„Warum ich meine Geldstrafe im Knast absitze...“
Julia Pie (Gastbeitrag)Im Februar 2018 sollte ich meine zweiwöchige Haftstrafe in der Lübecker Justizvollzugsanstalt (JVA) antreten. Ich wurde im Juni 2017 vom Amtsgericht Kiel dafür verurteilt, dass ich eine Torte auf die AfD-Politikerin Beatrix von Storch geworfen habe. Für die „Beleidigung“ der Politikerin, die auf Menschen an den Grenzen schießen lassen will und Flüchtlinge als „barbarische, muslimische, gruppenvergewaltigende Männerhorden“ bezeichnet, sollte ich eine Geldstrafe zahlen. Hier möchte ich erzählen, warum ich mich dafür entschieden habe, die Geldstrafe im Gefängnis abzusitzen. Eines möchte ich direkt vorweg klarstellen: Es hätte genügend Geld gegeben, um die 150 Euro zu bezahlen — es gab sogar konkrete Angebote von solidarischen Gruppen und Freund*innen.
Dass ich das Geld nicht bezahlen wollte, ist in erster Linie eine politische Entscheidung gewesen. Ich wollte damit zeigen, dass der Staat sogar so weit geht, Menschen für kreative Proteste gegen die "Alternative für Deutschland" (AfD) und deren rassistische, sexistische und homophobe Politik einzusperren. Jetzt könnte entgegnet werden, dass ich mich durch meine Entscheidung selbst in den Knast gebracht habe. Meine zuständige Rechtspflegerin erklärte mir sogar bei einem Telefonat, dass „sie mich ja gar nicht für eine Straftäterin hält, aber sie ja leider trotzdem die Strafe vollstrecken muss.“. Damit leugnet sie, dass sie sich selbst für diesen Job entschieden hat und täglich neu dafür entscheidet. Ich könnte nicht in den Knast gehen, wenn es nicht Menschen wie sie gäbe, die aus „Erfüllung ihrer beruflichen Pflicht“ heraus Strafen vollstrecken und die Türen der Gefängnisse geschlossen halten.
Dass es überhaupt möglich ist, für einen Tortenwurf ins Gefängnis zu kommen, deutet auf die Absurdität von Knästen hin. Noch deutlicher wird diese, wenn man sich anschaut, wofür andere Menschen eingesperrt werden. Menschen, die beispielsweise nur ihr Bedürfnis nach Bewegungsfreiheit ausleben und damit gegen die Residenzpflicht verstoßen, „illegal“ Grenzen überquerten oder einfach nur ohne Fahrkarte Zug gefahren sind. Bei all dem soll das Individuum den Fehler bei sich selbst suchen und wird dadurch von gesamtgesellschaftlichen Missständen abgelenkt.
Gesetze sorgen dafür, dass Menschen aufhören, selbst darüber nachzudenken, was für sie persönlich moralisch legitim ist. Die Verantwortung dafür wird auf den Staat und sein Gerichtssystem abgeschoben. Gleichzeitig führen Gerichte und ihre Strafen dazu, dass in der Gesellschaft die Fähigkeiten zur Konfliktlösung verkümmern. Dabei gibt es in diesem Bereich so spannende Ansätze und Ideen. Methoden wie „restorative justice“ oder Mediation werden heute schon in vielen Bereichen erprobt und erfolgreich angewendet.
Im Gegensatz zu diesen Methoden sind Strafe und Knast nicht dazu geeignet, gesellschaftliche Konflikte zu lösen. Denn die Ursachen für Kriminalität werden nicht angegangen. Um beim Beispiel Schwarzfahren zu bleiben: Wer schon vorher das Zugticket nicht bezahlen konnte, wird es auch nach dem Absitzen der Strafe nicht bezahlen können. Stattdessen droht die Gefahr, dass Menschen bei einem längeren Knastaufenthalt ihren Job oder ihre Wohnung verlieren und sich danach in einer noch prekäreren Situation befinden. Die Bedingungen der Haft verstärken die Gefahr einer weiteren Verarmung. Bei derzeitigen Protesten in der JVA Neumünster beschweren sich Gefangene zum Beispiel darüber, dass es für ihre dortige Arbeit keinen Mindestlohn und keine Einzahlung in die Rentenkasse gibt und sie gleichzeitig überteuerte Einkaufspreise zahlen müssen. Ein bis zwei Euro Stundenlohn sind im Knast trauriger Normalzustand.1
Meine Strafe wird auch nichts daran ändern, dass die Politik der AfD homophob, rassistisch und menschenfeindlich ist. Während ich im Knast bin, werden weiterhin Menschen im Mittelmeer ertrinken und fast täglich Flüchtlingsheime angegriffen werden. Daher werde ich auch in Zukunft mit allen Mitteln, die ich selbst für notwendig halte, Widerstand gegen den gesellschaftlichen Rechtsruck leisten.
Wenn ich Menschen aus meinem politischen Umfeld von meinem Knast-Aufenthalt erzähle, höre ich häufig, wie „mutig“ sie meine Entscheidung finden. Natürlich freue ich mich über die solidarischen und unterstützenden Reaktionen. Aber für mich hat meine Inhaftierung nichts mit Mut zu tun. Ich bin unsicher, nervös und angespannt-neugierig auf die Erfahrung. Gleichzeitig habe ich das Gefühl, in einer unglaublich privilegierten Situation zu sein. Denn — im Gegensatz zu den meisten Inhaftierten — kann ich im Notfall jederzeit das Geld zahlen und habe ein Netzwerk aus solidarischen Menschen im Rücken. Die meisten Gefangenen werden von ihrem sozialen Umfeld stigmatisiert und ausgegrenzt.
Ich stattdessen weiß, dass es Menschen gibt, die Briefe schreiben, Gerichtsprozesse begleiten, Pressemitteilungen schreiben, Flyer designen, Transparente malen, mir durch ihre Musik Kraft geben, sich um nervigen „Orga-Kram“ kümmern oder bis spät in die Nacht wach bleiben, um sich meine Ängste anzuhören. Ohne all dies wäre es für mich nicht möglich in den Knast zu gehen. Eigentlich ist es eher beliebig, dass ich diesmal diejenige bin, die im Knast landet. Denn die meisten dieser Aufgaben habe ich bei anderen Aktionen schon einmal selbst übernommen. Es ist für mich ein wichtiger Teil politischer Arbeit, jedes Mal neu auszuloten, mit welcher Aufgabe ich mich gerade wohlfühle und mit welchen Fähigkeiten und Ressourcen ich mich einbringen kann. Jetzt trifft es mich, aber gemeint sind wir alle. Diesmal ist mein Platz im Knast, aber bald schon werde ich wieder hinter den Barrikaden stehen. Hoffentlich gemeinsam mit euch.
… und warum ich es wieder tun würde
Fast eine Woche liegt mein Knast-Aufenthalt nun zurück. Ich bin noch dabei, die gemachten Erfahrungen zu verarbeiten und einzuordnen. Aber eins weiß ich schon jetzt: Ich würde es wieder tun. Warum ich weiter mit Torten werfen werde, erklärt sich von selbst. Aber, und das ist noch viel wichtiger, ich würde auch wieder in den Knast gehen.
Ich hoffe sogar, dass ich mehr Aktivist_innen dazu inspiriere ihre Tagessätze abzusitzen. Allein finanziell lohnt sich das: Bei einem Gefängnis-Aufenthalt zahlen Staat und Gerichte ordentlich drauf, anstatt sich von unseren Soli-Geldern mästen zu lassen. Für mich musste der Staat knapp 2.000 Euro bezahlen und das bei einer Geldstrafe von 150 Euro. Außerdem hat man bei Tagessätzen immer eine Notfall-Reißleine, denn es ist jederzeit möglich, den Rest der Strafe zu zahlen oder sogar von vornherein zu planen, nur für einige Tage reinzugehen.
Ein Knast-Aufenthalt hilft auch dabei auszutarieren, welche Repressions-Risiken man bei der eigenen politischen Arbeit eingehen will. Es ist ein ermächtigendes Gefühl zu wissen, dass der Staat einen zwar einsperren kann, aber einen selbst im Gefängnis nicht davon abhalten kann, für die Sachen zu kämpfen, die einem wichtig sind. Nur mein Fokus hat sich etwas verschoben. Schon vor meinem Knast-Aufenthalt hatte ich theoretische Anti-Knast-Texte gelesen. Da ich diese theoretischen Texte jetzt mit praktischen Erfahrungen verbinden kann, ist mir noch klarer geworden, dass niemand eingesperrt werden sollte. Darüber würde ich gern mit Euch diskutieren und werde dazu im Sommer 2018 auf eine Anti-Knast-Vortragstour gehen. Zum Schluss möchte ich betonen, dass mein Knast-Aufenthalt ohne die vielen Unterstützer*innen und Briefeschreiber*innen nicht möglich gewesen wäre.
Danke für eure Solidarität!
Meine Erfahrungen könnt ihr auf folgendem Blog nachlesen: http://subtilus.blogsport.de/anarchist-black-cross/tortenwerferin-im-knast
Schreibt mir, wenn ihr Interesse daran habt, mich für einen Vortrag einzuladen: julia-pie [at] riseup.net
- 1Vgl. AIB Nr. 105 (4.2014): "Ein halbes Jahr organisierter Arbeitskampf in den Knästen" von Christian Herrgesell