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Feminism is not a crime!

vom Bündniss „What-The-Fuck?!“ (Gastbeitrag)
Einleitung

Seit November 2020 finden vor dem Amtsgericht Berlin erste Verfahren gegen queer-feministische Aktivist:innen statt. Insgesamt sind 116 Personen angezeigt worden. Ihnen wird „Nötigung“ vorgeworfen, weil sie sich 2019 an einer Sitzblockade beteiligt haben sollen. Die Sitzblockade war Teil der Proteste gegen eine Veranstaltung von christlichen FundamentalistInnen und anderen AntifeministInnen.

Foto: kinkalitzken

Protest vor dem Berliner Amtsgericht Tiergarten.

Als selbsternannte „Lebensschützer“ fordern diese ein vollständiges Abtreibungsverbot, setzen Schwangere vor Beratungsstellen und Kliniken unter Druck und terrorisieren Ärzt:innen, die Abbrüche durchführen oder über diese informieren. Jedes Jahr im September organisieren sie in Berlin den sog. „Marsch für das Leben“ (MfdL). Der „Marsch für das Leben“ ist das größte Event der „Lebensschützer“ in Deutschland, im Schnitt mit 5.000 Teilnehmenden und Onlineübertragung. Jedes Jahr laufen AfD-Mitglieder wie Beatrix von Storch und andere (extrem) rechte AkteurInnen mit. Der „Marsch für das Leben“ dient als Brücke zwischen konservativem, christlich-fundamentalistischem und (extrem) rechtem Milieu.

Auf einem Foto vom „Marsch für das Leben“ aus dem Jahr 2020 ist zu sehen, wie sich von Storch mit einem Abtreibungsgegner unterhält, der ein Schild mit „All lives matter“ und ein „Make America great“-Cap trägt. Dieses Bild spiegelt deutlich die paradoxen Ansichten der Teilnehmer:innen des „Marsch für das Leben“ wieder. Die AbtreibungsgegnerInnen versuchen durch Parolen wie ‚All lives matter‘ oder ‚Babies lives matter‘ die antirassistischen Proteste aus einer zutiefst reaktionären und menschenfeindlichen Ideologie heraus zu vereinnahmen. Die AbtreibungsgegnerInnen vertreten ein sexistisches und queerfeindliches Gesellschaftsbild und setzen sich gegen Sexualaufklärung an Schulen ein.

Bei Protesten gegen den „Marsch für das Leben“ im Jahr 2019 wurden Gegendemonstrant:innen stundenlang von der Polizei eingekesselt und danach in die Gefangenensammelstelle (Gesa) gebracht. Schon bei der Auflösung der Sitzblockade wandte die Polizei unnötig Gewalt, unter anderem Schmerzgriffe, an. Nach stundenlangem Aufenthalt in der Gesa und abschließender Identitätsfeststellung wurden unsere Genoss:innen wieder freigelassen. Es hagelte Anzeigen wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Nötigung, Vermummung und Verstoß gegen das Versammlungsgesetz.

Dem „What-the Fuck?!“-Bündnis sind ca. 30 Verhandlungen bekannt, die bereits stattgefunden haben. In den bisher gesprochenen Urteilen zeigt sich eine unklare Rechtslage. Neben vielen Einstellungen mit der Auflage einer Geldstrafe zwischen 100 und 600 Euro gab es auch eine Einstellung ohne Auflagen. Bisher kam es zu drei Verurteilungen. Zwei davon, weil die Angeklagten die Auflagen zur Einstellung nicht akzeptierten. Sie gehen in Berufung, um juristisch klarzustellen, dass eine Sitzblockade nicht als Gewalt eingestuft werden kann. Die dritte Verurteilung wurde wegen Verstoß gegen das Versammlungsgesetz gefällt. Der Richter sah den Tatbestand der Nötigung hier nicht erfüllt. Das liegt unter anderem daran, dass es unterschiedliche Rechtsauffassungen zu den Tatbestandsmerkmalen der Nötigung gibt.

Besonders die sogenannte „Zweite-Reihe-Rechtsprechung“ des Bundesgerichtshofes (BGH) stößt bei vielen Anwält:innen auf Kritik. Der BGH argumentiert, dass Teilnehmende einer Sitzblockade Autos dazu nötigen würden, stehenbleiben zu müssen. Umstritten ist, ob der Gewaltbegriff als Tatbestandsmerkmal der Nötigung erfüllt ist. Der BGH sieht ihn mangels physischen Zwangs als nicht erfüllt an, wenn es um die erste Reihe anhaltender PKWs geht, bejaht aber die Nötigung bezüglich der zweiten Fahrzeugreihe, da diese nicht an der ersten Reihe vorbeifahren könne. Da es sich bei der im September 2019 stattgefundenen Sitzblockade nicht um eine Blockade von Autos handelte, sondern von Menschen, die sich individuell an der Sitzblockade vorbei oder in andere Richtungen bewegen konnten, macht den Vorwurf hier noch absurder.

In den Verfahren wurde immer wieder von Staatsanwält:innen und Richter:innen versucht zu beweisen, dass ein Vorbeikommen an den sitzenden Menschen nicht möglich gewesen sei. Eine Richterin bezog sich dabei auf ein „YouTube“-Video und lehnte den Beweisantrag der Verteidiger:in ab, das ungeschnittene Polizeivideo zu sehen, da ihr das „YouTube“-Video ausreiche, um die Sachlage einzuschätzen.

Ähnlich absurd ist der Erlass einer Richterin, dass keine Mehrfachverteidigung stattfinden darf. Das heißt, dass Verteidiger:innen immer nur eine Mandant:in gleichzeitig vertreten dürfen. Das Gesetz zum Verbot der Mehrfachverteidigung wurde zur Vorbereitung des Stammheimer Prozesses gegen die RAF erlassen. Seitdem gilt es, kommt aber selten zur Anwendung. Andere Richter:innen hatten die Mehrfachvertretung nicht beanstandet. Es entsteht der Eindruck, dass es den Angeklagten und ihren Verteidiger:innen besonders schwer gemacht werden soll, sich zu verteidigen.

Ursprünglich wurden die Verfahren von Oberstaatsanwalt Fenner angeordnet. Fenner war Leiter der Staatsschutzabteilung 231 der Staatsanwaltschaft und damit zuständig für alle politisch motivierten Straftaten in Berlin. Fenner geriet im Sommer 2020 in die Kritik, nachdem aufgedeckt wurde, dass er und ein anderer Berliner Staatsanwalt möglicherweise die Ermittlungen zu Neonazi-Brandanschlägen behindert haben könnten. (vgl. AIB Nr. 119). Fenner soll sich in der Vernehmung eines extrem rechten Tatverdächtigen als eine Art AfD-Wähler oder eine Art AfD-Sympathisant zu erkennen gegeben haben und den Eindruck erweckt haben, dass die Rechten von Seiten der Justiz wenig zu befürchten hätten.

Fenner hatte zu Beginn der Prozesse gegen die queer-feministischen Aktivist:innen die Anordnung getroffen, dass Einzelverfahren zu führen sind. Diese Anordnung findet sich in den einzelnen Strafakten. Das heißt, dass die Verfahren nicht gemeinsam verhandelt werden können und so immense Kosten entstehen, die auch bei Einstellung gegen einen Geldbetrag von den Aktivist:innen getragen werden müssen. Dazu gehören neben den Kosten für Anwält:innen auch die Gerichtskosten von 140 Euro. Die Kosten belaufen sich auf ca. 1000 Euro je Aktivist:in. Fenner veranlasste zudem, dass (linke) politische Verfahren in Berlin nicht eingestellt werden dürften. Nach seiner Versetzung wird nun zumindest diese Möglichkeit von Richter:innen und Staatsanwält:innen in Betracht gezogen.

Das „What-the Fuck?!“-Bündnis solidarisiert sich mit allen Personen, die angeklagt sind, und unterstützt die Betroffenen finanziell. Dafür wurde ein Konto bei der Roten Hilfe eingerichtet. Die Unterstützung der Aktivist:innen gegen Repression ist uns als Bündnis sehr wichtig. Wir haben daher auch dabei geholfen, die Betroffenen untereinander zu vernetzen. Daneben begleiten wir die Prozesse persönlich und medial und zeigen unsere Solidarität auch mit Musik, warmen Getränken und Redebeiträgen vor dem Gericht.

Es kann nicht sein, dass christliche FundamentalistInnen ihre sexistische und queerfeindliche Ideologie unwidersprochen auf die Straße tragen, ungewollt Schwangere vor Beratungsstellen bedrängen und Falschinformationen über Schwangerschaftsabbrüche verbreiten können, während der feministische Gegenprotest dermaßen kriminalisiert wird.

Zurzeit arbeitet das Bündnis an einem gemeinsamen Statement mit dem „Berliner Bündnis gegen Rechts“. Antifaschist:innen, die im Oktober 2020 einen Neonazi-Aufmarsch in Hohenschönhausen blockiert haben sollen, drohen ähnliche politische Verfahren. Auch sie erhielten Post mit dem Vorwurf der Nötigung. Die Kriminalisierung von Protestbewegungen ist immer auch darauf ausgelegt, Aktivist:innen einzuschüchtern und von ihrem Engagement abzuhalten. Sie kann Angst machen und uns lähmen. Deswegen ist es so wichtig, niemanden damit allein zu lassen und die Betroffenen zu unterstützen. Wir wollen mit unserer Arbeit dem Gefühl der Vereinzelung entgegenwirken. Nur so können wir als Aktivist:innen weiter politisch agieren und gemeinsam kämpfen. Wir stellen uns klar gegen die Kriminalisierung von Abtreibung und feministischem Protest und werden diese Forderungen auch vor dem Gericht offensiv vertreten. Feminism is not a crime!