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Virtuelles Nazi-Forum gehackt

Einleitung

Wenn Nazis das World Wide Web nutzen, ist dies überwiegend zu Propagandazwecken. Die Anzahl der Homepages mit rassistischen, nationalistischen und antisemitischen Inhalten nahm in den vergangenen Jahren zu. Diese Entwicklung ist sicherlich nicht nur auf die neonazistische Organisierungsbemühungen der vergangenen Jahre zurückzuführen, sondern hing auch mit der gesamtgesellschaftlichen Bedeutungszunahme des World Wide Web als Medium zusammen. 

NBDD-Vorsitzender Holger Apfel spricht auf einer NPD-Demonstration in Dresden

Diverse Onlineprojekte bemühen sich daher rechte Seiten wieder aus dem Internet zu bekommen, indem sie bei Providern intervenieren. Andere Gruppen versuchen mit antifaschistischer Gegenöffentlichkeit, Suchmaschinen-Ranking und Hacking gegen Nazi-Homepages vorzugehen.  Doch diverse Nazigruppen haben trotz all dieser Bemühungen ihre Homepages zunehmend professionalisiert und die Funktionalität und das Design verbessert. Aktualität, regelmäßige Pflege und Output sind Ausdruck des jeweiligen Organisierungsgrades der Homepagebetreiber. So mancher Aktivist hat über diese Fähigkeiten mittlerweile seinen Weg in die Internet-Branche gefunden und verdient sich so seinen Lebensunterhalt.

Da das Gros der rechten Webpages jedoch nach wie vor nicht nur inhaltlich und ästhetisch ein Grauen sind, sondern oft auch technisch daneben liegen, haben sich einige Antifas diesen Umstand vor einigen Monaten zu Nutze gemacht. Am 8. Mai 2004 wurde von ihnen das sogenannte »Nationale Forum« zunächst übernommen und dann vorübergehend abgeschaltet.

Dresden – Ein Blick hinter die Kulissen

»Einigkeit macht stark« ist der wohl wichtigste Wahlspruch des »Natio­nalen Bündnis Dresden« (NBDD). Mit der demonstrierten Einig­keit will es ein »Fanal für Deutschland« sein. Diese parteiübergreifende Einigkeit wurde und wird gegen alle Widersacher im eigenen Lager, besonders gegen die Bundesführung der Republikaner verteidigt. Ein nicht unerheblicher Teil der Öffentlichkeitsarbeit des Bündnisses war dementsprechend an die eigene Szene gerichtet. Um die Entwicklung und die Bedeutung des Bündnisses einschätzen zu können war es für die Antifa von Vorteil, dass sie nicht ausschließlich auf veröffentlichte Sachen der Nazis zurückgreifen musste. Durch einen Hack des »Nationalen Forum Deutschland« gelang Internetaktivisten genau ein solcher Blick hinter die Kulissen.

Das Internet zu nutzen, ist für Nazis selbstverständlich geworden. Meist als Plattform zur Selbstdarstellung und Mobilisierung genutzt gibt es auch diverse Internetforen, die der öffentlichen und internen Diskussion dienen. Im »Nationale Forum« verkehrten vor allem User, die sich bereits aus dem »Sachsen-Forum« der Republikaner kannten. Zum Verdruss der REP- Bundesführung diskutierten bereits auch da NPD’ler und »parteiunabhängige« Nazis munter mit. Mit der Gründung des »Nationalen Bündnis Dresden« im April 2003 brach der Unmut der REP-Parteispitze dann offen aus und das »Sachsen-Forum« wurde geschlossen. Es wurde durch ein besser zu zensierendes bundesweites REP-Forum ersetzt. Als Reaktion darauf eröffnete der Administrator der Websites des »Nationalen Bündnis Dresden« und der Bundesseiten der NPD, Jörg Schubert (NPD), das offiziell parteiunabhängige »Nationale Forum«. Im Unter­schied zu einer Vielzahl anderer Nazi-Internet-Foren bemühten sich die User um eine Abgrenzung zum NS-Spektrum und ein gewisses inhaltliches Niveau ihrer Diskussionen.

Wie andere Internetforen auch, bestand das »Nationale Forum« aus einem öffentlichen Teil, in dem alle lesen und ohne weitere Schwierigkeiten auch schreiben können und einem nicht öffentlichen Bereich, in dem die User »Persönliche Nachrichten«, ähnlich wie E-Mails, austauschen konnten. Dementsprechend sind Informationen aus öffentlichen Bereichen kaum verwertbar. Alle können alles schreiben und das Vollmüllen mit Fakes oder nichtssagenden Nachrichten ist Usern sicher nicht unbekannt. In den geschlossenen Bereichen und im direkten Dialog fühlen sich die Foren-User dagegen unbeobachtet und sicher und geben Informationen preis, die man sonst nicht bekommen würde.

Das Interesse an genau solchen Informationen führte auch zum Herumexperimentieren mit der Technik, die hinter dem Nationalen-Forum steckte. Das Forum, in seiner damaligen Form, nutzte kostenpflichtig die Ressourcen und Software des Internet-Software Anbieters »Webmart«. Durch eine Lücke in der Webmart-Software gelang es, unbemerkt an die kompletten Userdaten des »Nationalen Forums« zu kommen und monatelang mitzulesen. Um an dieser Stelle gleich einer Panik entgegenzutreten: Wer online arbeitet muss grundsätzlich damit rechnen, dass genutzte Software Fehler hat. Ein Verweis auf regelmäßig auftretende Probleme mit dem Be­triebs­system Windows soll hier genügen.

Der Hack des »Nationalen-Forum« wurde allerdings durch die grenzenlose Naivität seiner Nutzer begünstigt. So nutzte zum Beispiel der jetzige Dresdner Stadtratsabgeordnete Hartmut Krien, seines Zeichens »Informatiker« das Passwort »ge.heim«, ein anderer User loggte sich mit »peniSS« ein und Holger Apfel nutzte »katzen«. Allen voran ging jedoch der sog. »Netzmeister« Jörg Schubert aus Chemnitz, der sich nicht scheute seine »Dienste« öffentlich gegen Bezahlung anzubieten.

So wurden bereits Ende Februar 2004 interne Nachrichten des Users »Kritiker« alias Ronny Thomas aus Dresden auf einer einschlägigen Antifa-Webseite veröffentlicht, die profane Schlussfolgerung von Jörg Schubert daraus war, das jemand das Passwort »erraten« hätte. Diese Blauäugigkeit zog sich relativ lange hin. Wurde versehentlich einmal die komplette Datenstruktur des Forums verändert, erklärte sich das Jörg Schubert mit einer »Datenverwirrung« – verwirrt war dabei wahrscheinlich nur er selbst.

Der Höhepunkt des Antifa-Hacks kam dann am 8. Mai diesen Jahres. Obwohl Schubert in »seinem« Forum »katjusha befreit Internet« lesen konnte und er keinen administrativen Zugriff mehr auf sein Forum hatte, glaubte er sich mit einem back up des Forums auf der sicheren Seite. Nur wenige Minuten später musste er – erneut ausgesperrt – hilflos mit ansehen, wie der Inhalt des Forums Megabyte für Megabyte aus dem Internet verschwand. Es ist erstaunlich, dass dieses nahezu fahrlässige Fehlverhalten des »Netzmeisters« seitens der rechten Nutzer völlig unhinterfragt geblieben ist, und es bisher keinerlei Kritik an dessen Verhalten gibt.

Neue Infos – altes Bild

Generell können drei Arten von erlangten Informationen unterschieden werden. Neben persönlichen Informationen von Usern, wie Klarnamen, Adressen und Telefonnummern ergab sich auch die Möglichkeit teilweise von Veranstaltungszeiten und Orten bereits im Vorfeld zu erfahren. Die interessantesten Informationen betreffen aber die Zusammenarbeit der Neonazi-Szene untereinander. Absprachen zu Strategie und Taktik, Sticheleien gegenüber anderen »Kameraden« und politische Einschätzungen jenseits eines von der Naziszene gewünschten öffentlichen Bildes fanden sich im internen Bereich des Forums.

Dieser Blick hinter die Kulissen war relativ ernüchternd. Das »Nationale Bündnis Dresden« ist weder ein neuer Ansatz der radikalen Rechten, noch sind sich die Mitglieder einig. Eine NPD Dominanz in dem Bündnis wurde von antifaschistischen Beobachtern bereits von Beginn an festgestellt. Nach der Auswertung der internen Kommunikation einiger Forumsteilnehmer kann getrost von einem Projekt zur Verdrängung der anderen rechten Wahlparteien gesprochen werden. Die bereits beschriebenen Differenzen zwischen der Republikaner Bundesführung und dem Landesverband Sachsen, gepaart mit der politischen Vertretung dieser Partei in Dresden, dem Kreisvorsitzenden Frithjof Richter, der wie viele andere Kameraden vor Ort sehr einfach gestrickt ist, waren die Grundvoraussetzungen für das Gelingen dieses Projektes. Die NPD brauchte nur noch ihren Bündniswillen betonen, den Rest erledigten die Republikaner untereinander. Im Ergebnis hat der Landesverband der REP`s einen neuen Landesvorstand und der Kreisverband Dresden existiert nur noch auf dem Papier.

Der parteiübergreifende Charakter gilt für die NPD allerdings nur solange, wie sie das jeweilige Bündnis dominieren kann. Durch ständige Erfolgsmeldungen gefüttert, wollten plötzlich auch andere Nazis Bündnisse gründen. In Chemnitz startete Erhard Stimpel, ein Vertreter der Deutschen Partei diesen Versuch, was dem örtlichen Republikaner-Chef Martin Kohlmann und Jörg Schubert (NPD) sichtlich missfiel.

So meinte »metmart«, alias Kohlmann zu Schubert: »In Sachen Stimpel sehe ich grundsätzlich alles genauso wie Du... aber um so wichtiger wäre es, das NBC (Nationales Bündnis Chemnitz – d.A.) unter Kontrolle zu halten, schon mal mit dem Zweck, daß da kein Blödsinn passiert. Für ganz ausgeschlossen halte ich nämlich nicht, daß Stimpel seine alten Pläne, als NBC zur K-Wahl anzutreten, wieder auspackt, wenn er, durch eine DVU-Beteiligung angespornt, wieder größenwahnsinnig wird. Gegründet wird das Bündnis wohl – ob wir wollen oder nicht.« Unter solcherlei Zugzwang wollten die NPD Strategen nicht erst geraten.

Als sich Ende letzten Jahres Begehrlichkeiten nach einem »Nationalen Bündnis Deutschland« regten, fragte User »freiheit« Holger Apfel: »kannst du den Begriff »Nationales Bündnis xy« nicht schützen lassn? Was dieser Schwachkopf Zeitzmann (ein anderer User des Forums – d.A.) da vorhatt, könnte viel Schaden anrichten.«. (Fehler im Original) Dessen Antwort, »Wem sagst du das... Ist bereits in Arbeit, aber noch nicht für die Öffentlichkeit bestimmt.« deutete es an. Sie gründeten es kurzerhand selbst. Von parteiübergreifendem Charakter ist dabei nichts mehr zu sehen. In einer knappen Stunde wurde im Dezember 2003 auf Einladung von Holger Apfel im Kameradschaftsheim der »Deutschen Stimme« in Riesa das NPD-Bundesvorstandsmitglied Alexander Delle zum Vorsitzenden, der NPD-Kreisrat von Meißen, Frank Rohleder, zum Stellvertreter und Jörg Schubert zum Beisitzer gewählt.

Damit die nötigen sieben Gründungsmitglieder auch nachgewiesen werden können, waren neben dem Versammlungsleiter Apfel noch der Protokollführer Jürgen W. Gansel, ebenfalls Mitglied des NPD-Bundesvorstandes und die Zählkommission Marcel Jessulat und Alexander Neidlein anwesend. Frithjof Richter brachte den Sinn der Gründung gegenüber dem NPDler »Heiko« aus dem Erzgebirge auf den Punkt: »Es ist nichts fürs Forum und bleibt bitte noch unter uns Das Nationalem Bündnis Deutschland wurde gegründet, damit uns den Namen keiner wegschnappen kann. Wird gerade Notariell eingetragen.« (Fehler im Original) Der Wahlspruch »Einigkeit macht stark« hat für die NPD nur solange Bestand, wie sie die Richtung bestimmen kann.

Zwischen Streit, Erfolg und Macht

Mit den Ergebnissen der Kommunalwahlen in Sachsen, die nicht nur der NPD große Stimmenzuwächse und damit etliche Mandate bescherte, stieß die parteiübergreifende Zusammenarbeit an ihre ersten Grenzen. Die Chemnitzer Republikaner mit ihrer Spitze Martin Kohlmann artikulierten, gestärkt von 10% Stimmen undfünf Sitzen im Stadtrat, eigene Interessen zur Landtagswahl im September. Mit dem Ergebnis, dass der Streit um die Vorherrschaft nun öffentlich ausgetragen wurde. Nachdem die damalige REP-Landesvorsitzende Kerstin Lorenz, die gleichzeitig Mitglied im NBDD ist, die Liste der Republikaner zur Landtagswahl zurückgezogen hatte und damit die NPD als einzige rechte Partei im September antrat, wirft ihr der neue Landesvorsitzende Kohlmann Verrat vor. Lorenz ihrerseits droht ihm mit kompromittierenden Videos.

Von diesen REP internen Streitigkeiten profitierend dürften sich die örtlichen NPD’ler die Hände reiben. Für die sogenannten »Nationalen Bündnisse« hat sich dadurch nichts geändert. Sie funktionieren nur solange, wie nichts zu verteilen ist. Geht es um Posten und politischen Einfluss, ist sich traditionell jeder selbst der nächste.