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Neonazi als V-Mann enttarnt. Thüringer Staatskasse finanziert NPD-Aufmärsche

Einleitung

Wieder einmal wurde ein führender Neonazi als V-Mann des Thüringer Verfassungsschutzes enttarnt. Mit rund 200.000,- D-Mark soll dabei die Arbeit der Neonazi-Szene finanziert worden sein. Fragt sich nur, wer hier wem genutzt hat.

Der VS-Spitzel Tino Brandt während einer "Rudolf Heß"-Gedenk-Aktion im Jahr 1997 in Braunschweig. Hier mit Presseausweis und Fotoapparat.

Der VS-Spitzel Tino Brandt während einer "Rudolf Heß"-Gedenk-Aktion im Jahr 1997 in Braunschweig. Hier mit Presseausweis und Fotoapparat.

Am 12. Mai diesen Jahres outete die »Thüringer Allgemeine« den V-Mann des Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz (TLfV) Tino Brandt. Unter dem Titel, »Verfassungsschutz bezahlt weiter rechte Führungskräfte, NPD finanziert Aurmärsche aus der Thüringer Staatskasse«, deckte die Zeitung damit einen neuen Verfassungsschutzskandal auf. Brandt war nicht nur für den Geheimdienst tätig. Er füngierte als stellvertretender Landesvorsitzender der NPD und war eine der Führungspersonen des »Thüringer Heimatschutzes«.

Mehr Schaden als Nutzen

Schon der ein Jahr zuvor aufgeflogene Spitzel Thomas Dienel hatte behauptet, mit staatlichen Geldern seine politische Arbeit zu finanzieren. Das TlfV war deshalb stark in die Schlagzeilen geraten. Dienel gab an, die 25.000,- D-Mark Spitzellohn unter anderem für den Druck von Propaganda-Materialien für die »Deutsch Nationale Partei« verwendet zu haben. Der Chef des Landesamtes Helmut Roewer musste seinen Schlapphut nehmen. Er war schon vorher wegen Verharmlosung der rechten Szene einerseits und Denunziationsbemühungen gegenüber AntifaschistInnen aus Gewerkschaften, Parteien und kirchlichen Gruppen andererseits unter Druck geraten.

Ein Untersuchungsbericht der Landesregierung blieb unter Verschluss. Der neue Chef des Landesamtes Thomas Sippel versicherte ebenso wie Landesinnenminister Christian Köckert (CDU), dass es in Zukunft keine V-Leute in Spitzenpositionen mehr geben werde. Es entstehe sonst der Eindruck, die Organisation werde durch das Amt geführt. An diese Worte erinnerte die »Thüringer Allgemeine«, als sie Fotos von einem Zusammentreffen am 3. Mai zwischen Tino Brandt und einem Mitarbeiter des TLfV in Coburg veröffentlichte.

Bei dem Treffen soll es sich um das siebte, natürlich entlohnte Nachfolgetreffen im Zeitraum zwischen Februar und Mai 2001 gehandelt haben.Das heißt sieben Treffen nach der angeblichen Beendigung der Spitzeltätigkeit in nur drei bis vier Monaten. Tatsächlich war Brandt zum Zeitpunkt seiner Wahl als Vizevorsitzender der NPD im Mai 2000 abgeschaltet, kurz darauf von Roewers Stellvertreter jedoch wieder aktiviert worden. Seine ursprüngliche Anwerbung soll bereits 1994 stattgefunden haben.

Organisationen durch das Amt geführt?

Brandt gehört zu den aktivsten rechten Funktionären in Thüringen. Er agierte aus der Region Rudolstadt/Saalfeld und war bereits als Schüler aktiv. Bis zu seiner Enttarnung arbeitete er im Verlag »Nation und Europa« des Neonazis Peter Dehoust in Coburg. Danach wurde er zunächst freigestellt. Der als Ziehsohn Frank Schwerdts geltende Brandt wandelte die »Anti-Antifa Ostthüringen« in den »Thüringer Heimatschutz« (THS) um und ist vermutlich 1999 einer der treibenden Kräfte bei der Übernahme der NPD-Thüringen durch die Freien Kameradschaften gewesen.

Gleichzeitig bemühte er sich erfolgreich um einen Brückenschlag zu erzkonservativen Kräften. Mit der Burschenschaft »Jenensia«, in der neben CDU-Ratsherren auch Neonazis Ehrenmitglieder waren, wurden Veranstaltungen durchgeführt, bei der der THS den Schutz übernahm. Als antifaschistische Gruppen diesen Brückenschlag veröffentlichten, sah sich das TlfV gezwungen zuzugeben, was es schon lange wissen musste und offenbar bewusst verschwiegen hatte. Auch die Zuarbeit zum NPD-Verbotsverfahren aus Thüringen war trotz der V-Mann-Dichte ausgesprochen mager.

Die NPD in Thüringen hat sich im Laufe der 90er Jahre von einer Hinterzimmer Partei zu einer dynamischen kämpferischen Organisation mit hoher subkultureller Anziehungskraft entwickelt. Die Übernahme der Macht in der Partei durch die »Freien Kameradschaften« mit ihrer Ausrichtung an eindeutiger NS-Ideologie, war eine logische Konsequenz. Frank Schwerdt, NPD-Bundesvorstandsmitglied und Integrationsfigur des NS-Flügels, wurde 2001 handstreichartig Landesvorsitzender. Drei bundesweite Strategieseminare der»Revolutionären Plattform« innerhalb der NPD fanden in Thüringen statt, das vierte ist in Planung. Die erfolgreiche Verankerung der Plattform-Positionen innerhalb der NPD dürfte nicht unwesentlich auf den Einfluss des Thüringer NPD-Landesverbandes zurückgehen.

Es stellt sich die Frage, inwiefern der Thüringer Verfassungsschutz zu dieser Entwicklung der NPD beigetragen hat. Öffentlich hat sich keine der Neonazigrößen ausführlicher zur Brandt-Affäre geäußert. Worch, Hupka und Co boten ein eigenes Aussteigerprogramm aus der VS-Tätigkeit an, um den Flurschaden in den hinteren Reihen zu begrenzen. Nach ihrer Einschätzung fliegen derzeit Spitzel im Interesse der Geheimdienste auf, um Zeugen für das NPD-Verbotsverfahren zu gewinnen. Der NPD-Länderrat votierte gegen ein Aussteigerprogramm, weil es suggeriere, die Kooperation mit dem VS sei vertretbar.

Der in Südafrika lebende deutsche Neonazi Claus Nordbruch beschuldigt Brandt der mittelbaren Auslieferung von Kameraden an den Staat und fordert eine detaillierte Aufklärung. Gegenüber dem Vorstand der NPD in Berlin bestritt Brandt zunächst seine Tätigkeit als V-Mann und erstattete Anzeige wegen Verleumdung. Nun sagt er selbst aus, für seine V-Mann-Tätigkeit rund 200.000,- DM erhalten zu haben. Laut einer Erklärung der NPD Thüringen soll das Geld jedoch nicht in deren Kassen geflossen sein. Im Netzforum des THS wird nun darüber debattiert, dass die Spitzeltätigkeit der Bewegung eher genutzt als geschadet habe.
Ohne die Spitzel sei doch schließlich keine NPD-Versammlung beschlussfähig. Man werde nicht auf »Agentensuche« gehen, sondern seine Arbeit fortsetzen.

Brandt selbst verharmlost, dass die langjährige Zusammenarbeit nicht völlig ohne Informationen an den Thüringer Geheimdienst abgegangen sein kann: Für ihre Aktivitäten sei es egal gewesen, was der VS vorher wusste. Aus Gründen des »Quellenschutzes« hätte man die von ihm erhaltenen Informationen ja ohnehin nicht vor durchgeführten Aktionen bekannt geben können, weil sonst die Polizei und andere Dienste von der Zusammenarbeit erfahren hätten. In einem Interview in der Szenezeitschrift »Gloria Victoria« erklärte Brandt: »Auch konnte ich garantieren, dass wir bei bestimmten Aktionen (Konzerten u. ä.) danach nicht an die Öffentlichkeit gehen, also zur Presse. Dies führte dazu, dass wir viele Sachen durchziehen konnten.«

Verfassungsschutz auflösen

Die Lokalmedien vermuten, dass sich vier weitere Spitzel in den rechten Führungsetagen befinden. In der letzten Maiwoche wurde der Bundeskassenwart von »Blood & Honour«, Marcel Degener genannt. Als der Bundesinnenminister die Organisation am 14. 8. 2000 verbot und bundesweit Hausdurchsuchungen durchgeführt wurden, trafen die Ermittler bei Degener in Gera auf eine saubere Wohnung. Vermutet wird, dass er von einem V-Mann-Führer im Vorfeld gewarnt wurde. Konsequenzen aus den Vorfällen will in Thüringen niemand ziehen.

Der Innenminister, der im März 2000 unter der Überschrift »Köckert will die harte Linie« ankündigte, es ginge vor allem darum, die Finanzquellen der Rechtsextremen aufzuklären, wiederholte angesichts der Ereignisse lediglich, die hochkarätigen Spitzel seien ja nun abgeschaltet. Bei einer Aktion vor dem Landesamt und einer Demonstration vor dem Innenministerium forderten Vertreter von Gewerkschaften, PDS, Grünen und antifaschistischen Gruppen dagegen die Auflösung des Landesamt und den Rücktritt des Innenministers. Die Bundestagsabgeordnete Annelie Buntenbach (Bü 90/Grüne) unterstützte die Forderung nach Auflösung mit dem Argument, »das wäre wirklich ein harter Schlag gegen die Nazi-Szene in Thüringen«.