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Rechts in der Mitte

Sebastian Friedrich und Patrick Schreiner
Einleitung

Fünf aktuelle Tendenzen zu (Standort-) Nationalismus und Ausgrenzung im Krisen-Europa

In Zeiten der in Europa grassierenden Krise wird einmal mehr deutlich, dass Nationalismus und Ausgrenzung vom Kapitalismus nicht zu trennen sind. Vielfach thematisiert wurde das am Beispiel Griechenlands, wo die extre­me Rechte im Zuge der Krise klar im Aufwind ist (AIB Nr.95, AIB Nr. 97). Darüber hinaus ist zu vermuten, dass durch die aktuelle Finanzkrise samt ihrer Austeritätspolitik europaweit sowohl das rechtspopulistische als auch das neonazistische Spektrum gestärkt wer­den dürfte (AIB Nr. 98). Aktuelle Analysen zum Zusammenhang von Nationalismus, Ausgrenzung und Krise verdeutlichen aber auch, dass Nationalismus und Ausgrenzung keineswegs auf die extremen Rechte zu beschränken sind. Sie lassen sich vielmehr bis weit in die so genannte politische Mitte hinein feststellen. Davon zeugen fünf aktuelle Tendenzen.

Erstens werden im Zuge der Krise in nationalistischer Weise EU-Staaten und ihre Bevölkerungen diffamiert. So fährt in Deutschland die BILD seit 2010 eine dauerhafte Kampagne gegen die Bevölkerung Griechenlands, wenn etwa mit kolonialistischen Argumentationsmustern die vermeintliche Faulheit von Griech_innen zur Erklärung für die wirtschaftliche und soziale Situation Griechenlands herangezogen wird, während die Situation Deutschlands mit dem angeblichen Fleiß der Deutschen begründet wird. Auch viele andere Medien und Politiker_innen stimmen in diesen Reigen regelmäßig ein – und machen damit bewusst Politik. Ähnliche Muster sind auch in anderen europäischen, eher privilegierten Ländern festzustellen. So war der Parlamentswahlkampf in Finnland vor zwei Jahren durch die rechtspopulistischen »Wahren Finnen« geprägt, die ihr Wahlergebnis von 4,1 Prozent auf 19,1 Prozent verbessern konnten. Hauptthema der europafeindlichen »Wahren Finnen« war die Ablehnung von »Hilfskrediten«.

Zweitens wird europaweit zunehmend gegen Migrant_innen und Geflüchtete gehetzt. Dabei ist häufig die Rede von »Wirtschafts-« oder »Armutsflüchtlingen«. Diese Bezeichnungen drücken die Delegitimierung von bestimmten Migrationsbewegungen aus, welche durch Gesetzesinitiativen, den Ausbau von Sicherheits- und Kontrolltechnologien sowie der engeren Zusammenarbeit der EU-Staaten an den europäischen Außengrenzen reguliert und unter Kontrolle gebracht werden sollen. Insbesondere in Bezug auf die Situation von Geflüchteten in den stark von der Krise betroffenen Staaten Italien und Griechenland wird seit etwa zwei Jahren verstärkt über rassistische Gewalt und institutionelle Diskriminierung berichtet. Menschenrechtsorganisationen machen immer wieder auf die durch fehlende staatliche Unterstützung unsicheren und durch Armut geprägten Lebenssituationen von Geflüchteten aufmerksam. So wurden in Griechenland direkt nach Amtsantritt der aktuellen Regierung etwa 25.000 Migrant_innen verhaftet und zeitweise in lagerähnliche Einrichtungen verschleppt. Auch die zuvor durch Sozialdemokrat_innen geleitete Regierung machte mit der Errichtung eines 13 Kilometer langen »Schutzzauns« im Norden des Landes Politik gegen Migrant_innen. In Deutschland sind es insbesondere Migrant_innen aus Bulgarien, Serbien und Rumänien, denen etwa von Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) vorgeworfen wird, sie kämen, um »unsere Sozialsysteme« aus­nutzen.

Drittens verschärfen sich auch innerhalb der Nationalstaaten die Ausgrenzung und der Ausschluss von Menschen, wobei hier auch auf unterschiedliche rassistische Traditionen und Kontinuitäten zurückgegriffen wird. Vor allem in den westeuropäischen Staaten ist im Laufe der letzten Jahre ein Zuwachs an antimuslimischem Rassismus zu verzeichnen, der sich nicht nur auf eine mögliche terroristische Gefahr von außen bezieht, sondern auch in den jeweiligen Staaten lebende Muslime als »Gefahr im Inneren« markiert. Außerdem nahmen im Zuge der letzten Jahre Antiromaismus und Antisemitismus insbesondere in Mittel- und Osteuropa zu. Aber auch der Klassenkampf von oben spitzt sich zu, wofür in Deutschland die medialen Interventionen um Thilo Sarrazin und Peter Sloterdijk (AIB Nr. 87) beispielhaft sind. In Großbritannien verschärft sich die Ausgrenzung von pejorativ als »Chavs« bezeichneten Menschen – insbesondere Arbeitslose und prekär Beschäftigte. Armut wird auf zugeschriebene negative Eigenschaften einer ökonomisch, sozial und politisch abgehängten Unterklasse zurückgeführt.

Viertens nehmen nicht nur nationalistische und rassistische Ausgrenzung zu, sondern auch auf Nationalismus und Rassismus basierender partieller Einschluss wird deutlicher. Während etwa in Deutschland täglich Hetze gegen »Armutsmigranten« zu vernehmen ist, wird andererseits um »gut ausgebildete Fachkräfte aus dem Ausland« geworben. Neben Hochqualifizierten werden (meist weibliche) migrantische Haushaltshilfen und Pflegekräfte mit prekärem Aufenthaltsstatus geduldet. Nützlichkeit ist hier ebenso bestimmend, wie wenn es um »Integration« derjenigen geht, deren Eltern oder Großeltern migriert sind. Es findet eine Spaltung in »Nützliche« und »Nutzlose« statt. Die als »nützlich« Angesehenen haben sich gewissermaßen durch ihre »Leistung« und dem daraus resultierenden gesellschaftlichen Beitrag das »In-Deutschland-leben-Dürfen« verdient. Diese Form des Migrations- und Integrationsmanagements zielt nicht auf eine absolute Ausgrenzung von Migran­t_in­nen ab, sondern versucht vielmehr, Teile der als nützlich Begriffenen im Sinne der Verwertung vorübergehend mit einzubeziehen. Ökono­mische Nütz­lichkeit bleibt hier auch zentrale Kategorie zur Bewertung von Menschen.

Die hier angedeuteten aktuellen Erscheinungsformen von Nationalismus und (rassistischer) Aus- und Eingrenzung können nicht auf einen Nenner gebracht werden, da sie von unterschiedlichen historischen, sozialen und politischen Kontexten abhängen.

Übergreifend ist allerdings fünftens festzustellen, dass Nationalismus und Ausgrenzung für neoliberale Kürzungs- und Austeritätspolitik unmittelbar anschlussfähig sind. So ist Standortnationalismus ein zentrales Element des aktuellen neoliberalen Kapitalismus. Die scharfe zwischenstaatliche Konkurrenz um Kapital, Märkte, Investitionen ist seine Grundlage. Ihretwegen werden Löhne und Steuern gesenkt, Arbeitsverhältnisse prekarisiert, Gewerkschaften geschwächt und Märkte dereguliert. Diese Ideologie geht mit der Vorstellung einher, in der internationalen Wirtschaft gebe es notwendig und richtigerweise Gewinner und Verlierer. Die deutschen Überlegenheitsgefühle im Zuge der Eurokrise sind Konsequenz nicht nur, aber auch standortnationalistischer Vorstellungen von »Wir« und »Sie«. Im Neoliberalismus ist ebenso wie im Nationalismus und in verschiedenen Ausgrenzungsformen – wie etwa Rassismus – die Vorstellung vorherrschend, dass Ungleichheit natürlich oder legitim ist. Seien es unterschiedliche (Miss-)Erfolge in der Standortkonkurrenz zwischen Staaten oder Erwerbslosigkeit, soziale Verelendung und Klassenstrukturen innerhalb der Staaten: Rivalität wird als Motor immer ungleicherer Gesellschaften, Reichtum bzw. Wohlstand als Verdienst und Armut bzw. Elend als eigene Schuld interpretiert.