Skip to main content

Die AfD nach der Landtagswahl in Thüringen

Kai Budler
Einleitung

Bei der Thüringer Landtagswahl Ende Oktober 2019 setzte sich der Trend fort, der sich bereits bei den Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen abgezeichnet hatte. Hatte die "Alternative für Deutschland" (AfD) dort bereits erhebliche Stimmgewinne verzeichnet, konnte sie auch in Thüringen ihr Ergebnis aus dem Jahr 2014 mehr als verdoppeln. Mit 23,4 Prozent der abgegebenen Zweitstimmen ging die Partei unter Leitung von Björn Höcke als zweitstärkste Partei aus der Wahl hervor. Auch bei den Erststimmen konnte die AfD punkten und holte ein Viertel der insgesamt 44 Direktmandate, die bisher traditionell größtenteils der CDU vorbehalten waren. Mit knapp 33 Prozent holte die AfD im ostthüringischen Wahlkreis Gera II. die meisten Erststimmen. Die gewählten Direktmandats-Träger sind meist erst seit wenigen Jahren in der Politik aktiv und Neulinge auf dem Landtagsparkett.

Foto: Christian Ditsch

Der Thüringer AfD-Politiker Björn Höcke.

Deutlich gestiegen ist auch die Wahlbeteiligung. 2014 noch bei historisch niedrigen 52,7 Prozent, lag sie nun im Oktober bei 64,9 Prozent. Davon profitierte besonders die AfD, die mit rund 77.000 Personen die meisten ehemaligen Nichtwähler_innen mobilisierte. Von der CDU wanderten 36.000 Wähler_innen zur AfD, aus dem Lager der Linken waren es 17.000. Von der SPD nahm sie 7.000 Stimmen weg und auch 1.000 ehemalige Grünen-Wähler_innen entschieden sich dieses Mal für die extrem rechte Partei. Am häufigsten wurde die AfD von Wähler_innen zwischen 18 und 44 Jahren gewählt, die geringste Resonanz erhielt sie in der Gruppe der über 60-Jährigen. Und wie schon länger zu beobachten ist, wählten mit 29 Prozent wesentlich mehr Männer die AfD als Frauen (18 Prozent).

Noch knapp drei Wochen vor der Wahl hatte der Erfurter Politikwissenschaftler Prof. Dr. Kai Hafez eine Analyse des Wahlprogramms der Thüringer AfD vorgelegt und war zu dem Schluss gekommen, es biete „etliche Hinweise auf eine Ausrichtung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“. Doch in dem Heimatland des rechten AfD-Netzwerks „Der Flügel“ schreckt das fast jeden vierten Wähler nicht, wie eine repräsentative Befragung Thüringer Wahlberechtigter vor der Wahl zeigte. Demnach finden mehr als zwei Drittel der befragten potenziellen AfD-­Wähler_innen, der rechtsradikale Verband verorte sich unter Höcke auf der Rechts-Links-Skala „genau richtig“.

Mit diesem Wahlergebnis wird die AfD zweitstärkste Fraktion und entsendet 22 der insgesamt 90 Abgeordneten in den neuen Thüringer Landtag. Nach Ausschlüssen und Austritten in der letzten Legislatur umfasste die Fraktion zuletzt nur noch sieben der ursprünglich elf Mitglieder. Sechs davon sind auch im 7. Thüringer Landtag vertreten, sie gehören allesamt zu den Unterzeichnern der von Höcke initiierten „Erfurter Resolution“, der „Gründungsurkunde“ des völkischen Netzwerks „Der Flügel“ in der AfD. So zum Beispiel Stefan Möller, der der Fraktion auch künftig als Parlamentarischer Geschäftsführer angehört. Der Rechts­anwalt hatte bei der Bürgermeisterwahl in Erfurt mit rassistischen Gruppen gegen den bereits genehmigten Bau einer Moschee zusammen gearbeitet. Nachdem in einer Studie ein Anstieg antisemitischer Einstellungen 2019 in Thüringen um sieben Prozentpunkte registriert worden war, erklärte Möller schlicht: „So ist eine Zunahme antisemitischer Einstellungen in der realen Thüringer Gesellschaft nicht festzustellen.

Zweiter parlamentarischer Geschäftsführer der neuen Fraktion ist Torben Braga, Mitglied der "Jenaischen Burschenschaft Germania", der "Burschenschaft Germania Marburg" und ehemaliger Bundessprecher der "Deutschen Burschenschaft". In der vergangenen Legislatur arbeitete Braga als „Assistent des Fraktionsvorsitzenden“ und traf sich im September 2016 mit Neonazis aus der Gruppe „Wir lieben Meiningen“ zum Handshake. Mit dabei war auch Ann-Katrin Magnitz, Tochter des früheren Bremer AfD-Bürgerschaftsmitglieds Frank Magnitz.

Als stellvertretende Fraktionsvorsitzende fungieren Jens Cotta, Denny Jankowski und Olaf Kießling, der ebenfalls seit 2014 für die AfD im Landtag sitzt. Dazu zählt auch Corinna Herold, die vor allem 2015 von sich reden machte, als sie in einer Anfrage wissen wollte, wie viele Homo-, Bi- und Transsexuelle in Thüringen leben. Sie hat Kontakte zur rassistischen und islam­feindlichen Gruppe „Erfurt zeigt Gesicht“ mit Verbindungen zu den „Identitären“ und „Ein Prozent“. Auch Jörg Henke aus Ostthüringen hat seit 2014 für die AfD Erfahrungen im Landtag gesammelt, war dort Mitglied im NSU-Untersuchungsausschuss und nahm schon an einer „Leserreise“ des antimuslimischen Blogs „PI News“ nach Israel teil.

Thomas Rudy gehörte ebenfalls schon dem Landtag an, likte das Foto eines Fahrrads mit Hakenkreuz, lobte das ausgegrabene Hakenkreuz eines alten NS-Denkmals mit den Worten, bei diesem sei „wohl gutes Baumaterial verwendet“ worden, und forderte die Einschränkung der Pressefreiheit. Im Juli 2016 beteiligte sich Rudy in Erfurt an einer Kundgebung des Neonazis Sven Liebich aus Halle, der in den 1990er Jahren ein wichtiger Aktivist der extrem rechten Szene war und dem „Blood & Honour“-­Netzwerk angehörte.

Zu den politischen Neulingen im Landtag gehört Toca Kniese, eine von drei weiblichen Abgeordneten der männerdominierten Fraktion und stellvertretende Landesvorsitzende der Partei im Freistaat. Die Wirtschaftsjuristin spricht von einer „Klimahysterie“, warnt vor einem „Krieg gegen Autofahrer“ und warb im Wahlkampf mit antimuslimischen Parolen. Ihren angestrebten Posten als Vize­präsidentin des Landtages aber konnte sie nicht antreten, nachdem in der konstituierenden Sitzung 42 Abgeordnete gegen sie gestimmt hatten.

Neu im Landtag ist auch Robert Sesselmann aus Südthüringen, der gegen Demokraten als „pöbelnde Linksfaschisten“, „tolerante Gutmenschen mit ihrem faschistoiden Demokratieverständnis“ oder „vorgeblich demokratische Kräfte“ wettert. Der Rechtsanwalt bringt in sozialen Medien Menschen mit Migrationshintergrund ausschließlich mit dem Thema „Kriminalität“ zusammen und setzte im Wahlkampf vor allem auf die Hilfe von Spitzenvertretern des Netzwerks „Der Flügel“.

In der neuen Fraktion sind auch gleich drei Polizeibeamte vertreten. Neben Lars Schütze und Ringo Mühlmann, der die Öffentlichkeitsarbeit des Thüringer Landeskriminalamts (LKA) leitete, gehört dazu auch Torsten Czuppon. Er postete Artikel, in denen von einem „vergessenen Völkermord der Alliierten an den Deutschen“ die Rede ist sowie Bilder und Videos von extrem rechten bis neonazistischen Seiten. Wiederholt trug Czuppon Kleidung der bei Neonazis beliebten Marke „Thor Steinar“, so etwa beim AfD-Bundesparteitag 2017 in Hannover oder im Dienst bei einer Veranstaltung in der KZ-Gedenkstätte Buchenwald. Ein eingeleitetes Disziplinarverfahren wurde hinfällig, nachdem Czuppon in den Landtag wechselte.

Zwei Reihen hinter dem Polizeibeamten sitzt der 1950 geborene Karlheinz Frosch, der für die AfD das Direktmandat im Wahlkreis Saalfeld-­Rudolstadt I geholt hat und als Alterspräsident die konstituierende Sitzung des Landtages eröffnete. Frosch gibt als Beruf „Unternehmensberater“ an und war bis 2017 zehn Jahre lang Geschäftsführer einer zuletzt hochprofitablen Firma, die vor allem von der deutschen Flüchtlingspolitik profitierte. Sie machte mit dem Bau von Heimen für Geflüchtete Millionengewinne.

Auch auf Bundesebene konnte die Thüringer AfD einen Erfolg feiern: Der kurz vorher als Vorsitzender des Rechtsausschusses abgesetzte Thüringer Bundestagsabgeordnete und Höcke-Vertraute Stephan Brandner wurde auf dem Bundesparteitag in Braunschweig als einer von drei stellvertretenden Vorsitzenden gewählt. Ohnehin behielt Höcke Recht, als er im Juli beim Treffen des „Flügel“ versprach, dass der aktuelle Bundesvorstand nicht wiedergewählt werde. Als letzte explizite Höcke-Gegnerin sitzt nun nur noch Beatrix von Storch im Vorstand, mindestens drei bis vier Vertreter sind dem „Flügel“ zuzurechnen, die restlichen haben mit dem radikal-völkischen Netzwerk längst ihren Frieden gemacht und werden von ihm geduldet. Auch der Nachfolger des ausgeschiedenen Vorsitzenden Alexander Gauland, Tino Chrupalla, war Wunschkandidat des „Flügel“ und wurde von Höcke öffentlich unterstützt. Der Sachse, der im September 2019 als Redner am ersten „Flügel“-Treffen in Freital mitwirkte, glänzte nach seiner Wahl im ZDF mit der Aussage, er halte „den Begriff ‚Umvolkung‘ nicht für rechtsextrem“. In einer Pressemitteilung der AfD-Bundesarbeitsgruppe „Alternativen Mitte“ heißt es auch sogleich: „Die Ereignisse von Braunschweig lassen viele Mitglieder ernsthaft daran zweifeln, ob ihr Verbleib in der Partei überhaupt noch einen Sinn hat. Der Donnerhall ist noch nicht verklungen, wird aber bei der bürgerlichen AfD-Wählerschaft als abschreckendes Zeichen wahrgenommen werden.“