Skip to main content

Die »Dienstagsgespräche«

Felix Clay (AIB) und Britta Kremers (LOTTA)
Einleitung

Scharnier zwischen konservativer und extremer Rechter

Seit Jahrzehnten versucht der Berliner Hans-Ulrich Pieper Politiker vom rechten Rand der demokratischen Parteien mit führenden Köpfen der extremen Rechten zusammenzubringen. Sowohl die im September 2009 durchgeführte »Elefantenrunde« der extremen Rechten in Berlin als auch die zwei Wochen später im niederrheinischen Moers geplante, aber nach antifaschistischer Intervention ausgefallene Veranstaltung mit den in der extremen Rechten aktiven Björn Clemens und Andre Picker geben Anlass, seine zumeist im kleinen Kreis stattfindenden Dienstagsgespräche unter die Lupe zu nehmen.

Hans-Ulrich Pieper (mitte) bei einer NPD Veranstaltung im Januar 2011 in Berlin.

Seit den frühen 1990er Jahren gibt es in Berlin das Dienstagsgespräch. Auf dem Podium nahm neben dem Veranstalter Pieper fast schon jeder Platz, der in der extremen Rechten ein gewisses Maß an Popularität besitzt. Im bürgerlichen Ambiente der »geschlossenen Veranstaltung« verschwimmen die Grenzen zwischen Autoren der rechten Wochenzeitung Junge Freiheit und offenen Neonazis. Aber auch Angehörige der rechten Ränder von CDU, FDP und SPD fanden sich in der elitären Runde bereits als Referenten oder Besucher ein. Hier wird Bildungs- und Netzwerkarbeit der extremen Rechten über alle Flügel hinweg durchgeführt.

Vorbild »Düsseldorfer Herrenrunde«

Zu »nicht politisch korrekter Kommunikation« lädt Pieper an Dienstagen auch in NRW ein. Anders als in Berlin musste er sich hier jedoch des Öfteren nach antifaschistischer Intervention einen neuen Veranstaltungsort suchen, so zum Beispiel mehrfach in Dormagen (Rheinkreis Neuss) sowie am 15. September 2009 in Moers. Auch im Kölner Raum stieß Pieper auf Probleme; eine Veranstaltung in Hürth (Rhein-Erftkreis) wurde von AntifaschistInnen massiv gestört. Auffällig ist zudem, dass die Dienstagsgespräche nicht nur einmal in Räumen stattfanden, die auch von der rechten selbst ernannten Bürgerbewegung pro NRW genutzt wurden, so etwa in Dormagen-Nievenheim, dem Wohnort des stellvertretenden pro NRW-Vorsitzenden und früheren Republikaner-Funktionärs Daniel Schöppe. Ob pro- und REP-Akteure an den Veranstaltungen teilgenommen haben, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden; die Anwesenheit von NPD-Funktionären ist belegt.

Vorbild für die Dienstagsgespräche ist die Düsseldorfer Herrenrunde des 2001 verstorbenen Unternehmensberaters Carl Zimmerer. So heißt es in einer Selbstdarstellung: »Das Dienstagsgespräch wurde 1991 nach dem erfolgreichen Vorbild der Düsseldorfer Herrenrunde gegründet – allerdings wollen wir in Berlin nicht auf Damen verzichten«. Die Anfang der 1980er Jahre gegründete Düsseldorfer Herrenrunde lud etwa einmal im Monat zur Diskussion in ein Nobelhotel ein. Die Liste der geladenen Referenten reichte dabei vom damaligen Republikaner-Chef Franz Schönhuber über den Ex-NPD-Chef Adolf von Thadden bis zum damaligen FPÖ-Chef Jörg Haider. Zu den Organisatoren gehörte neben Zimmerer, der die FDP verlassen hatte und zur National-Liberalen Aktion gewechselt war, der Solinger Günther Kissel. Der gutbetuchte Bauunternehmer verfügt seit vielen Jahren über Verbindungen zu Holocaust-Leugnern und anderen Vertretern der extremen Rechten und trat 2007 pro NRW bei. Zu den regelmäßigen Teilnehmern der Runde gehörten neben Vertretern aus er Wirtschaft und Mitgliedern der FDP auch altbekannte Akteure aus NPD, Republikanern und der Deutschen Liga für Volk und Heimat.

Die letzte bekannt gewordene Veranstaltung der Düsseldorfer Herrenrunde sollte am 21. Januar 2003 stattfinden. Als Referent war der damals umstrittene FDP-Politiker Jürgen Möllemann in den Industrieclub geladen, später jedoch wieder ausgeladen worden. Der Düsseldorfer Herrenrunde schien die von antifaschistischen Gruppen hergestellte öffentliche Aufmerksamkeit alles andere als recht zu sein. Unklar bleibt bis heute, welches Konzept Pieper mit einer Ausdehnung ausgerechnet auf das Bundesland NRW verfolgte. Es kann nur vermutet werden, dass hiermit der Versuch einherging, die zwischenzeitlich offenbar aufgelöste Düsseldorfer Herrenrunde zu beerben. Dafür spricht, dass man sich sogar explizit als Nachfolgerin der Herrenrunde verstand, so zumindest ist es Einladungen aus dem Jahre 2007 zu entnehmen. Bei der praktischen Umsetzung der Ausdehnung könnten Kontakte zu (ehemaligen) Aktivisten der REP sowie der selbst ernannten Bürgerbewegung pro NRW eine Rolle gespielt haben. Ob die Ausdehnung auf NRW allerdings erfolgreich gewesen ist, darf stark angezweifelt werden – in den letzten zwei Jahren konnten die meisten Veranstaltungen nicht bzw. nicht ungestört stattfinden, und Impulse auf die Rechte in NRW lassen sich nicht feststellen.

Der Organisator

Schon während seines Studiums der Geschichte an der Westberliner Freien Universität fiel der 1948 geborene spätere Unternehmensberater Hans-Ulrich Pieper durch sein extrem rechtes Engagement auf. Ende der 1960er Jahre war er Mitglied des Nationaldemokratischen Hochschulbundes (NHB). Als Mitglied der Vereinigung 17. Juni und der NPD-Tarnorganisation Freiheitliche Studentengruppe e.V. pflegte er engen Kontakt zu CDU-Mitgliedern um den Landesvorsitzenden des Ostpolitischen Deutschen Studentenverbandes, Viktor Zander 1 . Pieper wurde auch mit Überfällen auf ein Büro des SDS und auf SPD-Veranstaltungen in Zusammenhang gebracht. Dies ließ er später dementieren. Dem wachsamen Auge ostdeutscher Geheimdienstkreise und deren Zuträgern in Westberlin fiel er ebenfalls auf. So findet sich in einer dem AIB vorliegenden Notiz die Einschätzung: »Pieper gehört weiterhin zum engsten Kern der Rechtsradikalen in Berlin«. Vermerkt wurden zudem angebliche CDU-Kontakte. Gegenüber einem Journalisten gab Pieper 2009 an, er sei einst Referent des CDU-Politikers Kurt Biedenkopf gewesen 2 .

Pieper machte Karriere. Er wurde Sprecher des Waffenkonzerns Rheinmetall aus Düsseldorf, zu einer Zeit, in der das Unternehmen wegen seiner Waffenlieferungen in Krisengebiete, an Militärdiktaturen und an das Apartheidsregime in Südafrika immer stärker in die Kritik geriet. Im Jahr 1989 mischte Pieper im Wahlkampf für die Republikaner (REP) mit. 1995 trat er in die FDP ein, um den sich damals in der Partei etablierenden nationalliberalen Flügel zu stärken. Ein Jahr zuvor soll er noch bei Veranstaltungen der extrem rechten Berliner Kulturgemeinschaft Preußen mit skurrilen Figuren der militanten Neonazi-Szene wie etwa Arnulf Priem verkehrt haben.3 2001 trat er dann wieder als REP-Kandidat in Erscheinung. Im Jahr 2007 fand sich der Name Pieper unter einer Erklärung der »maßgeblichen Vertreter der deutschen Rechten [...], dass sie die Ziele der Fraktion ›Identität, Tradition, Souveränität‹, wie sie in der angefügten Gruppenerklärung festgelegt wurden, unterstützen werden«.4 Die Europaparlaments-Fraktion »Identität, Tradition Souveränität« sollte zum Kern eines Bündnisses extrem rechter Parteien in Europa werden. Neben Politikern von NPD, DVU, REP und pro NRW verewigten sich als Einzelpersonen Harald Neubauer, Ingrid Schönhuber, Gisa Pahl, Björn Clemens und Pieper unter dem Manifest.

Dienstagsgespräch in den 1990ern

Das Dienstagsgespräch will rechte Eliten aus Wirtschaft, Politik und Medien zusammenführen. Ziel ist eine Netzwerkbildung. So fanden sich in den 1990er Jahren auch honorige Herren aus der Wirtschaft, beispielsweise ein Vorstandsmitglied von VW, ein Vorstandvorsitzender von Babcock-Borsig und ein Ex-Präsident der Hamburger Zentralbank, sowie Journalisten von Welt, N.TV und ZDF in der Runde ein. Ebenso der ehemalige Generalbundesanwalt Alexander von Stahl, der Mitte der 1990er Jahre erfolglos versuchte, mit anderen Gästen des Dienstagsgesprächs aus der FDP heraus eine nationalliberale Partei ähnlich der FPÖ zu formen. Als kontinuierlicher Faden in der Geschichte der Berliner Dienstagsgespräche bis heute lässt sich die Beteiligung von Publizisten und Unterstützern der Jungen Freiheit als Referenten und Besucher feststellen. 1994 sorgten die Dienstagsgespräche für einigen Pressewirbel und Ärger im Berliner Abgeordnetenhaus. Anlass war die regelmäßige Teilnahme von Hans-Christoph Bonfert, dem damaligen Pressesprecher des CDU-Innensenators Dieter Heckelmann. Die Berliner Zeitung schrieb 1994, Bonfert habe »wegen angeblicher Kontakte zu rechten Kreisen die bislang schwerste Krise der CDU-SPD Koalition ausgelöst. Heckelmann musste danach einen Misstrauensantrag im Parlament überstehen. Bonfert wurde von seinem Posten abberufen.«5 Nach der Affäre um Bonfert wurde es stiller um die damals im Berliner Nobelhotel Hilton tagende Zusammenkunft.

Dienstagsgespräch ab 2000

Irgendwann nach der Jahrtausendwende zog die Versammlung in den Ratskeller Schmargendorf (Berlin-Charlottenburg) um. Behandelt wurden weiterhin für die extreme Rechte relevante Themen mit einschlägigen Rednern wie etwa General a.D. Gerd Schultze-Rhonhof, Franz Uhle-Wettler, General a.D. Reinhard Günzel, Holger Apfel (NPD), Jörg Haider und Harald Neubauer.6 Aber auch Redner wie Egon Bahr (SPD)7 und Jürgen Möllemann (FDP) konnte der Veranstalter gewinnen. Im Herbst 2006 war im Internet von einem Auftritt der neonazistischen Liedermacher »Annett und Michael« beim »Dienstagsgespräch in Berlin-Schmargendorf« am 10. Oktober 2006 die Rede, bei dem »soziale und patriotische« Lieder vorgetragen wurden. Der 2009 verstorbene NPDler Michael Müller und seine Ehefrau Annett Müller genießen Kultstatus in der Neonaziszene. Der Liederabend fand jedoch keine Erwähnung in einer Aufzählung von »rechtsextremen Musikveranstaltungen und Liederabenden in Berlin« in der Antwort auf eine »Kleine Anfrage« der Grünen-Abgeordneten Clara Herrmann im Abgeordnetenhaus von Berlin 8 – vielleicht, um nicht peinlicherweise, mitteilen zu müssen, dass ein extrem rechter Liederabend in den Räumen der Berliner Bezirksverwaltung von Charlottenburg-Wilmersdorf stattgefunden hatte. Der nächste Höhepunkt ereignete sich am 1. September 2009. Pieper richtete eine »Elefantenrunde« der extremen Rechten aus. Auf dem Podium saßen neben Pieper der aktuelle Bundesvorsitzende der DVU, Matthias Faust, sowie sein Kontrahent, der NPD-Bundesvorsitzende Udo Voigt. Auch der Bundesvorsitzende der REP, Rolf Schlierer, soll zu den Eingeladenen gezählt haben, erschien aber nicht. Einige Neonazi-Aktivisten sicherten den Saal, der mit 80 Personen gefüllt war. Anwesend waren auch der Hamburger Neonazi Christian Worch, die Landesvorsitzenden von DVU und NPD sowie weitere Funktionäre der beiden Parteien. Es war das erste Aufeinandertreffen der beiden Vereinigungen nach dem Bruch des »Deutschlandpaktes«. Als Redner für das vorerst letzte Dienstagsgespräch in den Räumen des Ratskellers Schmargendorf war für den 6. Oktober 2009 der Junge Freiheit-Autor Ivan Denes zum Thema »Naher Osten – Brandherd ohne Ende« angekündigt worden. Die Grünen in Charlottenburg-Wilmersdorf thematisierten im Herbst 2009 in der Bezirksvertretung die Veranstaltungen im vom Bezirk verpachteten Ratskeller Schmargendorf. Das Bezirksamt wirkte auf den Wirt ein, keine derartigen Veranstaltungen mehr zu genehmigen. Im Dezember verkündete ein neonazistischer Internetblog, »dass eine Veranstaltung mit Prof. Ralph Weber dort nicht stattfinden konnte«9 , da der »Wirt von öffentlicher Stelle so unter Druck gesetzt«9 worden sei. Weber, CDUler und Jura Professor aus Greifswald, setzte sich für eine Wahlpartei zwischen CDU und NPD ein10 und passt somit exakt ins Veranstaltungsprofil des Dienstagsgesprächs.

Das Organisationsbüro

Neben Pieper trat bei der Organisation der Berliner Dienstagsgespräche die Allround Service GmbH & Co. KG auf. Geschäftsführer der Zeitarbeitsvermittlung ist der in den 1990er Jahren für die REP aktive Wolfgang Seifert. Seifert kandidierte noch 2002 für die Partei. Laut Veröffentlichung der antifaschistischen Broschüre »Fight Back« diente die Firma mitunter auch als Absender für Briefsendungen der REP. Der Immobilienspekulant und Diplomingenieur Seifert war Besitzer der Villa der Republikaner-Bundeszentrale in Berlin-Pankow und beim rechten Hoffmann von Fallersleben Bildungswerk e.V. aktiv.11 Seiferts Firma soll nach Informationen eines NPD-Insiders als Quartiermacher für den NPD-Bundesparteitag in Berlin Reinickendorf 2009 gedient haben.

Pieper macht weiter

Hans-Ulrich Pieper verliert offenbar die Muße zur Organisation von Veranstaltungen mit seinen Lieblingsrednern nicht. So lud er für die Zeitschrift Deutsche Geschichte und die Historische Gesellschaft am 21. November 2009 zu einem Vortrag mit Ernst Nolte und Karl Feldmeyer nach Berlin. Die Deutsche Geschichte ist eine geschichtsrevisionistische Zeitung aus dem Verlagskomplex von Gert Sudholt. Sie ist eng verwoben mit der extrem rechten Gesellschaft für freie Publizistik. Nolte sprach bereits vorher mehrmals beim Dienstagsgespräch.12 Schon 1994 befasste sich das AIB mit dem Dienstagsgespräch. Die damalige Charakterisierung als »schwarz-braune Zone von Konservativen bis hin zu Faschisten«13 scheint auch heute noch ihre Berechtigung zu haben. Pieper setzt auf Kontinuität. Sein Ziel ist rechte Netzwerkbildung über Parteien- und ideologische Grenzen hinweg. So soll extrem rechtes Gedankengut salonfähig werden. Es zeigt sich, wie durchlässig die verbal hochgezogenen Mauern der Abgrenzung zwischen dem Konservatismus und den verschiedenen Spielarten der extremen Rechten sind.