Das »Aktionsprogramm gegen Aggression und Gewalt«
Die Pogrome und Übergriffe der letzten Jahre werden in gewisser Weise belohnt durch zielgruppenorientierte Jugendarbeit. Mit Bestechungsmitteln wird versucht, die rassistischen Randalierer und/oder die rechte Jugend in die "saubere deutsche Gesellschaft" zurückzuholen. Als Antwort auf Rassismus werden Sozialpädagogische Projekte ausgearbeitet. Versteckt hinter einigen Projekten gelingt es Kadern der neonazistischen Organisationen, ihr Fußvolk zu sammeln. »Autonome« Gruppen von extremen Rechten richten selbst verwaltete Jugendzentren ein. Mit dem folgenden Beitrag wollen wir einige Tendenzen in der gegenwärtigen Jugendpolitik beschreiben und kritisieren. Ein Schwerpunkt liegt bei Projekten, in denen Neonazis aktiv und einflußreich sind. Da einige dieser Projekte von Bonn aus finanziert werden, wollen wir uns das entsprechende Programm genauer anschauen. Informationen zum Berlin-Lichtenberger Jugendclub "Judith Auer" findet ihr auch im Artikel1 zum Mord an dem Berliner Antifaschisten Silvio Meier. Der anschließende Diskussionsbeitrag ist noch viel zu wenig diskutiert. Die Diskussion über rechte Jugendarbeit, besonders aber über linke Alternativen dazu, muß verstärkt geführt werden. Dazu wollen wir beitragen. Rechte Tendenzen in Jugendclubs und neonazistische Jugendarbeit werden uns bei Gelegenheit auch in Zukunft beschäftigen.
- 1Im AIB Nr. 21
Zur Vorgeschichte - Jugendarbeit mit Rechten (Westberlin in den 1980ern)
Im Allgemeinen wird oft behauptet Sozialarbeit mit »rechten« Jugendlichen sei ein völlig neues Arbeitsgebiet. Daher gebe es auch keine Erfahrungen, auf die zurückgegriffen werden könne. Bereits in den 1980er Jahren gab es allerdings mindestens zwei Projekte mit rechten Jugendlichen.
Diese Projekte waren von der Evangelischen Kirche oder wurden von ihr unterstützt. Eins war in Berlin-Spandau, daß andere in Berlin-Lichtenrade. In Lichtenrade wurde ein Streetworker vom Bezirksamt Berlin-Tempelhof eingestellt, nachdem es in Lichtenrade, was zu Tempelhof gehört, öfter zu Auseinandersetzungen mit (rechten) Skinheads und rechten Jugendlichen kam. Der Streetworker nutzte die Räume der Gemeinde Lichtenrade und mußte sich so mit den hauptamtlichen und ehrenamtlichen MitarbeiterInnen der Kirche über seine Arbeit kritisch auseinandersetzen. Um eine Zusammenarbeit zu ermöglichen und ein gemeinsames Ziel zu verfolgen, fanden diese Auseinandersetzungen regelmäßig statt. Die Jugendlichen des Projekts sagten sich teilweise von organisierten Rechten und rechten Parteien los. Sie versuchten sogar zu verhindern, daß Rechte an ihren Feten teilnahmen. Dieses Projekt wurde als erfolgreich eingeschätzt.
Da die Stelle des Streetworkers nach zwei Jahren gestrichen wurde, gehen wir davon aus, daß der Senat Befriedigungspolitik betreibt. Außerdem kann festgehalten werden, daß zu dieser Zeit der Schwerpunkt auf antifaschistischer und antirassistischer Arbeit lag. Es fanden damals Gedenkstättenfahrten statt und Seminare, wo z.B. über solche Projekte berichtet wurde. Bei solch einem Seminar berichtete eine Sozialarbeiterin aus Spandau, daß es damals schon Schwierigkeiten mit organisierten Neonazis gab, die versuchten, in den Projekten Jugendliche für sich zu gewinnen. Bekannte Neonazis wurden rausgesetzt, aber es gab genügend Organisierte, die nicht so leicht zu erkennen waren. So konnten dort Anwerbeversuche und Propaganda nicht immer vermieden werden. Jugendeinrichtungen dürfen und sollen kein Überwachungsapparat sein. Wenn aber festzustellen ist, daß Propaganda für Rechte gemacht wird, muß eine Auseinandersetzung mit den Jugendlichen und SozialarbeiterInnen stattfinden.
Zerschlagung und Abwicklung der DDR-Jugendpolitik
Wir wollen hier nur kurz die Voraussetzungen schildern, die mit der Abwicklung der DDR zur derzeitigen jugendpolitischen Krise in den neuen Ländern geführt haben. Die Jugendpolitik der DDR wurde vor allem von der FDJ getragen. Diese hatte ein breites Angebot bis in entlegenste ländliche Regionen aufgebaut. Gerade aber von oppositionellen und rebellischen Jugendlichen wurde dieses Angebot nicht genutzt.
In den sozialdiakonischen Einrichtungen der Kirchen konnten sie z.T. Freiräume entwickeln. Wir können hier keine umfangreiche Kritik der DDR-Jugendpolitik geben. Wir sehen allerdings auch einen Zusammenhang zwischen den rechten Einstellungen vieler ostdeutscher Jugendlicher und der autoritären und militaristischen Politik, die in der DDR propagiert wurde. Nach dem Zusammenbruch der DDR bestand Jugendpolitik zunächst in der Zerschlagung der alten Strukturen, weitgehend, ohne sie durch neue zu ersetzen. Der Zerfall der FDJ, die Abwicklung der Betriebe, Rückübereignungen und Geldmangel, Kündigungen etc. führten zu einem regelrechten Vakuum an Jugendpolitik. Unter anderem wurden Clubs, Jugendzentren und Einrichtungen der offenen Jugendarbeit geschlossen. An ihre Stelle traten völlig konsumorientierte Angebote, die nur dem Profit des Betreibers dienen: Video- und Sexshops, Kneipen, große Disco-Veranstaltungen etc.
Die Linke versäumte alle Chancen, die sich aus diesem Zustand für die Entwicklung linker Strukturen ergaben. Statt dessen entwickelte sich unter dem Einfluß neonazistischer Organisationen und um die Auftritte von Bands aus dem neonazistischen »Blood & Honour«-Netzwerk eine echte extrem rechte Jugendbewegung, die stetig an Breite gewinnt. Rechte Jugendliche dominieren heute viele Jugendzentren. Projekte, in denen es ihnen nicht gelingt sich breit zu machen, versuchen sie durch Angriffe kaputt zu machen.
1991 wurde auch Bundesjugendministerin Angela Merkel darauf aufmerksam, daß Jugendpolitik nicht nur in Kahlschlag bestehen kann. Das Bundesministerium für Frauen und Jugend (BMFJ) ließ sich das »Aktionsprogramm gegen Aggression und Gewalt«, auch AgAG genannt, einfallen. Um das Programm bestehen etliche Gerüchte. Vor allem wird angenommen, es würden im Prinzip nur Neonazi-Projekte gefördert. Wir wollen uns daher etwas ausführlicher mit dem Programm beschäftigen, Gerüchte aus der Welt schaffen, aber auch die zentralen Probleme und Fehler zeigen.
Von einem 20 Millionen-D-Mark-Aktionsprogramm sprach Ministerin Angela Merkel zum ersten Mal im Rahmen der Aussprachen des Bundestages zum Pogrom von Hoyerswerda am 10. Oktober 1991. Seit Frühjahr 1991 gab es im BMFJ Beratungen zum Problem der »Jugendgewalt«. Die konkreten Planungsschritte erfolgten in dem Zeitraum unmittelbar nach dem Pogrom. Im Dezember wurde das Programm der Presse vorgestellt.
Zur Zielsetzung des Programms: »Die Jugendlichen von der Straße holen«
»... die Erfahrungen in Hoyerswerda zeigen, daß fast alle Kinder und Jugendlichen mit extremen Äußerungen und Erscheinungsweisen weder organisierte, noch in ihrem Verhalten verfestigte Rechtsextremisten sind. Versatzstücke des Rechtsextremismus werden vielfach als Provokation verwendet - um also die Aufmerksamkeit anderer, der Öffentlichkeit, auf sich zu ziehen; weil man sich vernachlässigt, unverstanden, ausgeschlossen fühlt. In dieser Provokation steckt in vielen Fällen ein verborgener Hilferuf an die Mitmenschen, sich um die jungen Leute zu kümmern, ihnen bessere Zukunftschancen bereitzustellen und sinnvolle Betätigungsfelder zu eröffnen. Die Gesellschaft kann diese Jugendlichen zurückgewinnen, wenn sie diesen Hilferuf hört und aufnimmt.«
Diese Worte von Ministerin Angela Merkel können als Grundlage des Programmes gelten. Als Ziel des Programmes wird formuliert: »... die jungen Leute 'von der Straße zu holen'«. 1 Diese Zielvorgabe ist unglaublich inhaltsleer. Im wesentlichen besteht das Programm in der gezielten Förderung von 144 zielgruppenorientierten Einzelprojekten in 30 ausgewählten Brennpunktregionen. Dazu kommt eine umfangreiche und kostspielige Beratungs-, Dokumentations- und Öffentlichkeitsarbeit sowie Fortbildungsangebote. Die Gelder sind den Ländern zugewiesen, das BMFJ hat sich ein Einspruchsrecht vorbehalten. Verschiedene Stellen im Rahmen des Programmes laufen als Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen (ABM).
Kein Geld für Opfer: Zielgruppenorientierung auf »gewaltbereite u. gewaltgefährdete Jugendliche«
Zu einem der am meisten verbreiteten aber dennoch falschen Gerüchte über das Aktionsprogramm gehört die Vermutung, das Programm würde fast ausschließlich neonazistische Projekte fördern. Im Rahmen des Aktionsprogrammes werden mit Sicherheit sechs Projekte gefördert, die mindestens zeitweise direkt neonazistischen Strukturen genutzt haben. Zu diesen Projekten später mehr. Im Übrigen fließen die 20 Millionen D-Mark in unterschiedliche Projekte, von denen einzelne echte linke Ansätze haben. Andere liegen im Bereich betreuten Wohnens, Streetwork, in Jugendreisen und Kulturangeboten, schließlich in Projekten für jugendliche Straftäter. Mehr als 30 der geförderten Projekte arbeiten mit rechten Gruppen. Das finden wir nicht prinzipiell verkehrt, wir kritisieren aber die oft unklaren Konzepte. Auch die übrigen richten sich schwerpunktmäßig an Gruppen von deutschen Jugendlichen. Wir haben dagegen genau elf Projekte gezählt, die erklärtermaßen »AusländerInnen« in ihre Arbeit einbeziehen wollen. Fünf Projekte machen Mädchenarbeit. Nicht eines wendet sich an jugendliche Flüchtlinge. Genauso wenig zielt die Gewaltprävention im Sinne des Aktionsprogrammes auf Integration sogenannter »behinderter« Kinder und Jugendlicher.
Die Projekte mit Rechten zwingen diese faktisch in keinem Fall dazu, sich mit Linken oder mit »Nicht- Deutschen« auseinanderzusetzen, geschweige denn etwa mit Schwulen oder gar Lesben. Gefördert wird stets das Konforme, das »Normale«. Akzeptanz für das »Andere« zu erreichen, indem man für diese Menschen die Straße und die Jugendclubs verteidigt, ist nicht Ansatz des Programmes. Insgesamt wird versucht, einzelne Gruppen möglichst voneinander zu trennen. Insbesondere die Clubs, noch mehr die in Eigeninitiative renovierten oder selbstverwalteten Zentren rechter Cliquen bergen die Gefahr, daß sich hier Zentren neonazistischer Organisierung oder rassistischen Terrors entwickeln. Für uns ist ein solches Projekt in dem Moment gescheitert, wo die Jugendlichen langfristig durchsetzen können, daß Menschen aus Gründen ihrer Herkunft, Abstammung etc. nicht daran teilnehmen können.
Das Aktionsprogramm fördert in nur einem Fall potentielle Opfer – bei einem Selbstverteidigungskurs für Mädchen in Neubrandenburg. In der Regel wird versucht, frühere oder zukünftige Täter, besonders aber Jugendliche mit extrem rechten Einstellungen in die Gesellschaft zurückzuholen. In Einzelfällen sollen auch Projekte gefördert worden sein, die für die Neonazis von Nutzen waren. Wir wollen hier einige sozialpädagogische Projekte vorstellen, bei denen Neonazis die Einrichtungen dominierten oder nutzten.
Ehrenamtliche Mitarbeiter im Dichterweg – Weimar/Thüringen
Das Projekt Vereinshaus/Jugendclub im Weimarer Norden will »rechtsorientierten« Jugendlichen eine »Stätte der Begegnung untereinander, wie auch anderer Gruppen« bieten. »Eine letzte Identifikation« hätte die Gruppe aber noch nicht gefunden. Vielleicht können hierbei ja ehrenamtliche Mitarbeiter aus dem Westen helfen, schließlich soll der Club »Begegnungsstätte für Jugendliche zum Gedankenaustausch über politisch relevante Themen« sein2 . Wie dieser Gedankenaustausch konkret aussieht, war im SFB-Stadtgespräch am 11. September 1992 zu sehen: Eine große Gruppe Neonazi-Skinheads lauscht andächtig rassistischen Parolen, die aus dem »off« zu ihnen dringen. Es spricht ein »ehrenamtlicher Mitarbeiter«. Als er mit der Parole »Deutschland den Deutschen - Ausländer raus« seinen Vortrag beendet, gibt ihn ein Kameraschwenk als Heinz »Nero« Reisz zu erkennen, Funktionär der regionalen GdNF-Organisation »Deutsches Hessen«. Einem Artikel von R. Fromm und Th. Leif in der Wochenzeitung FREITAG zufolge3 kommen seit 1991 unregelmäßig solche »Ehrenamtlichen Mitarbeiter« von der GdNF — auch von DA-Gruppen aus Rheinland-Pfalz und Sachsen - in den Dichterweg.4 »Die Gruppe vom Dichterweg sieht derzeit ihre Hauptaufgabe in der Verbreitung ihres extrem rechten Gedankengutes und ihrer Selbstdarstellung. Weder die Stadt, noch die Sozialarbeit haben derzeit eine durchdachte Konzeption, wie auf diese Entwicklung reagiert werden sollte. Die Neonazis nutzen den Jugendtreff folglich ungehindert zur Politisierung der frustrierten Jugendlichen.«
Da Th. Leif einen fast wortgleichen Artikel zum Aktionsprogramm, der lediglich in der Kritik weniger hart ausfällt, bereits eine Woche vorher in der Berliner Zeitung "Der Tagesspiegel" veröffentlichte5 , dürften die Vorkommnisse im Dichterweg zumindest in Berlin bekannt sein. Aber Berlin ist nicht Regierungssitz, und das BMFJ ist weit weg. Frau Angela Merkel war allerdings in Weimar und besuchte das Haus, dessen Erdgeschoßfenster vermauert sind. Unter der Reichskriegsflagge sitzend, soll sie einen eher positiven Eindruck gehabt haben.6 .
Spenden für Sarajevo - Eine Etage für die "Deutsche Alternative" in Hoyerswerda
Ob unter den Kadern des sächsischen Flügels der »Deutschen Alternative«, die den Weimarer Dichterweg-Klub besuchen, auch solche aus Hoyerswerda sind? Möglicherweise der Landesvorsitzende Roman Dannenberg? Entgegen der oben zitierten Meinung von Frau Angela Merkel ist die trostlose Plattenbau-Stadt in der Lausitz eines der Zentren dieser mittlerweile verbotenen ostdeutschen GdNF-Vorfeldorganisation.
Ihre Kameradschaft, die sich wöchentlich in einer Etage des "Jugendclub WK 10" trifft, besteht aus ca. 20 bis 30 Mitgliedern. Als Anlaß für die Ankündigung des 20 Mio.- Programmes mußte das Sächsische »Klein-Chicago« natürlich auch zur Schwerpunktregion erklärt werden. Das Projekt »Mobile Jugendarbeit in Hoyerswerda« verspricht die Schaffung eines »Jugendtreffs als Anlaufstelle und Raum für stigmatisierte Jugendliche«. Dieser letzte Begriff (er bedeutet ungefähr: abgestempelt) ist im Vokabular des Aktionsprogrammes mit (extrem) rechte oder neonazistische Jugendliche zu übersetzten. Der "Jugendclub WK 10" wurde von Neonazis besetzt. Nach der Besetzung stimmte die Stadt einer Nutzung zu. Die hierfür eingestellten Sozialarbeiter sind mehr oder weniger offene Sympathisanten der DA-Neonazis: »Ich finde es besser, wenn sie organisiert sind« sagt einer von ihnen7 . Der Chef des polizeilichen Streifendienstes freut sich denn auch, daß die Neonazis Spielzeug für Kinder in Sarajevo sammeln, und im einstmals »ausländerfreien« Hoyerswerda nun wieder 16 (in Worten: sechzehn) Flüchtlinge aus Bosnien akzeptieren.
Hoyerswerda habe keinen harten, brutal auftretenden Kern von Rechtsradikalen mehr8 . In Deutschland fallen die Neonazis mal wieder vom Himmel, um dann plötzlich spurlos zu verschwinden. Politisch verantwortlich für diese Zustände zeichnet Martin Schmidt, Dezernent für Kultur, Bildung und Soziales der Stadt Hoyerswerda. Martin Schmidt weist einen rechten Einfluß im WK 10 entschieden zurück, einen Angriff von Neonazis auf den linken Jugendclub »Linksabbieger« stellt er in Übereinstimmung mit der Polizei als unpolitischen Vandalismus dar.
Was für Gedanken Martin Schmidt vertritt, wird in einem Artikel deutlich, den er im Herbst 1992 in der Zeitschrift "Erziehung und Wissenschaft" veröffentlicht hat. Entwurzelung, »Zuzug aus allen Regionen«, der die »traditionellen Familienbindungen« zerreiße und »Einschränkung des Wissens«, die »Heimat, Landschaft und Kultur zum Exotikum« habe werden lassen, macht er für die rassistische Gewalt verantwortlich. Daß er erklärt, in den »verwechselbaren Betonbauten« der Städte sei Orientierung nicht möglich, ist für die Stadt Hoyerswerda verständlich, erinnert aber allzusehr an die großstadtfeindliche Propaganda, wie sie verschiedenste konservative bis neonazistische Kräfte traditionell betreiben. Hier noch eine Blüte: »Die hohe Frauenarbeitslosigkeit reduzierte das Familienleben...«. Unverständlich, warum er dennoch Aufrechterhaltung der Frauenberufstätigkeit fordert. Oder: »...Randalen - die zuletzt von zwei Jugendeinrichtungen mit Unterstützung von außen - über die Stadt hereinbrachen...« Über die Stadt. Nicht über die Flüchtlinge. Von außen. Doch nicht von den braven "Deutsche Alternative"-Aktivisten. Hereinbrachen. Nicht angezettelt wurden. Aber mit Randalen meint Martin Schmidt scheinbar sowieso die Demonstration gegen das Pogrom, die im Herbst 1991 von der Polizei angegriffen wurde. Im selben Artikel spricht er von »gewaltgeneigten, nationalistisch gesinnten Jugendlichen«, die den Jugendclub nutzten. »Die dort arbeitenden Jugendlichen sind nicht gewaltgeneigt.« sagt er dann der Zeitung "FREITAG". Der »Jugendklub WK 10« soll laut diverser Berichte zeitweilig über Mittel aus dem Aktionsprogramm AgAG unterstützt worden seien, was offizielle Stellen mittlerweile jedoch dementieren.In der Drucksache 12/4906 vom 12. Mai 1993 erklärte die Bundesregierung (Bundesministeriums für Frauen und Jugend ) der Jugendclub WK 10 würde weder direkt noch indirekt durch Mittel aus dem AgAG-Programm gefördert. Kreisjugendamt und Stadtverwaltung Hoyerswerda als Träger der Einrichtung hätten mitgeteilt, daß Versuche einer rechtsextremistischen Unterwanderung inzwischen unterbunden worden seien. Zusätzlich zu den Angriffen durch Neonazis.
Rechte Schläger mit Schlüsselgewalt - der Sandower Jugendclub in Cottbus/ Brandenburg
Der "Sandower Jugendclub" ist ein Kernstück der Arbeit des »Jugendhilfe e.V. Cottbus«. Der Verein entstand aus einer ursprünglich linken Initiative für die Instandsetzung eines Hauses.
Der Vorsitzende des Vereins Jörn Meyer will zwar weiterhin auch Geld für linke Initiativen zur Verfügung stellen, bisher erscheint die konkrete Arbeit des Jugendhilfe e.V. aber trotzdem eher etwas rechtsoffen. Nach dem Konzept akzeptierender Jugendarbeit wurden vier Streetworker angestellt, zwei davon sind Punks. Einer dieser Punks wurde jedoch mittlerweile entlassen, weil er auf einem Camp gezielt einen Antifaschisten verprügelt haben soll. Jörn Meyer ist bemüht, bei der Neubesetzung der Stelle auch die Vorschläge aus der linken Szene in Cottbus zu berücksichtigen. Doch zwei weitere Streetworker sind jahrelang in der Neonazi-Skinhead-Szene der DDR aktiv gewesen. So Andreas „Andy“ M. - ein regional bekannter rechter Schläger, der auch beim Neonazi-Überfall auf ein linkes Konzert in der Ostberliner Zionskirche 1987 dabei war. Er war seinerzeit ein guter Kumpel vom heutigen "Deutsche Alternative"-Funktionär Karsten Wolter.9 Beide kamen gemeinsam in den Knast. Karsten Wolter, der früher aus der Haft entlassen wurde, holte seinen Kumpel bei seiner Freilassung vom Knast ab, um ihm mitzuteilen, daß ihm in der neugegründeten "Deutsche Alternative" ein fester Platz reserviert ist. Für ein Vierteljahr waren sowohl Andreas „Andy“ M. als auch der andere Streetworker Christian „Kolli“ K. Mitglieder der Neonazi-Partei.10 Dann stiegen beide aus, und in ihrem Gefolge eine Reihe von „Alt-Glatzen“, die heute das Publikum des Sandower Jugendclubs ausmachen.
Zwischen Andreas „Andy“ M. und Karsten Wolter war es zum Bruch gekommen, als sich herausstellte, warum letzterer früher frei kam. Karsten Wolter gegen seinen Kumpel ausgesagt. Wo Andreas „Andy“ M., dessen Sohn übrigens Adolf heißt, trotz dieser Konflikte steht, wird aber noch deutlicher werden. Zunächst zum zweiten Szene-Streetworker. Christian K. wird als kumpelhafter, umgänglicher Schläger geschildert. Nachdem etwa 30 rechte Skinheads zu einem Angriff auf ein linkes Zentrum unterwegs waren und ein Auto von Antifas angegriffen wurde, soll er sich später bei den Opfern entschuldigt haben.11 . Auf den ersten Blick wirkt der prügelfeste Kumpel tatsächlich wie geschaffen für den Streetworker-Job, zumal er glaubhaft machen konnte, daß er selber kein Neonazi mehr sei. Aber seine Kontakte zur DA sind ungebrochen. Es soll Hinweise darauf geben, daß er es war, der kürzlich bei einem DA-Treffen den einleitenden Vortrag zum Thema Jugendarbeit gehalten hat.
Der "Jugendclub Sandow" bot eine Zeitlang tatsächlich Räume für die Kameradschaftsabende zunächst einer »Deutschen Hitler-Jugend«, dann der Jugendorganisation der DA. Mittlerweile läuft keine Parteiarbeit mehr in Sandow. Karsten Wolter hat für den Versuch angeblich sogar „aufs Maul gekriegt“, obwohl dabei auch die Feindschaft zu Andreas „Andy“ M. eine Rolle gespielt haben könnte. Bei den "Alt-Glatzen" ist rechte Parteiarbeit mittlerweile out. Das hinderte den Bundesvorsitzenden der "Deutschen Alternative" (DA) Frank Hübner laut den Aussagen von BeobachterInnen nicht daran, kürzlich eine Fete im Club zu besuchen. Dem Angriff vom 31. Oktober 1992, der oben geschildert wurde, ging ein Konzert der Neonazi-Band »Märtyrer« im Club voraus. Konzerte neonazistischer Bands gelten offenbar nicht als Parteiarbeit, auch, wenn sie von der DA organisiert werden.12 Möglich wirds, weil Streetworker Andreas „Andy“ M. ein Schlüsselrecht haben soll. Er soll zeitweilig als ein Protagonist einer »Skrewdriver Security Deutschland« wahrgenommen worden sein. Diese soll sich als eine Art "Schutztrupp" der englischen Neonazi-Band "Skrewdriver" verstanden haben, die Flaggschiff des neonazistischen "Blood & Honour"-Netzwerkes ist.13 Das letzte Konzert im Club - mit den Neonazi-Bands "Störkraft" und "Werwolf" - fand nach Berichten regionaler AntifaschistInnen kürzlich statt.14
Die Neonazi-Band "Skrewdriver" selber wollte bereits am 3. Oktober 1991 in der Region spielen. In Neonazi-Kreisen berichtete man später über eine "Autogrammstunde" des Band-Sängers Ian Stuart Donaldson in einem Cottbuser Jugendclub.15 Vor dem geplanten Konzert zogen Neonazi-Skinheads mit einigen Bandmitglieder los, um Linke und Ausländer zu jagen. Nachdem die Cottbusser Polizei fast die gesamte Band-Besetzung festnahm, fiel der Auftritt jedoch flach. Der Band-Schlagzeuger John Bellany (»Burnley«) soll auf einen Passanten eingestochen haben. Auch das Bandmitglieder Steve Calladine (»Stigger«) und der Bassist Jon Hickson (»Smiley / Icky«) wurden hier wegen Gewalttätigkeiten verhaftet.
Außer den oben geschilderten Angriffen lassen sich den Cottbusser „Alt-Glatzen“ keine Angriffe in Cottbus anlasten. Heißt das und ihre parteipolitische Enthaltsamkeit etwa eine Läuterung? Die unorganisierten, »autonomen« rechten Prügler der Region Cottbus gehen, was Aktionen angeht, offenbar arbeitsteilig vor. Für Aktionen in Cottbus sind die Kameraden aus Spremberg, Senftenberg, Lübbenau zuständig, die Cottbusser arbeiten außerhalb. So kann der jeweiligen Szene nie direkt eine Terroraktion zugeordnet werden.
Die Jugendhilfe will im Rahmen mobiler Jugendarbeit auch einen Container für eine rechte Clique bereitstellen - wiederrum mit Schlüsselrecht, also zur weitgehend freien Verfügung. AntifaschistInnen enttarnten den jungen Ansprechpartner Sten Söhndel als organisierten Neonazi-Aktivisten, die Jugendhilfe wählte einen anderen aus. Eine Woche nach dieser Entscheidung veröffentlichte die Zeitung "Der Spiegel" einen Artikel, der die Informationen der Antifas bestätigte.16 Nun soll der Container so geführt werden, daß rechte Parteiarbeit nicht möglich ist. Die "Jugendhilfe Cottbus e.V." scheint bemüht, dennoch muß sie sich eine herbe Kritik gefallen lassen, da sie Personen wie Andreas M. und Christian „Kolli“ K. weiterhin stützt.
Es ist für einige regionale Beobachter auch nur schwer nachzuvollziehen, warum in einer strukturschwachen Region wie Cottbus eine ABM-Stelle ausgerechnet an Christian „Kolli“ K., einem Unteroffizier der Bundeswehr auf dem Flugplatz Cottbus Nord, vergeben wurde.17
Vom Aktionsprogramm zur Aktion Pogrom? - Der Jugentreff Groß-Klein (Rostock)
Alle bisher genannten Projekte sind Projekte der offenen Arbeit bzw. in der Kategorie von AgAG Jugendclubs/Freizeitangebote. Gemeinsam mit den relativ unkontrollierten Zentren unter eigener Verwaltung legen die Projekte offener Arbeit im Rahmen des AgAG die unklarsten und gefährlichsten Konzepte vor.
Offene Arbeit läuft auch im "Jugendklub MAX", dem ehemaligen "Jugendclub Max- Reichpietsch", ein vom Jugendamt Rostock getragenes Projekt in einer nördlichen Sattelitenstadt. Groß-Klein liegt direkt gegenüber von Lichtenhagen, mit dem es durch jene S-Bahnbrücke verbunden ist, die während des Pogroms vom letzten August traurige Berühmtheit erlangte. Brücke und Bahndamm bildeten das Rückzugsgebiet der Rassisten. Während die Öffentlichkeit die Bewohner Lichtenhagens allein für das Pogrom verantwortlich machte, gelangten die Nachbarbezirke Lütten-Klein und Groß-Klein nicht so sehr in den Blickwinkel, obwohl mindestens die rassistischen Jugenlichen von Groß-Klein genauso viel Verantwortung tragen, wie die Lichtenhäger.
Möglicherweise hat der Jugendtreff dabei eine unrühmliche Rolle gespielt. An einem der Abende des Pogroms wurde der Club von AntifaschistInnen angezündet18 . Er liegt unmittelbar hinter der Brücke, quasi gegenüber des Hochhauses, in dem die ZASt untergebracht war. Einige Tage nach dem Pogrom beklagten dann einige sehr junge Besucher des Clubs öffentlichkeitswirksam den Verlust ihres Jugendzentrums. Gelegenheit dazu hatten sie u.a, in einer Fernseh Sondersendung des »Brennpunkt«. In Interviews hatten sie vorher ihre Teilnahme am Pogrom mehr oder weniger unmißverständlich klargemacht. Als lieber, braver, etwas verwirrter rechter Skinhead trat hier auch ein "Paul" auf, mit dem man im Verlauf der Sendung regelrecht Mitleid bekommen konnte. Dieses Mitleid vergeht jedoch schnell wieder, wenn man seine Aussagen im Nachrichtenmagazin "Stern" nachliest: »Aber wir werden weitermachen. Ruhe ist erst, wenn der letzte Auslander raus ist.«19 .
Im Mai 1992 soll die NPD-nahe »Hamburger Liste für Ausländerstopp« (HLA) von Michael Andrejewski einige Jugendlichen des Clubs für ihre Propagandatätigkeit eingespannt haben. Nach Berichten Rostocker AntifaschistInnen sollen die Jugendlichen bereitwillig die rassistische Propaganda unter dem Titel "Rostock bleibt Deutsch", die das Pogrom vorbereiten half, in die Briefkästen des Bezirkes verteilt haben20 .
Über die Neonazi-Szene in Rostock ist nur wenig bekannt, sie gilt jedoch als sehr "Blood & Honour"- nah. Eine besondere Rolle spielen hier die Konzerte neonazistischer Skinhead-Bands im Umfeld von »Blood & Honour«(B&H). Ein Partner von B&H in Deutschland ist die "Nationale Liste" in Hamburg21 , ihrerseits auch mit der HLA verflochten. Konzerte von B&H-Bands sollen auch in Rostock mehrfach in Jugendclubs stattgefunden haben. Gerade erst am 12. Dezember 1992 wurde ein geplantes Neonazi-Konzert von »Endstufe« und der Rostocker Neonazi-Band »Edwins« im Jugendtreff »Nautilus« verboten.22 Ein weiteres Konzert mit den Neonazi-Bands »Störkraft« und »Endstufe« soll für den 18. August 1992 in Rostock geplant gewesen sein. An diesem Dienstag ging der erste Drohanruf bezüglich des bevorstehenden Pogroms bei Rostocker Zeitungen ein.
Die zuständigen Behörden haben um die Vorkommnisse im Jugend-Club offenbar gewußt. Die FAZ schreibt: »Schon im Februar habe sich die rechte »Szene« mit der Polizei und dem Innensenator von Rostock getroffen, hier im Clubhaus. Da sei dem Polizeichef gesagt worden: 'Wenn hier noch mehr Ausländer herkommen, dann protestieren wir.'« In der Selbstdarstellung des »Jugendtreff Groß-Klein« ist angesichts der brisanten Situation ein vernünftiges Konzept nicht zu erkennen.
Ministerin Angela Merkel macht bei dem Jugendklub von ihrem Einspruchsrecht keinen Gebrauch23 , obwohl ein Jugendlicher ihr direkt und offen erklärte, daß VietnamesInnen das Jugendzentrum nicht betreten sollen. Das Projekt wird trotzdem weiter gefördert. Projekte »offener« Jugendarbeit, in denen Jugendliche rassistische Einlaßbeschränkungen durchsetzen, sind im Rahmen der AgAG-Förderung offenbar "Normalität".
Gewaltprävention für die Rückkehr in die »Zivile Gesellschaft«
Es muß noch einmal betont werden: Dies sind Einzelprojekte, Extrembeispiele aus einer weiten Bandbreite von Projekten. Es ist allerdings anzunehmen, daß sich weitere, ähnliche Beispiele finden lassen. Nicht alle Projekte sind aber »Naziprojekte«, wie etwa ein Artikel des »Frontblatt« glauben macht24 .
Einige Projekte arbeiten sehr gut, andere haben mindestens interessante Ansätze. Eine Kritik des Programmes, die gefährliche Einzelprojekte zum Kern hat, geht am Problem vorbei. Zu kritisieren sind die prinzipiellen Analysen, Einschätzungen und Konzepte, die Prämissen des Programmes. Auf dieser Grundlage werden die »Nazi-Projekte« möglich, auch wenn wir annehmen, daß eine direkte Stärkung neonazistischer Strukturen nicht Ziel des BMFJ ist.
Jugendpolitik in der DDR hat es gegeben, auch wenn sie nicht unseren Vorstellungen entsprach. Sie wurde aber bewußt kaputt geschlagen. Es gibt also, entgegen den gängigen Behauptungen, jugendpolitische Erfahrungen in den neuen Ländern; auf sie wird nicht zurückgegriffen, weil sie die unerwünschten Erfahrungen einer zu beseitigenden Vergangenheit sind. Aus der Wende wird eine Art »Stunde Null« gezimmert. Die Schaffung völlig neuer jugendpolitischer Strukturen auf einem angeblichen »Neuland« wie auch die Beschäftigung mit rechten Jugendlichen fördert bei den hier tätig werdenden Akteuren eine Art Frontgeist, nach dem Motto: »Man muß den Mut haben, sich mit diesen Jugendlichen auseinanderzusetzen.« Was diese "Helden der Jugendarbeit" vergessen ist, daß AntifaschistInnen, ImmigrantInnen und eine Reihe gesellschaftlich weit mehr stigmatisierter« Gruppen seit Jahren dazu gezwungen sind, sich mit den »Rechten« auseinanderzusetzen – ob sie wollen oder nicht, aber nie für guten Lohn oder auf ABM beschäftigt.
Das zentrale Problem ist die Entpolitisierung der Auseinandersetzungen. Das kommt schon im Namen des Programmes zum Ausdruck: Es richtet sich gegen »Gewalt und Aggression«. Gewalt und Aggression werden in erster Linie psychologisch analysiert. Daraus ergibt sich, daß die Zielrichtung der Aggression zufällig sei, von äußeren Einflüssen bedingt, aber an sich nebensächlich. Aus der Unfähigkeit, eigene Probleme zu bewältigen, aus Mangel an Erfahrungen und Eindrücken, unverbrauchter Energie oder aus zu geringen menschlichen Beziehungen, Liebesmangel etc. entstehe demnach Aggression. Sie müsse entsprechend bewältigt werden. Diese Analyse ist Grundlage aller sozialpädagogiscben Konzepte, die das Programm zu verfolgen sucht.
Wie absurd und eindimensional dieses »Frustrations- Aggressions-Muster« ist, hat Prof. Birgit Rommelsbacher von der Berliner Fachhochschule für Sozialarbeit und Sozialpädagogik (FHSS) bereits Ende 1991 gezeigt. Anläßlich der Gründung eines »berufsbezogenen antirassistischen Netzwerkes« schmetterte sie diese Argumentation messerscharf ab: »Wenn dieser Zusammenhang stimmte, müßten die Frauen, Flüchtlinge und Einwanderinnen ein weitaus gefährlicheres Aggressionspotential darstellen, als die rechten und in der Regel männlichen Gewalttäter.«25
Während der Rassismus durch Asyldebatten geschürt, auf der kommunalen Ebene oft sogar zu ganz und gar nicht zivilen Aktivitäten ermuntert wird, wird scheinheilig eine »Zivile Gesellschaft« gepredigt. Grundlage einer solchen Gesellschaft ist das staatliche Gewaltmonopol und die »gewaltfreie« Austragung von Konflikten. In der Praxis heißt das im patriarchal und kapitalistisch geprägten Staat freilich: Gewalt von oben ist hinzunehmen, Gewalt von unten ist unanständig. In die scheinbar zivile, in die patriarchale kapitalistische Gesellschaft, können und sollen die jungen »Rechten« zurückgeholt werden.
Können - weil sie die Grundlagen dieser Gesellschaft akzeptieren, weil ihre Gewalt und ihr Rassismus die Vollstreckung dieser Prinzipien bedeutet: Die reine, unverhüllte Gewalt von Männern gegen Frauen, der reine, erbitterte Konkurrenzkampf aller gegen alle. Wie das Rudel mit seiner Hackordnung den einzelnen Wolf stärken kann, so rücken die Menschen nach dieser sozialdarwinistischen Vorstellung unter dem Banner des (völkischen) Nationalismus zusammen, um auf Kosten der übrigen Menschheit den eigenen Wohlstand zu sichern.
Hier wird auch klar, warum linksradikale Politik so anders beantwortet wird: Sie zweifelt diese Grundlagen ja gerade an. Das Handeln der »Rechten« entspricht der Gesellschaftsordnung, es denkt sie konsequent weiter. Aber so konsequent sollen die jungen Leute doch nicht denken, weil das vorerst den geordneten Ablauf kapitalistischen Lebens beeinträchtigt. Weil sich die Bewegung verselbständigen und die Fronten sich verschieben könnten. Darum sollen sie in die brave Zivilgesellschaft zurückgeholt werden. Und genau hierrauf zielt das Programm. »Jugendliche von der Straße holen« - und zwar männliche, weiße Deutsche - heißt nichts anderes als die Verschiebung der Probleme. Sie werden dann z.B. in den Familien ausgetragen.
Die theoretischen Grundlagen für die Entpolitisierung finden sich in einer Reihe unterschiedlich gut recherchierter Veröffentlichungen, von W. Heitmeyer über Seidel-Pielen/Farin bis zu Burkhardt Schröder, die die neonazistische Bewegung vor allem unter dem Blickwinkel psychologischer Erklärungen für ihre Anhängerschaft unter Jugendlichen betrachten. Fundierte Beschreibungen extrem rechter Strukturen und politischer Zielsetzungen finden bei PädagogInnen und SozialarbeiterInnen kaum Beachtung.
Gewalt, losgelöst von politischen Strömungen, als eigentliches Problem bestimmt die öffentliche Diskussion. Das eigentliche Problem ist aber Rassismus. Und Rassismus ist keine zeitweilige psychologische Verwirrung aufgrund schwieriger Umbruchsituationen, sondern auch eine Form der Ideologie. In einem beliebigen Fremdwörterbuch haben wir unter »Ideologie« die folgende Definition gefunden: »Ideenlehre; polit. Grundvorstellung, die ein polit. Ziel bestätigen, begründen und erreichen will.«26
Es ist uns keineswegs gleichgültig, warum einzelne Menschen Ideologien übernehmen. Aber wir müssen feststellen: Es gibt in Deutschland eine Bewegung, die es sich zum Ziel gesetzt hat, Deutschland nach rassistischen Kriterien »ausländerfrei« zu machen. Ihr Arm auf der Straße sind zum Teil jugendliche Gewalttäter, die die Ideologie, die diese Bewegung »bestätigen, begründen und erreichen« will, nicht immer voll verdaut haben oder gar formulieren können - obwohl schon viele Menschen verblüfft feststellen mußten, wie klar diese Vorstellungen sind und sich in Situationen fanden, in denen ihnen in ihrer intellektuellen Überheblichkeit die Argumente ausgingen.
Wenn also eine Ideologie und die zugehörige Bewegung als Problem erkannt werden, dann werden auch andere Ziele der Jugendarbeit verfolgt werden müssen. Dann geht es zunächst um die Isolierung derjenigen, die die Ideologie voll vertreten, verbreiten, mit ihr ein politisches Ziel verfolgen. Dazu muß man sie kennen, erkennen und entlarven können. Sich das nötige Wissen darüber zu verschaffen und die entsprechenden Argumente zu formulieren ist die verdammte Pflicht und Schuldigkeit jedes/r verantwortlichen Sozialarbeiters/in. Es geht weiterhin um die Isolierung und Bekämpfung dieser Ideologie in den Hirnen derjenigen Jugendlichen, die noch erreichbar sind. Aber dazu muß man/frau eine eigene Meinung haben, offen und kontrovers vertreten. Jugendliche merken schnell, wenn sich jemand bei ihnen einschleimen will und unehrlich wird.
Argument für die Arbeit mit »rechten« Jugendlichen ist die Forderung, sie in ihren Problemen ernst zu nehmen. Zunächst einmal sollte man sie in ihren Aussagen ernst nehmen. Wenn sie sagen: »Deutschland den Deutschen - Ausländer raus!« dann meinen sie dies ganz ernst. Sie haben ja auch bewiesen, daß sie bereit sind, dieses sehr klare und eindeutige Ziel mit allen Mitteln zu verfolgen und durchzusetzen.
Das Aktionsprogramm ein Propagandaschauspiel
Wir haben uns während der Arbeit an diesem Artikel zeitweilig gefragt, ob wir das Aktionsprogramm nicht in seiner Bedeutung überschätzen. Tatsächlich ist es vor dem Hintergrund der allgemeinen Tendenz der Jugendpolitik zu Kürzungen, Einschränkungen und einseitigen Angeboten ein Akt propagandistisch aufgemotzter Augenwischerei. Mit großem Medienrummel rückt das BMFJ das Programm als Beweis seiner Aktivität in den Blick der Öffentlichkeit. Ein Artikel der Zeitung "Neues Deutschland" vom 14. September 1992 dokumentiert darüber hinaus, wie es dem Sozialministerium Sachsen-Anhalt gelingt, das selbe Programm, das der Bund ins Leben rief, als besondere Leistung des Landes zu verkaufen. Auch etliche regionale Jugendämter nutzen die geförderten Projekte, um zu beweisen, wie aktiv sie im Bereich der Jugendpolitik sind. So profitieren alle staatlichen Instanzen, von oben nach unten, von dem Medienspektakel.
Frau Angela Merkel fliegt dann auch schon mal im Hubschrauber in die neuen Länder - wie mutig - um sich vor Ort ein Bild zu verschaffen. Im Gefolge schleppt sie einen Schwanz von Presseleuten und Fernsehteams mit, damit auch ja viele Leute von ihrer Aktivität erfahren. 20 Millionen D-Mark sind natürlich, verteilt auf 144 Projekte, abzüglich der Finanzierung der begleitenden Maßnahmen, nicht allzu viel Geld. Die Bundesministerin verweist auf die Zuständigkeit der Länder. Die Länder geben z.T. einen weiteren Zuschuß, verweisen aber auf die Zuständigkeit der Kommunen. Die Kommunen sind verschuldet, vom Finanzministerium aufgefordert, Sparmaßnahmen zu ergreifen. Alle Projekte der Jugendarbeit klagen über Finanzmangel, sogar wenn sie durch AgAG gefördert werden.
- 1Konzertierte Aktion Bundesjugendplan - KABI Heft 7 (zum Aktionsprogramm), 7.7
- 2Alle Zitate aus: Informationsdienst AGAG 1/92, S.80
- 3FREITAG, 4. Oktober 1992
- 4In der Bundestag Drucksache 12/4906 vom 12. Mai 1993 heisst es hingegen, dem Bundesministerium für Frauen und Jugend sei bekannt, daß in der Laufzeit des AgAG in einem Fall bekannte Rechtsextremisten in diesem Gebäude aufgetreten seien. Die genannten Personen seien zu keiner Zeit ehrenamtliche Mitarbeiter des durch das AgAG geförderten und vom Jugendamt Weimar getragenen Projekts „Dichterweg" gewesen.
- 5"Der Tagesspiegel", 29. September 1992
- 6Vgl. "Stuttgarter Zeitung", 16. Oktober 1992 und "DIE ZEIT", Nr. 50 - 04. Dezember 1992: „Am Rande eines Neo-Nazi-Treffens stärkte sich Heinz Reisz, von den Freunden Nero genannt, am Dichterweg-Klub mit Bier und Thüringer Bratwurst. (…) Neben Reisz hat auch Roman Dannenberg aus Hoyerswerda, der Landesvorsitzende der Deutschen Alternative (DA), die Dichterweg-Gruppe schon besucht (…) Weil der Nichtangriffspakt zwischen den beiden Jugendszenen jeden Moment gebrochen werden könnte, ist sogar die Jugendministerin als Friedensengel nach Weimar eingeschwebt. (…) Angela Merkel kritisiert nicht, sucht nicht die Auseinandersetzung. (…) Die Ministerin verabschiedet sich freundlich von den rechten Jugendlichen. 'Schreibt, wenn ihr Probleme habt.' Wegen der Reichskriegsflagge hat Angela Merkel eine Vereinbarung getroffen: Wenn die Jugendlichen mit den Bauarbeiten im Klubhaus beginnen, holen sie die Flagge ein."
- 7FREITAG, 23.Oktober 1992
- 8Berliner Morgenpost, 29. Juni1992
- 9Karsten Wolter ist einer der stellvertretenden Bundesvorsitzenden der 1989 gegründeten Partei
- 10In der Drucksache 12/4906 vom 12. Mai 1993 erklärte die Bundesregierung, dem Landesjugendamt Brandenburg als der zuständigen Bewilligungsbehörde sei nur bekannt, daß eine Person früher kurzzeitig in der DA Mitglied war. Nach Auskunft des Landesjugendamts Brandenburg war die Mitgliedschaft beendet, bevor der Betroffene bei dem durch AgAG geförderten „Jugendhilfe e. V. Cottbus" beschäftigt wurde. Nach derselben Auskunft hat die genannte Person einer Organisation namens „Screwdriver Security Deutschland" nicht angehört. Laut Landesjugendamt Brandenburg träfen die Vorwürfe „für den Zeitraum der Tätigkeit der genannten Person als Streetworker nicht zu“.
- 11Vgl. die Schilderung in der Zeitschrift "Telegraph" 11/1992
- 12„Die Projektverantwortlichen haben hierzu die Auffassung vertreten, daß es im Blick auf die anzusprechende Zielgruppe sinnvoll sein kann, offensiv eine Auseinandersetzung der Jugendlichen mit den Songs und Texten solcher Gruppen herbeizuführen.“ (Bundestagdrucksache Drucksache 12/4906 )
- 13Szeneintern bekannter ist in diesem Zusammenhang ein "Skrewdriver Services Deutschland", der von westdeutschen Neonazis aus den Kreisen der Neonazi-Bands "Noie Werte", "Triebtäter" und "Ultimo Ratio" betrieben wird
- 14In der Drucksache 12/4906 vom 12. Mai 1993 erklärte die Bundesregierung „während der Laufzeit des AgAG-Programms“ habe es keine Konzerte mit den Musikgruppen „Störkraft" und „Werwolf" gegeben. Die Gruppe „Märtyrer" trat am 31. Oktober 1992 im Jugendclub „Sandow" auf. In der pädagogisch begleiteten Auswertung dieses Konzerts kamen die im Jugendclub „Sandow" betreuten Jugendlichen überein, künftig auf die Durchführung ähnlicher Konzerte zu verzichten.
- 15Nach Auskunft des Landesjugendamtes Brandenburg hat das Konzert nicht im Jugendclub „Sandow" stattgefunden. Der geplante Auftritt der Band „Screwdriver" in der Gemeinde Werben bei Cottbus (Anfang Oktober 1991) stünde weder mit dem AgAG-Programm noch mit dem "Jugendhilfe e. V." in einem Zusammenhang.
- 16DER SPIEGEL, 23.11.1992: "Grüne Stadt mit brauner Jugend - Wie im brandenburgischen Cottbus Neonazis zur drittstärksten Mitgliederpartei wurden".
- 17Nach Auskunft des Landesjugendamtes Brandenburg war die genannte Person bereits als Zeitsoldat entpflichtet, bevor sie als Mitarbeiter des „Jugendhilfe e. V. " eingestellt wurde.
- 18Vgl. die Erklärung in der Zeitschrift "radikal" und in der FAZ vom 2. September 1992
- 19Paule, 16, Schüler aus Rostock in einem Interview mit dem "Stern" vom 3. September 1992.
- 20Vgl. Antifaschistisches Infoblatt Nr. 20a, S.10
- 21Vgl. diverse Ausgaben der B&H-Fanzines
- 22Nach Auskunft des Kultusministeriums Mecklenburg-Vorpommern, seien dahin gehende „Vorschläge von Jugendlichen“ durch die Projektverantwortlichen abgelehnt worden. Im Jugendclub „Nautilus" habe es keine Auftritte rechtsextremer Musikgruppen gegeben.
- 23Das Bundesministerium für Frauen und Jugend hat in 23 Fällen von seinem „Einspruchsrecht mit aufschiebender Wirkung“ Gebrauch gemacht. Nachdem dem Bundesministerium die angeforderten zusätzlichen Informationen zu diesen Projekten vorgelegt worden waren, konnte in 22 Fällen - zum Teil mit Auflagen und Modifikationen – eine Zustimmung erteilt werden. In einem Fall hat das zuständige Landesministerium den Antrag im Einvernehmen mit dem Antragsteller zurückgezogen.
- 24"Frontblatt" 11/92
- 25"Der Tagesspiegel" Tsp, 9. November 1991
- 26Mackensen: Das neue Fremdwörterbuch, Köln O.J.