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Das Clubhaus von „Voice of Anger“

Sebastian Lipp
Einleitung

Bis Juli 2016 verdichteten sich die Hinweise, dass der Neonazi-Kameradschaft „Voice of Anger“ (VoA) ein neues Clubhaus zur Verfügung steht. Eine spontane antifaschistische Kundgebung am 7. Juli 2016 erwischte die Neonazis dort, als sie sich ein Spiel der National-Elf anschauten – was den Verdacht bestätigte.

Foto: S. Lipp

Neonazis werden zur „Gartenschänke“ von „Voice of Anger“ geführt.

Die Neonazis hatten, wie weitere Recherchen zeigten, bereits im Februar die ehemalige „Schänke“ einer Kleingartenanlage bei Memmingen im bayerisch-schwäbischen Allgäu gekauft. Trotzdem Behörden die Eintragung ins Grundbuch — und damit die Übertragung des Eigentums — bislang verhindern, konnten „Voice of Anger“ das einjährige Bestehen des neuen Clubhauses feiern.

Seit ihrer Gründung kämpfen die Neonazis von „Voice of Anger“ um ein eigenes Clubhaus — bisher konnten sie keines halten. Bis Ende 2011 nutzten sie ein Gebäude in Tannheim im Landkreis Biberach und bis Mai 2012 eins in Weitnau im Landkreis. „Voice of Anger“ gelang nun der Kauf eines Gebäudes in Buxach-Hart an der Talstraße, wie Recherchen des Störungsmelder von ZEIT ONLINE am 12. Juli 2016 aufdeckten. Glaubt man dem bayerischen Verfassungsschutz, stehen „gemeinsame Freizeitgestaltung“ und Konzertbesuche im Mittelpunkt der Aktivitäten der Vereinigung. Tatsächlich stellt dies eine Verharmlosung der immerhin größten Neonazi-Skinhead-Gruppe Bayerns dar. Auf dem vom Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz (BfV) mitverantworteten Portal „Bayern gegen Rechtsextremismus“ heißt es zur 2002 gegründeten Kameradschaft „Voice of Anger“, sie sei „entgegen der sonst rückläufigen Entwicklung in Bayern die größte noch aktive Skinheadgruppierung“ mit etwa 80 Mitgliedern, ohne auf das sympathisierende Umfeld der Neonazis einzugehen, das nocheinmal so groß sein dürfte. Geht man von den Zahlen des Verfassungsschutz aus, stellt „Voice of Anger“ bereits mehr als die gesamte Personenstärke der bayerisch-schwäbischen Neonaziszene, die das LfV Bayern mit 60 angibt. Der württembergische Verfassungsschutz weigert sich, Auskünfte zur Gruppe zu geben und verweist auf die bayerischen Kollegen. Die Mitglieder der Kameradschaft konzentrieren sich im Raum Memmingen und Kempten. Dokumentiert ist aber eine räumliche Ausdehung der Gruppe vom Bodensee bis in die Landkreise Neu-Ulm und Ostallgäu.

Das Gebäude in Buxach-Hart wurde früher als „Gartenschänke“ des anliegenden Kleingartenvereins genutzt. Am 11. Februar 2016 schloss Boris G. einen Kaufvertrag mit der bisherigen Eigentümerin und wurde eine Woche später im Grundbuch vorgemerkt. Am Folgetag erteilte die Stadt Memmingen ihre Zustimmung. Markus W. beantragte eine Ausschanklizenz für das designierte Neonazi-Lokal. Der geplante Eigentümerwechsel blieb aber nicht unbemerkt: Antifaschist_innen machten am 7. Juli mit einer Kundgebung „Kein Raum für Nazis“ vor Ort darauf aufmerksam, dass nun Neonazis die ehemalige „Gartenschänke“ betreiben wollen. Außerdem widerrief die Stadt die wegen einer entsprechenden Grundbucheintragung not­wendige Zustimmung, wodurch vorerst die endgültige rechtswirksame Übertragung durch das Grundbuchamt verhindert werden konnte. Auch die Ausschanklizenz wird einstweilen nicht erteilt.

Der Käufer Boris G. legte Beschwerde dagegen ein, dass der Eintrag ins Grundbuch nicht vollzogen wurde. Das Oberlandesgericht München, das darüber entscheiden musste, vertritt die Ansicht, der „fristgerecht erklärte Widerruf hebt die zuvor wirksam erklärte Zustimmung auf und führt zu deren Erlöschen“. Entsprechend wies das Gericht die Beschwerde des 32-jährigen zurück. Damit würde die Veräußerung unwirksam und die Stadt könnte ihr Vorkaufsrecht ausüben. Allerdings hat G. dagegen Rechtsbeschwerde durch seinen Rechtsanwalt Alexander Heinig einlegen lassen. Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe muss nun entscheiden, ob der Neonazigruppe das Haus gehört oder nicht.

Trotz des unklaren Eigentumsverhältnisses ist „Voice of Anger“ dabei, in der „Gartenschänke“ mit internationaler Vernetzung und Konzertveranstaltungen Fakten zu schaffen. Am 12. November 2016 etwa trafen sich bis zu 50 Neonazis in dem Clubhaus zu einem „Balladenabend“ mit dem kanadischen Neonazi David Allan Surette alias „Griffin“. Surette gründete 1992 in Kanada die Band „Aryan“, mit der er einen religiösen Rassismus besang, wie er auch vom „Ku-Klux-Klan“ oder „Aryan Nations“ gepredigt wird. Das erste Album erschien bei „Resistance Records“, dem Label des Frontmannes der Band „Rahowa“. Der Name steht für „Racial Holy War“, also „Heiliger Rassenkrieg“. Noch immer tritt „Griffin“ mit seiner inzwischen in „Stonehammer“ umbenannten Band oder Solo mit Dudelsack auf. Griffin hatte viele Kontakte in der RechtsRock-Szene - u.a. zu Personen aus dem mittlerweile verbotenen „Blood & Honour“-Netzwerk. Er tritt als Mitglied der „Vandalen“ auf, einer Berliner Neonazi-Combo mit Rocker-Habitus wie „Voice of Anger“. Die Vandalen nennen sich auch „ariogermanische Kampfgemeinschaft“ und offenbaren damit sowohl ihre Ideologie als auch ihre Gewaltbereitschaft.

Auch „Faustrecht“, eine lokale RechtsRock-Band, war unter den Besuchern des „Balladenabend“ vertreten. Die Band tritt international auf Konzerten aus dem „Blood & Honour“-Spektrum auf. Der Mindelheimer Sänger Norbert "Nogge" Lecheler soll „seit vielen Jahren regen Kontakt“ mit dem kürzlich verstorbenen Hammerskin-Aktivisten und Polizei-Informanten Roland Sokol gehabt haben. Dieser sprach selbst von Faustrecht als „meine Freunde“. Einige der in der Neonazi-Szene sehr bekannten Tonträger werden vom — ebenfalls im selben Landkreis ansässigen — Label „Oldschool Records“ produziert und vertrieben, dessen Betreiber Benjamin Einsiedler wiederum als eine Art Führungsfigur von „Voice of Anger“ gilt.

Bei einer Durchsuchung in den Geschäfts- und Produktionsräumen von „Oldschool Records“ und dem Privathaus des Betreibers Einsiedler im Mai 2014 stellte die Polizei über 900 einschlägige Verkäufe fest, nachdem das Verfahren bereits 2012 (!) durch eine Anzeige wegen eines Pullovers mit SS-Totenkopf im Shop des Neonazi-Labels angestoßen wurde. Für den Verkauf der Tonträger mit gewaltverherrlichendem, neofaschistischem Inhalt musste sich der rechte Plattenproduzent dann 2016 mehrere Monate lang vor dem Amtsgericht Memmingen verantworten. Bei 88 der sichergestellten Produktionen erkannte die Staatsanwaltschaft einen volksverhetzenden, Gewalt- und Straftaten billigenden, das Naziregime verherrlichenden oder sonstigen bei Verbreitung strafbaren Inhalt. In manchen der Machwerke wird zum Mord an Juden, Kommunisten oder Schwulen aufgerufen. Teilweise werden verbotene Kennzeichen von Naziorganisationen dargestellt.

Einige der Vorwürfe wurden fallen gelassen. Gegen das äußerst milde Urteil — 4.800 Euro (120 Tagessätze) Strafe und ein Bußgeld wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz — ging Einsiedlers Rechtsanwalt, dem es zuvor gelang die Staatsanwaltschaft wegen ihrer schlechten Vorbereitung vorzuführen, in Berufung.

Einsiedlers Anwalt ist übrigens der selbe, der auch Boris G. in dem Grundbuchstreit um das Clubhaus vertritt. Der Stuttgarter Rechtsanwalt Alexander Heinig kennt sich aus mit RechtsRock. Er gilt als Szeneanwalt und half Anfang der 1990er Jahre bei der inzwischen aufgelösten Band „Noie Werte“ seines heutigen Rechtsanwaltskollegen Steffen Hammer aus. In einem Bericht von den Fachautoren Frank Buchmeier und Thomas Kuban heißt es: „Hammer gilt als ein Star der europäischen Rechtsrockszene, Heinig als B-Promi. Auf Videos sieht man ihn in Flecktarnhose mit Bierflasche in der Hand bei einem Grillfest von Neonazis (Kreuzritter für Deutschland) in Waiblingen oder bei einem Rechtsrockkonzert am gleichen Ort. Alexander Heinig steht hinten auf der Bühne und grölt: ‚Nigger, Nigger, out, out . . .’“ Benjamin Einsiedler vertreibt als „Oldschool Records“ mehrere CDs von Heinigs inaktiver Band „Ultima Ratio“.

„Voice of Anger“ ist gerade dabei, mit ihrem neuen Clubhaus, der ehemaligen „Gartenschänke“ in Hart bei Memmingen, Fakten zu schaffen. Es ist zwar noch nicht endgültig entschieden, ob der Eigentümerwechsel schließlich trägt, aber die Entscheidung des Oberlandesgericht in München gilt in Memminger Behördenkreisen als umstritten und „wackelig“. Falls dieser gelingt, kann die Allgäuer Neonazi-Szene, zusätzlich zum Geschäft mit Produktion und Vertrieb von Neonazi-Musik, in der Region auch wieder Konzerte organisieren, ungemein erstarken — und einen Treffpunkt für das internationale RechtsRock-Netzwerk etablieren.