Skip to main content

Geschätztes know-how

Reiko Pinkert
Einleitung

»Psychologische und biologische Kriegsführung« der CIA unter Beteiligung von KZ-Ärzten und NS-Wissenschaftlern

Foto: USHMM, courtesy of Hedwig Wachenheimer Epstein

Kurt Blome, Angeklagter im Nürnberger Ärzteprozess.

Nach dem 2. Weltkrieg wurde in den USA mit Hilfe von KZ-Ärzten und hochkarätigen NS-Wissenschaftlern unter den Projektnamen »Bluebird«, »Artischocke« und »MKULTRA« die Wirkung von Drogen, Giften, Chemikalien, Hypnose, Psychotherapie, Elektroschockbehandlung, Gas und Krankheitserregern an Menschen getestet. Oberstes Ziel war laut CIA die »Vorhersage, Steuerung und Kontrolle des menschlichen Verhaltens« sowie die Entwicklung biologischer Kampfmittel zur »modernen Kriegsführung«.

Fraglich ist, ob, wie häufig angenommen, MK für »Mind Control« stand oder ein von der CIA verwendetes Kürzel war, dass das von der »Technical Service Division« geleitete Projekte bezeichnet. Für letzteres spricht, dass bspw. die Tarnbezeichnung für ein Projekt der CIA und US-Army zur Entwicklung und Lagerung solcher biologischer und chemischer Kampfstoffe, die absolute Lähmungserscheinungen auslösen bzw. tödlich wirken »MKNAOMI« war. »ULTRA« hieß jedenfalls der Dechiffrierungsdienst der anglo-amerikanischen Geheimdienste im 2. Weltkrieg. Amerikanische Forscher bezeichneten »MKULTRA« als »das bestgehütete Geheimnis des kalten Krieges – Versuche zur Bewußtseinsmanipulierung (›Mind Control‹)«.

Im August 1982 schrieb die »Washington Post« zu »MKULTRA«: »Die CIA war gezwungen, gerichtsnotorisch das erschreckende Ausmaß ihrer Experimente zuzugeben.« Die Verfahren und Mittel, die dabei angewendet wurden, umfassten Bestrahlungen, Elektroschocks, verschiedene Methoden der Psychologie, Psychatrie, Soziologie und Anthropologie, Graphologie sowie Aufputschmittel und paramilitärische Hilfsmittel. Die CIA benutzte auch das Zentrum zur Bekämpfung der Drogensucht in Lexington, Kentucky. Vieles wird nicht mehr genau rekonstruiert und aufgeklärt werden  können, wurden doch die meisten Akten 1972 unter dem damaligen CIA-Direktor Richard Helms vernichtet. Eines ist allerdings bekannt: Die CIA stützte sich bei ihren »Forschungen« nicht nur personell auf Nazis, sondern auch auf deren »Forschungsergebnisse«.

Menschenversuche der Nazis – geschätztes Know-how für die CIA

Nach der Befreiung der deutschen Konzentrationslager arbeiteten Forscher der US-Armee und der Geheimdienste die vorhandenen medizinischen Unterlagen durch. Die Suche nach verwertbaren Erkenntnissen für den beginnenden kalten Krieg trieb sie ebenfalls an, die Akten des Nürnberger Ärzteprozesses zu wälzen. Die Menschenversuche der CIA verband aber auch eine personelle Kontinuität: So stellten hochrangige US-amerikanische Stellen nach dem Krieg eine Liste mit 1000 Forschern der Bereiche Wehrtechnik, Drogen, biologische und chemische Waffen zusammen, mit denen eine Zusammenarbeit angestrebt wurde. Das größte Kontingent stellte dabei die IG Farben. Sie war vor dem Kriegsende u.a. mit der Produktion der Giftgase Tabun, Sarin und Soman beschäftigt.

Wenn sich die Naziforscher und ihre Konzernherren gar zu tief in die Tötungsmaschinerie verstrickt hatten und es der Besatzungsmacht auch nicht gelang, sie der Strafverfolgung zu entziehen, wie im Falle des stellvertretenden Reichsärzteführers und Biowaffenexperten Kurt Blome, dann ließen sie ihnen eine Haft der Luxusklasse angedeihen, z.B. auf Schloss Kransberg, einer mittelalterlichen Burg und ehemaligem Hauptquartier des Reichsmarschalls Hermann Göring. Hier wurde im Rahmen der streng geheimen britisch-amerikanischen Operation »Dustbin« (»Mülleimer«), die ehemalige NS-Kriegswaffenelite aus Wirtschaft und Industrie interniert. Unter anderem waren hier Hitlers Rüstungsminister Albert Speer, der Industrielle Fritz Thyssen, die Raketenforscher Wernher v. Braun und Hermann Oberth, der Flugzeugbauer Ernst Henkel sowie die Direktoren der IG Farben Fritz Ter Meer und Heinrich Bütefisch untergebracht. Speer schrieb später: »Nahezu die gesamte Führung meines Ministeriums, [...] die Leiter der Munitions-, Panzer-, Auto-, Schiffbau-, Flugzeug- und Textilproduktion« waren in Kransberg. Die vom ehemaligen Präsidenten des Reichsforschungsrates, Professor Werner Osenberg, aus 15.000 zusammengetragenen Forschern »erwählten« 1.000, erhielten eine bevorzugte Behandlung.

Das galt auch für Nazi-Ärzte, die im Dienste der CIA oder anderer amerikanischer Dienste genau da weitermachen konnten, wo sie im »Dritten Reich« aufhören mussten. Nazi-Wissenschaftler die nach dem Krieg im Rahmen der »Operation Overcast« und der daran anschließenden »Operation Paperclip« bzw. »Projekt 63« unter Vertrag genommen wurden und in die USA übersiedelten, waren Dr. Friedrich Hoffmann, Dr. Hans Trurnit, Dr. Theodor Wagner-Jauregg, Dr. Karl Tauböck und Dr. Walter Reppe. Ursprünglich hatten sich alle mit der Erforschung chemischer Kampfstoffe beschäftigt. Jetzt wurden sie u.a. für Menschenversuche mit extrem giftigen Nervengasen oder der Suche nach halluzinogenen Verbindungen bezahlt und rehabilitiert.

Lediglich 23 Ärzte wurden wegen »Verbrechen gegen die Menschlichkeit« angeklagt, u.a. wegen der Kälteexperimente, der Seuchenversuche mit Malaria, Fleckfieber, Gelbfieber und Typhus sowie der Giftgasexperimente in verschiedenen Konzentrationslagern. Das Thema »biologische Kriegsführung« wurde allerdings offenkundig bewusst nur am Rande behandelt. Beweise gab es jedenfalls. Der sowjetische Chefankläger präsentierte vor dem Kriegsverbrechertribunal einen Kronzeugen: Walter Paul Schreiber, selbst Führungsfigur der biologischen Kriegsführung Nazi-Deutschlands. Er sollte gegen sämtliche Angeklagten aussagen. Schließlich war er selbst an zahlreichen KZ-Experimenten beteiligt und veranlasste, dass Inhaftierte in Natzweiler und Sachsenhausen mit Fleckfieber und Malaria infiziert wurden, was häufig deren Tod zur Folge hatte.

Im Konzentrationslager Buchenwald ließ er jüdischen Insassen Phenol injizieren um zu sehen, wie schnell sie sterben würden. Phenol wirkt auf der Haut ätzend und ist ein Nerven- bzw. Zellgift. Häufig wurde es intrakardial, also direkt ins Herz gespritzt. Anschließend setzte ein Krampfanfall ein, der den unmittelbaren Tod zur Folge hatte. Schreiber ist in den letzten Kriegstagen zum »Festungsarzt« von Berlin ernannt und am 29. April 1945 von Soldaten der Roten Armee festgenommen worden. Laut seiner eigenen Erklärung vor Gericht, haben »deutsche Wissenschaftler und vor allem deutsche Ärzte eine schwere Schuld auf sich geladen«, in dem sie maßgeblich an der Vorbereitung biologischer Kriegsführung durch die deutsche Wehrmacht beteiligt waren. Er selbst wurde angewiesen, einen Feldzug – mit Hilfe von Pestbazillen – gegen die Sowjetunion zu planen und umzusetzen.

Schreiber, der vom Gericht ohne Angabe von Gründen als unglaubwürdig eingestuft wurde, floh später aus der DDR. Im September 1951 siedelte er mit seiner Familie in die Vereinigten Staaten, um im Rahmen der CIA-Operation »Artischocke« an der Erprobung von biologischen Kampfmitteln mitzuarbeiten. Ende Oktober/Anfang November 1951 erschien ein Artikel in der New York Times, der die Tätigkeit des ehemaligen sowjetischen Kronzeugen Schreibers für die amerikanische Regierung und seine Rolle als Arzt in Konzentrationslagern behandelte.

Im Dienste der CIA: Kurt Blome – Nazi-Mörder in Weiß

Unter der Leitung des Stellvertreters des Reichsgesundheitsführers Leonardo Conti und stellvertretender Leiter der Reichsärztekammer, Kurt Blome, wurden in den Konzentrationslagern Dachau und Mauthausen Versuche mit Meskalin an Häftlingen durchgeführt. Meskalin ist ein Wirkstoff der Halluzinationen hervorruft. Es sollte herausgefunden werden, ob mit Hilfe der mexikanischen Peyote-Kakteen Menschen gegen ihren Willen befragt und vor allem zu wahren Antworten gebracht werden konnten. Laut einer Studie aus dem KZ-Dachau, bot die Verabreichung von Meskalin hervorragende Bedingungen für die Befragung der SS, da die Versuchspersonen selbst intimste Details preisgaben. Somit schien es für Verhöre von alliierten Kriegsgefangenen, Kommunisten, Partisanen, Agenten aber auch Widersachern in den eigenen Reihen ideal.

Kurt Blome war ein Antisemit und Rassist der ersten Stunde. Mitglied einer schlagenden Verbindung sowie der völkischen »Brigade Ehrhardt«. 1922 wurde er vorübergehend in Haft genommen, weil er den Attentätern zur Flucht verhalf, die den jüdischen Reichsaußenminister Walter Rathenau ermordeten. Bereits 1931 trat er in die NSDAP ein (Mitgliedsnummer 590 233) und nach dem Januar 1933 nutzte er all seine Möglichkeiten für eine NS-Bilderbuchkarriere. Er promovierte auf dem Gebiet der Bakteriologie. Blom selbst saß in dem dichten Beziehungsgeflecht der »KZ-Experimentatoren« an mehreren Schaltstellen: Er war Mitglied im Reichsforschungsrat (zuständig für »Rassenpflege«) und in seiner Funktion als stellvertretender Reichsärzteführer wurden z.B. die Menschenversuche in Dachau direkt von ihm abgesegnet. Damit war er auch für so genannte Kälteexperimente verantwortlich.

Bei den Kälteexperimenten wurden an sowjetischen und polnischen Kriegsgefangenen, aber auch an Juden, so genannten »Schwachsinnigen« und »Schwerverbrechern« die Reaktionen der Körper auf Unterkühlung untersucht. Für die Versuche wurden den »Probanden« deutsche Fliegeruniformen übergezogen und rektal ein elektrisches Thermometer eingeführt. Die Gefangenen wurden dann gezwungen in 12 bis 2 Grad Celsius kaltes Wasser zu steigen wobei Schwimmwesten sie am untergehen hinderten. Man wartete bis die Gefangenen nach ca. 1 Stunde erstarrten, nahm sie dann aus dem Wasser und prüfte wie lange sie brauchten, bis sich die normale Körpertemperatur wieder einstellte. Auch wurde versucht, die Opfer dieser »Versuche« u.a. mit heißem Wasser zu erwärmen. Die Unterkühlungstemperaturen wurden notiert, wobei alle Versuchspersonen mit einer Körpertemperatur unter 28 Grad starben.

Bei der ersten Versuchsreihe wurden auf diese Weise 50–60 Personen missbraucht – rund ein Drittel überlebte diese Behandlung nicht. Beim zweiten Test wurden etwa 150 Häftlinge im Winter nackt nach draußen getrieben und mussten bei Minustemperaturen die Nacht überstehen. Einmal pro Stunde ließ man sie mit kaltem Wasser übergießen. Die Untersuchungen waren angeblich von großer Bedeutung für die Reichsluftwaffe, um Überlebenschancen bei abgestürzten Piloten zu erhöhen, welche bei sehr niedrigen Temperaturen notwassern müssten.

Im August 1943 wurde ein biologischer Angriffskrieg Deutschlands mehrfach zwischen Himmler und Blome diskutiert. Blome bekam von Himmler nicht nur den Befehl, wirksamen Impfstoff gegen die Pest für die Bevölkerung zu entwickeln, sondern auch die Verbreitung von Pestbazillen zu testen. Auch wurde ihm genehmigt, unter dem Decknamen »Siebenschläfer«, Experimente mit genau diesen Bazillen an Menschen in den jeweiligen Konzentrationslagern durchzuführen. Blome hatte Menschenversuche mit Bakterien und Viren auch stets als unbedingt notwendig bezeichnet.

Er begann sofort damit sein B-Waffenzentrum – ein ehemaliges Kloster in Nesselstadt (bei Posen) auszubauen sowie Gebäude aus »bakterienfestem Zement« zu errichten. Diese waren mit gasdichten Türen und Fenstern, angeschlossenem Krematorium und mit Schleusen versehen. Die finanziellen Mittel wurden vom Reichsforschungsrat zur Verfügung gestellt. Als die rote Armee vorrückte, floh Kurt Blome aus Nesselstadt nach Geraberg in Thüringen, um dort seine Pestforschung weiter zu betreiben. Die wichtigsten Dokumente, einige wissenschaftlichen Apparaturen und seine Pestkulturen in Spezialbehältern konnte er mitnehmen. Den größten Teil seiner Akten vernichtete er allerdings.

Als die Amerikaner im April 1945 Thüringen besetzten und auf das unvollendete Forschungsgelände in Geraberg aufmerksam wurden, konnten sie einen Teil der mitgenommenen Dokumente in einem örtlichen Schulgebäude entdecken. Blome selbst wurde am 17. Mai 1945 von einem Agenten des amerikanischen Armeegeheimdienstes »Counter Intelligence Corps« (CIC) in München verhaftet. Daraufhin wurde er in einer Eskorte zur Internierung nach Kransberg, nördlich von Frankfurt am Main, gebracht.

Die Amerikaner legten Blom bei dem Verhör Aufklärungsfotos von Nesselstadt und dem späteren Labor im thüringischen Geraberg vor. Die Expertengruppe war allerdings nicht an seiner Beteiligung und Verantwortlichkeit bei Menschenversuchen interessiert, um ihn etwa vor das Ärztetribunal in Nürnberg zu bringen. Die Vernehmer wussten zwar aus den Dokumenten, die in der Schule in Geraberg gefunden wurden, von den administrativen Funktionen und seinen Beteiligungen an Experimenten in den Konzentrationslagern, sie interessierten sich jedoch ausschließlich für die biologische Kriegsführung.

Blome kooperierte und weckte das Interesse der amerikanischen Spezialisten. Aber nicht nur er stand auf der Wunschliste der Amerikaner. Mindestens ein Dutzend seiner Nazi-Kollegen kamen in den Fokus der »Chemical Corps« und der militärischen Führung von Camp Detrick, dem Hauptquartier der U.S. Army Medical Command in Frederick Maryland. Unter dem Decknamen »Paperclip« wurden die NS-Wissenschaftler, in dem Falle Biologen, Chemiker und Mediziner, während der Verhöre oder anschließend, rekrutiert. Sie sollten helfen, die Programme zur Kriegsführung mit biologischen Kampfmitteln auszubauen. Dies geschah anfangs z.B. in Form von Versuchen mit Kartoffelkäferlarven oder Pflanzengiften zur Schädigung der Ernten gegen die Nahrungsreserven der sozialistischen Welt. »Problematisch«, bei der Zuhilfenahme der Forscher, Wissenschaftler und KZ-Ärzte aus Nazideutschland war, dass sich so ziemlich alle in Nürnberg hätten verantworten müssen.

Bei dem Prozess wegen Blomes Beteiligung an den Experimenten sowie seiner Verantwortung als stellvertretender Reichsärzteführer kamen die Beweise gar nicht erst zur Sprache. Auch seine Beteiligung an den Versuchen mit Malariaerregern und Giftgas konnten angeblich nicht ausreichend belegt werden. Das Gericht sprach Blome frei und so wurde er Ende August 1947 aus der Haft entlassen.

Genau 4 Jahre später, am  21. August 1951 unterschrieb Blome dann in Wiesbaden einen Vertrag mit den Vereinigten Staaten. Sein ehemaliger Kollege Professor Erich Traub, der in diesem Fall sein Bürge war, arbeitete bereits für das »Naval Medical Research Laboratory« in Bethesda bei Washington, das vor allem im Bereich der biologischen Kriegsführung als auch in der Verhaltensforschung tätig war. Er wurde für das »Projekt 63« eingeteilt, welches »Paperclip« mittlerweile abgelöst hatte und sollte zeitnah in die Vereinigten Staaten übersiedeln. Aufgrund der Enthüllungen in der New York Times 1951 zu Walter Schreiber kam es ab Februar 1952 zu Protesten vor allem jüdischer Gruppen in den USA. Damit stand auch das »Project 63« auf dem Prüfstand. Deshalb musste Blome dann in der BRD bleiben. Er erhielt in Oberursel die ehemalige Stellung Schreiber’s als Arzt beim US-Geheimdienst in einem US-Militärkrankenhaus beim «European Command Intelligence Center« (»Intelligenzlager Camp King«). In der Nähe von Camp King »forschte« er u.a. im »Haus Waldorf« in Kronberg weiter an Menschen. Hier wurde mit Hilfe von Narkose, Medikamentencocktails und Hypnose versucht, vermeintlichen Spionen die »Zunge zu lockern«.