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Der braune Marsch auf Brüssel

Carsten Hübner
Einleitung

Die extreme Rechte ist gestärkt aus den Europawahlen im Juni 2009 hervorgegangen. Offen rassistischen und neofaschistischen Parteien wie der British National Party (BNP) oder der ungarischen Jobbik gelang erstmals der Einzug ins EU-Parlament. Die rechtspopulistische Partij voor de Vrijheid (PVV) von Geert Wilders wurde sogar zur zweitstärksten Kraft in den Niederlanden. 55 Abgeordnete und damit 7,5 Prozent der insgesamt 736 Parlamentarier sind eindeutig dem extrem rechten und nationalistischen Lager zuzurechnen, was in etwa dem Anteil der vorigen Legislaturperiode entspricht. Doch die Basis der Herkunftsländer hat sich deutlich verbreitert. So entsenden mittlerweile 16 der 27 Mitgliedsstaaten Parteien der extremen Rechten nach Brüssel. Legt man nur die 505 Parlamentssitze dieser Ländergruppe zugrunde, dann kam das extrem rechte Spektrum hier sogar auf 10,1 Prozent der Mandate.

Bild: flickr.com/blandinelc/CC BY 2.0

Die Fraktion Identität, Tradition, Souveränität (ITS) wurde von Bruno Gollnisch angeführt, dessen Front National die stärkste Partei der Fraktion war.

Dazu kommen eine Reihe ultrakonservativer Parteien wie die polnische Prawo i Sprawiedliwo´s´c (PiS) der Gebrüder Kaczy´nski, die tschechische Ob`´canská demokratická strana (ODS) oder der ungarischen Fidesz, die in vergangenen Jahren wiederholt durch homophobe, antisemitische, rassistische und nationalistische Ausfälle in die Schlagzeilen gerieten. Sie bilden, verteilt auf verschiedene Fraktionen, die Grauzone und das politische Scharnier zum offen extrem rechten Lager. Auf diese Gruppe entfallen weitere 44 Mandate und damit sechs Prozent der Sitze. Zusammengenommen umfasst das rechte Spektrum im Europaparlament demnach aktuell 99 Parlamentarier und 13,5 Prozent der Sitze.

Rechtsoffene Parteien in den demokratischen Fraktionen

Für die zukünftige Entwicklung im Europaparlament muss zudem berücksichtigt werden, dass es in mehreren demokratischen Fraktionen Parteien gibt, die in ihren Herkunftsländern bereits mit der extremen Rechten kooperieren. In Dänemark duldet die rassistische Dansk Folkeparti (DF) seit 2001 eine Mitte-Rechts-Regierung unter Führung der rechtsliberalen Partei Venstre, was auf Deutsch eigentlich Links bedeutet. Venstre ist im Europaparlament Mitglied der Allianz der Liberalen und Demokraten für Europa (ALDE). Ihr Kopenhagener Koalitionspartner, die Konservative Folkeparti (KVP), ist Mitglied der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP). In Italien wiederum gehört die völkisch-regionalistische Lega Nord (LN) zum wiederholten Mal der Regierung von Silvio Berlusconi an. Dessen Ende März neu gegründete Rechtspartei Popolo della Libertà (PdL) ist ebenso Mitglied der EVP wie die bulgarische GERB, deren Minderheitsregierung in Sofia sich seit den Parlamentswahlen am 5. Juli 2009 auf ein Abkommen mit der Formation Ataka des Antisemiten Volen Siderov stützt. Dazu kommt die Österreichische Volkspartei (ÖVP), die auf Landesebene sowohl mit der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) als auch mit dem Bündnis Zukunft Österreich (BZÖ) koaliert. Das finnische EVP-Mitglied Kristillisdemokraatit (KD) kandidierte sogar mit den rechtsextremen Perussuomalaiset (PS) auf einer gemeinsamen Liste.  Selbst die sozialdemokratische Europafraktion Fortschrittliche Allianz der Sozialisten und Demokraten (A&D) hat mit der slowakischen SMER eine Mitgliedspartei ohne Berührungsängste nach ganz rechts. Juniorpartner ihrer Koalitionsregierung in Bratislava ist seit den Parlamentswahlen 2006 die ultranationalistische Slovenská národná strana (SNS) unter Führung von Ján Slota.

Fraktion Europa der Freiheit und der Demokratie

Die Mehrzahl der Rechtsaußenparteien, die bereits direkt an nationalen Regierungen beteiligt sind oder diese zumindest dulden, hat sich nach der Europawahl in der Fraktion Europa der Freiheit und Demokratie (EFD) zusammengeschlossen. Ihr gehören gegenwärtig 32 Abgeordnete an, die – mit Ausnahme der Parlamentsneulinge – zuvor in den Rechtsfraktionen Union für ein Europa der Nationen (UEN) und Unabhängigkeit/Demokratie (IND/DEM) organisiert waren.

Wie schon ihre Vorgängerfraktionen ist die EFD voll in den Parlamentsalltag integriert. Außerdem kann sie über ihre Regierungsparteien zumindest mittelbar Einfluss auf Entscheidungen der demokratischen Fraktionen und der Europäischen Kommission ausüben. Mitgliedsparteien sind neben der Dansk Folkeparti, der Lega Nord und der Slovenská národná strana die nationalistische United Kingdom Independence Party (UKIP), die neofaschistische Partei LAOS aus Griechenland, die litauische Tvarka ir teisingumas (TT) sowie mit jeweils einem Abgeordneten die christlich-fundamentalistische Staatkundig Gereformeerde Partij (SGP) aus den Niederlanden, Perussuomalaiset aus Finnland und das Mouvement pour la France (MPF). Auch die FPÖ war um Aufnahme in die EFD bemüht, scheiterte aber am Widerstand mehrerer Mitgliedsparteien. Noch Anfang des Jahres hatten sich die Lega Nord und die Dansk Folkeparti positiv zu einer Kooperation mit der FPÖ geäußert.

Zunächst keine offen extrem rechte Fraktion

Die Gruppe der offen extrem rechten Parteien, aus deren Reihen von Januar bis November 2007 die Fraktion Identität, Tradition, Souveränität (ITS) hervorgegangen war, ist voraussichtlich nicht in der Lage, in dieser Legislaturperiode wieder eine eigene Fraktion ins Leben zu rufen. Dazu gehören die FPÖ, der belgische Vlaams Belang (VB), die französische Front National (FN), Ataka aus Bulgarien und die rumänische Partidul România Mare (PRM). Grundsätzlich kooperationsbereit sind darüber hinaus die Newcomer von Jobbik, der BNP sowie ein Abgeordneter der nordirischen Loyalisten von der Democratic Unionist Party (DUP). Zusammen sind dies 20 Abgeordnete, was für eine Fraktionsbildung, die 25 Parlamentarier aus sieben Ländern erfordert, nicht reicht. Bisher grundsätzlich nicht an einer Zusammenarbeit interessiert ist Geert Wilders’ Partij voor de Vrijheid, die weitere vier Sitze hält.

Fraktion Europäische Konservative und Reformisten

Die einflussreichste Rechtsfraktion im neuen Europaparlament ist die am 22. Juni 2009 offiziell gegründete Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformisten (ECR). Sie geht auf die Initiative der britischen Tories zurück, deren Parteichef David Cameron bereits 2006 angekündigt hatte, die EVP aufgrund ihres Pro-EU-Kurses nach der Europawahl 2009 verlassen zu wollen. Als das Vorhaben schließlich konkrete Züge annahm, schloss sich auch die nationalkonservative tschechische ODS an und trat Anfang des Jahres aus der EVP aus. Die dritte große Mitgliedspartei, der mit insgesamt 55 Parlamentariern viertstärksten Fraktion des Parlaments, ist die polnische PiS, die, wie der Einzelabgeordnete der lettischen Partei Tevzemei un Brivibai/LNNK, bisher der UEN angehörte. Ebenfalls dem rechten Lager zuzurechnen ist der jeweils eine Abgeordnete der neu im Parlament vertretenen christlich-fundamentalistischen Christen Unie (CU) aus den Niederlanden und der rechtspopulistischen Lijst Dedecker (LDD) aus Belgien.

Nicht eindeutig aus diesem Spektrum stammen zwei weitere ECR-Mitgliedsparteien mit jeweils einem Sitz: die Wahlaktion der Polen Litauens (LLRA) und das konservativ-liberale Ungarische Demokratische Forum (MDF).

Das besondere Potential der ECR ergibt sich aber nicht nur aus dem Umstand, dass erstmals in der Geschichte des Europaparlaments traditionsreiche konservative Parteien aus der EVP ausgeschieden sind und ein explizit rechtskonservatives und europakritisches neues Projekt konstituiert haben, sondern vor allem daraus, dass diese Parteien gute Chancen haben, in absehbarer Zeit die Regierungen in drei großen EU-Staaten zu führen.

Carsten Hübner befasst sich seit mehr als zwanzig Jahren mit der extremen Rechten. Er betreibt das Watchblog eurorex.info, das über das rechtsextreme Spektrum in Europa und seine Netzwerke berichtet.