Die Kultur der Klingen
Björn Resener (Gastbeitrag)Neonazi-Mordversuch in Mailand
Sonntag, der 2. Dezember 2012, am Mailänder Hauptbahnhof: Als Stefano Z. aus der Metro steigt, trifft er auf zwei Neonazis. Der aktive Antifaschist erkennt sie an den Symbolen, die sie an ihrer Kleidung tragen. Es kommt zu Beleidigungen und einem Handgemenge. Plötzlich merkt der 35-jährige, dass er stark blutet. Mindestens einer der Neonaziskinheads hat mehrfach mit einem Messer auf ihn eingestochen. Im Krankenhaus San Paolo wurde der Verletzte sofort operiert. Dort mussten Blutungen gestoppt und Muskelstränge genäht werden. Zum Glück waren keine lebenswichtigen Organe betroffen. Die Ärzte sagten, der Stich in die Schulter hätte nur knapp eine Arterie verfehlt. Gegenüber der Polizei verweigert der Antifaschist jede Aussage. Aber FreundInnen erzählte er, die Messerstecher seien dem Umfeld der »Hammerskins« zuzuordnen. Als Reaktion auf den Mordversuch griffen etwa 100 AntifaschistInnen noch in der selben Nacht den Treffpunkt von »Lealtà-Azione« an.
Wölfe im Wolfspelz
»Lealtà-Azione« ist ein offiziell registrierter Kulturverein. Das Vereinslogo zeigt einen Wolf und das römische Kurzschwert »Gladio«. Ihr Mailänder Büro befindet sich seit 2010 in einem Gebäude in der Viale Brianza. Es gehört der Kommune und wurde dem Verein für 3.300 Euro pro Jahr vermietet. Ein Spottpreis für den 44 m2 großen Laden im Zentrum der Stadt. Der Mietvertrag mit der Firma ALER, die den kommunalen Immobilienbestand der Stadt Mailand verwaltet, unterzeichnete Norberto Scordo.
Der heute 37-jährige musste 2008 für sechs Monate in Haft, weil er im selben Jahr an einem gemeinschaftlichen Überfall auf eine Gruppe von Punks beteiligt war. Erstmals wurde er bereits 1992 festgenommen, nachdem er und fünf andere Neonazis zwei BesucherInnen des Sozialen Zentrums »Leoncavallo« mit Hämmern schwer verletzt hatten. Der Journalist Sandro De Riccardis bezeichnete ihn 2008 in der Tageszeitung »Repubblica« als Chef der »Hammerskins«, einer elitären und sektenähnlichen Neonazi-Struktur.
Stefano Del Miglio, der Sprecher von »Lealtà-Azione«, firmierte noch 2009 auf einer Presseerklärung namentlich für die »Hammerskins Italia«. Auch er beteiligte sich in der Vergangenheit an brutalen Übergriffen auf Andersdenkende. Gemeinsam mit Neonazis aus dem »Skinhouse Milano« in Bollate attackierte er im August 2004 eine Gruppe alternativer Jugendlicher im Mailänder Stadtteil Ticinese mit Messern. Sechs Menschen wurden verletzt, einer davon schwer.
Etwas Kreide gefressen
Am Tag nach den Ereignissen am Mailänder Hauptbahnhof erklärte Stefano Del Miglio öffentlich, dass »Lealtà-Azione« nichts mit der Auseinandersetzung zu tun hätte. Kurz darauf stellte sich einer der Täter bei der Polizei. Der 17-jährige behauptet, allein und in Notwehr gehandelt zu haben. Er sympathisiere zwar mit der Rechten, wäre aber nicht organisiert. Trotzdem steht ihm ausgerechnet Antonio Radaelli als Rechtsbeistand zur Seite. Der Anwalt war noch im letzten Jahr als Veranstaltungsreferent von »Lealtà-Azione« in Erscheinung getreten.
Die Kaltblütigkeit, mit der die beiden Neonazis aus dem Umfeld der »Hammerskins« zum Messer griffen, erinnert an den Mord an Davide »Dax« Cesare. Dieser wurde am 16. März 2003 auf die gleiche Weise attackiert und überlebte die Messerstiche nicht. Im März 2013 findet im Gedenken an »Dax« eine antifaschistische Demonstration in Mailand statt, zu der überregional mobilisiert wird. Der Mordversuch in der Metro verdeutlicht, dass das Thema rechte Gewalt auch zehn Jahre nach dem Mord keinesfalls an Aktualität verloren hat.