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Die (unaufgeklärten) Wege der NSU-Waffen

Andreas Förster
Einleitung

Am 4. November 2011 endete die Geschichte der Zwickauer Terrorzelle vom „Nationalsozialistischen Untergrund“ (NSU). An diesem Tag starben Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt in einem Wohnmobil im Eisenacher Stadtteil Stregda. Kurz darauf ging die Wohnung in der Zwickauer Frühlingsstraße, in der die beiden mit ihrer Komplizin Beate Zschäpe lebten, in Flammen auf. Zschäpe stellte sich wenige Tage später den Behörden, 2018 wurde sie zu lebenslanger Haft verurteilt. Ob das Urteil Bestand haben wird, entscheidet sich im August 2021.1

  • 1Nachtrag: Mit zwei Beschlüssen vom 12. August 2021 verwarf der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofes die Revisionen der Angeklagten Zschäpe, Wohlleben und Gerlach. Beate Zschäpe erhielt geringfügige Änderung des Schuldspruchs. So sei sie als Mittäterin im Fall der Morde vom 4. und 6. April 2006 in Dortmund und Kassel nicht des Mordes in zwei Fällen, sondern zweier tateinheitlicher Fälle des Mordes schuldig sowie im Fall Überfall auf einen Supermarkt in Chemnitz am 18. Dezember 1998 des versuchten Mordes in Tateinheit mit besonders schwerer räuberischer Erpressung und mit versuchter räuberischer Erpressung (nicht: versuchten Raubes) mit Todesfolge.

Im Wohnmobill des NSU fand sich u.a. eine "Hekler&Koch"-Pistole.

In dem Wohnmobil in Stregda und in der Frühlingsstraße hortete das NSU-Trio  insgesamt 20 Waffen und über 1600 Schuss Munition sowie zweieinhalb Kilogramm Schwarzpulver. Acht dieser Schusswaffen – darunter die beiden Dienstpistolen der in Heilbronn überfallenen Polizisten und ein bei einem Raubüberfall 2006 in Zwickau verwendeter Revolver – hatten Mundlos und Böhnhardt dabei, als sie mit ihrem Wohnmobil durch die Lande fahren. Die restlichen zwölf Waffen – darunter die Ceska, mit der die neun Verbrechen der NSU-Mordserie zwischen 2000 und 2006 begangen wurden, und die beiden Tatwaffen, mit denen auf die Polizisten in Heilbronn gefeuert worden war – lagen in der Frühlingsstraße.

Hätten die Ermittler die Spur der Waffen, die man beim NSU-Trio fand, konsequent zurückverfolgt, wären sie vielleicht auf weitere Mitglieder und aktive Unterstützer des NSU gestoßen, die seit Jahren im Verborgenen für die Bewaffnung rechter Terrorzellen sorgen. Auffällig ist jedenfalls, dass einige der Waffen aus der Schweiz und Tschechien zum NSU gelangt sind, bei anderen handelte es sich um alte Kriegs- und Beutewaffen aus der Zeit des Nationalsozialismus.

Der Weg der Ceska

Dafür, dass intensive Ermittlungen im In- und Ausland durchaus erfolgversprechend gewesen wären, spricht das Beispiel der Tatwaffe der Ceska-Mordserie, deren Weg zum NSU nahezu lückenlos aufgeklärt werden konnte. Die Ceska 83 mit Schalldämpfer, Kaliber 7,65 mm, war am 5. November 2011 in der Frühlingsstraße entdeckt worden. Die abgeschliffene Seriennummer 034678 konnte wieder sichtbar gemacht werden. So ließ sich nachvollziehen, dass die Pistole von der tschechischen Herstellerfirma im Jahr 1993 an den Schweizer Waffenimporteur Luxik geliefert worden war. Dort kaufte sie die Waffenhandelsfirma Schläfli & Zbinden aus Bern am 9. April 1996. Der Grund dafür war, dass ein Kunde ein solches Modell mit Schalldämpfer bestellt hatte.

Bei dem Kunden handelte es sich um den Schweizer Hans-Ulrich Müller, der Kontakte in die rechte Mischszene aus Neonazis und Kriminellen in Thüringen unterhielt und hier auch zeitweise lebte. Beim Kauf der Waffe am 11. April 1996 verschleierte Müller allerdings, dass er die Waffe für sich erwarb. Er legte einen Waffenerwerbsschein vor, den er zuvor dem Schweizer Waffenhändler Anton Germann abgekauft hatte. Schläfli & Zbinden sandte die Waffe daraufhin an Germann und trug ihn als Käufer der Ceska  ein. Danach übergab Germann die Waffe wie vereinbart an Müller, der sie nach Thüringen einschmuggelte. Dort erhielt der Jenaer Neonazi Jürgen Länger - möglicherweise über dessen Szenefreund Enrico Theile - die Ceska mit dem Schalldämpfer.

Erst im Frühjahr 2000 tauchte die Waffe wieder auf, als Länger sie an Andreas Schultz verkaufte, der in Jena den rechten Szeneladen „Madley“ betrieb. Eine Übergabe auf Bestellung, denn Mundlos und Böhnhardt hatten kurz zuvor ihren Helfer Carsten Schultze damit beauftragt, eine schallgedämpften Pistole zu besorgen. Schultze wandte sich dazu an den Neonazi Ralf Wohlleben. Der verwies ihn an den „Madley“-Betreiber, der daraufhin von Länger die Waffe besorgte. Spätestens am 17. Mai 2000 holte Carsten Schultze im „Madley“ die bezahlte Waffe mit Munition ab und übergab sie einige Tage später in Chemnitz an Mundlos und Böhnhardt.

Dreieinhalb Monate danach, am 9. September 2000, begingen die beiden NSU-Terroristen damit ihren ersten Mord - an dem türkischen Blumenhändler Enver Şimşek in Nürnberg.

Ungeklärte Wege

Bei allen anderen Waffen des NSU-Trios ist die Herkunftsfrage - wenn überhaupt - nur in Ansätzen geklärt. Bei der Pumpgun vom Typ Mosberg Maverick fanden die Ermittler lediglich heraus, dass auch sie wie die Ceska aus der Schweiz in die Hände des NSU-Trios gelangt war. Fest steht nur, dass die aus den USA stammende Pumpgun vom Hersteller im Juni 1996 an das Waffengeschäft Diana in Zürich verkauft und ausgeliefert worden war. Dort erwarb sie ein knappes Jahr später der damals 22-jährige Schweizer Staatsbürger Michael Saner, der nach eigenen Aussagen der rechten Szene angehörte. Saner will die Waffe fünf Jahre später an einen Gesinnungsfreund verkauft haben, der sie nach drei Jahren weiter veräußerte. An wen, blieb unklar.

Die zweite gefundene Pumpgun vom Typ Winchester Defender war 1991 nach Kanada exportiert worden. Von dort gelangte sie nach Europa. Von den Behörden in Wien erfuhren die deutschen Ermittler, dass die Winchester im März 1992 von einer Firma in Salzburg an den in Berlin-Steglitz wohnenden Bernd Olaf Bachmann veräußert worden war. Der 1950 geborene Bachmann besaß eine sogenannte Waffenbesitzkarte (WBK), die ihm 1998 allerdings „wegen Unzuverlässigkeit“ wieder entzogen worden war. Auf seine WBK hatte Bachmann lediglich zwei Büchsen registriert, die Winchester aus Kanada meldete er jedoch nicht an. 2005 verstarb Bachmann.

Bei einer Pistole vom Typ Alfa-PROJ war die Seriennummer an der Pistole abgeschliffen worden und die Ermittler konnten den Verkaufsweg der Waffe nicht mehr nachvollziehen. Das gleiche galt für eine Maschinenpistole vom Typ Pleter und für einen Revolver vom Typ Melcher, Kal. .38. Eine Pistole vom Typ Ceska wies dagegen noch ihre Seriennummer auf. Sie führte zu einem privaten Waffenbesitzer in Prag, dem die Ceska im Jahr 1999 aus dem Auto heraus gestohlen worden war.

Und dann waren da noch zwei Pistolen vom Typ Heckler&Koch P2000. Bei den Waffen handelte es sich um die Dienstpistolen der 2007 in Heilbronn unter letztlich ungeklärten Umständen ermordeten Polizistin Michelle Kiesewetter und ihres bei dem Überfall schwerverletzten Kollegen Martin Arnold. Da die Ermittler den Mordanschlag von Heilbronn dem NSU-Trio zuordneten, gingen sie davon aus, dass Mundlos und Böhnhardt die Waffen selbst erbeutet und nicht über Mittelsmänner erhalten hatten.

Im Schutt der ausgebrannten Wohnung des NSU-Trios in der Zwickauer Frühlingsstraße konnten die Polizeibeamten insgesamt zwölf Waffen sicherstellen, darunter zwei Schreckschusspistolen. Zu den schussfähigen Waffen gehörten auch alte Kriegswaffen: eine noch vor dem Zweiten Weltkrieg in Zella-Mehlis hergestellte Pistole Walther PP sowie eine in Polen unter deutscher Besatzung gefertigte Pistole vom Typ RADOM VIS 35. Eine Pistole vom Typ TOZ TT33 stammte aus sowjetischer Produktion und war zwischen 1930 und 1942 gefertigt worden.

Bei zwei weiteren im Brandschutt gefundenen Waffen waren die Seriennummern gefälscht worden, was eine Verkaufswegermittlung unmöglich machte. Das betraf ein Gewehr der Firma Rhöner, Kaliber 9 mm Flobert, und eine aus einer Suhler Waffenfabrik stammenden Pistole ERMA, Modell EP552S. Auch bei einem Revolver vom Typ KORA, Kal. .22, kamen die Ermittler nicht voran, was den Weg der Waffe in die Zwickauer Frühlingsstraße betraf. Eine Pistole vom Typ Bruni war von einer Schreckschusswaffe zu einer scharfen Waffe umgerüsteten worden.

Eine weitere Pistole vom Typ Ceska 82 konnte dafür immerhin der tschechischen Armee zugeordnet werden. Allerdings stammte die Pistole aus der Beute eines unaufgeklärt gebliebenen Waffendiebstahls in einer nordböhmischen Militäreinheit in den 1990er Jahren. Auch eine Maschinenpistole vom Typ Ceska 26 war irgendwann in den 1970er Jahren an eine Militäreinheit in der damaligen Tschechoslowakei ausgeliefert worden, dort aber zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt verschwunden.

Die bekannten Informationen zu den NSU-Waffen machen deutlich, das Neonazis seit den 1990er Jahren an Schusswaffen interessiert sind und sie über verschiedene Wege Zugang zu verbotenen Waffen hatten. Ernsthaft aufgeklärt wurde nur der Weg der „symbolträchtigen“ NSU-Mord-Waffe – der Ceska 83. Da aber jede Waffe in der Hand von Neonazis ein tödliches Risiko für MigrantInnen und AntifaschistInnen in Deutschland darstellt, muss die Aufhellung der Waffenquellen der Neonazi-Szene (nicht nur im NSU-Komplex) weiter vorangetrieben werden.