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Rassismus in Bullerbü

Einleitung

Die Sverigedemokraterna im schwedischen Parlament

Foto: News Øresund – Thea Wiborg bei flickr.com/newsoresund/CC BY 2.0

Jimmie Åkesson bei einer Kundgebung der Sverigedemokraterna.

Dutzende Frauen in schwarzen Burkas mit Kinderwagen überrennen eine weißhaarige Rentnerin – der Wahlkampf im Herbst 2010 bot in Schweden einige offen rassistische und islamophobe Einschläge. Die Urheber Sverigedemokraterna (Schwedendemokraten; SD) hatten Erfolg damit: sie erreichten bei der Reichstagswahl im September 5,7 Prozent und sind damit im Parlament vertreten.

Der Aufschrei war groß – die Überraschung allerdings klein. Die SD hatte im Wahlkampf nicht trotz, sondern wohl wegen ihrer eindeutig rassistischen Botschaft an die Wähler_innen von Umfrage zu Umfrage immer weiter zugelegt. Zudem hat die Partei seit ihrer Gründung Ende der 1980er Jahre konsequent ihre kommunalpolitische Basis vor allem im Süden des Landes aufgebaut. Und vor allem – weder die großen Parteien noch die Medien oder die schwedische Linke hatten eine konsequente Strategie im Umgang mit SD.

Das Programm von SD bietet kaum Überraschungen im Vergleich zu  anderen rechtspopulistischen Parteien in Europa. Kultur ist das Schlüsselwort für rassistische Abgrenzung: das spezifisch schwedische Kulturerbe, die einigende Funktion der schwedischen Kultur, ein kultureller Kanon werden eingeklagt. Interessanterweise versuchen SD nicht einmal traditionell-konservative oder wirtschaftsliberale Programmpunkte unterzubringen, sondern rassistische Abgrenzung und die strikte Begrenzung von »außereuropäischer Einwanderung« werden als  die Lösung für sämtliche innen- und außenpolitischen Probleme: den Arbeitsmarkt, die Pensionen, Schulpolitik, Familienpolitik und das Militär präsentiert. Die SD empfehlen den Austritt Schwedens aus der EU (nicht als einzige Partei, auch die Linkspartei behält diesen Programmpunkt, wenn auch aus anderen Gründen, bei), plädiert für die Wiedereinführung von Grenzkontrollen und will so die »schwedische Eigenart« erhalten.

Klar populistisch war etwa der Vorschlag, Immigration und Familiennachzug um 90 Prozent zu senken und damit den schwedischen Wohlfahrtsstaat finanziell zu retten. Mediales Interesse erlangen auch immer wieder die Parteimitglieder, die im Parlament gerne in südschwedischen Trachten auftreten. In der bisherigen parlamentarischen Arbeit versuchen SD in Einzelfragen sowohl mit der Minderheitsregierung der bürgerlichen Koalition, als auch mit der rot-rot-grünen Opposition zusammenzuarbeiten.

Gleichzeitig arbeiten sie seit Jahren daran, das Image der »Nazipartei« loszuwerden. Die Geschichte der Partei lässt ihren Weg vom Sammelbecken einer Vielzahl unterschiedlicher Neonazigruppierungen und -aktivisten, hin zur sich als wählbare Alternative präsentierenden rechtspopulistischen Partei erkennen.

1988 als Weiterführung der Kampagne »Bevara Sverige Svenskt« (Bewahrt Schweden schwedisch), haben SD ihren personellen Hintergrund in der extremen Rechten. Ursprüngliches Ziel war die Schaffung eines Sammelbeckens für unterschiedliche Alt- und Jungnazis, Doppelmitgliedschaften waren häufig und erwünscht. 1995 wechselte erstmals der  Parteivorsitz und der frühere Centerpartist (Centerpartiet: bürgerliche Partei für Kleinunternehmer und Landwirtschaft) Mikael Jansson stand für einen ersten Versuch von SD stubenrein zu werden, unter anderem durch den Ausschluss einiger bekannter militanter Neonazis.

Sechs Jahre später führte diese Strategie nach dem Ausschluss eines erfolgreichen Stockholmer Parteikaders zur Spaltung der Partei. Ein Flügel, dem die »Liberalisierung« und das Streben nach bürgerlicher Anerkennung zu weit gingen, bildete die Nationaldemokraterna (ND) – heute die einzige extrem rechte Gruppierung neben SD, die den parlamentarischen Weg gehen will. ND erreichen in Kommunalwahlen regelmäßig einige wenige Mandate, auch sie vor allem im Süden des Landes.

2005 wurde Jimmie Åkesson Parteivorsitzender und die SD taten ihren nächsten Schritt in Richtung Stubenreinheit. Mit der Wahl des damals 26jährigen wurden interne Streitigkeiten beendet. Er und sein Umfeld besetzen bis heute die wichtigsten Ämter in der Partei. Seit der Parteigründung sind SD bei allen Wahlen angetreten: Kommunalwahlen, Kirchenparlament, Europaparlament, Riksdagen (Reichstag). Auch in Zeiten größter interner Streitigkeiten konnten sie so Präsenz zeigen und die schwedischen Medien sprangen gerne auf den Zug auf. Symptomatisch für den Umgang mit SD war der Versuch des Chefredakteurs einer der größten landesweiten Boulevardzeitungen, Aftonbladet, der Ende 2009 Jimmie Åkesson einen ganzseitigen Artikel veröffentlichen ließ, in dem Bemühen, die Partei ihr wahres Gesicht zeigen zu lassen. Titel des Beitrags von Åkesson war »Die Muslime sind unsere größte ausländische Bedrohung«. Zwei Wochen lang saß der Parteivorsitzende auf diversen Talkshowsofas, diskutierte mit Ministern und Professoren, die sich zwar der Reihe nach von seinen Positionen distanzierten, dennoch aber wesentlich dazu beitrugen, dass SD eine riesige Plattform bekamen.

SD versuchen weiterhin, sich als bürgerlich akzeptable Partei zu präsentieren. Öffentlich ruft die Partei nicht mit zum Salemmarsch, der größten jährlichen extrem rechten Demonstration in Schweden, auf. Aber 41 Kandidaten der SD-Liste haben mehr oder weniger eindeutige Verbindungen zur militanten Neonaziszene. Immer wieder machen Abgeordnete durch offen rassistische Äußerungen auf sich aufmerksam. Ob die übrige extreme Rechte von den Erfolgen der SD profitiert, ist noch nicht abzusehen. Der Aufmarsch in Salem brachte jedenfalls mit 750 Teilnehmenden keinen besonderen Boom im Vergleich zum Vorjahr. Allerdings ist die schwedische extreme Rechte nicht wie die deutsche darauf angewiesen, mit SD eine legale Plattform für ihre Aktivitäten zu haben, da Organisationen in Schweden nicht verboten werden können.

Die Positionen von SD werden tatsächlich von keiner der anderen Parteien unterstützt, eine Grauzone zwischen Konservatismus und der extremen Rechten gibt es in Schweden nicht. Gleichzeitig ignorieren alle anderen Parteien die Themenbereiche, die SD für sich besetzen konnte, nahezu völlig – so z.B. Migrationspolitik, Kriminalität und das Sterben der ländlichen Regionen. Insofern konnte SD die Angst vor Multikulturalismus schüren und einen radikalen Einwanderungsstopp als die einzig sinnvolle Lösung präsentieren. Die in Schweden traditionelle Betonung von Meinungsfreiheit vor allen anderen demokratischen Grundsätzen führt dazu, dass jeglicher Protest gegen SD stark diskreditiert wird. Das geht so weit, dass der Parteivorsitzende der Vänsterpartiet (Linkspartei) Lars Ohly öffentlich versprach, seine Parteikollegen abzumahnen, die an einem Pfeifkonzert gegen eine Kundgebung von SD teilgenommen hatten – ansonsten verlief der Wahlkampf von SD meist störungsfrei.

In Schweden gibt es keine Partei, die einen »Rassismus der Mitte« abfangen würde, deshalb hat SD vermutlich ein stabiles bis wachsendes Wählerpotential, das rassistische Positionen unterstützt und diese bei keiner anderen Partei repräsentiert sieht. Es hängt nun vom Geschick und den personellen Fähigkeiten von SD ab, ob sie dieses Potential nutzen und langfristig binden können – und davon, ob die übrigen Parteien SD inhaltlich etwas entgegensetzen.