Verleugnende Verdrängung
Harry WaibelRassismus in der DDR und die Folgen bis heute
In meiner Veröffentlichung habe ich nahezu tausend rassistische (und antisemitische) Beispiele aufgeführt, die sich von Gräberschändungen jüdischer Friedhöfe, über die Ermordung des Mosambikaners Carlos Conceicao (18 Jahre) durch einen rassistischen Mob im September 1987 in Staßfurt (heute Sachsen-Anhalt) bis hin zur Ermordung eines Arbeiters (58 Jahre) im Juni 1990 in Erfurt erstrecken1
. Der latente und manifeste Rassismus in der ostdeutschen Bevölkerung wurde während der Herrschaft der SED nahezu vollständig vor der Öffentlichkeit verheimlicht. Obligatorisch wurden rassistische Vorkommnisse in internen Schreiben der SED, der FDJ oder dem Ministerium der Staatssicherheit, als »Streng Geheim«, »Vertrauliche Verschlußsache« oder »Geheime Vertrauliche Verschlußsache« deklariert und liefern so einen beredten Eindruck von der Funktionsweise politischer Zensur und Manipulation.
- 1Rassisten in Deutschland, Frankfurt/M. 2012. Im III. Kapitel (S. 71–153) und im Anhang in der »Chronologie rassistischer Ereignisse in der DDR« (S. 261–402) wird auf Beispiele näher eingegangen.
Der Rassismus wurde bei der Behandlung der ausländischen ArbeiterInnen (»Vertragsarbeiter«) sichtbar, deren Wohnen und Arbeiten durch die Gesetzgebung en gros und en détail bestimmt worden war. In engen Räumen in speziellen Wohnheimen untergebracht, kontrolliert und gegängelt durch die Leitung der Wohnheime und durch offizielle Vertreter des Staates, wehrten sie sich immer wieder gegen die paternalistische Unterdrückung. Wenn es ihnen untersagt wurde, Besuch zu empfangen, auch und gerade des jeweils anderen Geschlechts, dann bemerkten die ArbeiterInnen besonders schmerzhaft die Einengung ihrer Lebensumstände. In den Betrieben wurden sie zu den unbequemsten und schmutzigsten Arbeiten angehalten, gegen die sie sich wieder und wieder mit Streiks zu wehren wussten. So kam es, um ein Beispiel zu nennen, zwischen 1975 und 1976 in acht Betrieben zu mehreren Arbeitsniederlegungen von ca. 600 algerischen Arbeitern aus politischen und ökonomischen Gründen.
Der latente Rassismus auf der Straße manifestierte sich in der Regel gegen Diejenigen, die auf Grund äußerer Attribute als Nicht-Deutsche wahrgenommen werden konnten. Die Opfer dieser z. T. pogromartigen Angriffe auf Leib und Leben waren vor allem Algerier, Mosambikaner, Kubaner, Polen, Ungarn und Tschechoslowaken. Zu den Opfern gehörten auch Soldaten und Offiziere der Gruppe der Sowjetischen Streitkräfte (GSSD), die zu bevorzugten Zielen von Rassisten wurden. Insgesamt wurden Ausländer aus ca. 30 Staaten Opfer rassistischer Gewalt und es gab mehrere Tote und ungezählte Verletzte. Damit man sich ein Bild von den rassistischen Verhältnissen machen kann, habe ich mit Erfurt eine Stadt ausgewählt, die als ein Beispiel für die rassistische Atmosphäre in Städten und Gemeinden der DDR dienen kann. Dort wurden im August 1975 mehrere algerische Arbeiter von rassistischen Deutschen angegriffen und verletzt. Die pogromartigen Ausschreitungen, sie dauerten drei bis vier Tage, begannen mit dem Ruf »Schlagt die Algerier tot« worauf sie von einem rassistischen Mob durch die Stadt gehetzt wurden. Am 12. August verhinderten 50 bis 60 deutsche Rassisten, dass Algerier zu ihrem Wohnheim kommen konnten. Daraufhin geleiteten Sicherheitskräfte die Algerier in das Gebäude der Post und führten sie durch den Hintereingang zum verdeckten Abtransport zum Wohnheim. Mittlerweile war die Anzahl der Angreifer vor der Hauptpost auf ca. 150 bis 300 Personen angewachsen und es wurde die »Herausgabe der Algerier« gefordert. In Sprechchören und Zwischenrufen wurde gerufen: »totschlagen«, »aufhängen«, »Deutsche raus – Algerier in Ketten« oder »schlagt die Bullen tot«. Als der rassistische Mob mit Gewalt in das Gebäude einzudringen versuchte, löste die Volkspolizei die Versammlung mit Schlagstöcken und dem Einsatz von Hunden auf. Insgesamt wurden 19 Personen vorläufig festgenommen. Am 13. August hatten sich wieder ca. 150 Personen versammelt und es kam zu »lautstarken und provozierenden Diskussionen« mit Volkspolizisten. Zur gleichen Zeit wurde vor dem Wohnheim der Algerier eine mit Stöcken bewaffnete Gruppe von Rassisten von der Polizei aufgelöst und fünf »Rädelsführer und Rowdys« vorläufig festgenommen. Diesen Pogromen gingen, in den Monaten Juni und Juli 1975 mehrere tätliche Auseinandersetzungen in Gaststätten und bei Tanzveranstaltungen zwischen Deutschen, Algeriern und Ungarn voraus1
. Die nationalistische und rassistische Hetze (»Ihr schwarzen Schweine, haut ab nach Hause«) gegen Algerier ging republikweit weiter und führte dann zum fast vollständigen Rückzug der algerischen Arbeiter aus der DDR durch die algerische Regierung.
Seit diesen Ereignissen gab und gibt es bis in die Gegenwart hinein in der Stadt Erfurt und ihrer Umgebung immer wieder rassistische bzw. anti-semitische Angriffe, so z. B. als am 25. Juni 1990 ein 58-jähriger Mann erschlagen wurde. Am 3. August 1992 wurde in Erfurt-Stotternheim ein 24-jähriger von drei Skinheads getötet und am 27. Januar 2003 wurde ein 48jähriger von einem 23-jährigen Rassisten getötet. Der Täter wurde vom Landgericht Erfurt im Jahr 2008 nur zu zwei Jahren Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt, die politische Dimension der Tötung wurde dabei geleugnet2
.
Die Ursachen für diese Entwicklung sind komplex und dazu gehört die mangelnde Ent-Nazifizierung und der große Frieden mit den alten Nazis, die beim Aufbau und der Verwaltung des Staates und der Gesellschaft der DDR dringend gebraucht wurden3
. Die SED befolgte den Beschluss der Kommunistischen Internationale vom August 1935 (Dimitroff-Formel), wo der Faschismus gerade nicht als rassistisches Projekt, sondern als politisch-ökonomisches Terrorsystem betrachtet wurde, dass sich im Wesentlichen gegen die deutsche bzw. internationale Arbeiterbewegung gerichtet hätte. So beschloss der 3. Parteitag der SED im Juli 1950, dass die Wurzeln für Faschismus und Rassismus »mit Stumpf und Stiel ausgerottet« worden wären. Was für ein Irrtum! Diese, der ökonomistischen Position innewohnende, Verharmlosung und Verleugnung des Rassismus bzw. Antisemitismus setzte sich durch und noch im Jahr 1986 verharmloste der Minister für Staatssicherheit (MfS) Erich Mielke, die neonazistischen Aktivitäten in der DDR als »Wichtigtuerei«. Am Anfang des Jahres 1988 erklärte die Hauptabteilung I des MfS in einer Analyse solche Vorgänge damit, dass es sich hier nicht um »ideologische Positionen«, sondern um unkritisch wiedergegebene Tendenzen aus dem feindlichen Westen handeln würde. Am 11. August 1989 behauptete die staatliche Nachrichtenagentur ADN, Informationen über neonazistische Tendenzen in der DDR wären »purer Unsinn«.