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Die AfD nach der Bundestagswahl: Verlierer mit Stammwählern

Gerd Wiegel
Einleitung

Die AfD gehört zu den Wahlverlierern der Bundestagswahl 2021, konnte sich jedoch gleichzeitig mit einem zweistelligen Ergebnis zum zweiten Mal in Folge im Bundestag verankern und ist in Ostdeutschland unangefochten Volkspartei, mit zwei ersten Plätzen in Sachsen und Thüringen. Trotz deutlicher Verluste für die AfD gibt es keinen Grund zur Entwarnung, denn die Wahlen haben deutlich gemacht, dass die Partei inzwischen auf eine Stammwählerschaft zurückgreifen kann, die sie verlässlich auf bundesweite Ergebnisse von 10 Prozent und mehr bringt. Auf der anderen Seite scheint die Aufstiegsphase beendet und neue Wählergruppen dürften nur noch schwer für die Partei zu erreichen sein. Die Schwäche der Union hat der AfD 16 Direktmandate beschert, 13 mehr als 2017. Zehn dieser Direktmandate wurden allein in Sachsen erzielt, neben Thüringen die absolute Hochburg der Partei.

Foto: Christian Ditsch

Neue Bundestagsfraktion

Sieht man sich die Zusammensetzung der neuen Bundestagsfraktion an, dann fällt die große Zahl (25) neuer Abgeordneter auf, was u.a. auf die vielen Direktmandate zurückzuführen ist. Die generelle Verschie­bung zugunsten der völkischen Rechten innerhalb der Partei spiegelt sich auch in der Fraktion. Mit Stephan Brandner, Karsten Hilse, Gottfried Curio oder Markus Frohnmaier sind bekannten Lautsprecher der völkischen Rechten erneut eingezogen. Ergänzt werden sie durch neue "Flügel-­Leute" wie Christina Baum aus Baden-­Württemberg oder den Brandenburger Berufssoldaten Hannes Gnauck, der selbst vom MAD als „Rechtsextremist“ eingestuft wird. Der aus NRW kommende Matthias Helfereich, der sich selbst als „freundliches Gesicht des NS“ bezeichnete, wurde nicht in die neue Fraktion aufgenommen. Grund dafür ist sicherlich nicht seine politische Orientierung am Vorbild des NS, sondern sein flapsiges öffentliches Kokettieren damit. Was bei Höcke, Gauland und anderen problemlos durchgeht, gilt scheinbar nicht für jeden Hinterbänkler.

Mit Alice Weidel und Tino Chrupalla haben sich die Kandidat*innen für den Fraktionsvorsitz durchgesetzt, die für die Integration der völkischen Rechten stehen und von dieser auch weitgehend abhängig sind.

Strategische Schwächen

Bemerkenswert ist, dass die AfD nicht vom massiven Einbruch der Union profitieren konnte, die von Partei und Fraktion als Hauptkonkurrent ins Visier genommen und in Form von (Ex)Kanzlerin Merkel als zentrales Feindbild ausgerufen wurde. Diese Entwicklung ist Beleg für die These, dass die AfD aktuell ausmobilisiert ist, dass sie also ein Maximum an Wählerinnen und Wählern erreicht hat, gegenwärtig aber nicht in der Lage ist, neue Milieus zu erschließen.

Zumindest bis zum Wahltag Ende September ist der Versuch, sich der "Querdenken"-Bewegung als parlamentarischer Arm anzudienen, gemessen am Wahlergebnis gescheitert. Trotz des Geredes in Partei und Fraktion von „Coronadiktatur“, „DDR 2.0“, „Ermächtigungsgesetz“ und anderer wilder Verschwörungsmythen blieb diese Ausrichtung wahlarithmetisch erfolglos. Zwar dürfte die Partei vor allem in Ostdeutschland den größten Teil der Stimmen von Coronaleugner*innen oder -skeptiker­*innen erhalten haben -, das waren zum großen Teil aber Leute, die die Partei ohne­hin wählen. Im Südwesten (Baden-Württemberg), der anderen Hochburg der sog. „Querdenker“, ist ihr dies nicht gelungen.

Sieht man sich die Zustimmungswerte der AfD im Verlauf der Wahlperiode an, dann ist ein deutlicher Abfall mit dem Beginn der Corona-Krise im März 2020 zu verzeichnen. Bis dahin lag die Partei in den Umfragen immer oberhalb ihres Wahlergebnisses von 2017 (12,6 Prozent), mit zeitweiligen Höhepunkten von 18 Prozent. Mit dem tendenziellen Verschwinden der Migrationsdebatte und dem Beginn einer massiven gesellschaftlichen Krise, für die der AfD keinerlei Kompetenzen zugeschrieben wurde, sanken ihre Umfrageergebnisse deutlich, teilweise unter die 10-Prozent-Marke.

Schlussfolgerungen

Jörg Meuthen hat sehr schnell nach der Wahl erkannt, dass seine Zeit als Parteivorsitzender abgelaufen ist. Der taktisch motivierte Kampf gegen die völkische Rechte, die Meuthen als Hindernis für ein Anwachsen im Westen sieht, ging für ihn klar verloren. Meuthens Rückzug zeigt ­allen, dass man in der AfD nicht gegen die in Teilen auch neofaschistische Rechte Politik machen kann.

Im Umfeld der AfD werden die Ergebnisse sehr unterschiedlich bewertet und die Schlußfolgerungen orientieren sich an scheinbar unvereinbaren Alternativen: Völkische Bewegungspartei mit system­oppositioneller Ausrichtung sein oder Teil eines konservativen Blocks, der perspektivisch parlamentarische Mehrheiten rechts der Mitte organisiert.

Während das Höcke-Lager auf die Erfolge im Osten verweist und den thüringischen und sächsischen Weg als Strategie für ganz Deutschland empfiehlt, verweist die Gegenseite auf die Unterschiedlichkeit von Ost- und Westdeutschland, die eine Kopie der Ost­erfolge unmöglich mache. So schreibt Dieter Stein in der rechten Wochenzeitung "Junge Freiheit": „Die Rezepte aus dem Osten lassen sich eben nicht auf den Westen übertragen. Dies ist eigentlich schon länger bekannt, bleibt aber bislang ohne Konsequenzen – was sich zunehmend rächt und die Partei in ­eine gefährliche Schieflage bringt. Warum konnte die AfD beispielsweise nicht wenigstens teilweise die massiven Verluste der Union auf ihre Mühlen lenken?

Ganz anders dagegen Benedikt Kaiser auf den Seiten der Publikation "Sezession", der gerade die behäbige bürgerliche Ausrichtung der Westverbände für die Verluste verantwortlich macht: „Ein liberaler, möglichst versöhnlicher oder auch ‚bürgerlicher‘ Wahlkampf (…) läßt die eigene Wählerschaft offenkundig kalt, demobilisiert Wechselwähler aus dem Protestsegment, treibt einen Teil von ihnen ins Nichtwählerlager – und andere Teile direkt zu den legitimierten Altparteien wie CDU und FDP.“

Daniel Fiß, langjähriger Kader der "Identitären" mit AfD-Verbindungen, schreibt im Blog der Sezession über den „Weg zur politischen Gestaltungsmacht“ und wie sich die AfD für ein perspektivisches Bündnis mit der Union aufstellen müsse. Die Etablierung „rechter Lebenswelten“ in Ostdeutschland und eine Konzentration auf den Graswurzelaufbau dort, so seine Empfehlung. Ein völkisches Gegenmodell Ost, verbunden mit relativer lokaler Hegemonie der AfD – aus einer solchen Position ließe sich auch ein Bündnis mit einem stärkeren konservativen Partner wagen.

Ob und wie solche Fantasien beflügelt werden, wird auch von der Entwicklung der CDU abhängen und der Frage, ob die Stimmen, die für „pragmatische Bündnisse“ mit der AfD werben, hier Auftrieb bekommen.

Neue Optionen

Am 27. September 2021, dem Tag nach der Bundestagswahl, schrieb die Vorsitzende der AfD-nahen "Desiderius-Erasmus-Stiftung" (DES) einen Brief an den (damaligen) Vorsitzenden des Haushaltsausschusses des Bundestags, den AfD-Abgeordneten Peter Boehringer. Darin drückt sie ihre Erwartung aus, dass nach dem wiederholten Einzug der AfD in den Bundestag die DES schnellstens in die Bundesförderung der parteinahen Stiftungen aufgenommen werde.

In der Tat eröffnet sich mit dem Wiedereinzug der AfD die Möglichkeit für die DES, höhere Millionenbeträge vom Staat zu erhalten und damit die Stiftung zum zentralen Think Tank einer modernisierten radikalen Rechten auszubauen. Jedoch gibt ­­es hier keinen Automatismus und die Stiftungs­finanzierung steht generell auf wackeligen gesetzlichen Füßen. Ohne Zweifel wird die DES auch die Gerichte bemühen, sollte ihr der Zugriff auf die Mittel länger verweigert werden. Von bis zu 900 Stellen, also einem umfassenden Arbeitsbeschaffungsprogramm für den intellektuellen Teil der extremen Rechte, ist hier die Rede.

Seit einigen Monaten formiert sich ein breiter Widerstand gegen diesen staatlich finanzierten Aufbau einer rechten Stiftung. Wie erfolgreich dieser ist und welche gesetzlichen Möglichkeiten des Ausschlusses der DES es gibt, werden die nächsten ­Monate zeigen.

Für die AfD im Bundestag wird es in den nächsten Monaten darauf ankommen, sich in der neuen Rolle als kleinere rechte Oppositionspartei neben der Union einzurichten. Verbal wird das sicherlich eher zu weiteren Zuspitzungen bei der AfD führen, die sich jetzt gegen eine von den Zwängen des Regierens befreite Union unter einer möglichen Führung von Friedrich Merz behaupten muss. Ob damit Annäherungen der Partei rechts der Mitte verhindert oder doch erst möglich werden, gilt es im Blick zu behalten.