacht: Feindbilder, Vernichtungskrieg, Legenden.
Fischer Verlag; Frankfurt /M. – 2002
376 S.