»break the silence«
Ein Beitrag der Antifaschistischen Aktion Gera [AAG]Unter dem Motto »break the silence. naziläden abreissen - deutsche zustände angreifen« startete die Antifaschistische Aktion Gera [AAG] im Januar diesen Jahres eine Kampagne gegen Läden der extremen Rechten in Gera. Neben drei ansässigen rechten Geschäften stand auch der von jungen Neonazis begangene Mord an Oleg V. und die damit verbundene gesellschaftliche Relativierung neonazistischer Aktivitäten im Mittelpunkt.
An der Demonstration am 29. Januar 2005 beteiligten sich über 400 AntifaschistInnen. Sie brachten ihre Wut und Trauer über den Neonazimord zum Ausdruck und unterstrichen die Forderung nach Schließung der lokalen rechten Läden. Die Demonstration zog an den einschlägig bekannten Szenegeschäften »US Goods« und »Fan Sport Shop Winkler« vorbei und in mehreren Redebeiträgen wurde u.a. die gewichtige Rolle des rechten Szeneladens »Youngland« für die regionale Neonaziszene verdeutlicht. Bei diesem wurden erst zu Neujahr von Unbekannten die Scheiben eingeschlagen und die Außenfassade mit dem Spruch »Naziläden angreifen« besprüht. Welche Bedeutung diese Geschäfte in der Szene haben, wurde auch durch 50 stadtbekannte wie angereiste Neonazis deutlich, welche erst versuchten, die Demonstration und im Nachhinein Gruppen von AntifaschistInnen anzugreifen, was diese jedoch verhindern konnten. In der Nacht auf den 30. Januar 2005 überfielen außerdem mehrere Neonazis eine Privatwohnung in der Nähe der als Neonazi-Treffpunkt bekannten Kneipe »Halleluja« und verwüsteten diese komplett.
Im Rahmen der Aktionen wurde am 21. Januar, zum Jahrestag der Ermordung von Oleg V., eine Gedenktafel eingeweiht, woran 20 Personen teilnahmen. Einige Tage später hielten mehrere AntifaschistInnen eine Kundgebung zum Holocaust-Gedenktag ab, die von mehreren Neonazis mit Eiern attackiert wurde. Über den gesamten Januar hinweg gab es Informationsveranstaltungen zu den Themen National-Socialist-Black-Metal, bundesweite Kameradschaftsstrukturen und zur Entwicklung des Antisemitismus. Ergänzend dazu hielten AntifaschistInnen aus Gera z.B. in Berlin, Dresden, Jena und Leipzig Referate zu den Inhalten der Kampagne.
Unruhe in der Provinz
Die in Gera seit Jahren etablierte regressive Situation einer nicht vorhandenen Zivilgesellschaft und aktiver Neonazistrukturen bestätigte sich erneut. Polizei und Ordnungsamt warteten schon im Vorfeld der Demonstration mit Schikanen und Kriminalisierungsversuchen auf. Dem Demonstrationsleiter wurde u.a. vorgeworfen, dass das Motto zur Gewalt aufrufe. Daraufhin folgten überzogene Auflagen wie die Abgabe der Personalien aller OrdnerInnen oder die Forderung nach Vorkontrollen durch den Veranstalter. Eine eingereichte Klage wurde vom Oberverwaltungsgericht in Weimar abgelehnt.
Am Demonstrationstag mussten alle TeilnehmerInnen penible Vorkontrollen über sich ergehen lassen, wobei anreisende AntifaschistInnen aus Leipzig, Berlin und Dresden schon am Hauptbahnhof in Leipzig von Polizeikräften kontrolliert wurden. Bereits dort gab es vereinzelte Platzverweise für das Stadtgebiet von Gera. Durch diese Repressalien konnte die Demonstration erst mit mehreren Stunden Verspätung beginnen. Auch Forderungen, dass sich die Polizeikräfte vom Fronttransparent zurückziehen sollten, um einen öffentlichen Ausdruck der Demonstration zu ermöglichen, ignorierte diese völlig.
Bereits bei der Einweihung der Gedenktafel für den von Neonazis ermordeten Oleg V. erlaubte sich die Bereitschaftspolizei, welche mit einem völlig überzogenen Aufgebot aufwartete, die TeilnehmerInnen gründlichst zu kontrollieren und sie während der gesamten Kundgebung abzufilmen. Ergänzend flankierte die Lokalpresse diesen Kurs, indem sie Aktionen entweder unerwähnt ließ oder in einer diskreditierenden Berichterstattung agitierte. Mit dem Titel »Die Antifa will das Schweigen brechen - Und beantwortet lieber keine Fragen«1 versuchte die Ostthüringer Zeitung (OTZ) das Anliegen der [AAG], das Schweigen über rechte Umtriebe zu brechen und einer überregionalen Öffentlichkeit über den Mord und die katastrophalen Zustände in Gera zu berichten, in Misskredit zu bringen. Dabei ignorierte deren Redaktion anscheinend die bis zu diesem Zeitpunkt veröffentlichten vier Presseerklärungen. Einen Bericht über den Ablauf der Demonstration eröffnete das Blatt mit den Worten »Festnahmen und Verletzung bei Demo – Antifa-Protest dennoch ohne Eskalation«.2 Auch inhaltlich beschränkte sich der Artikel auf Sicherheitsvorkehrungen der Polizei bzw. Festnahmen und versuchte die Veranstaltung und deren TeilnehmerInnen somit zu kriminalisieren.
Neonaziläden schliessen
Intention und Ziel der Kampagne war und ist die Schließung der in Gera ansässigen rechten Szenegeschäfte »Youngland«, »US-Goods« und »Fan Sport Shop Winkler« zur erzwingen. Diese wirken durch den Vertrieb von Neonazikleidung und rechter Musik als Multiplikationsfaktor extrem rechter Propaganda. Dabei bilden sie einen Bestandteil von Neonazistrukturen, welche in Gera fest in den Jugendszenen verwurzelt sind und eine starke Vernetzung zwischen rechten Parteien, militanten Neonazis und subkulturellen Szenen wie dem »nationalsozialistischen Black Metal« (NSBM) aufweisen.
Ergänzend dazu existieren in der Stadt mehrere rechte Plattenfirmen wie »Donnerschlag Records« oder »Ewiges Eis Records«, welche die Produktion und den Absatz der Tonträger regionaler Neonazibands wie »Totenburg« oder »Eugenik« gewährleisten. Die Versandhäuser »Aufruhr Versand« und »Ultima Tex«, betrieben von den langjährigen NPD-Kadern Jörg Krautheim, Martin Soa und Nico Hüfner, vertreiben außerdem nahezu alle erdenklichen Neonazi-Devotionalien. Eine schon 2003 von der [AAG] initiierte Kampagne gegen diese Strukturen unter dem Motto »Den rechten Alltagsbetrieb angreifen – Für linke Kultur und antifaschistischen Lifestyle« konnte im Laufe der Zeit mehrere Erfolge verbuchen: die rechten Szeneläden »Inside« und »Fallen Angel« sowie das rechte Geschäft »Hard-Rock-Shop« mussten schließen. Somit ist in Gera aktuell öffentlich kein NSBM mehr erhältlich.
Effekte und Kontinuität
Mit den zahlreichen Veranstaltungen und der Demonstration am 29. Januar 2005 war es möglich, zum einen der Relativierung des Nazimordes an Oleg V. Paroli zu bieten und diesen Fall als Beispiel für die Zustände in dieser Stadt an die Öffentlichkeit zu tragen, in der Verwaltung, Presse und Polizei rassistische Gewalt weiterhin ignorieren und die Repressalien gegen die lokale antifaschistische Linke verstärken. Außerdem erreichte die [AAG] mit Unterstützung der Kampagne »Schöner leben ohne Naziläden!« ein überregionales Publikum. An den Veranstaltungen nahmen somit insgesamt über 600 Personen teil. Dadurch konnte der Druck auf die lokalen Neonaziläden erhöht und eine weitere Sensibilisierung erreicht werden, gegen diese vorzugehen und antifaschistische Interventionen zu intensivieren.
Jedoch ist der Kampagne noch keine erneute Schließung der einschlägig bekannten Geschäfte gefolgt, was bedeutet, dass der Druck solcher Aktionen sich weiter erhöhen muss und es neben Antifa-Gruppen einer möglichst großen Öffentlichkeit bedarf. Um dem Motto »break the silence. naziläden abreissen – deutsche Zustände angreifen« weiterhin Kontinuität zu verleihen, wird die [AAG] auch zukünftig gemeinsam mit der Kampagne »Schöner leben ohne Naziläden« gegen Neonazistrukturen und rechte Geschäfte vorgehen. Hierbei steht auch weiterhin die Schließung dieser im Mittelpunkt, was zukünftig sowohl öffentlich wie auch strategisch verfolgt wird.