Die transnationale Protest-Tour
Christian Jakob (Gastbeitrag)Mit Boats4People von Sizilien nach Tunesien
18 Monate nach Ausbruch des Arabischen Frühlings starteten Aktivist_innen des »Boats4People«-Projekts im Juli 2012 eine transnationale Protest-Tour von Sizilien nach Tunesien. »Gegen das Sterben und Sterben-Lassen im Mittelmeer«, so formulierte ein Beteiligter die Stoßrichtung der Aktion.
Ursprünglich, das heißt im Frühsommer 2011, hatte der Plan anders ausgesehen: Hunderttausend Euro sammeln, Boote mitsamt Crew chartern und Frontex im zentralen Mittelmeer auf die Pelle rücken. So lange wie möglich. Ein klein wenig wie ein antirassistisches Walschützer-Kommando wollte Boats4People den Seenot-Dramen der Migrant_innen und den Menschenrechtsverletzungen durch die Küstenwachen ein wenig praktische Solidarität entgegensetzen.
Obwohl es vielen Aktivist_innen in den Fingern gejuckt hatte, waren diese Pläne am Ende nicht realisierbar – trotz eines stetig gewachsenen Trägerkreises aus Deutschland, Italien, Frankreich und Tunesien. Zu teuer, zu komplex, zu risikoreich. Am Ende brachte man folgendes zuwege: Ein für drei Wochen gecharterter Motorsegler mit einer Handvoll Journalist_innen und Aktivist_innen an Bord, fuhr vom italienischen Festland über Sizilien und Tunesien nach Lampedusa. »Für die Medien«, sagte später Nicanor Haon aus Frankreich, der die Bootsfahrt koordiniert hatte. Parallel waren etwa 80 Leute auf derselben Route mit Aktionen unterwegs, die an jene der antirassistischen Grenzcamps angelehnt waren: Assembleas auf Mittelmeerfähren, die Begehung eines italienischen Internierungsknastes, Demos mit Müttern verschwundener Boatpeople bis hin zu einem großen Migrations-Block auf dem Vorbereitungstreffen für das Weltsozialforum in Tunesien 2013.
Doch im Grunde wollten die Aktivist_innen mehr: »So heterogen und teilweise unverbunden wie die verschiedenen sozialen Bewegungen in Nordafrika und Europa noch sein mögen, es gibt vielversprechende Bemühungen eine unmittelbare Gemeinsamkeit der Kämpfe herzustellen«, hatte die Vorhut von Boats4People nach einer ersten Reise im Mai 2011 formuliert. Eine langfristige Vernetzung von Basisgruppen gegen das europäische Grenzregime – das war die Agenda.
Dass diese politisch auf der Höhe der Zeit war, bezeugte beispielsweise François Crépeau, kanadischer Diplomat und Sondergesandter des UNHCR für Menschenrechte von Migrant_innen. Dieser hatte Tunesien im Juni besucht und wusste in Genf wenig Gutes aus dem nach wie vor als »Türsteher Europas« dienenden Land zu berichten: Er sei »besorgt« weil die unerlaubte Ausreise auf Druck Europas nach wie vor als Straftat gilt. »Dies widerspricht grundlegenden Prinzipien der Menschenrechte, einschließlich des Rechts sein Land zu verlassen«, schrieb Crépeau. Tunesier_innen aber auch Migrant_innen säßen deshalb im Gefängnis. Hinzu komme, dass es kein Asylverfahren gebe und unerwünschte Migrant_innen – selbst Minderjährige – zur Abschreckung in Haftanstalten interniert werden, die der Staat zynischerweise als »Zentren für Aufnahme und Orientierung« etikettiert.
Ähnliche Kollaborationen mit Frontex und der EU gibt es auch in den übrigen Maghreb-Staaten – der politische Aufbruch in der Region hat in Sachen Migrationspolitik bisher noch keine Fortschritte gebracht. Die Zusammenarbeit jener, die das nicht hinnehmen wollen, scheint also durchaus geboten. Monatelang hatten die B4P-Aktivist_innen ihre Fühler nach Tunesien ausgestreckt. Vor Ort trafen sie sich mit vielen Gruppen, um politische Gemeinsamkeiten auszuloten. Welche Form der Kooperation sich auf Dauer etablieren lässt, ist kaum abzusehen. Im November jedenfalls kommen tunesische Aktivist_innen als Gäste von B4p nach Deutschland, der 18. Dezember soll als »Globaler Aktionstag für die Rechte der Migrant_innen« in einer von B4P koordinierten Aktion hier wie dort begangen werden – mit einem Schwerpunkt zu den Vermissten und Toten an den Grenzen.