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Perspektivenwechsel beim Ausstieg aus der Neonaziszene?

Einleitung

Schon seit einiger Zeit setzen sich antifaschistische Strukturen mit Aussteiger_innen aus der Neonaziszene auseinander. Neu erscheint allerdings der Umstand, dass Personen nach einem – wodurch auch immer herbeigeführten – Bruch mit dieser Szene, ihren weiteren politischen Werdegang zunehmend in meist antifaschistischen Strukturen sehen. Dies löst innerhalb bestehender antifaschistischer Zusammenhänge nicht nur Diskussionen, Unverständnis oder Ablehnung aus. Die einer solchen Entwicklung immanenten Widersprüche nehmen zum Teil so viel Raum ein, dass organisierte linke Strukturen Handlungsfähigkeit in anderen Bereichen ihrer Arbeit einbüßen. 

Bild: flickr.com./andreaswinterer/<a href="http://creativecommons.org/licenses/by-nc-sa/2.0/">CC BY-NC-SA 2.0</a>

Das sogenannte »Umsteiger-Phänomen« ist in Berlin, aber nicht nur dort, in den letzten Monaten häufiger in den Mittelpunkt gerückt. Grundlage unserer Perspektive sind die erarbeiteten Grundsätze im Umgang mit Aussteiger_innen. Wir sind uns bewusst, dass diese nur Orientierungspunkte darstellen können. Unserer Ansicht nach hat vieles davon auch innerhalb der aktuellen Diskussion weiterhin Berechtigung und ist in einigen Zusammenhängen scheinbar in Vergessenheit geraten. Um den zum Teil problematisch verlaufenden Umgang mit sogenannten »Umsteiger_innen« in einen solidarischen Austausch zu bringen, haben wir uns entschlossen, einen ersten Diskussions-Beitrag zu leisten.

Der lange Weg zum Ausstieg

Als Ausgestiegene bezeichnen wir Personen, die nach einem intensiven Prozess der Reflexion von sich aus ihre Ideologie als in allen Punkten falsch, menschenverachtend und nicht mehr länger vertretbar erkennen. Weitere Formen eines Bruchs mit der Neonaziszene, die aber keine ideologische oder persönliche Auseinandersetzung beinhalten, finden sich in Begrifflichkeiten wie Abtauchen, Austritt, Rückzug, Aufhören. (Vgl. AIB 74) Das in diesem Text behandelte Phänomen des »Umstiegs« finden wir bei Personen, die, gleich einem Ausgestiegenen, Informationen über »ihre« ehemaligen neonazistischen Strukturen zur Verfügung stellen sowie in einem transparent gestalteten Prozess ihre Veränderung und Auseinandersetzung glaubwürdig und nachvollziehbar darlegen und sich tatsächlich jeglichen Weg zurück verbauen. Insbesondere zeichnet es sich dadurch aus, dass sie meist mit nur kurzem zeitlichen Abstand, überwiegend in antifaschistischen Zusammenhängen aktiv werden wollen.

Gerade diesen Umstand halten wir aber aus mehreren Gründen für problematisch. Das Abbrechen jeglichen Kontakts zu AnhängerInnen der Neonaziszene, die Umgestaltung des Alltags und der Aufbau eines neuen sozialen Umfelds sind erste praktische Schritte des Ausstiegs. Diese machen aber, trotz allen damit verbundenen und häufig schwierigen Begleitumständen, eingebettet in den zeitlichen Rahmen des gesamten Ausstiegsprozesses, nur den kleineren Teil aus. Wenn wir bei dem gesamten Prozess von Jahren ausgehen, sprechen wir hier immer noch von mindestens vielen Monaten. Wird mit der Entscheidung zum Bruch oder begleitend zum Ausstiegsprozess der Wunsch geäußert, in antifaschistischen Zusammenhängen aktiv zu werden, muss also sehr genau hingeschaut werden.

Wir sind uns bewusst, dass es natürlich keine einheitliche zeitliche Abfolge gibt, die individuelle Entscheidungen oder persönliche Veränderungen bestimmt. Im Falle eines »Umstiegs« würde dies jedoch voraussetzen, innerhalb kurzer Zeit nicht nur komplett mit der davor gelebten neonazistischen Ideologie zu brechen, sondern diese Entwicklung individuell soweit vorangebracht zu haben, dass eine Auseinandersetzung und letztlich aktive Teilhabe an linker und antifaschistischer Politik bereits möglich scheint. Zudem sehen wir im vorzeitigen Einbinden von Ausgestiegenen in linke Strukturen ein Hindernis im individuellen Reflexionsprozess. Gruppen und Personen, die eine Mitarbeit ermöglichen oder einen solchen Wunsch befördern, müssen sich verantwortungsbewusst der individuellen Begleitung widmen und sich darüber hinaus auch damit auseinandersetzen, wenn Dritte den nachvollziehbaren Gedanken äußern, die eigenen Strukturen schützen zu wollen.

Ausstieg – Umstieg – Action

Bei den letzten uns bekannten Aussteiger_innen handelte es sich überproportional häufig um Personen aus Gruppen der »Autonomen Nationalisten« (AN). Gerade dieses Spektrum ermöglicht über die Verwendung subkulturell geprägter Erscheinungsformen einen leichteren Einstieg in die Neonaziszene. Viele Jugendliche müssen ihr äußeres Auftreten nicht mehr zwangsläufig ändern, sondern finden eine breite Angebotspalette von Black Metal, Hardcore oder auch Hip Hop, über die sie sich ausdrücken können. Der Umstand, dass es sich hierbei um subkulturelle Erscheinungsformen handelt, die gleichfalls von linken oder nicht-rechten Menschen geprägt ist, beinhaltet jedoch auch die Möglichkeit »fließender« Übergänge und setzt nicht mehr einen kompletten Stilbruch voraus.

Das wesentlich entscheidendere Moment besteht allerdings in dem aktionsorientierten Auftreten der AN. Die inhaltliche Bezugnahme findet sich zwar weiterhin im Nationalsozialismus, doch dient als identitätsstiftendes Moment und wichtigstes Instrumentarium einer »gelungenen« Aktion das Auftreten auf der Straße. Dass dieser Aktionismus nun zur Selbstinszenierung einer »kämpferischen Jugend« mutiert, spielt dabei keine Rolle. Entscheidend ist die empfundene Stärke im »NS-Black Block« bei Demonstrationen bzw. der ersehnten oder tatsächlichen körperlichen Auseinandersetzung mit Antifaschist_innen.

Wenn diese Gewaltästhetik nun unter anderen Bedingungen, dem Wechsel des Feindbildes und dem Austauschen der Button am Basecap, im Auftreten der antifaschistischen Bewegung wiedergefunden wird, kann nicht von einem Bruch in der Lebenswelt gesprochen werden. Dass diese Möglichkeit überhaupt als Option vorhanden ist, bedarf aber auch einer kritischen Reflexion innerhalb der Linken. Denn gerade diese Problematik ist nicht neu. »Wo […] die Aktion, sprich die Form des Politischen, Vorrang vor deren inhaltlicher Kontextualisierung genießt, nimmt es nicht Wunder, dass der Deutungskontext der ›Propaganda der Tat‹ entweder diffus oder politisch umcodierbar, enteignenbar wird.« (AIB 80) Hierbei geht es nicht darum, unterschiedliche Aktionsformen zu bewerten. Wir sind der Meinung, dass es vielfältige Formen der Bekämpfung neonazistischer Strukturen gibt und diese auch ihre Berechtigung besitzen.

Wer aber nicht in der Lage ist das eigene Auftreten immer wieder kritisch zu reflektieren und in ritualisierte Muster zur Schau gestellter Militanz verharrt, kann für sich nicht beanspruchen, eine Wirkungsstätte für Aussteiger_innen zu sein.

Die Notwendigkeit der Reflexion

Der Ausstiegsprozess muss immer auch mit dem Bemühen die eigenen Taten zu reflektieren einhergehen. Wenn dies vor der Auseinandersetzung über eigenes gewalttätiges Verhalten endet, kann von einem abgeschlossenen Prozess noch lange keine Rede sein. Diese Entwicklung transparent zu machen wäre aber im Falle sogenannter Umsteiger auch Aufgabe derer, die eine Einbindung in linke Strukturen möglich machen wollen. Doch scheitert dies viel zu häufig an der eigenen Unreflektiertheit.

Mag in einigen Fällen bei linken Gruppen eine naive Faszination davon ausgehen, in der Position zu sein einem »geläuterten« Neonazi eine neues Umfeld zu bieten, ist der bereits beschriebene Ausstiegsprozess schon im Ansatz gescheitert. Wenn sich persönliche Beziehungen über eine diffuse »Feindschaft gegenüber dem System«, die gemeinsam erlebte Action, sowie das häufig männlich-dominierte und Gewalt beinhaltende Gebaren innerhalb einer Gruppe definieren, kann dies für die Situation der hier beschriebenen »Umsteiger_innen« und den sie begleitenden Zusammenhängen als identitätsstiftendes Moment ausreichen. Einen verantwortungsvollen Umgang mit dieser Thematik innerhalb linker Strukturen stellt es aber nicht dar.

Die im Ausstiegsprozess begriffene Person steht in der Pflicht, einen offenen Umgang mit der eigenen Vergangenheit beim Aufbau sozialer oder politischer Kontakte zu pflegen. Bei denen jedoch, die voreilig in linken Strukturen aktiv werden können, ist es ebenso Aufgabe der involvierten Gruppen bzw. Einzelpersonen, den Prozess gegenüber der Szene transparent zu gestalten und sich nicht in Abwehrreaktionen zu verlieren. Denn gerade dies mehrt Zweifel und Unbehagen. Das politische Umfeld steht in solch einem Fall in der Pflicht, einen nachvollziehbaren Umgang mit dem Bedürfnis des/der »Aussteiger_in« nach Einbindung in alternative und linke Umfelder und Locations zu finden. Hier führt nichts daran vorbei von Fall zu Fall gründlich und reflektiert abzuwägen, um gemeinsam mit Kritiker_innen nach einer für alle tragbaren Lösung zu suchen.

Die Garantie eines Schutzraumes für Menschen, die von Gewalt des/der Aussteiger_in oder Gruppen aus deren Umfeld betroffen waren, ist hierbei genauso zu beachten, wie der geäußerte Wunsch organisierter Antifagruppen, ihre Strukturen für »Umsteiger« nicht zu öffnen. Sollten sich skeptische Genoss_innen aufgrund mangelnder Transparenz dennoch mit Situationen konfrontiert sehen, auf die sie keinen Einfluss mehr haben, da eine Öffnung bereits vollzogen wurde, ist ein reflektierter Umgang nicht mehr wahrscheinlich. Vielmehr besteht dann die Gefahr, dass die Wahrung professioneller Distanz der Austiegsbegleitenden als Standard in der Gestaltung des Ausstiegsprozesses, verloren geht. Dass dieser Umstand zu Auseinandersetzungen führt die regionale Strukturen aufreiben und potentiell Betroffene neonazistischer Gewalt aus einem Entscheidungsprozess ausschließen, ist nicht akzeptabel.

Überprüfbarkeit gewährleisten

Mögen sich die Ansprüche an einen Ausstieg auf einem hohen Niveau bewegen und eine individuelle Verantwortung in die Pflicht nehmen, liegt es daran, dass sich die betroffene Person einmal dazu entschieden hat, einem neonazistischen Weltbild zu folgen. »Genau das ist die Legitimationsgrundlage von AntifaschistInnen sie politisch wie auch persönlich dafür »haftbar« zu machen.« (AIB 74) Trotz aller Widersprüche scheint es dennoch nachvollziehbar, dass der Wunsch nach Öffnung linker Räume formuliert wird. Dass ein gewisser sozialer und kultureller Zugang in alternative und linke Lebenswelten für die (Weiter-)Entwicklung emanzipatorischen Denkens notwendig erscheint, liegt nahe. Steht für die Prozessbegleitung aber kein geeignetes Umfeld zur Verfügung, kann ein Einstieg in linke Gruppen nicht stattfinden. Schließlich bestehen für eine Person, die überzeugt ist, linke Politik in der Gesellschaft leisten bzw. unterstützen zu wollen, zahllose Möglichkeiten, dies in anderer Form und in anderen Bereichen zu tun, als zwangsläufig in antifaschistischen Zusammenhängen.

Wenn diese Möglichkeiten nicht als Option in Betracht kommen, sollte sich die Zeit genommen werden, die Beweggründe der Ausgestiegenen genau zu beleuchten, diese innerhalb der Szene darzulegen und in einen solidarischen Austausch zu gelangen. Um dies zu gewährleisten halten wir es weiterhin für wichtig, den Umgang mit Ausgestiegenen nicht intuitiv zu beurteilen, sondern an überprüfbaren Kriterien festzuhalten.