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Ein Tag wie jeder andere am Frankfurter Flughafen

Einleitung

Am 10. März 2003 gingen ein paar wenige Aktivist_innen an den Frankfurter Flughafen, um zu versuchen, die Abschiebung eines Kurden nach Griechenland zu verhindern. Sie hatten ein kleines Flugblatt mit Informationen im Gepäck und die Hoffnung, beim Piloten auf die Bereitschaft zu stoßen, einen Menschen nicht zu befördern, der gegen seinen Willen abgeschoben werden sollte – wie es im Übrigen eine Weisung der Pilotenvereinigung Cockpit an ihre Mitglieder aus dem Jahr 2001 vorsah.

Bild: attenzione-photo.com

Sie wussten Flugnummer und Abflugzeit und wollten versuchen, Passagiere am Gate von der bevorstehenden Abschiebung zu informieren. Das wollte die Flughafensicherheit nicht zulassen, also verlegten sie ihre Versuche an den Check-In Schalter der Lufthansa. First Class selbstredend. Weil man da besonders zuvorkommend bedient wird. Wurden sie auch. Anstatt ihnen ein Gespräch mit dem Piloten oder der Chef-Stewardess zu ermöglichen, rief die freundliche Schalterfrau die Sicherheit zu Hilfe. Beim Gespräch mit den Beamten gaben sie ihre Personalien an und hofften, sie würden einen Kompromiss aushandeln um ihre Bemühungen, jemanden von der Crew des Abschiebefliegers zu sprechen, fortsetzen zu können. Dem war nicht so und unter Verweis auf die Flughafenbenutzungsordnung und mit Hilfe der Bundespolizei wurden sie aus dem Flughafengebäude verwiesen. Sie hatten nichts erreicht, der Mann wurde abgeschoben.

Am nächsten Tag hatten sie ein offizielles Schreiben der Fraport AG im Briefkasten, in dem ein unbefristetes Flughafenverbot ausgesprochen wurde. Da im Laufe der Zeit immer mehr Aktivist_innen, die von ihrem Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit Gebrauch machen wollten, ein Hausverbot erteilt wurde, es also zur gängigen Praxis der Fraport AG wurde, ihr unliebsamen Protest auszusperren, entschloss sich eine der Aktivist_innen mit dem »Aktionsbündnis gegen Abschiebungen Rhein-Main« den langen Gang durch die Gerichte anzutreten.

Amtsgericht und Landgericht Frankfurt bestätigten die Richtigkeit des Hausverbots und auch der Bundesgerichtshof beanstandete die Einschränkung der Grundrechte nicht. Nur dürfe die Fraport nicht mit dem Verweis auf ein Hausverbot alle Anträge auf Demonstrationen oder Kundgebungen abschmettern. Sie müsse alle Anträge prüfen. Das sollte gleich ausprobiert werden.

Also wurde eine kleine Kundgebung im Terminal im Hinblick auf bevorstehende Abschiebungen nach Afghanistan angemeldet. Postwendend erfolgte eine Ablehnung mit dem Hinweis, dass die Anmelderin doch sowieso Hausverbot hätte und deshalb draußen bleiben müsse. Daraufhin boten zwei Verfassungsrechtler ihre Hilfe bei einer Verfassungsbeschwerde an und fristgerecht wurde diese im Jahr 2006 eingereicht. Dort schlief sie dann viereinhalb Jahre einen Dornröschenschlaf, bis sie im November des vergangenen Jahres wachgeküsst und öffentlich verhandelt wurde.

Die Dimension der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts

Was ursprünglich ein winziger Zwischenfall im großen Buch der grausigen Abschiebegeschichte war, wurde jetzt zum ersten Mal in seiner umfänglichen Bedeutung vor dem Bundesverfassungsgericht verhandelt. Nämlich die Frage, ob in privatisierten öffentlichen Räumen die Grundrechte Bedeutung haben. Ob die Fraport als Aktiengesellschaft, in der das Land Hessen, Frankfurt und der Bund die Mehrheit haben ein öffentlicher Ort ist. Ob an einem Ort, an dem staatliche Abschiebemaßnahmen durchgeführt werden und es zu Menschenrechtsverletzungen kommen kann, das Grundrecht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit Gültigkeit besitzt. Ob FlughafenausbaugegnerInnen, die ein legitimes Interesse haben, ihren Protest an den richtigen Ort zu tragen, zukünftig am Flughafen demonstrieren dürfen. Ob die Pilotenvereinigung Cockpit oder andere ArbeitnehmerInnen-Organisationen in Zukunft ihren Arbeitskampf auch im Terminal stattfinden lassen können. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.

Der Flughafen als Ort, an dem staatliche Maßnahmen durchgeführt werden

Der Frankfurter Flughafen ist der größte Flughafen Deutschlands und er ist als größter Abschiebeflughafen eng in die Abschiebepraxis der Bundesrepublik eingebunden. Im Jahr 2009 wurden von 7289 Abschiebungen auf dem Luftweg 3270 von Frankfurt aus durchgeführt. Vor rund 10 Jahren waren es noch ca. 30 Abschiebungen täglich. Das Bundesamt für Migration unterhält am Frankfurter Flughafen eine Außenstelle, um dort das sogenannte Flughafenverfahren durchzuführen. Flüchtlinge, die nicht sofort zurückgeschickt werden können, verbleiben für die Dauer dieses Schnellverfahrens (das meist aber weitaus länger dauert, als die vorgeschriebenen zwei Wochen) in der 2001 neu erbauten Flüchtlingsunterkunft, sprich dem Internierungslager auf dem Gelände des Frankfurter Flughafens, ohne Kontakt zur Außenwelt.

Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden

In einem Urteil, das alle Erwartungen übertraf, hat das Bundesverfassungsgericht jetzt am 22. Februar 2011 in selten klaren und schönen Worten grundsätzlich festgestellt, dass von der öffentlichen Hand beherrschte gemischtwirtschaftliche Unternehmen einer unmittelbaren Grundrechtsbindung unterliegen.

Das Verbot des Verteilens von Flugblättern kann nicht »auf den Wunsch gestützt werden, eine Wohlfühlatmosphäre in einer reinen Welt des Konsums zu schaffen, die von politischen Diskussionen und gesellschaftlichen Auseinandersetzungen frei bleibt. Ein vom Elend der Welt unbeschwertes Gemüt des Bürgers ist kein Belang, zu dessen Schutz der Staat Grundrechtspositionen einschränken darf.«

Auch ist ansatzweise bestimmt worden, dass  das Versammlungsrecht in unserer veränderten Welt nicht nur unter freiem Himmel gilt, quasi als »Straßenrecht« sondern auch in einem »räumlich geschlossenen System«. Das Grundgesetz garantiert die Möglichkeit der öffentlichen Auseinandersetzung prinzipiell an Orten allgemeinen kommunikativen Verkehrs. »Wenn heute die Kommunikationsfunktion der öffentlichen Straßen, Wege und Plätze zunehmend durch weitere Foren wie Einkaufszentren, Ladenpassagen oder sonstige Begegnungsstätten ergänzt wird, kann die Versammlungsfreiheit für die Verkehrsflächen solcher Einrichtungen nicht ausgenommen werden, soweit eine unmittelbare Grundrechtsbindung besteht.«

Also ist erst mal klar: teilprivatisierte Orte wie Bahnhöfe und Flughäfen sind Orte, an denen protestiert werden darf. (Der DGB hat am 23. Februar 2011 im Frankfurter Hauptbahnhof gleich die Probe aufs Exempel gemacht und mit Verweis auf das Urteil Flugblätter gegen die Schuldenbremse verteilt.) Mit diesem Urteil ist ein Schritt auf dem Weg der Demonstrationsfreiheit getan.

Für Abschiebegegner_innen jedenfalls bedeutet das Urteil, dass an Orten wie dem Frankfurter Flughafen, von dem aus Tausende Menschen jährlich abgeschoben werden, protestiert werden kann, ohne Anzeigen wegen Hausfriedensbruch in Kauf nehmen zu müssen. Die Fraport hat das Hausverbot bereits in einem freundlichen Schreiben zurückgenommen. Durchzusetzen gilt nach wie vor das Recht, in vollständig privatisierten »Erlebniswelten« zu demonstrieren.
 

Das Urteil das Bundesverfassungsgerichts kann im vollen Wortlaut unter: www.bundesverfassungsgericht.de/entscheidungen/rs20110222_1bvr069906.html nachgelesen werden. Und wer eine entsprechende Kundgebung plant, sollte auf das Aktenzeichen BVerfG, 1 BvR 699/06 vom 22.2.2011, Absatz-Nr. (1–128) verweisen.