Die Extremismusformel
Initiative gegen jeden Extremismusbegriff (INEX)»Rock gegen links – warum in drei Teufels Namen denn nicht ?« 1
Der Begriff Rechtsextremismus wird seit Jahrzehnten nicht nur von Medien, PolitikerInnen und der Zivilgesellschaft, sondern auch von Antifagruppen benutzt. Und auch als solche identifizierte LinsextremistInnen werden von Medien und PolitikerInnen zu einer besonderen »Gefahr für die Demokratie« stilisiert. Als in Berlin und Hamburg vermehrt Autos angezündet werden, wusste die BILD das Problem sachgerecht als Terrorismus einzuordnen und betitelte einen Artikel mit »Brennende Autos! Besetzte Häuser! Räumt endlich die linken Terror-Nester!«. Das Konzept Extremismus hat Hochkonjunktur und so scheint es nur noch eine Frage der Zeit, bis die ersten »Rock gegen links« – Konzerte stattfinden.
- 1»Ministerin Köhler auf dem linken Auge blind«. Originalzitat aus dem Kommentar von Ulli Kulke. Die Welt, 25.01.2010.
Das Konzept »Extremismus« zur Theorie erwählt
Die sog. Extremismustheorie besagt, dass eine »demokratische Mitte« existiere, die es von »extremen« Rändern zu unterscheiden und vor diesen zu schützen gälte. Diese Ränder seien organisierte Neonazis, Linke und sog. Ausländerextremisten. Die Extremismusformel ermöglicht also der Gesellschaft ihr Denken in ein sehr simples Modell mit den Kategorien Rechts – Mitte – Links zu packen. Dabei wird die Realität soweit vereinfacht, dass sie kaum noch zu erkennen ist. Den staatlichen Organen dient das Konzept, das von rechtskonservativen wissenschaftlichen Zuarbeitern des Verfassungsschutzes wie bspw. Eckhard Jesse kolportiert wurde, um die öffentliche Ordnung störende Gruppen (Linke) überwachen und kriminalisieren zu können. Gleichzeitig wird versucht, die »Mitte« von den das Image der BRD gefährdenden Organisationen (Rechte) unterscheidbar zu machen. Ergebnis ist, dass die grundunterschiedlichen Gruppen auf einen Nenner gebracht werden. Beide werden als gewaltbereit und feindlich gegenüber der freiheitlich demokratischen Grundordnung (FDGO) stigmatisiert. Die Konsequenz ist, dass linke Gesellschaftskritik gleichgesetzt wird mit dem Neonazi-Ruf nach »Nationalem Sozialismus« und der täglichen Gewalt gegen MigrantInnen, Linke und andere. So werden die mit Linksextremismus identifizierten Sachbeschädigungen zur ebenso großen Gefahr für das neue deutsche »demokratische« Selbstverständnis der BRD wie Mord, Totschlag und die ständige Bedrohung ganzer Bevölkerungsgruppen. Wie das zu argumentieren sei, zeigte bspw. Prof. Werner Patzelt von der TU Dresden bei einem Statement zu brennenden Autos und zur Bekämpfung des Problems Linksextremismus: »Man wird auch hier, wie richtigerweise den Rechten gegenüber, zu einer Strategie von Null Toleranz gelangen müssen. (...) Und man muss klarmachen, dass die Unterscheidung zwischen Gewalt gegen Personen und Gewalt gegen Sachen lediglich feinsinnig aber im Grunde völlig inhuman ist.«1 Die Extremismusformel ist in der Wissenschaft umstritten, weil Studien2 nachwiesen, dass die antisemitischen, rassistischen und autoritären Einstellungen in der Gesellschaft so weit verbreitet sind, dass eine Abgrenzung einer Mitte zu vermeintlichen Rändern nicht möglich ist. Es existieren keine homogenen Gruppen, die am Rand auszumachen sind. Der Antisemitismus beispielsweise ist in der gesamten Gesellschaft verbreitet. Auch fällt es vielen WissenschaftlerInnen schwer, die Definitionen des Extremismusbegriffs mit der empirischen Wirklichkeit überein zu bringen. Einige von ihnen haben sogar die fatale politische Dimension der Extremismusformel und ihrer Anwendung verstanden und kritisieren die Kriminalisierung antifaschistischen Engagements – absolut ohne Konsequenzen für den eigenen Begriffsapparat.
Was steckt hinter dem Konzept »Extremismus«
Mit der Extremismusformel wird definiert, wer überwacht gehört und wer staatliche Förderung erhält. Um den kapitalistisch-demokratischen Normalbetrieb am Laufen zu halten und gegen eventuelle Störenfriede vorgehen zu können, bedarf es einer Grenze - diese Grenze heißt in der BRD seit 1949: unbedingtes und unkritisches Bekenntnis zur parlamentarischen Demokratie. Schon bei der Formulierung des Grundgesetzes wurde sich immer wieder totalitarismustheoretischer Ansätze bedient, um die wehrhafte deutsche Demokratie zu legitimieren. In den 1980er Jahren wurde das Sprechen vom Totalitarismus ergänzt durch die Extremismusformel, die fortan dazu diente, zeitgenössische politische Strömungen zu kategorisieren. Ende der 1990er Jahre fand sie im Kampf gegen »Rechtsextremismus« ihren ersten Höhepunkt. Mit der Extremismusformel wird eine starre Form demokratischer Kultur gestützt – in der Demokratie als Zustand und nicht als Prozess verstanden wird, und in der antifaschistische und antikapitalistische Ansichten die Grenze der Meinungsfreiheit überschreiten. Eine Kultur in der weitgehend Staat definiert, wer mitreden darf und wer kriminalisiert wird. Obwohl zum Beispiel die Wirtschaftsform im Grundgesetz nicht verankert ist, wird grundlegende Kritik an den bestehenden kapitalistischen Verhältnissen durch die Extremismusformel delegitimiert und zum Randphänomen erklärt, welches von staatlichen Überwachungsorganen beobachtet und verfolgt wird. Gleiches gilt im Übrigen für antifaschistisches Engagement – obwohl auch der Faschismus nicht in der FDGO als zu schützendes Gut festgehalten wurde. In der konkreten politischen Umsetzung bedeutet dies beispielsweise Gesetzeseinschränkungen bei dem politischer Protest und Meinungsäußerungen erschwert werden, wie gerade beim neuen sächsischen Versammlungsrecht sichtbar wird. Einige ExpertInnen versuchten vergeblich gegen dieses Gesetz zu intervenieren, da es für die Behörden und die Polizei Ermessensspielräume eröffnet, verschärft mit Auflagen und Verboten gegen Demonstrationen vorzugehen.
Alle machen mit
Im Großen und Ganzen ist das keine schöne Sache und es regt sich nun auch leiser Protest aus der Zivilgesellschaft3 gegen die zunehmende Verbreitung des Begriffs des »Linksextremismus« und die damit einhergehende Gleichsetzung mit Neonazis. Aber innerhalb des Konzepts des Extremismus ist diese Gleichsetzung nur konsequent und nicht sonderlich überraschend. Deshalb ist, sich gegen den einen Begriff (Linksextremismus) zu wehren und den anderen Begriff (Rechtsextremismus) gleichzeitig in der eigenen politischen Arbeit weiter zu verwenden kontraproduktiv. Denn auch die schwarz-gelbe Koalition sieht die Gefahr von Neonazis und die Rufschädigung, die diese im Ausland auslösen können – und geht dennoch gegen jeden »Extremismus« vor. Auch die Zivilgesellschaft nimmt in Kauf, dass kleinere antifaschistische oder demokratiekritische Gruppen als politisch illegitim stigmatisiert werden. So bedient sich die Zivilgesellschaft der Konstruktion einer »demokratischen Mitte« und ihrer »extremen Ränder«. Dabei steht die vermeintliche Mehrheit der Gesellschaft auf der politisch legitimen Seite und lässt sich für antisemitische Argumentationen oder eine rassistische Asylpolitik nur noch schwer angreifen, da in der »Mitte« bestimmt wird, was »moralisch richtig« ist. Weitergedacht bedeutet die Anwendung der Extremismusformel eine Entpolitisierung der Gesellschaft, in welcher der Staat diese politisch hegemonial bestimmt und wo an die Substanz gehende Proteste oder wirkliche Veränderungen nicht möglich sind. Denn wer den »Antiextremismus« von Eckhard Jesse übernimmt, und das tut der Verfassungsschutz4 , die Bildungszentrale für politische Bildung und andere ganz bewusst, der übernimmt auch das Streben nach einer Normalisierung nationalistischer und obrigkeitsstaatlicher Positionen, obwohl diese zu den Grundbestandteilen alter und neuer Nazis gehören.
- 1http://www.mdr.de/fakt/4480726.html
- 2z.B. Oliver Decker und Elmar Brähler. Vom Rand zur Mitte. Herausgegeben von der Friedrich-Ebert-Stiftung, 2006. Oder Wilhelm Heitmeyer. Deutsche Zustände. Suhrkamp, 2002 – 2007.
- 3z.B. www.amadeu-antonio-stiftung.de/ak-
tuelles/offener-brief. - 4Derzeit die populärste Jugendschutzmaßnahem gegen »Extremismus« die Andi-Comics aus Nordrhein-Westfalen.