Ausgrenzung und Vertreibung von Roma in Europa
Der Sommer ist vorbei und damit ein Sommer, in dem Angriffe gegen Roma in verschiedenen Ländern Europas die Hintergrundgeräusche bildeten.
Europaweite Verfolgung
In Italien endete bereits das Jahr 2008 mit rassistisch motivierten Angriffen auf in äußerster Armut in Barackensiedlungen lebende Roma. In Neapel, Pisa, Rom, Venedig und weiteren italienischen Städten wurden die provisorischen Unterkünfte angezündet. Mehrere Roma wurden getötet, zahlreiche verletzt, hunderte flohen vor dem mit Stahlstangen und Messern bewaffneten Mob.
Der Staat reagierte mittlerweile: Mit dem Aufbau einer »Zigeuner-Kartei«, in der die Fingerabdrücke aller Sinti und Roma präventiv aufgenommen werden, und der Organisation von Milizen, die der ehemaligen faschistischen Alleanza Nazionale nahestehen. Zahlreiche Räumungen von Roma-Siedlungen, ohne dass Ersatz-Wohnungen zur Verfügung gestellt wurden, machen deutlich, auf welcher Seite der Staat in diesem einseitigen Konflikt steht.
Wie in Italien kam es auch im Juni 2009 in Belfast zu Pogromen: Neonazis belagerten wochenlang die Wohnhäuser von rumänischen Roma und griffen diese an. Den über 100 Bewohnern blieb nur die Flucht in eine Kirche, doch auch dort waren sie nicht sicher. Die meisten von ihnen haben nun das Land verlassen.
Auch in Ungarn ist die Gewalt gegen die größte Minderheit im Land alltäglich. In den Jahren 2008 und 2009 wurden sieben Roma ermordet und Dutzende schwer verwundet, unter anderem durch Angriffe mit Handgranaten und Schusswaffen. Die faschistische Partei Jobbik, die den Kampf gegen »Juden, Amerikaner und Zigeuner« zum Kernpunkt ihrer Ideologie machte, erhielt bei den Europawahlen 2009 15 Prozent der Stimmen.
Das Vorurteils-Muster gegen die Roma ist in allen Ländern gleich: Tatsächliche oder herbeifantasierte Vergehen einzelner Roma werden der ganzen Gruppe zur Last gelegt. Kein noch so altes Klischee ist zu abgegriffen, um nicht für Gewalt gegen Roma genutzt zu werden. In allen Ländern Europas gehören Roma zu den ärmsten Bevölkerungsgruppen, die nirgendwo ausreichend Zugang zu Arbeit, Bildung, medizinischer Versorgung oder angemessenen Wohnraum haben.
Deutschland – Antiziganismus reloaded
Fast schon milde stellt sich im Vergleich die Anti-Roma-Politik in Deutschland dar. Doch die Vorurteile die in den bereits genannten Ländern anzutreffen sind, finden sich auch hier wieder - und bei weitem nicht nur ganz rechts.1 Etwa 5000 Roma, die meisten ehemalige Flüchtlinge aus dem Kosovo, leben unauffällig in Berlin.
Im Fokus einer wochenlangen Diskussion stand dagegen eine Gruppe von nur etwa 100 Roma, die seit dem EU-Beitritt Rumäniens 2007 in den Sommermonaten nach Deutschland kamen und sich mit scheibenwischen, musizieren und betteln den Lebensunterhalt verdienen.
Wie alle Arbeitsimmigranten sind auch die Roma auf der Suche nach besseren Lebensmöglichkeiten. Was sie unterscheidet: Sie kommen nicht als vereinzelte Bittsteller, als illegalisierte Putz- und Kochkräfte, die unsichtbar in den Küchen von Restaurants und den Putzkolonnen großer Firmen ausgebeutet werden – sie kommen als geschlossene Gruppe, die sich ihre Jobs selber schafft.
Dass diese Zusammenschlüsse nicht harmonisch funktionieren und keinen Platz für romantische Projektionen bieten – geschenkt. Für eine politische Analyse ist dies ohne Bedeutung. Auch bei »Boat-People«, die zu hunderten auf Lampedusa stranden, wird zurecht nur gefragt, was sie dazu veranlasst hat, eine solch mörderische Reise auf sich zu nehmen, und nicht, ob sie denn auch die besseren Menschen sind. Bei den Roma darf aber anscheinend »genauer« hingesehen werden.
Der Grund, warum sich gerade gegen Roma der Unmut richtet und nicht gegen die ebenso häufig anzutreffenden Verkäufer von Obdachlosenzeitungen oder die Fenster-Putz-Punks, ist, neben Antiziganismus im speziellen und Fremdenfeindlichkeit im allgemeinen, dass sie nicht demütig auftreten, wie es anscheinend von bettelnden Ausländern erwartet wird, sondern selbstverständlich-selbstbewusst. Mögen auch einige davon träumen für immer in Deutschland bleiben zu können und eine feste Anstellung zu finden – die meisten wissen wohl, dass ihnen unüberwindbare Hürden in den Weg gelegt werden würden und ziehen es deshalb vor für drei Monate in Deutschland Geld zu verdienen, um dann wieder zu ihren Familien nach Rumänien zurückzukehren: Klassische Saisonarbeit.
Mit einem solchen Erwerbsprinzip sind sowohl die Behörden als auch die bürgerliche Presse überfordert. Betteln – aber offensiv –, – arbeiten – aber in selbst geschaffenen Jobs, – das bessere Leben suchen – sich aber nicht auf die Wege der deutschen Bürokratie und der Asylgesetzgebung einlassen: Die Roma fallen durch alle Raster.
Nach anfänglicher Irritation wie man mit diesen Gruppen umgehen sollte, wurde mit einer Doppelstrategie reagiert: Roma, die nachts in Parks schliefen, wurden von der Polizei regelmäßig geweckt und damit bedroht, ihnen die Kinder wegzunehmen. Um Verständnis für diese Maßnahmen wurde damit geworben, dass die eigentlich schulpflichtigen Kinder zum Betteln gezwungen würden und mafiöse Strukturen unter den Roma herrschten. Doch seit wann ist es für die staatliche Kontrolle unerwünschter Bevölkerungsgruppen ausschlaggebend, wie innerhalb dieser Gruppen miteinander umgegangen wird?
Der reale Grund dagegen war, dass die »MEMs«, die »Mobilen ethnischen Minderheiten« (Polizeijargon), unerwünscht waren, weil sie sich der Kontrolle entzogen. Der Umgang mit den Roma zeigt hier deutliche Parallelen zum 19. Jahrhundert: Wollten sich die »Zigeuner« nicht niederlassen, was aufgrund der Konkurrenz für das örtliche Handwerk oft auch gar nicht erwünscht war, erließen Städte und Gemeinden Verordnungen, welche die »Zigeuner« aus ihrem Gebiet fernhalten und in andere Orte weiterleiten sollte1 . Gesetze wie ein Hunde- oder ein Lagerverbot sowie die Versagung eines Wandergewerbescheins waren bürokratische Maßnahmen den Sinti und Roma den Aufenthalt so unangenehm wie möglich zu gestalten und sie in die Nachbargemeinden weiterzuschieben.
Ein Thema auch in den nächsten Jahren
Linke Gruppen, welche die Berliner Roma vor nächtlichen Polizeischikanen schützen wollten, wurden als »naiv« gebrandmarkt. Die Roma hätten juristisch gesehen nie Anspruch auf Asyl gehabt, da sie als Touristen eingereist waren.
Dennoch ist es legitim sich über Verwaltungsvorschriften hinwegzusetzen und Asylrecht für eine Gruppe zu fordern, die europaweit Diskriminierungen und Verfolgungen ausgesetzt ist. Wenn eine »rechtliche Handhabe« für ein Bleiberecht nicht existiert, muss eben Druck aufgebaut werden, dass es geschaffen wird. Und wenn dies nicht erreicht werden kann, so muss wenigstens dafür gesorgt werden, dass Polizeiübergriffe auf Roma, so lange skandalisiert werden, bis sie unterbleiben. Die Diskussion um die Roma wird weitergehen – spätestens im nächsten Sommer.
- 1So schafft es der Berliner Tagesspiegel vom 14. Juni 2009 alle »Zigeuner«-Klischees in einem einzigen Artikel unterzubringen, ohne zu einem Erkenntnisgewinn beizutragen: Die wahrsagende Alte mit dem Goldzahn und den vielen Kindern, kleine Jungen die sich in rostigen Tonnen ihre dürren Oberkörper waschen, eine attraktive Rom mit tiefem Ausschnitt die gerne »einen Ausländer« heiraten möchte. Das alles vor der Kulisse einer hübsch-wilden Landschaft Rumäniens. http://www.tagesspiegel.de/zeitung/Die-Dritte-Seite-Roma-Rumaenien;art7…