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Rechts auf dem Majdan

Einleitung

Noch zu Jahresbeginn 2014 wurden die Proteste in den deutschen Medien fast durchweg positiv dargestellt, den Protagonist_innen und den Massen auf den Demonstrationen hehre Ziele und der Wunsch nach EU-genormter Demokratie unterstellt. Kritik an den Aussagen einzelner Politiker und der massiven Verwendung von Symbolen faschistischer Organisationen kam erst spät auf. In den russischen Medien war hingegen nahezu ebenso flächendeckend eine völlig gegensätzliche Meinung über die gleichen Protagonisten vorherrschend: Hier begehrte der faschistische Pöbel gegen den legitimen Präsidenten des Landes auf.

Foto: Eduardo Castaldo/RIVA press

Kampftraining auf dem Majdan in Kiev vor einem Transparent der Neonazi-Guppierung „Rechter Sektor”.

Bebildert werden konnte diese Meinung über den Protest aufgrund der Vielzahl von Hakenkreuzen problemlos; dass hingegen auch linke, liberale und bürgerliche Gruppen an den Protesten beteiligt waren, wurde in den russischen Medien fast völlig geleugnet.

Nicht nur die nationalistische und religiöse Symbolik, auch die Sprechchöre und Gesänge weisen starke Rückgriffe auf Unabhängigkeitsbestrebungen der 20er bis 50er Jahre des 20. Jahrhunderts auf. Diese waren stark antirussisch/-sowjetisch und antisemitisch geprägt. Bis heute ist in der Westukraine Stefan Bandera, einer der Führer der Unabhängigkeitsbewegung OUN der 30er und 40er Jahre, ein gefeierter Held, dem eine Vielzahl von Denkmälern gewidmet ist. Dass Bandera mit der deutschen Wehrmacht kollaborierte wird bis heute von vielen als notwendiges Übel betrachtet, nicht als Ausdruck der Nähe der Ideologie der OUN zum Nationalsozialismus.

Auch aufgrund der kollektiven, sowjetisch geprägten Erinnerungskultur steht die Sympathie für Bandera der eigenen Wahrnehmung als Sieger gegen den Faschismus im Zweiten Weltkrieg nur bedingt entgegen. Diese Widersprüchlichkeit ist zum Teil Ausdruck von einer bisher kaum erfolgten Auseinandersetzung weiter Teile der Bevölkerung mit dem Erbe der NS-Besatzung. Die geringe Sensibilität gegenüber nationalistischen, rassistischen und antisemitischen Zeichen und Parolen zeigt sich deutlich an der fehlenden Thematisierung bei der Regierungsbeteiligung und der unwidersprochenen Beteiligung rechter Gruppen. Die nationalistische Partei „Svoboda“ (Свобода) stellt mehrere Posten in der Übergangsregierung und wird von der EU als Teil der Regierung anerkannt. Neben den an der Übergangsregierung be­teiligten nationalistischen Parteien bestimmten auf dem Majdan und bei den gewalttätigen Auseinandersetzungen aber vor allem kleinere Neonazi-Gruppierungen das Bild.

Die Gruppierung „Rechter Sektor“, ein sich erst im Laufe der Proteste herausbildendes Sammelbecken für verschiedene nationalistische und faschistische Organisationen, trat besonders bei militanten Auseinandersetzungen und als Teil der Verteidigungsstrukturen des Majdan in Erscheinung. Die Rot-Schwarze Fahne des „Rechten Sektors“ ist inzwischen bei allen Protesten massenhaft zu sehen. Die Rekrutierung neuer Mitglieder hat weiter unvermittelt Zulauf, vor allem junge Männer eifern darum, in die gut organisiert auftretende Struktur aufgenommen zu werden.

Mehrere bereits seit Jahrzehnten bestehende extrem rechte Parteien wie die UNA-UNSO (Ukrainische Nationalversammlung - Ukrainische Volksselbstverteidigung) gliederten sich in den letzten Monaten in den „Rechten Sektor“ ein. Die UNA-UNSO ist eine der offen antisemitischen und antirussischen Parteien, die, 1990 in Lviv gegründet, bisher nahezu keinen politischen Einfluss hatte. Die Proteste und das Aufgehen im „Rechten Sektor“ ermöglichen es dieser Partei, ihre Ideologie in weitere Bevölkerungsteile zu tragen und sich als Verteidiger der ukrainischen Unabhängigkeit zu gerieren. Das Logo der Partei zeigt ein stilisiertes Hakenkreuz mit den Buchstaben UNSO (УНСО). Momentan scheint sich nur eine schwindende Minderheit an der Präsenz von extrem rechten und antisemitischen Akteuren und dem Zeigen von faschistischen Symbolen zu stören.

Zwar ist keine der Gruppierungen des „Rechten Sektors“ direkt an der neuen Übergangsregierung beteiligt, personelle Nähe besteht jedoch beispielsweise zwischen dem Kommandant des Majdan, Andreij Parubij, und einem der wichtigsten Funktionäre des „rechten Sektors“, Dmytro Jarosch. Parubij bekam für die Svoboda den Posten des Sekretärs im Sicherheits- und Verteidigungsrat. Jarosch ist bereits seit den frühen 90er Jahren als Funktionär der rechten Gruppierung „Tryzub“ bekannt - einige Quellen sprechen davon, dass Jarosch als Stellvertreter Parubijs einen eigenen Posten in der Regierung erhalten soll.