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Görlitz: „Anti-Corona-Proteste“ als rechtes Schaulaufen

Kollektiv 15°Research (Görlitz Umgebung)
Einleitung

Die sogenannten „Anti-Corona-Proteste“ waren von Beginn an auch ein Anziehungspunkt für die (extreme) Rechte, „Reichsbürger“*innen, PEGIDA- und Verschwörungsanhänger*innen sowie Vertreter*innen der AfD. Besonders eindrücklich zeigt sich dies in Sachsen.

Mit der „Reichsfahne“ und mangelnder Rechtschreibkenntnis gegen Corona ? Protest Mitte November 2020 am Straßenrand der B6 in Holtendorf bei Görlitz.

Vor etwa zwei Jahren begannen Menschen aus der Region Görlitz sogenannte „Anti-Corona-Proteste“ zu organisieren. Ging es anfänglich um Grundrechtseinschränkungen, die durch die pandemische Situation und die beschlossenen Verordnungen auftraten und immer noch auftreten, mischten sich schnell Anhänger*innen reaktionärer Weltanschauungen unter die Protestierenden.

Seit April 2020 vergeht kaum eine Woche, ohne dass irgendwo im Landkreis protestiert wird. In den Ortschaf­ten entlang der Bundesstraßen B96 und B6 stehen zudem an Montagen und Sonntagen wöchentlich bis zu 700 Menschen. Sie schwenken Reichsfahnen, Reichskriegs­fahnen, „Q-Anon“-Fahnen, Schlesienfahnen und zeigen diverse Transparente, Aufnäher und selbst gebastelte Schilder mit (extrem) rechten, antisemitischen und verschwörungsideologischen Inhalten. Im Mai 2020 veranstaltete auch der AfD-Landtagsabgeordnete Mario Kumpf in Löbau eine entsprechende Kundgebung. Seit Februar 2021 finden zudem Autokorsos in der Region statt, die u.a. von Hermann Holdt aus Weißwasser (AfD-Stadtrat), Mario Kumpf (Löbau) und dem Görlitzer Frank Liske (ehem. Kreisvorstandsmitglied AfD) organisiert wurden. Im Oktober 2020 zogen circa 15 schwarz gekleidete Menschen unter Teilnahme des AfD-Stadtrats Frank Figula mit einem Sarg durch Zittau. In Görlitz trat die rechte Musikerin Ramona Naggert („Runa NDS“) bei „Montagsspaziergängen“ auf. Eine bundesweite Vernetzung von Pandemiekritiker*innen – bzw. -leugner*innen und Menschen aus (extrem) rechten Bewegungen wird durch die Teilnahme an den Protesten der „Querdenken Bewegung“ wie z.B. in Berlin, Leipzig, Dresden und Kassel verstärkt.

Regionale Akteur*innen haben sich letztlich in einer Art neuem Protest-Milieu zusammengefunden: Ein bekannter Hausarzt aus Görlitz (Dr. Ralph Tinzmann) , ein Görlitzer Betriebsratsmitglied (Lee Roy Mayer), ein Dozent der VHS (Jochen Stappenbeck), der Gründungsrektor der Hochschule Görlitz/Zittau (Prof. Peter Dierich, TU Dresden, ehemaliger Lantagsabgeordneter der CDU), ein YouTuber (JBV); bekannte AfD Politiker*innen, mittelständige Unternehmen und eindeutig (extrem) rechte Aktivist*innen.

Online-­Posts von „Querdenkern“ und rechten Multi­plikatoren wie dem Neonazi Sven Liebich aus Halle, dem Arzt Bodo Schiffmann aus Heidelberg, dem Begründer von PEGIDA Lutz Bachmann aus Coswig oder auch dem Antisemiten Attila Hildmann (Berlin) wurden darin zur inhaltlichen Orientierungshilfe. Verstetigt hat sich eine gemeinsame Widerstandshaltung gegen „Die da oben“, wodurch eine  kritische Reflexion der eige­nen Position nicht mehr zugelassen wird. Auf Social Media Kanälen und in Telegram Gruppen wie „Patrioten Görlitz“, „Eltern stehen auf“ oder dem YouTube-Kanal „JBV“, werden die Proteste begleitet. Viele Beiträge werden mit Songs aus der RechtsRock-­Szene, wie z.B. von der Band „Sturmwehr“, unterlegt.

Seit Mai 2020 gibt es in Görlitz die regelmäßigen „Montagsspaziergänge“, wobei die Zahlen der Teilnehmenden zwischen 40 und 200 Personen schwanken. Organisator*innen, sowie Protestierende vergleichen dabei vielfach die Montagsspaziergänge mit den Montags-Protesten zur Wendezeit 1989 in Leipzig und anderen Städten. Geht es bei den „Anti-Corona-Protesten“ darum, die Verordnungen in Frage zu stellen, die von der Regierung als notwendig erachtet werden, um eine Pandemie zu bekämpfen, richtete sich der Protest in den letzten Monaten der DDR gegen ein Regierung, die Opposition gar nicht erst zuließ. Wenn hier ein Vergleich überhaupt möglich ist, dann nur insofern, als dass Neonazi-Organisationen und rechte Parteien auch zu dieser Zeit die Gunst der Stunde nutzten, sich dem Protest anzuschließen. Die Versuche diese Proteste zu vereinnahmen stießen in Sachsen auf fruchtbaren Boden. (Vgl: AIB 84: „Von Montagsdemos zu Gegendemos“)

AfD als Partner im Kampf gegen die Anderen

Corona wird als Lüge und Weltverschwörung dargestellt und die Maßnahmen gegen die Pandemie als diktatorisch angeprangert und deshalb abgelehnt. Coronaleugner*innen unterscheiden zwischen sich und „den Anderen“. „Andere“ sind die, die nicht das Gleiche glauben und damit prinzipiell nicht das Richtige. Diese Anschauung wird in den sozialen Medien, im KOPP-Verlag, bei der AfD, der „Identitären Bewegung“ und von Einzelpersonen wie Hildmann, Schiffmann und Liebich medienwirksam verteidigt.

Die Haltungen der „Anderen“ werden darüber hinaus - vor allem von der AfD - weiter als (politischer) Spielball benutzt. Als im Juni 2020 die „Paradiesvögel statt Reichsadler – die Karawane für Vernunft“ als Antwort auf den „B96 Protest“ durch den Landkreis Görlitz fuhr und sich auch ein Kleinbus des Gerhart-Hauptmann- Theaters einreihte, meldeten sich regionale AfD-Politiker zu Wort. Ein AfD-Kreisrat und das Aufsichtsratsmitglied der Gerhart-­Hauptmann-Theater (GHT) GmbH Jörg Domsgen ermahnten das Theater Görlitz zur Neutralität – eine klare Ansage gegen das gesellschaftliche Wirken der Kunst.

Der damalige GHT-Geschäftsführer reagierte auf die Pressemitteilung der AfD in der Sächsischen Zeitung: „Kunst ist nicht unpolitisch; Zu der Frage, ob Kunst und Kultur neutral sein müssen, sagt Caspar Sawade eindeutig Nein. ‚Die AfD versucht mit solchen Aktionen Künstler und Kulturschaffende einzuschüchtern‘, so Sawade. Eine unpolitische Kunst habe es niemals gegeben, ‚nur leider zu oft in der Geschichte eine Staatskunst‘. Die Bühne sei gerade ein Ort des Verhandelns.“ Verhandlungen aber sind hier nicht gewollt, weder von Rechten, noch von Verschwörungsideolog*innen. Indem Coronaleugner*innen zwischen sich und „den Anderen“ unterscheiden, wird ein Wahrheitsanspruch allein für den eigenen Glauben impliziert und damit zur manifesten Wahrheit erhoben.

Gemeinsame Schnittmengen

Aus der Überzeugung heraus, als einzige die Wahrheit erkannt zu haben, entsteht eine einseitige und gefährliche Perspektive auf eine Welt, die ihre Schuldigen und ihre Sündenböcke sucht – und findet. Sich selbst betrachten die Gegner*innen der Corona-Maßnahmen in dieser ideologisch verfestigten Perspektive als Verteidiger*innen einer gefährdeten Freiheit, zusammen als „Vertreter des Volkes“ gegen „Volksverräter“, „Volksfeinde“, gegen „Die da oben“. Hier sind Vergleiche mit einer Methodik möglich, die wir seit Jahrzehnten in „verschwörungstheoretischen“ Ideen und in Neonazi-­Strukturen wiederfinden. Sie haben die Abgrenzung von „den Anderen“, eine gleichzeitige beanspruchte Vertreter*innenrolle für „das Volk“ und den Versuch einer Aushöhlung des Demokratiebegriffes gemeinsam.

Dieses Argumentationsmuster fand bereits in der Neonazi-Szene der 1990er Jahre Verwendung, die auf ganz ähnliche Weise über den ideologischen Ausschluss „der Anderen“ versuchte, in der Mitte der Gesellschaft Fuß zu fassen. Das Heft "Umbruch" des Neonazi-Kaders Steffen Hupka etwa, stellte um 1994 klar, auf wen z.B. die „Anti-Antifa-Kampagne“ zielt: „Jeder, der sich gegen die nationale Sache direkt oder indirekt ausspricht ist Volksfeind. Jeder, der gegen nationale Gruppierungen und deren Anschauungen agitiert, stellt sich gegen das Volk, denn wir vertreten das Volk. [Feinde sind] Redakteure und andere Medienvertreter, Antifa und u.U. bestimmte Linke, Mitarbeiter in städtischen Behörden, Institutionen und Initiativen wie Ordnungsamt, AWO, Post u.a., die sich gegen national eingestellte Menschen hervortun.“ Wenig verwunderlich, dass im Sommer 2020 auch der frühere "Umbruch"-Herausgeber, Steffen Hupka, auf einer „Anti-Corona“-­Demonstration in Halle wieder in die Öffentlichkeit trat.

Dass hier Berührungspunkte bestehen und es zu Annäherungen zwischen Pandemieleugner*innen, Verschwörungsideolog*innen, Neonazis, „Reichbürger*innen“, Anhänger*innen der „Identitären Bewegung“, der „Querdenker“-Bewe­gung, PEGIDA und der AfD kommt ist nachvollziehbar. Dass in einer gesellschaftlichen Krisensituation auch zuvor „unpolitische“ Bürger*innen nach Antworten und oftmals Schuldigen suchen, die von den „Anti-Corona“-­Protesten präsentiert werden, leider auch.