Die ostdeutschen Wahlergebnisse der AfD
Nach der Bundestagswahl standen die Wahlergebnisse der AfD in Ostdeutschland für wenige Tage im Fokus öffentlichen Interesses. Gibt es spezifische ostdeutsche Ursachen für den Erfolg der Partei?
Ein Sommerstück: Die Studie des Göttinger Instituts für Demokratieforschung über Ostdeutschland
Im Sommer 2017 hatte die Ostbeauftragte der Bundesregierung Iris Gleicke eine Studie zu rechtsextremen und rassistischen Einstellungen in den neuen Bundesländern vorgelegt. Anlass für die Studie war die breite Resonanz, auf welche PEGIDA in den ostdeutschen Bundesländern stieß. Die Untersuchung zeigte, was andere Studien auch bereits zu Tage gebracht hatten: eine erhöhte Zustimmungsbereitschaft der männlichen ostdeutschen Bevölkerung der mittleren Generationenkohorte zu rechten und rassistischen Einstellungen und Krisenlösungskonzepten. Zwar weist die Studie einige Mängel in der Skizze der Verfasstheit der politischen Kultur Ostdeutschlands auf. Doch jene Befunde, von denen sich die Ostbeauftragte nach öffentlicher Kritik vor allem aus Sachsen, rasch distanzierte, treffen im Kern zu, wie das Wahlergebnis der "Alternative für Deutschland" (AfD) in Ostdeutschland zeigt.
Seit den 1990er Jahren ist dort ein rechtes Milieu aggregiert, welches inzwischen zwei Generationen umfasst, für die rechte und rassistische Einstellungen selbstverständlicher Teil ihrer Lebenswelt und sozialen Praxis sind. Dass die politische Artikulation solcher Einstellungen von der im öffentlichen tabuisierten NPD auf die als rechtspopulistisch wahrgenommene AfD übergegangen ist, zeigt das Ausmaß des Rechtsdrift eines Teils der ostdeutschen Bevölkerung. Anders ausgedrückt: Die „Generation Hoyerswerda“, also jene, die in der Atmosphäre der rassistischen Gewaltwelle der frühen 1990er Jahre im Osten entweder selbst Gewalt ausübten, oder diese als erfolgreiches Mittel politischer Willensbekundung erlebten, agieren inzwischen als Eltern und WahlbürgerInnen.
Der AfD Wähler: männlicher, weißer ostdeutscher Facharbeiter?
Im Zentrum der wahlsoziologischen Analysen um das ostdeutsche Wahlergebnis der AfD stand der ostdeutsche Mann. Dessen Anteil am Wahlerfolg der AfD im Osten ist besonders hoch. Neu ist die Affinität ostdeutscher männlicher Facharbeiter zu rechten Parteien allerdings nicht. Bereits der Erfolg der DVU bei den Landtagswahlen 1998 in Sachsen-Anhalt1 , und jener der NPD bei den Wahlen in Sachsen 20042 zeitigte einen hohen Anteil der skizzierten Anhängergruppe unter den WählerInnen rechter Parteien.
In der Debatte um die Ursachen dieses Wahlverhaltens lassen sich grob zwei Positionen ausmachen, die Wahlerfolge zu erklären. Da ist zum einen der Verweis auf einen realen und gefühlten sozialen Abstieg, verbunden mit der Erfahrung kollektiver Entwertung ostdeutscher (Arbeits-)Biographien. Gerade der Bedeutungsverlust der für männliche Sozialisationsmuster prägenden körperlichen Arbeit nach der Wende und des damit verbundenen Verlusts sozialer Anerkennung spielt in dieser Wählergruppe eine Rolle.
Soziale und kulturelle Deprivation3 allein begründen jedoch kein Wahlverhalten oder die Teilnahme an rassistisch motivierten Protesten. Hinzu treten erworbene und unwidersprochen bleibende rassistische Einstellungen, wie sie seit Jahren im Osten nicht nur auf Akzeptanz, sondern nachgerade auf politisches Verständnis in Politik und Medien stoßen. Dass es in der Analyse des AfD-Wahlergebnisses zwischen einer politisch-kulturellen Repräsentationskrise vieler Ostdeutscher und rassistischen Einstellungen zu unterscheiden gilt, ist klar. Dies jedoch in der Politik mit der Erweiterung des Resonanzraumes nach rechts unter Motto „die Sorgen und Ängste der Bürger ernst nehmen“ zu beantworten, stärkt rassistische Diskurse.
Westdeutsche Deutungshoheit
Nach wie vor liegt die Deutungshoheit über die Interpretation dessen, was im Osten passiert bei den westdeutschen Meinungseliten. „Die Mauer ist wieder da“, titelte die BILD-Zeitung am Montag nach der Bundestagswahl. Der Blick auf die Wahlergebnisse der AfD in Ostdeutschland zeigte das Gebiet der ehemaligen DDR als tiefblau eingefärbt. In allen neuen Bundesländern lag der prozentuale Anteil der AfD höher als in Westdeutschland. In Sachsen wurde die AfD gar stärkste politische Kraft. Doch in absoluten Zahlen liegt der Anteil der WählerInnen der AfD im Westen höher, einfach weil dort mehr Wahlberechtigte leben. Der Verweis der westdeutschen Medien auf den Osten hat den praktischen Effekt, über die im Westen mancherorts ebenfalls hohen Ergebnisse für die AfD nicht sprechen zu müssen.
So entsteht eine klischeehafte Zuschreibung an die ostdeutschen AfD- WählerInnen als durchgängig sozial prekarisiert und kulturell randständig. Dies täuscht darüber hinweg, dass das Wählerklientel der AfD nicht nur aus sozial prekären Milieus kommt, sondern und vor allem im Westen aus dem gehobenen Mittelstand. Zudem zeigen die Wahlergebnisse nicht nur ein Ost-West Gefälle, vielmehr auch ein Metropole–Peripherie-Gefälle auf. Die in westdeutschen Metropolen stark verankerte Linke hat seit zwei Jahrzehnten keine praktische Antwort auf den Verlust des kleinstädtischen und ländlichen Raumes an die extreme Rechte und ihre Deutungsangebote gefunden.
Die AfD im Osten — völkischer als im Westen?
Ex Oriente lux.4 Die Hoffnungen rechter AfD-Netzwerker wie Hans Thomas Tillschneider liegen im Osten. Alljährlich trifft sich die „Patriotische Plattform“ der AfD am Fuße des Kyffhäuser-Denkmals, einem für die extreme Rechte besonderen Ort. Der Sage nach ruht im Kyffhäuser Kaiser Barbarossa, und harrt darauf, gerufen zu werden, Deutschland zu retten. Völkisch-nationale Mythen sind auch der Stoff, aus dem Björn Höcke seine Ansprachen webt. „Erfurt ist schön. Erfurt ist schön deutsch. Und soll schön deutsch bleiben“, so Höcke auf einer Kundgebung im September 2015 auf dem Erfurter Anger.5
Dass westdeutsch sozialisierte politische Akteure wie Höcke die Klaviatur ostdeutscher Identitätsdiskurse erfolgreich zu bedienen wissen erscheint paradox. Doch für den rechten Flügel der AfD gilt, was schon für die Aufstiegsphase der sächsischen NPD zwischen 1999 und 2004 galt: der Osten bzw. in der Sprache des Milieus Mitteldeutschland ist das Sehnsuchtsland der Rechten. Hier finden sie, wonach sie glauben, zwischen Aachen und Braunschweig vergeblich zu suchen: Deutsche, die noch deutsch sein wollen. Eine Region, in der Kultur und Mentalität weder amerikanisiert, noch multikulturell sind. Als Beleg, wie hartnäckig sich die Ostdeutschen ihrer Übernahme durch den als westdeutsch apostrophierten Multikulturalismus entgegenstellten, gilt die Tatsache, dass Protestformate wie PEGIDA im Westen weitgehend ohne Resonanz auf der Straße blieben. Westdeutschland, so ist von rechten AfD -Vertretern zu hören, sei bereits vor zwanzig Jahren an die dekadente Kultur der ´68 er und die voranschreitende Islamisierung verloren gegangen. Die westdeutsche Bevölkerung habe sich erst der jahrzehntelangen Umerziehung der Amerikaner und nun der kommenden Islamisierung ergeben. Real knüpft dies an die weit zurückreichenden autoritären Traditionen eines Teils der ostdeutschen Gesellschaft an. Vor diesem Hintergrund erschließt sich, dass sich die AfD-Landesverbände Sachsen-Anhalt und Thüringen bereits in der Amtszeit Bernd Luckes deutlich rechts positionierten und die AfD frühzeitig in das Netzwerk neurechter Milieus einzubinden versuchten.
Fazit
Zweifelsohne steht der Motor, der den Rechtsdrift des Schiffes AfD antreibt im Osten. Die innerparteilichen Machtansprüche einiger ostdeutscher Landesverbände sind unübersehbar. Doch die starke Medienpräsenz ostdeutscher AfD-Politiker wie Höcke und Poggenburg sollte nicht aus dem Blick geraten lassen, dass die Mehrzahl der Mitglieder der AfD und jene, die über finanzielle Ressourcen verfügen andernorts sitzen. Dass es der AfD im Jahr vor der Bundestagswahl gelang, dem gesamten politisch-medialen Betrieb ihre thematische Agenda aufzudrücken, ist nach den Wahlen vielfach beklagt worden. Wer sich einer Wiederholung dieses Prozesses entgegenstemmen will, muss die Ideologie, die Kampagnenformate und die gesellschaftlichen Echoräume der Partei im Osten genau studieren, um gegensteuern zu können.
- 1Vgl. AIB Nr. 44 „Wie lange lassen sich 12,8 Prozent integrieren?“
- 2Vgl. AIB Nr. 64 „Die NPD im sächsischen Landtag“.
- 3Hier: Gefühl der Benachteiligung
- 4"Ex oriente lux" ist ein lateinisches Schlagwort, das frei übersetzt "Aus dem Osten (kommt) das Licht" bedeutet.
- 5Vgl. www.youtube.com/watch?v=fUcpCicsYuY