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Antifa? Kein Thema!

Dietmar Wolf
Einleitung

Antifaschistischer Widerstand in der DDR stieß auf ganz andere Schwierigkeiten als in der BRD. Der antifaschistische Grundkonsens war Staatsdoktrin, mit der Gründung der DDR galt der Faschismus und seine Ursachen als mit Stumpf und Stiel ausgerottet. 

Antifaschistische Organisationen in der DDR bedurfte es also scheinbar nur zur Mahnung und Erinnerung. Diese Funktion füllte so zum Beispiel das »Komitee der Widerstandskämpfer« aus. Als Traditionsverein für die alten Kämpfer des kommunistischen Widerstands war das Komitee wichtiger Teil der SED-Doktrin, die die DDR-Bevölkerung Quasi per Geburt zu Nachfahren des antifaschistischen Widerstandes erklärte. Um so mehr war man bemüht, auf die Schuld der Menschen im kapitalistischen Westdeutschland hinzuweisen und den dort wieder erstarkten Faschismus an zu prangern.

Die kirchliche Organisation »Aktion Sühnezeichen in der DDR« thematisierte, im Gegensatz zur DDR-Regierung, die Schuld und die Pflicht zur Sühne aller Deutschen, also auch der DDR-Bevölkerung. Ein wesentlicher Hauptschwerpunkt ihrer Arbeit bestand in dem Aufbau und der Pflege von KZ-Gedenkstätten durch freiwillige Helfer. Das brachte ihr von Anfang an das Misstrauen und die Ablehnung der DDR-Führung ein. Staatliche Stellen betonten stets, dass die Arbeit von Aktion Sühnezeichen in der DDR nicht nötig sei: Die DDR als ein antifaschistischer Staat sei nicht für die Folgen des deutschen Faschismus haftbar zu machen.

Diese Grundhaltung änderte sich auch nicht, als mit Beginn der 80er Jahre in der DDR neonazistische Tendenzen immer deutlicher zu Tage traten. Dies waren ab 1983 zum größten Teil rechtsgerichtete Neonazi- Skinheads und Fußballfans. Es kam vermehrt zu Überfällen auf AusländerInnen, Punks, links alternativ Gekleidete und Oppositionelle. In dieser Zeit bildeten sich auch erste feste neonazistische Gruppierungen, die sich »Bewegung 30. Januar«, »Bucher  Front« oder »Vandalen« nannten. Die Gruppen hatten damals bereits Kontakte mit Westdeutschen Neonazis, die in der Folgezeit intensiviert wurden.

Die DDR-Behörden reagierten auf diese Entwicklung mit verschärfter Repression und dem Versuch, die neonazistischen Gruppen zu unterwandern. In der Öffentlichkeit wurde das Thema »Neofaschisten in der DDR« jedoch weitestgehend  tabuisiert.

»Zion« änderte alles

Am 17. Oktober 1987 fand in der Ostberliner Zionskirche ein Rockkonzert statt. Gegen Ende tauchte eine große Gruppe Neonazi-Skinheads auf, die Naziparolen grölten und auf Konzertbesucher einschlugen. Anschließend griffen sie im Umkreis der Kirche Passanten an. Nun waren sie in aller Munde. Doch erst einmal versuchte man sich auf Seiten der SED in  Schadensbegrenzung. Nach einigen Tagen des Schweigens war dann auch in der DDR-Presse in kleinen Meldungen von einem Übergriff von Rowdys zu lesen.

In der DDR-Opposition wurde der Überfall auf die Zionskirche mit Bestürzung registriert. Dennoch kam es nicht zu einer einheitlichen Gegenstrategie. Zu unterschiedlich waren die politischen Überzeugungen und Prioritäten. Doch auch für die Neonaziszene war der Angriff auf das Konzert ein Fanal. In allen Teilen der DDR gewann die Neonazi-Skinheadszene an Zulauf. In den folgenden Monaten kam es zu häufigen Angriffen auf Volkspolizisten, jüdische Friedhöfe, evangelische Gottesdienste und alles was nach Ausländer oder Punk aussah. 

Auch die einsetzende staatliche Repression konnten den Trend nicht stoppen. 1988 registrierte das Ministerium für Staatssicherheit (MfS) in Städten wie Magdeburg, Dresden, Leipzig, Erfurt oder Cottbus, feste Neonazi-Skinheadgruppen mit teilweise bis zu 60 Personen. In Potsdam wurden ca. 100 und in Berlin 450 rechtsextreme Skinheads registriert. Allein in Weimar betrug ihre Zahl Mitte 1989 fast 300. Insgesamt  ordnete das MfS im Jahr 1987 800 Personen  den Skinheads zu. 1988 waren es bereit 1067 und 1989 zählte man 1129 Personen.

Die Selbstorganisierung beginnt

Das immer offenere Auftreten von Neonazis und der Angriff auf die Zionskirche bewirkte die Gründung der ersten unabhängigen Antifagruppen. Ausgangspunkt war die in der  Ostberliner Zionsgemeinde beheimatete Umweltbibliothek und die  Kirche von Unten (KvU), aus der ab 1989 eine arbeitsfähige Antifagruppe mit bis zu hundert Mitstreitern hervorging. Im Zeitraum zwischen Oktober 1987 und Oktober 1989 gründeten sich vier Gruppen, in Berlin, Potsdam, Dresden und Halle.

Diese wurden im wesentlichen von Punks und linken DDR-Oppositionellen initiiert. Man kannte sich, tauschte Informationen aus, traf sich gelegentlich zu Aktionen. Doch gab es praktisch keine dauerhafte  Vernetzung und kein einheitliches oder koordiniertes Handeln.

Berlin:

In Berlin fand sich unmittelbar nach dem Überfall auf die Zionskirche eine Gruppe Betroffener  zusammen, um eine Anti-Nazi-Liga zu gründen, jedoch kam man nie über diesen Status hinaus. Erst Ende Februar 1989 gab es innerhalb der KvU erneute Aktivitäten für die Gründung einer Antifagruppe. Auslöser waren die Vorbereitungen der internationalen Neonaziszene zum hundertsten Geburtstag von Adolf Hitler. Die Gruppe organisierte Veranstaltungen, Demonstrationen, Kundgebungen, und im Juli 1989 erschien die erste Ausgabe des Antifa Info Blatt (Ost). Die Auflage von 1.500 Exemplaren war in kurzer Zeit vergriffen und musste nachgedruckt werden.

Mit Beginn des Jahres 1990 geriet die Berliner Gruppe in Auflösung. Ein Teil schloss sich der Hausbesetzerszene an, ein Teil orientierte sich in andere politische Richtungen oder zog sich ganz zurück. Im Frühsommer 1990 löste sich die Autonome Antifa Ostberlin auf. Übrig blieb ein Teil der Zeitungsredaktion, um im Juli die letzte Ausgabe des Antifa Info Blatt (Ost) herauszubringen.

Dresden:

Auch in Dresden war der Überfall auf die Zionskirche der Auslöser für die Gründung einer Antifa-Gruppe. Federführend agierte hier die anarchistisch angehauchte Oppositionsgruppe Wolfspelz. Die Aktivitäten der Gruppe waren sehr bescheiden. Es wurde ein Flugblatt gefertigt und in Dresden verteilt. Außerdem wurde eine Infoveranstaltung in verschiedenen Kirchen in Dresden durchgeführt. Sonst tauchte die »Anti-Nazi-Liga Dresden« nur noch gelegentlich auf Unterschriftenlisten auf.

Halle:

Der Versuch sich gegen Neonazi-Gewalt zu wehren, führte 1988 in Halle dazu, dass sich innerhalb der Hallenser Punkszene militanter Straßenwiderstand bildete, um den Neonazis Paroli zu bieten. Sie trainierten Kampfsport, bewaffneten sich und machten Jagd auf alle, die wie Neonazi-Skinheads aussahen. Sie gaben sich selbst den äußerst fragwürdigen Namen: »Skinhead-Vernichtungs-Kommandos«. Ihr Markenzeichen war eine rote Armbinde mit dem schwarzen Aufdruck SVK. Innerhalb dieser Gruppierung gab es keinerlei inhaltliche Diskussionen oder thematische Arbeit. Sie löste sich schnell wieder auf.

Potsdam:

Nach dem Überfall auf die Berliner Zionskirche kam es auch in Potsdam verstärkt zu Aktionen von Neonazis. Auch hier war es die ansässige Punkszene, die den Schritt, hin zur antifaschistischen Selbsthilfe, unternahm. Anders als zum Beispiel in Halle und Dresden, waren die Potsdamer an politischen Diskussionen interessiert und um Kontinuität bemüht. So traf man sich wöchentlich in einer kirchlichen Ausbildungsstätte und diskutierte, anfänglich diffus, über die Gründe von Faschismus und versuchten sich an einer allgemeine Systemanalyse der DDR. Die letzten Veranstaltungen der Potsdamer Antifa waren eine Demo am 9. November 1989, mit 600 Leuten und im Dezember eine Kundgebung in Berlin. 

Militanter Widerstand

Immer wieder kam es zu handgreiflichen Auseinandersetzungen mit Neonazi-Skinheads. Im wesentlichen waren es Punks und Gruftis, die sich zunehmend ihrer Haut wehren mussten und deshalb zu militantem Widerstand bereit waren. Ab Herbst 1988 nahmen die Überfälle Potsdamer Neonazis sprunghaft zu. Meist wurde Einzelnen aufgelauert und diese verprügelt. Als Reaktion darauf kam es im Winter 1988 zu einer organisierten Gegenaktion seitens der Punkszene in Potsdam. Etwa 100 Punks überfielen eine als Neonazitreff bekannte Kneipe. Vier angetroffene Neonazis wurden teilweise brutal zusammengeschlagen, die Kneipe verwüstet. Daraufhin wurden einige Punks verhaftet und zu Gefängnisstrafen verurteilt.

Am 6. August 1988 kam es im Ostseebad Zinnowitz/Kreis Wolgast zu einer Schlägerei zwischen Neonazi-Skinheads und Punks aus den Bezirken Berlin, Gera, Karl-Marx-Stadt und Neubrandenburg. Die circa 30 Personen bewaffneten sich mit Stöcken, indem sie die Schutzgitter der Strandkörbe demolierten. Während der Auseinandersetzung sammelten sich bis zu 300 schaulustige Urlauber an. Niemand griff ein. Erst die alarmierte Polizei beendet das Treiben. Gegen vereinzelt Festgenommene wurden später Ermittlungsverfahren beziehungsweise Ordnungsstrafverfahren eingeleitet.

In der Nacht des 7. August 1989 versammelten sich in Weimar, am Rande eines FDJ-Rockkonzerts, etwa 100 Neonazi- Skinheads. Sie skandierten ausländerfeindliche sowie neofaschistische Parolen. Gegen 23.45 Uhr überfielen sie eine Gruppe Afrikaner und Kubaner. Es kam zu schweren Auseinandersetzungen, Flaschen, Gläser und Steine flogen. Nach einiger Zeit gelang es den Ausländern zu fliehen. Eine herbeigerufene zehnköpfige Polizeieinheit schritt nicht ein, sondern leitete lediglich andere Ausländer um. Nach über einer Stunde löste sich die Neonazi-Skinheadgruppe, unbehelligt von der Polizei, auf.

Am Abend des 16. August 1989 kam es auf dem Berliner Alexanderplatz zu einer Schlägerei zwischen Punks, Gruftis und Neonazi-Skinheads. Nach anfänglichen Pöbeleien griffen die Neonazis die Punks und Gruftis an, die sich gewalttätig zur Wehr setzten. Gegen 22.45 Uhr beendete ein Einsatzkommando der »Volkspolizei« die Auseinandersetzungen. Ein Neonazi wurde verhaftet. 

Staatliche Repression gegen Antifas

Belege für tatsächliche Einflussnahme und Repressionen des Staates, gegen unabhängige Antifagruppen, gibt es nur wenige. Sehr eindeutige Belege gibt es für die Antifa Potsdam. Sie geriet sehr schnell ins Fadenkreuz der Bezirksverwaltung des MfS und der Potsdamer Parteileitung. Die glaubten hier besonders clevere Provokateure ausfindig gemacht zu haben. »In diesem Zusammenhang organisierten sie Eingaben an die Synode der Evangelischen Kirche und provozieren Auseinandersetzungen mit Skinheads. Es werden Formen gefunden, die rowdyhaft-kriminell sind und Cliquencharakter tragen. Sie schüren damit ständig Auseinandersetzungen und nutzen dies erneut zur Diskreditierung der Staatsmacht aus.«1

Als logische Konsequenz derartiger Einschätzungen folgte ein massives Vorgehen des Potsdamer »Sicherheitsapparats« gegen die Gruppe jugendlicher Antifaschisten. Neben einer möglichst umfassenden Überwachung der Gruppe durch mindestens drei Inoffizielle Mitarbeiter, wobei einer selbst aktives Mitglied war, versuchte man jede öffentlichkeitswirksame Aktion der Gruppe zu unterbinden oder zu mindestens einzuschränken.

Als die Gruppe für den 29. Juli 1989 einen Antifatag in der Potsdamer Erlöserkirchgemeinde ankündigte, setzte die Bezirksverwaltung (BV) Potsdam des MfS den gesamten Apparat in Bewegung. Die Anfahrt von Gruppen und Einzelpersonen sollte behindert werden, die Veranstaltung als ganzes konnte aber trotzdem stattfinden.

Keine zwei Monate später wurde die Absurdität des Handelns des MfS gegen die kleine Gruppe noch offenkundiger. Am 10. September 1989, dem »Internationalen Gedenktag für die Opfer des neofaschistischen Terrors und Kampftages gegen Faschismus und imperialistischen Krieg«   fand auch in Potsdam, am »Mahnmal für die Helden des antifaschistischen Widerstandskampfes« auf dem Platz der Einheit eine offizielle, staatlich organisierte Großkundgebung mit ca. 50.000 Teilnehmern, statt. Die Antifa Potsdam hatte geplant mit eigenen Transparenten und Schildern an dieser Veranstaltung teilzunehmen, um auf das Neonaziproblem in der DDR aufmerksam zu machen. Diese Gruppe wurde sofort von den  »eingesetzten Sicherungskräfte(n) unter Kontrolle genommen«.

»Die an den Rand des Kundgebungsplatzes gedrängten Personen wurden dort durch Kundgebungsteilnehmer und gesellschaftliche Kräfte mit der Zielstellung, der Unterbindung weiterer Aktivitäten, in Gespräche verwickelt. Es wurde versucht, beschwichtigend und beruhigend auf die Jungerwachsenen einzuwirken. Daraufhin verließ gegen Ende der Kundgebung die Personengruppe den Kundgebungsort in Richtung Friedrich-Ebert-Str.«2

Was hier, sehr banal und harmlos dargestellt wird, beschrieb ein Potsdamer Antifa damals etwas anders: »Ich saß auf dem Boden. Es entstand ein Getümmel. Sicherheitskräfte und ‘Kundgebungsteilnehmer’ sprangen auf uns drauf. Ich kullerte zur Seite. Als ich aufstehen wollte, bekam ich einen Tritt in den Magen. Ich sah, wie andere mit Knüppeln geschlagen wurden. Hilferufe wurden laut. Ein großes Durcheinander, viele wurden umgestoßen, unter Tritten und Hieben wurden die Beteiligten hochgezogen und durch eine Menschenmenge vom Platz gezerrt. Es war wie ein Spießrutenlauf. Die Menschen am Rande schlugen auf uns, beschimpften uns (»Schweine«, »Macht, daß ihr wegkommt«, »Nazis«, »Verbrecher«, »Assis«, »In den Knast mit euch«, »Haut bloß ab« usw.) Ich hatte total weiche Knie und habe geweint.«3 In den folgenden Tagen kam es immer wieder zu Verhaftungen und stundenlangen Vernehmungen. Es wurden Ermittlungsverfahren eingeleitet und Strafen angekündigt. Das MfS suchte die vermeintlichen Rädelsführer.

Kontaktaufnahme mit der FDJ – legalistische Bestrebungen in der Antifa

Das Verhältnis zur FDJ blieb zwiespältig. Einerseits sah man die Zusammenarbeit mit der FDJ als Chance, aus der eigenen Isolation auszubrechen, andererseits befürchtete man Vereinnahmung und Beeinflussung. Tatsächlich ermöglichte die FDJ im Sommer 1989 eine Veranstaltung der Antifa in einer Potsdamer Schule. Diese blieb allerdings auch die einzige. Es war schnell klar, dass es der FDJ in erster Linie darum ging, Einfluss über die Gruppe zu erlangen und sie von Aktionen abzuhalten. Es gab zwar weiterhin Treffen. Diese blieben jedoch alles in allem unverbindlich und unkonkret.

In Berlin gab es im Sommer 1989 ebenfalls Versuche der Kontaktaufnahme. Doch die FDJ zeigte kein gesteigertes Interesse an einer Teilnahme der Antifagruppe an einem antifaschistischem Jugendmarsch. Telefonisch erging die Mitteilung, eine Teilnahme sei nicht erwünscht, denn die FDJ sei »die Jugendorganisation der DDR.« Sie sei »von Grund auf antifaschistisch und damit seien alle antifaschistischen Jugendlichen der DDR vertreten. Somit geht es nicht, dass es noch weitere antifaschistische Gruppen in der DDR gibt und diese sich vielleicht auch noch lautstark artikulieren.« Im November 1989 versuchte der Sekretär der Bezirksleitung der FDJ Kontakt zur Autonomen Antifa aufzunehmen, und für eine gemeinsame Antifaarbeit zu werben. Die Antifa lehnte dankend ab. So ändern sich die Zeiten. 

  • 1HA XX, Berlin, 23. März 1989, Einschätzung aktueller Erscheinungsformen gesellschaftswidrigen Auftretens und Verhaltens negativ-dekadenter Jugendlicher sowie Ergebnisse und Wirksamkeit der politisch-operativen Arbeit zu ihrer Unterbindung und Zurückdrängung
  • 2Kreisdienststelle Potsdam 10.09.1989 Information über erfolgte Versuche der Störung der Großkundgebung anläßlich des Internationalen Gedenktages für die Opfer des faschistischen Terrors und Kampftages gegen Faschismus und imperialistischen Krieg in Potsdam
  • 3Quelle: Umweltblätter, Sept 1989 und Antifa Infoblatt Ostberlin, Nr. 2