Rechter Konsens in Mügeln
Franziska U. MogelinÜber Stigmatisierung, Gewalt und Normalität in der sächsischen Provinz
Mügeln vor knapp zwei Jahren: Acht Inder feierten mit beim jährlichen Altstadtfest der sächsischen Kleinstadt. Einigen Mügelnern missfiel das, den Indern wurde gedroht, sie sollten gehen. Dies wollten sie dann auch tun, doch vor dem Festzelt wartete bereits eine dreißigköpfige Gruppe Deutscher, die die Inder mit Pfefferspray, Flaschen, Schlägen und Tritten attackierte. Verletzt gelang den Indern die Flucht in die nahe gelegene Pizzeria des einen Inders. Der Mob folgte, belagerte die Pizzeria und wuchs auf eine Gruppe von 50 Personen heran, begleitet und geschützt von zahlreichen Schaulustigen. In dieser Nacht auf den 19. August 2007 versuchte die Gruppe in die Pizzeria einzudringen: Scheiben gingen zu Bruch, der Lieferwagen wurde demoliert, ein Eisengitter in die Tür geworfen, Parolen wie »Ausländer raus«, »Hier regiert der nationale Widerstand« und »Türkenschweine« gerufen. Die Inder hatten Todesangst. Erst mit dem Eintreffen der Polizei ließ der Mob allmählich von der Pizzeria ab.
Diese pogromartige Tat war nicht allein das Werk von Jugendlichen, die leicht in die ganz rechte Ecke gestellt werden können: »Es war alles vertreten. Und es hat auch jede Altersgruppe diese Parole in den Mund genommen«, bestätigt ein Zeuge1 . Mit Wohlwollen registrieren lokale PolitikerInnen, dass es sich laut Staatsanwaltschaft nicht um eine normale Festzeltschlägerei, aber auch nicht um eine geplante rechtsextremistische Tat gehandelt habe. Dabei müsste es doch gerade zu denken geben, wenn »ganz normale Bürger« ihrer Abneigung gegenüber MigrantInnen in solcher Art und Weise Ausdruck verleihen. Ein Problembewusstsein für die Ursachen der Tat besteht in Mügeln nicht und der Umgang mit den Geschehnissen ist weder von Schuld, noch von Scham geprägt. Stattdessen lassen sich in Abwehrargumenten und Verleugnungsstrategien selbst eine Vielzahl von Fragmenten rechter Ideologie finden.
In der Studie »Ein Blick in die Mitte« wird diese Ideologie in verschiedene Dimensionen untergliedert2, exemplarisch soll in Anlehnung daran die vorurteilsvolle Einstellung der Mügelner Bevölkerung dargestellt werden.
»Wir trauen uns nicht, es zu sagen.«
In der Studie wird deutlich, dass bei einer Normverletzung nicht nur die Furcht vor Desintegration besteht, sondern auch die vor dem totalen Einschluss in die Wir-Gruppe in Form von konkreter oder »symbolischer Gewalt«2 . Im Zuge dessen kommt es einerseits zur Relativierung der Gewalt an der als fremd konstituierten Gruppe, um die Erinnerung an die drohende Erfahrung der eigenen Ausgrenzung zu vermeiden. Andererseits kommt es zu einem starken Anpassungsdruck des Individuums. Um von der Wir-Gruppe nicht sanktioniert zu werden, gibt es seine Individualität zugunsten der Gruppennorm auf.
Auch in Mügeln scheint die Angst vor dem Ausschluss aus der kleinstädtischen Gemeinschaft bei ihren BewohnerInnen groß zu sein. Nachdem die Band »Virginia Jetzt!« ihren Auftritt beim Ende August 2007 stattfindenden Schlossfest abbricht und eine Kritik an dem Umgang der Gemeinde mit der Tat formuliert, kommen Leute auf die Bandmitglieder zu und äußern ihre Angst: »Ihr habt genau das angesprochen, was wir denken, aber wir trauen uns nicht, es zu sagen3 .« Auch der Ausgang der Tatermittlungen bestätigt diese Annahme: in einer Kleinstadt mit 5000 EinwohnerInnen, wo davon ausgegangen werden kann, dass jeder jeden kennt, kann angeblich kaum einer der über hundert vernommenen ZeugInnen die Täter identifizieren. Selbst die örtlichen Polizisten wollen die Täter nicht erkannt haben und die wenigen ZeugInnen, die es gibt, möchten anonym bleiben. Dabei spielt sicherlich nicht nur die Angst vor Desintegration, sondern auch die vor der eigenen Gewalterfahrung eine Rolle. Diese Befürchtung ist auch nicht aus der Luft gegriffen, denn ein Zeuge, der die Täter durch seine Aussagen in einem Film belastet, wird kurz nach der Ausstrahlung des Films zusammengeschlagen.
Die Angst vor Stigmatisierung ist vermutlich entscheidend für das Schweigen der ZeugInnen, obgleich sie nicht den einzigen Grund dafür darstellt. Mitunter wird der Normierungsdruck und die Anwendung von Gewalt bei Normverletzungen auch legitimiert. Die Abweichung, die in der Herkunft und dem vermeintlichen Verhalten der Inder gesehen wird, wird als Provokation empfunden, womit die Aggressivität des eigenen Handelns gerechtfertigt wird.
»Wir sind hier die Deutschen, nicht ihr.«
In der Studie wird die Ablösung vom klassisch-biologistischen durch den modern-kulturalistischen Rassismus beschrieben. Hierbei werden Normen für die eigene Wir-Gruppe aufgestellt und Fremdgruppen aufgrund ihrer vermeintlich mangelnden Anpassung an diese Normen diskriminiert, kulturelle Unterschiede werden als feste Eigenschaften betrachtet.
Denen, die in Mügeln zur Tat geschritten sind, kann man sicherlich vorrangig »klassischen« Rassismus unterstellen: ihnen gefiel nicht, dass Inder mit einer Deutschen tanzten und sie schrien »Türkenschweine raus! Ihr nehmt uns die Arbeit weg«4
. Dieser »klassische« Rassismus wird von vielen MügelnerInnen geduldet und gerechtfertigt: »Solche Parolen können jedem mal über die Lippen kommen5
«, meint Mügelns Bürgermeister Gotthard Deuse6
. Viele PassantInnen haben dem rassistischen Angriff zugesehen, selbst die Security des Festes »rührte sich nicht7
«. Ein Jahr nach der Tat macht der nordsächsische Kreistag die NPD, und damit auch deren »klassischen« Rassismus, salonfähig: Die neu in den Kreistag gewählte NPD solle man nicht ausgrenzen, man müsse sie einladen und sich mit ihren Vorschlägen auseinander setzen. Die CDU ist sogar der Meinung, dass man Anträge der NPD annehmen sollte, sofern sie gut für die Region seien. Wenig später werden NPD-Kreisräte in zwei Ausschüsse gewählt, da zwei VertreterInnen der »bürgerlichen« Parteien für diese gestimmt haben.
Im allgemeinen Diskurs tritt Rassismus verdeckter auf, die subtilen Rassisten bemerken ihre Stereotype meist nicht, weil sie diese legitimiert sehen durch die Normabweichung der Fremdgruppe. So beteuert beispielsweise ein Mügelner Rentner, er habe »nichts gegen Ausländer, ganz im Gegenteil, aber manche stachelt das an, weil die jetzt das ganze Stadtzentrum unterwander[n]. »Er legitimiert die Hetzjagd auf Inder mit dem Verweis auf deren vermeintliche Normverletzung, dass diese sich eben nicht unauffällig verhalten würden und zu viele seien. Bei einem MigrantInnenanteil von unter einem Prozent wirkt diese Scheinlegitimation zusätzlich absurd. Den absoluten Anspruch der Einhaltung gesellschaftlicher Normen sieht er zudem durch gesetzliche Regelungen gesichert. Als das Auto des Pizzeriabesitzers einmal im Parkverbot stand, habe er dem Inder gedroht: »merk dir eins, wir sind hier die Deutschen, nicht ihr. Ihr habt euch an das deutsche Recht zu gewöhnen8 «.
Auch Bürgermeister Deuse ist die Einhaltung gesellschaftlicher Normen wichtig, »Ausländer« sind vor allem als Gastgeber akzeptiert: »Das ist ja auch tatsächlich, dass die Mügelner Bürger nicht ausländerfeindlich sind, denn ich fahre auch gern ins Ausland in Urlaub und viele Mügelner genauso«.
»Das Schlechte sollte eigentlich eher verdrängt werden.«
Nach Freud bestehe eine gelungene Trauerreaktion darin, »die definitive Veränderung der Realität durch [das Vorgefallene] zu akzeptieren«9 . Das Gegenteil ist in Mügeln der Fall, wie aus Deuses Rede beim Altstadtfest 2008 hervorgeht: »Und ich denke, wir haben ein Recht zu feiern. Der Blick zurück hilft uns nicht weiter, nur der Blick in die Zukunft. Und das ist unsere Losung: Mügeln sieht nach vorn! Mügeln weiß, was passiert ist, aber wir lassen uns nicht unter kriegen.1« Die Gäste applaudieren. Das ist der klarste Verweis in seiner Rede auf die Hetzjagd im Vorjahr. Diese wird mit keinem Wort erwähnt und sie soll auch keine Spuren in Mügeln hinterlassen, sodass man wieder so feiern könne wie in den Vorjahren.
Viele Schuldabwehrmechanismen werden sich zu Nutze gemacht, um das Image der Gemeinde möglichst reinzuwaschen. So werden einzelne Tatbestände des Angriffs geleugnet oder verharmlost, beispielsweise wird der Fakt, dass es sich um eine Hetzjagd gehandelt habe, bestritten: »In vielen Medien war davon die Rede, dass die Inder durch die ganze Stadt gejagt wurden. Aber vom Festzelt zur Pizzeria sind es 30 Meter.«10
Abgesehen davon, dass der Weg mehr als doppelt so lang war, wird in der Reportage »Der Tag, als der Mob die Inder hetzte« berechtigterweise die Frage gestellt, wie viel denn die Todesangst der Inder bei der Bewertung als Hetzjagd zähle, zumal die Inder schon vor dem Festzelt heftig attackiert wurden und mit dem Schlimmsten zu rechnen hatten. Es kommt auch zu einer Verklärung der Tat: »Man soll nicht nur negativ reden, es gibt in Mügeln auch viele schöne Dinge. [...] Das Schlechte [der Angriff auf Inder, F.M.] sollte eigentlich eher verdrängt werden.« Bürgermeister Deuse entwirft das Bild einer romantischen Kleinstadt und versucht damit, die Relevanz des Angriffes weit in den Hintergrund zu stellen.
Hinzu kommt eine Schuldumkehr, das eigene Handeln wird auf das vermeintlich vorangegangene Fehlverhalten des Opfers zurückgeführt11 . Die Inder hätten im Festzelt »fremdartig und gockelhaft« getanzt und »den Frauen Luftküsse zugeworfen«12 . Das impliziert die Haltung: wenn sie so tanzen, brauchen sie sich auch nicht wundern, dass sie zum Objekt der Aggression werden. Mit der Schuld der Inder wird die Unschuld der Deutschen postuliert, diese hätten sich nur gegen die Provokation der Inder verteidigen wollen. Auch Bürgermeister Deuse vermutet im Interview mit der rechtspopulistischen Zeitung Junge Freiheit eine Mitschuld der Inder: »Aber es ist schon ein Unterschied, ob die Inder unschuldig und aus fremdenfeindlichen Motiven überfallen, gejagt und dann verprügelt wurden, wie das jetzt von den meisten Medien dargestellt wird. Oder ob sich in einem Festzelt eine an sich unpolitische Prügelei entsponnen hat – an deren Entstehen die Inder überdies möglicherweise einen Anteil hatten.13 « Solche Behauptungen sind inzwischen widerlegt. Sie spiegeln das Bedürfnis wider, die eigene Schuld auf ein möglichst wehrloses Ziel zu verschieben.
Neben dieser Regression kommt es auch zur Schuldsublimierung: Man selbst könne für den Vorfall gar nichts, da man sich übermächtigen Prozessen und Instanzen ausgesetzt sieht. Schuld am »Rechtsextremismus« seien Arbeitslosigkeit und Jugendabwanderung, die »Hauptursache« sei »im Frust der Menschen auf die Gesellschaft und die Politik« zu sehen, behaupten Mitglieder des nordsächsischen Kreistages14 . Dass solche Faktoren höchstens bedingt Einfluss auf die Entstehung rechter Ideologie haben, belegen aber genügend Studien.
Fazit
Die Täter von Mügeln werden zu Geld- und Bewährungsstrafen verurteilt und können mit dem Rückhalt der örtlichen Gemeinschaft weiter auf Opferfang gehen. Erst Anfang März diesen Jahres wird die Pizzeria in Mügeln erneut angegriffen, dem Besitzer wird mit einem Schlagring die Nase gebrochen15 . Die Ideologie, die hinter diesen Taten steht, bleibt in Mügeln nach wie vor unhinterfragt, stattdessen hält die Gemeinde an der Selbstdarstellung als Opfer einer großen Medienkampagne fest. »Es bleibt zu beachten, daß die Abwehr kollektiv entstandener Schuld einfach ist, wenn sie wieder im Kollektiv geschehen kann; denn hier bestimmt ein Consensus omnium die Grenzen der Schuld.«
Die angeführten Beispiele verdeutlichen diesen Konsens in Mügeln, der von Fragmenten vorurteilsvoller Einstellung geprägt ist und sich resistent gibt gegen jegliche Form der gesellschaftlichen und politischen Veränderung. Würden die Mügelner BürgerInnen und lokalen PolitikerInnen nämlich tatsächlich die rechte Ideologie hinterfragen, müssten sie feststellen, dass sie dieser – mindestens teilweise – selbst nachhängen. In Mügeln besteht – ähnlich wie in der restlichen Gesellschaft auch, nur auf andere Weise – ein Gewaltverhältnis, welches die eigene provinzielle Norm gegen konstituierte Abweichungen durchsetzt. Damit steht die Gemeinde exemplarisch für viele Orte Deutschlands. Wer dem Anpassungsdruck nicht standhalten kann oder will, wird stigmatisiert. Dass sich diese Stigmatisierung nicht nur in psychischer, sondern auch in physischer Gewalt äußern kann, hat man bei der Hetzjagd gesehen. Sie kann deswegen auch nicht als »Ausrutscher« von einigen Dutzend Jugendlichen betrachtet werden, sondern die Täter handelten nach dem Normverständnis von Mügeln.
- 1K. Taylan: Der Tag, als der Mob die Inder hetzte, Reportage in: ARD, Erstausstrahlung am 17. September 2008 um 23.30 Uhr.
- 2O. Decker et al.: Ein Blick in die Mitte. Zur Entstehung rechtsextremer und demokratischer Einstellungen in Deutschland, hg. von der Friedrich-Ebert-Stiftung. Berlin, 2008.
- 3N. Skrotki. Zitiert nach: I. Haese: Haben die Mügelner selber Angst?, in: Berliner Zeitung. Stand: 30. August 2007.
- 4F. Nordhausen: Ein Tritt, ein Ruf, und der Hass brach los, in: Berliner Zeitung. Stand: 30. August 2007.
- 5Staatsanwalt ermittelt gegen zwei Verdächtige, in: Tagesschau. Stand: 23. August 2007. URL: http://www.tagesschau.de/inland/meldung118.html
- 6Deuse kann als anerkannter Repräsentant der Mügelner betrachtet werden, nicht zuletzt, weil diese ihn im Juni 2008 in seinem Bürgermeisteramt bestätigten.
- 7F. Nordhausen / P. Riesbeck: Dann kam der Mob, in: Berliner Zeitung. Stand: 21. August 2007.
- 8W. Kohrt: Ansichten aus Mügeln, Reportage in: Berliner Zeitung. Stand: 22. August 2007.
- 9A. und M. Mitscherlich: Die Unfähigkeit zu trauern. Grundlagen kollektiven Verhaltens. München, 1990.
- 10Deuse. Zitiert nach: B. Meine: »Bürger sollen zur Aufklärung beitragen«, in: Torgauer Zeitung. Stand: 22. August 2007.
- 11R. Hoppe: Aufstand der Unsichtbaren, Reportage in: Der Spiegel, Nr. 49 vom 3. Dezember 2007, S. 194.
- 12Deuse zitiert nach: M. Schwarz: »Ein neues Sebnitz«, Interview in: Junge Freiheit. Stand: 31. August 2007.
- 13Sitzungsprotokoll Jugendhilfeausschuss Torgau-Oschatz. Stand: 11. September 2007.
- 14Bspw. O. Decker / E. Brähler: Vom Rand zur Mitte. Rechtsextreme Einstellungen und ihre Einflussfaktoren in Deutschland, hg. von der Friedrich-Ebert-Stiftung. Berlin, 2006.
- 15Vgl. bspw. www.chronikle.org:3015/ereignis/erneuter-angriff-inder-muegeln