Auch die Zusammenarbeit von Neonazis, Polizei und Behörden ist kein Geheimnis mehr. Die jüngsten neonazistischen Aktivitäten wurden mittlerweile nicht nur durch große Medienkanäle wie BBC dokumentiert, auch deutsche Zeitungen berichten sehr detailliert, sodass es schwer fallen sollte, die Augen davor zu verschließen. Keine leichte Zeit also, um Antifaschist_in zu sein? Oder vielleicht doch eine Zeit, die eine zerstrittene emanzipatorische Bewegung endlich zusammenwachsen lässt?
Ein Überblick über die Geschichte und aktuelle Lage der griechischen Antifa kann ein Ansatz sein, um diesen Fragen nachzugehen. Antifagruppen in Griechenland haben eine kurze Tradition – Antifaschismus nicht. Aus der Besetzung Griechenlands durch deutsche Faschisten und dem erbitterten Kampf der Partisan_innen resultierte ein antifaschistisches Selbstverständnis linker Gruppen und Parteien, das sich im Zuge der Militärdiktatur von 1967–74 und im Widerstand gegen eben diese verstärkte. In den 1980er Jahren gab es Reaktionen auf alles, was auch nur im Entferntesten an faschistische Traditionen oder Symbolik erinnerte; Antifaschismus galt als gesellschaftlicher Konsens. Darüber hinaus fehlte es allerdings an Debatten über latente Formen von Rassismus und Faschismus.
Rechte Gruppierungen machten spätestens in den 1990er Jahren immer wieder von sich reden. Übergriffe auf Migrant_innen und linke Demonstrationen gab es immer wieder, genauso wie eigene neonazistische Kundgebungen und Demonstrationen. Die Szene war aber kurzlebig und die 1992 gegründete faschistische Partei Chrysi Avgi (XA) noch unbedeutend.
Aktivitäten der Neonazis wurden von antiautoritären und anarchistischen Gruppen durch direkte Aktionen beantwortet, die jedoch meist unkoordiniert und situativ waren, allerdings über den reinen Selbstschutz hinausgingen. Es gab zahlreiche antifaschistische Aktionen, jedoch keine explizit antifaschistisch ausgerichtete Bewegung.
Im Jahr 2002 gründete sich die extrem rechte Partei Laikós Orthódoxos Synagermós (LAOS, übersetzt »Orthodoxer Volksalarm«), die über die Jahre zwar stärker wurde, aber als konservative Kraft von der rechten Szene auf der Straße abgekoppelt war, die parallel dazu weiter anwuchs. Diese Entwicklungen wurden dennoch nicht als ernstzunehmende Bedrohung wahrgenommen.
2004 brach sich das rassistische Potential Bahn: Ein Mob wütete nach dem Fußballspiel gegen Albanien durch die Straßen und machte Jagd auf Nichtgriechen. Dieses unvergessene Pogrom öffnete vielen die Augen und war der Beginn einer eigenständigen antifaschistischen Politik, die aus der antiautoritären Bewegung hervorging und sich auch weiterhin als Teil dieser versteht. Die Dezemberrevolte 2008 muss als Wendepunkt der sozialen Bewegungen in Griechenland gesehen werden. Zuvor geführte Teilkämpfe gingen in einer großen, emanzipatorischen Bewegung auf. Die Revolte markierte den Beginn eines neuen Kapitels alter und neuer Projekte, die den existierenden politischen Zuständen trotzten. Sie erhielten massiven Zulauf und entwickelten neue Formen der Selbstorganisation in ihren Kämpfen.
Beim Kampf gegen Neonazis und Faschismus ist Antiexousiastiki Kinisi (Alpha Kappa, übersetzt »Antiautoritäre Bewegung«) zu erwähnen. Als große außerparlamentarische Organisation positioniert sie sich eindeutig linksradikal und stellt soziale Kämpfe in den Fokus, versteht sich aber auch als Schnittstelle zwischen autonomer Bewegung und bürgerlichen Initiativen. Antifa war und ist zwar nicht Schwerpunktthema dieser Gruppe, aber dennoch Grundkonsens. Informations- und Solidaritätsveranstaltungen zu Themen mit linksradikaler Perspektive sind Teil der Gruppenpolitik.
Wie zuvor bereits erwähnt, reagierte die anarchistische Bewegung bereits vor der Krise auf Neonaziübergriffe und ging gegen Neonazikundgebungen und -veranstaltungen aktiv vor. Als Treffpunkte dieser Bewegung dienen soziale Zentren und besetzte Plätze, die gleichzeitig Schutzräume und Orte des Austauschs sind.
Bereits vor der Besetzung des Syntagma-Platzes im vergangenen Jahr organisierten Anarchist_innen Nachbarschaftsinitiativen und bemühten sich explizit darum, die migrantische Community einzubinden. So kam es nach antisemitischen und rassistischen Über- und Angriffen auf linke Projekte Ende 2010 und im Frühjahr 2011 in Athen mehrfach zu gemeinsamen Aktionen gegen Neonazis.
Erwähnenswert ist außerdem die migrantische Selbstorganisierung. Der Hungerstreik 2011, bei dem 300 Flüchtlinge in mehreren Städten Griechenlands die Nahrungsaufnahme verweigerten, wurde vom Forum Metanaston Kritis (Migrantisches Forum Kreta) initiiert und begleitet. Von der parlamentarischen Linken bis hin zur anarchistischen Bewegung zeigte man sich solidarisch.
Eher neu sind Antifagruppen, die sich explizit mit den Ursachen des (historischen) Faschismus auseinandersetzen und gleichzeitig ihren Fokus auf die Bekämpfung aktueller neofaschistische Entwicklungen legen. Ob, wie in Athen, vermehrt Broschüren an Schulen verteilt werden, weil Neonazis besonders dort versuchen, erlebnisorientierte Jugendliche zu agitieren, oder, wie in Volos, ein Sportraum eingerichtet wird, in dem der Selbstschutz trainiert werden kann – Antifaschismus ist vielfältig und findet in Griechenland in beinahe allen linksradikalen Projekten einen Ausdruck. Erfreulich ist, dass es immer mehr Bestrebungen gibt, sich untereinander zu vernetzen. Die jährlich stattfindenden Kongresse der antiautoritären Bewegung, der Communismos- und der AK-Kongress in Thessaloniki, sind gut besucht. Gleichzeitig wird vermehrt über nachhaltige Strategien gegen Neonazis, die über das bloße Reagieren hinaus gehen, diskutiert. Zumindest auf informeller Ebene scheint die Bewegung zusammenzuwachsen.
Im August diesen Jahres organisierten Antasia (Partei links von Syriza), die migrantische Sektion der SEK (Trotzkistische Arbeiter_innenorganisation) und »United we stand«, als Reaktion auf die Ermordung eines Migranten durch Neonazis, eine antifaschistische Demonstration mit mehr als 10.000 Teilnehmer_innen. Sechs Tage später folgte eine von Antifaschist_innen und Anarchist_innen getragene Demonstration mit mehr als 3.000 Teilnehmer_innen. Gleichzeitig mussten vier der 14 Parteibüros, die XA seit ihrem Einzug ins Parlament eröffnet hatte, wieder schließen, weil sie massiven Angriffen ausgesetzt waren, an denen sich auch empörte Bürger_innen beteiligten. Mit den antifaschistischen Motorraddemonstratio-nen, durch Viertel in denen Neonazis Fuß fassen konnten, wird versucht, die Straßen zurückzuerobern.
Antifa heißt in Griechenland, eindeutiger als jemals zuvor, Angriff. Aber es heißt auch, eine Alternative anzubieten in Form einer starken, sozialen Perspektive. Die vielen neu entstandenen Communities, nicht zuletzt seit den Syntagma-Protesten, sind Dreh- und Angelpunkt antifaschistischer Interventionen.