Gewerkschaften und illegal Beschäftigte
Ein Beitrag der GewerkschafterInnen gegen Faschismus und RassismusEs ist davon auszugehen, dass die deutsche Volkswirtschaft ohne illegalisierte ArbeiterInnen nicht mehr funktionieren würde. Großprojekte im Baubereich sind ohne illegale Beschäftigung kaum noch denkbar, Billiglöhne sind in die Preise einkalkuliert. Das ist nicht nur zunehmend in anderen Branchen in Deutschland ebenso, sondern darüber hinaus eine Entwicklung, die alle Industriestaaten erfasst hat. Der Staat hat nur ein begrenztes Interesse, diesen informellen Sektor mit ungeschützten und schlechtbezahlten Jobs einzudämmen. Erkennbar ist das schon allein an den denkbar geringen Strafen für die Unternehmer, die illegale Leiharbeit betreiben. Die Leidtragenden der Razzien sind vor allem die Menschen, die in den Abschiebeknästen landen.
Diese Entwicklung stellt die Gewerkschaften vor neue Herausforderungen, die mit althergebrachten Mitteln nicht zu lösen sind. Die Gewerkschaften werden nicht umhinkommen, verstärkt mit Flüchtlingsinitiativen, Migranten-Organisationen und anderen NGO’s zusammenarbeiten, wenn sie dieser Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt nicht nur hinterherlaufen wollen. Solange sich der Umgang mit illegaler Beschäftigung in der Forderung nach vermehrten Razzien erschöpft, hat man schon verloren.
Auf dem ver.di-Bundeskongress im Oktober 2003 haben unter dem Namen »Gesellschaft für Legalisierung« zusammengeschlossene Gruppen die Notwendigkeit angemahnt, dass sich die Gewerkschaft für die Belange der illegalisierten Menschen öffnen und zur solidarischen Interessensvertretung aller Beschäftigten kommen sollte. Um der Situation von zunehmend irregulären Arbeitsverhältnissen zu begegnen, muss sich die gewerkschaftliche Arbeit ändern. Empfehlungen wurden dem Bundeskongress gleich mitgegeben. ver.di sollte:
· offensiv ArbeiterInnen in irregulären Arbeitsverhältnissen ansprechen und sich bemühen, Vorurteile gegen die Gewerkschaften abzubauen.
· Arbeitsrechte und soziale Mindeststandards für illegalisierte Menschen offensiv in Politik und Gesellschaft sowie der gewerkschaftseigenen Bildungsarbeit vertreten.
· vor allem für die Bereiche Haus- und Pflegearbeit sowie Sexarbeit neue Formen der Interessensdurchsetzung im Arbeitskampf gegen vorherrschende untertarifliche Bezahlung, Lohnraub und gesundheitsschädliche Arbeitsbedingungen entwickeln.
Arbeitsrechte gelten für alle Beschäftigten. MigrantInnen ohne Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis können diese Rechte nur schwer durchsetzen und müssen deshalb oft schlechte Arbeitsbedingungen hinnehmen. Sie brauchen deshalb die besondere Aufmerksamkeit der Gewerkschaft. Eine Aufgabe, der auch ver.di bislang kaum nachkommt, trotz immer wieder in Verlautbarungen und Veröffentlichungen geäußerten Solidaritätsbekenntnissen. Die Erkenntnis, dass die Konkurrenz unter arbeitenden Menschen, die durch die Ausländergesetzgebung verschärft wird, letztlich Lohn- und Sozialdumping für alle bringt, hat bislang nicht dazu geführt, dass ver.di sich der besonderen Situation papierloser MigrantInnen stellt und aktiv um ihre Mitgliedschaft wirbt. Denn Arbeitsrechte sind nur so lange etwas wert, so lange sie für alle gelten – uneingeschränkt.
Die Gewerkschaft IG BAU muss heute heftige Abwehrkämpfe gegen Lohndumping und für die Sicherung von tariflichen Standards führen. Sie richtet sich dabei besonders gegen die kriminellen Machenschaften illegaler Arbeitsvermittler, von Bau- und Subunternehmen, die mit Dumpinglöhnen jegliche tarifliche Standards aushöhlen.
Die Forderung nach verschärften Kontrollen und polizeilichen Maßnahmen begründet die IG BAU damit, dass sich gerade innerhalb der Bau-Branche mafiaähnliche Strukturen entwickelt haben, die einen »modernen europaweiten Sklavenhandel« betreiben. Es geht ihr dabei nicht nur um Dumpinglöhne und extreme Ausbeutung der Arbeiter, sondern vor allem um die Hinterziehung von Steuern und Sozialabgaben. Die IG BAU möchte erreichen, dass mit verschärften Kontrollen durch Arbeitsämter, Zollbehörden und Polizei die illegalen Praktiken auf dem Bau unterbunden werden. Die IG BAU orientiert sich aber zu wenig an den Menschen, die auf den Baustellen zu Dumpinglöhnen arbeiten müssen und oft um ihren Lohn betrogen werden.
Die Praxis der IG BAU, Razzien auf den Baustellen zu veranlassen, um der illegalen Machenschaften Herr zu werden, trifft meistens die Falschen. (Oft schon wurden Arbeiter, die ohne Aufenthaltserlaubnis auf Baustellen angetroffen wurden, festgenommen und abgeschoben. Die Baufirma hat so noch den Lohn eingespart.) Besonders wenn die ausgebeuteten Bauarbeiter keinen legalen Aufenthaltsstatus haben, werden sie zu Opfern dieser Kontrollen. Die IG BAU sollte stattdessen den ArbeiterInnen ohne Aufenthaltsstatus rechtliche Beratung und Vertretung vor den Arbeitsgerichten geben.
In der Regel wenden sich die Betroffenen auch nicht an die Baugewerkschaft. Die Gewerkschaft wird als halbstaatliche Instanz, als Behörde wahrgenommen, zu der sie kein Vertrauen haben. Zu stark ist ihre Fixierung auf staatliche Regulierung.
Ein Sekretär der Berliner IG BAU sieht große Schwierigkeiten, den Kollegen im Bauwagen die Situation von illegalen MigrantInnen zu vermitteln. Mit solcherart Kampagnenarbeit sei die IG BAU derzeit überfordert. Eine Zusammenarbeit mit antirassistischen Gruppen müsse mit dem Bundesvorstand geklärt werden. Auch die NGG muss sich zunehmend mit dem Problem Lohndumping und illegale Beschäftigung auseinandersetzen. Vor allem auf Schlachthöfen ist die Situation so, dass die Gewerkschaft inzwischen von »moderner Lohnsklaverei« spricht.
Ende 2001 hatten Kollegen in Rumänien als Schlachthofarbeiter angeheuert. In Deutschland angekommen, mussten sie 10-14 Stunden täglich arbeiten, Urlaub gab es gar nicht, und sie erhielten immer nur statt der vertraglich zugesicherten Löhne von 1200 bis 1300 Euro mal 700, mal 900 Euro im Monat. Sie wurden gezwungen, Blankoquittungen über die ausgezahlten Löhne zu unterschreiben. Gleich nach der Ankunft in Deutschland wurden ihnen ihre Pässe und Visa abgenommen. Ihre Arbeitsverträge liefen bis zum Januar 2003. Da zu diesem Zeitpunkt noch die Löhne von November und Dezember ausstanden, entschlossen sich die Kollegen zum Streik. Die Antwort des Firmenvertreters bestand in der Androhung, er werde sie allesamt rausprügeln und mit dem Bus nach Hause verfrachten.
Die Kollegen sind inzwischen wieder in Rumänien. Von dort aus versuchen drei der ehemaligen Arbeiter mit Hilfe der NGG ihren ausstehenden Lohn in Höhe von 15.000 Euro einzuklagen. In der zuständigen Gewerkschaft NGG setzt sich langsam die Erkenntnis durch, dass diesen Zuständen nur gemeinsam mit den Betroffenen, zumeist illegalisierten Kollegen beizukommen ist.
Der Vorsitzende der NGG, Franz-Josef Möllenberg sagte in diesem Zusammenhang: »Natürlich finden wir, dass Schwarzarbeit geächtet werden muss, aber an erster Stelle müssen diejenigen zur Verantwortung gezogen werden, die Leute ohne Rechte und ohne soziale Absicherung beschäftigen, und auch diejenigen, die Schwarzarbeit zulassen. Denn rumänische Kollegen, die beispielsweise in Schlachthöfen unter unerträglichen Bedingungen arbeiten, sind Opfer. Sie kommen aus einer Notsituation heraus hierher und werden missbraucht und ausgebeutet. Das sind nicht diejenigen, die wir anprangern.« Dennoch tut sich auch die NGG noch sehr schwer im Umgang mit illegal und ungeschützt Beschäftigten. Das Bewusstsein, dass die Gewerkschaften auf die Illegalen zugehen und sie in irgend einer Form organisieren muss, ist nicht besonders ausgeprägt.