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Die Karlsruher „Wutbürger“ von Kargida und Co.

Antifaschistischen Aktion Karlsruhe (Gastbeitrag)
Einleitung

(K)Ein Ende in Sicht: Am 24. Februar 2015 starteten in Karlsruhe die sogenannten „Wutbürger“ von Pegida unter dem Label „Kargida“ den ersten von mittlerweile über 20 „Spaziergängen“.

Angelina Bähren und Ester Seitz (Bildmitte) als Teilnehmerinnen einer Neonazidemonstration.

Die Pegida-Welle schwappt nach Karlsruhe

Am 24. Februar 2015 starteten in Karlsruhe die sogenannten „Wutbürger“ von Pegida unter dem Label „Kargida“ den ersten von mittlerweile über 20 „Spaziergängen“. Etwa 250 Personen aus verschiedenen rechten Spektren nahmen damals teil. Neben Mitgliedern des Landesverbandes Baden-Württemberg der Neonazi-Partei „Die Rechte“, traten auch die Neonazihooligans „Berserker Pforzheim“, um den selbsternannten „Leader No.1“ Sascha Palosy, auf. Anmelder war der Diplom-Soziologe und ehemalige AfD-Kommunalwahlkandidat Thomas Rettig. Seine politische Laufbahn begann Rettig in der marktliberalen „Partei der Vernunft“. Danach war er Gründer der sogenannten „Tea Party“ in Karlsruhe — einer liberal-konservativen Bewegung, die sich ihren Namen in Anlehnung an die „Boston Tea Party“ von 1773 gab. Mittlerweile betreibt er drei Internetblogs, auf denen er über antisoziale und antifeministische Themen philosophiert. Vor seiner AfD-Mitgliedschaft war Rettig Gründungsmitglied des Karlsruher Stadtverbands von der Partei „Die Freiheit“.

Sammelsurium aus „Wutbürgern“, Neonazis und rechten Hooligans

Es folgten Aufmärsche im Wochentakt. Die Teilnehmerzahlen pendelten sich in diesem Zeitraum auf ca. 150 Personen ein. Unter den Teilnehmenden fanden sich vor allem bei den ersten Demonstrationen zahlreiche Neonazikader, wie z.B. der Mannheimer NPD-Stadtrat Christian Hehl, der NPD Landesvorsitzende Baden-Württemberg, Alexander Neidlein, sowie die Landesvorstandsmitglieder Benjamin Hennes und Jan Jae­sch­ke. Inhaltlich bewegte sich Kargida von Anfang an zwischen rechts-elitärem Konservatismus und offen völkischem Nationalismus, der von NPD, „Die Rechte“ und „Berserkern Pforzheim“ zur Schau getragen wurde. Letztere stellten zwischenzeitlich den Ordnerdienst bei den Aufmärschen.

Die Verbindungen zwischen "Orgateam" und dem rechten bis neonazistischen Spektrum wurden vor allem von Angelina Bähren gepflegt, die kurzzeitig Mitglied des Kreis­verbands Karlsruhe von „Die Rechte“ war, für den sie auch bei der Landtagswahl 2016 hätte kandidieren sollen. Aufgrund ihrer mit der Parteilinie nicht konformen Tätigkeit als Sexarbeiterin sowie ihres Drogenkonsums wurde sie jedoch wieder ausgeschlossen. Trotz des Rauswurfs aus der Partei ist Bähren immernoch für selbige aktiv. Im vergangenen Wahlkampf von „Die Rechte“ zur Landtagswahl in Baden-Württemberg war Bähren eine treibende Kraft. Sie war bei mehreren Wahlkampftouren des Landesverbandes mit dabei und organisierte eine Spontankundgebung „gegen Linke Gewalt1 als Reaktion auf einen Angriff auf Mitglieder und Symphatisanten von „Die Rechte“ nach einem Aufmarsch von Kargida. Mittlerweile hat Bähren bundesweite Kontakte geknüpft. Als Teil einer „Die Rechte“-Delegation nahm sie am „Tag der Deutschen Arbeit“ am 1. Mai 2016 in Erfurt teil.

Aus Kargida wird „Widerstand Karlsruhe“

Nach dem zehnten Spaziergang gab es strukturelle Veränderungen bei Kargida, nachdem es zu Streitigkeiten mit der Pegida-„Mutter“ aus Dresden gekommen war. Ab da trat die damals 21-jährige Ester Seitz, die bisher bei Bagida organisiert war, in Erscheinung. Sie war maßgeblich an der Umstrukturierung von Kargida beteiligt und fungierte seitdem als Teil des "Orgateams" sowie als Rednerin. Seitz hatte kurz zuvor die Organisation „Widerstand Ost-West“ gegründet. Nach einem kurzen und kläglichen Ausflug samt Karlsruher Gefolge und unter dem Schutz der „Berserker Pforzheim“ am 20. Juni 2015 nach Frank­furt/Main, konzentrierte sie sich fortan primär auf Karlsruhe. Seitz verlieh Kargida nicht nur ein jüngeres Auftreten, sie brachte auch das Label „Widerstand Ost-West“ mit. Kurzum benannte man sich in "Widerstand Karlsruhe" um. Inhaltlich änderte sich zunächst nichts.

Häufige Redner waren neben dem Hauptredner und Organisator Thomas Rettig vor allem Michael Mannheimer und Michael Stürzenberger. Michael Mannheimer stellte in seinen Reden immer wieder Bezug zum Nationalsozialismus her. So nannte er einmal „Merkel [den] schlimmste[n] Kanzler, (…) seit Adolf Hitler2 . Auslöser für Ermittlungen seitens der Staatsanwaltschaft Karlsruhe waren die Reden Mannheimers und anderer in Karlsruhe bislang jedoch nie.

Nebenprojekte, interne Streitigkeiten und Organisationswirrwarr

Nachdem „Widerstand Karlsruhe“ sich eine Sommerpause gönnte, liefen rechte Aktivitäten in Karlsruhe und Region weiter. Mathias Bückle, ein junger rechter Aktivist, der als „Support“ der „Berserker Pforzheim“ an den Kargida-Aufmärschen teilnahm und später als Redner und Teil des "Orgateams" auftrat, initiierte eine Kundgebungstour unter dem Namen „Steh auf für Deutschland“. Bei den Kundgebungen  (Motto: „Gemeinsam gegen das deutsche System“) fanden sich jedoch nie mehr als 20 Teilnehmende ein — darunter u.a. Jan Jaeschke, Ex-Vorsitzender der NPD Rhein-Neckar, der auch als Redner auftrat sowie Personen der „Berserker Pforzheim“ und des „Bündnis Deutscher Hools“ (BDH).
Die Nähe und die Kontakte Bückles zur NPD führten zu Streitigkeiten innerhalb des Orgateams von „Widerstand Karlsruhe“. Auf Drängen Rettigs wurde Bückle aus dem "Orgateam" ausgeschlossen. Doch Rettigs Versuch die Karlsruher Pegida vor dem Abdriften nach rechtsaußen zu schützen, misslang. Mittlerweile ist Rettig aus dem Orga-Kreis geschasst worden. An seine Stelle trat kurzzeitig der Landesvorsitzende der Partei „Die Republikaner“ in Rheinland Pfalz und Stadtrat in Speyer, Alois Röbosch — besser bekannt als „Alois von Schlesien“. Nachdem sich Rettig aus „Widerstand Karlsruhe“ zurückgezogen hatte, verkündete Bückle seine Rückkehr.

Politische Radikalisierung, Teilnehmerschwund und erneute Umbenennung

Auf eine erneute Pause im Winter folgte eine Neubesetzung des bisherigen "Orgateams" sowie ein neuer Name. Neben Seitz übernahmen Manuel E. und Sebastian H. die organisatorische Arbeit. Zur ersten Demonstration unter dem neuen Namen „Karlsruhe wehrt sich“ kamen ca. 150 TeilnehmerInnen — darunter auch mehrere Neonazis von „Die Rechte“ und der „Bürgerbewegung Limburgerhof“, die der Neonazi-Partei „Der III. Weg“ nahesteht. Die Radikalisierung der Karlsruher Pegida war zu diesem Zeitpunkt in vollem Gange. RednerInnen wie Holm Teichert und Christian von Mengersen von „Pro NRW“ sowie Melanie Dittmer, jahrelange Neonaziaktivistin und Mitglied der „Identitären Aktion“, bezeugen diesen Wandel.
Diese radikalere Ausrichtung setzte sich auch bei den darauf folgenden Aufmärschen fort. Beim einjährigen Geburtstag von Kargida, der trotz der offiziellen Inaktivität unter der Führung des kurzzeitig dafür zurückgekehrten Thomas Rettig mit ca. 100 Teilnehmenden stattfand, waren neben bereits aufgetauchten Reichsfahnen auch Parteifahnen von „Die Rechte“ zu sehen. Dem einmaligen Intermezzo von Kargida und Rettig folgten weitere Demonstrationen von „Karlsruhe wehrt sich“ — nun im Abstand von vier bis fünf Wochen. Bei keinem dieser Aufmärsche konnte eine Teilnehmerzahl im dreistelligen Bereich erreicht werden.

Ester Seitz rückte ab diesem Zeitpunkt immer mehr in das Zentrum des Geschehens. Neben ihrem engen Kontakt zu Dittmer hat Seitz mittlerweile auch gute Kontakte in Neonazikreise. So trat sie unter anderem als Rednerin beim von „Die Rechte“ und anderen neonazistischen Organisationen initiierten „Tag der Heimattreue“ in Bruchsal, bei einer Demo „gegen Kinderschänder3 der Kameradschaft „Freie Nationalisten Kraichgau“ im April in Sinsheim sowie bei der „Merkel muss weg“-Demonstration im Mai 2016 in Berlin auf. Zuletzt nahm sie auch am Bundesparteitag von „Die Rechte“ in  Dortmund-Dorstfeld teil.

Ausblick

Beinahe eineinhalb Jahre sind nun vergangen, seitdem sich in Karlsruhe die neue rechte Bewegung auf der Straße organisierte. Der anfänglich nach außen hin bemühte bürgerliche Schein ist längst verschwunden. Seit Seitz als Führungsperson des Kargida Nach-Nachfolgers „Karlsruhe wehrt sich“ fungiert, radikalisiert sich Seitz nicht nur selbst, auch die Ausrichtung der Aufmärsche radikalisiert sich. Ob dies letztlich auch der Grund für den starken Teilnehmerschwund ist oder ob den Karlsruher „Wutbürgern“ langsam die Luft ausgeht, ist an dieser Stelle noch nicht abzusehen. Die Proteste, die die Aufmärsche seit Anbeginn begleiten, sind hierbei sicherlich ein bedeutender Faktor.