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„Linke Positionen bei den Protesten einbringen“

Einleitung

Seit Ende November 2013 ist der Majdan in der ukrainischen Hauptstadt Kiew durchgehend von Demonstrant_innen besetzt. Die unübersichtliche Situation, die Verschärfung der Krise und Analysen der Geschehnisse, die sich zum Teil vollends widersprechen, erschweren uns eine Einschätzung davon, welche Konsequenzen die Ereignisse für die ukrainische antifaschistische Linke haben. Um einen Einblick zu bekommen, sprachen wir mit Oleg Sche­­len­ko, Antifaschist und Experte für Rechtsextremismus aus Kiew. Das Interview führte Ute Weinmann, es entstand Mitte Februar, also vor dem Machtwechsel in Kiew und den darauffolgenden Ereignissen.

Bild: flickr.com/streetwrk.com/CC BY-ND 2.0

Seit Beginn der Proteste beteiligten sich daran nationalistische und auch neonazistische Kräfte. Wie lässt sich ihre Rolle beschreiben und wie stark wirkt sich ihre Präsenz auf die politische Agenda auf dem Maidan aus? Ist es übertrieben von einem Rechtsruck zu sprechen?

Es ist eine Art rechte Kulturrevolution im Gang, ein rechtes 1968. Damit verbunden ist eine kulturelle Dominanz Rechtsradikaler: Ihr Sprachgebrauch ist allseits präsent: Die Begrüßungsformel „Ruhm der Ukraine“ geriet zum Codewort zur Bestimmung der Zugehörigkeit zum Maidan. Zu Beginn waren noch diverse andere Redewendungen gebräuchlich, wie „Ruhm der Nation“, „Tod den Feinden“, „Ukraine über alles“. Überall sind Kirchenvertreter diverser Religionen vor Ort, von der Tribüne herab ertönen ständig Gebete für die Ukraine, jede Stunde wird die ukrainische Hymne gesungen. Diese Intensität solcher Rituale kenne ich sonst nicht mal aus der ultrarechten Szene. Außer „Swoboda“ haben alle rechten Gruppierungen bislang enorm von den Protesten profitiert und einen so bislang nicht dagewesenen Zuspruch erhalten. Ende Januar erklärte der „Rechte Sektor“, ein Zusammen­schluss diverser nationalistischer Organisationen wie dem Tryzub, UNA-UNSO, „Patriot der Ukraine“, der „Sozial-nationalistischen Versammlung“ und dem „Weißen Hammer“, er wolle sich als dritte Kraft an den Verhandlungen zwischen Regierung und Opposition beteiligen.

Wie groß ist die Unterstützung für den „Rechten Sektor“ auf dem Maidan und wie steht es mit dessen politischen Perspektiven?

Die Stimmung auf der Straße hat sich in der letzten Zeit stark verändert, der mehr oder weniger ergebnislose friedliche Protest brachte Enttäuschungen hervor. So kommen immer mehr jene zum Zug, die sich für ein radikaleres Vorgehen einsetzen.  Der „Rechte Sektor“ mindert das Verhandlungspotenzial der Opposition, diskreditiert sie vor deren westlichen Partnern und demonstriert, dass jene die Protestierenden auf dem Maidan nicht im Griff haben. Swoboda hat bereits einen echten Imageschaden davongetragen.
An dieser Stelle soll erwähnt werden, dass die rechtsradikale Szene immer unter dem wachen Auge der Sicherheitsdienste agierte. Vertreter paramilitärischer rechter Gruppen haben mehrmals den Wunsch geäußert ihre Mitglieder in den Ukrainischen Sicherheitsdienst SBU einzugliedern.

Wird auf dem Maidan Kritik an den Nationalisten geübt und wenn ja von wem? Wie reagieren jüdische Organisationen auf die Proteste?

Hier in der Ukraine halten sich selbst Bürgerrechtler und Experten für Rechtsradikalismus extrem zurück oder machen sich gar zu Anwälten der extremen Rechten. Es gilt die Devise „Wir sitzen alle in einem Boot“. Kritische Stimmen vernehmen wir in den westlichen und russischen Medien. Letztere gehen allerdings so weit, dass sie den gesamten Protest als faschistisch diffamieren, was eher eine ironische Haltung hervorruft oder schlimmstenfalls sogar zu einer Solidarisierung mit rechten Kräften beiträgt.  Faktisch sehen sich jüdische Organisationen wie auch linke Zusammenhänge von den Ereignissen überrollt, die ihnen die Entscheidung abverlangen, Partei für die eine oder andere Seite zu nehmen, auch wenn sie sich keiner von beiden wirklich zugehörig fühlen. Ein positives Zeichen gab es allerdings am 1. Januar, als einige Liberale mit Plakaten gegen „Svoboda“ protestierten und ihren Widerstand damit begründeten, dass solche Fackelmärsche für die Menschen auf dem Maidan abschreckend seien. Sie wurden zwar angegriffen, doch ihre Aktion hatte einen hohen symbolischen Wert.

Wie definieren antifaschistische und linke Kräfte ihre Rolle bei den Protesten? Haben sie eine eigene politische Agenda und wie sind die Chancen für deren Umsetzung?

Die Linke verfügt bislang über keine eigene Agenda. Prorussische und an der kommunistischen Partei orientierte Zusammenhänge wie Boro’ba demonstrieren bei jeder Gelegenheit, dass sich auf dem Maidan nur „Faschisten“ tummeln. Ein anderer Teil der Linken unterstützt den Maidan völlig unkritisch. Ich selber gehöre zu denen, die versuchen, linke Positionen bei den Protesten einzubringen. Von Beginn an sind wir mit sozialen Parolen angetreten und haben uns auch mit Nationalisten geprügelt. Derzeit arbeiten wir an einer studentischen Vernetzung und etablieren als Entscheidungsinstrument eine studentische Vollversammlung im ukrainischen Haus. Außerdem beteiligen wir uns an der Bewachung verletzter Aktivisten, um sie vor Entführungen aus dem Lazarett zu schützen. Etliche Linke mit medizinischer Ausbildung sind an den Protesten beteiligt, wobei wir gerne alle in einer Einheit zum Andenken an Stanislaw Markelow (2009 in Moskau von Neonazis erschossener Anwalt und Antifaschist) zusammenfassen würden. Kurz gesagt, wir versuchen uns nicht gegen die Proteste abzugrenzen und gleichzeitig das Prinzip der Solidarität und gegenseitigen Unterstützung zu leben, wobei wir gegen eine Eskalation der Proteste eintreten, um somit der extremen Rechten den Boden zu entziehen. Natürlich reicht das nicht aus für eine Stärkung der Linken im Protestlager, aber das Ende des Konflikts ist ja noch längst nicht erreicht.